08.01.2008. Die FR notiert erste Enttäuschung über die neue Suchmaschine Wikia und bringt ein Porträt der Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff. In der NZZ lehnt Navid Kermani den Trend zu hübschen Bassistinnen ab. Die SZ ist besorgt über die deutsch-italienischen Verhältnisse. Die FAZ klärt auf über den neapolitanischen Zusammenhang von Müll und Camorra. Das Blogoscop Rivva präsentiert eine Liste der im letzten Jahr in der deutschen Blogosphäre am meisten diskutierten Artikel.
FR, 08.01.2008
Carsten Hueck hat die Schriftstellerin
Angelika Schrobsdorff getroffen, die vor zwei Jahren von Jerusalem wieder nach Berlin gezogen ist. "Ihre Freunde in Berlin kommen zumeist aus Deutschlands Osten. Dort, sagt sie, habe sie Interesse, Offenheit und Wärme erfahren. Im Westen kämen ihr alle vor wie Schaufensterpuppen. 'Mit diesem
angeknipsten ewigen Grinsen. So aufgetakelt. Die sitzen geziert in Lokalen und essen mit spitzen Mündern.
Ich schlinge und bekleckere mich.'"
"David hat den ersten Kampf gegen Goliath verloren",
bilanziert Florian Brückner bedauernd den Start der neuen Suchmaschine
Wikia Search. Und das liegt wohl nur zum Teil daran, dass
Wikia Search auf den Markt gebracht wurde, bevor alle Funktionen freigeschaltet wurden: "Dabei hatte Jimmy Wales, Gründer der Online-Enzyklopädie Wikipedia, angekündigt, mit Wikia Search den Branchenprimus
Google anzugreifen. Dessen Marktanteil liegt in den USA bei rund 65 Prozent - Tendenz seit Jahren steigend. Dass Google in Deutschland nicht weiterwächst, liegt schlicht daran, dass dies bei einem geschätzten Marktanteil von
rund 90 Prozent nicht mehr möglich ist, wie (der Wissenschaftler) Dirk Lewandowski meint."
Weiteres: Robert Kaltenbrunner
erklärt sich in einer ausführlichen Analyse den neuen architektonischen
Traditionalismus auch als eine Antwort auf das Versagen bisheriger Stadtplanung. Im Interview mit Tilmann P. Gangloff
spricht Wolf von Lojewski über seine neue
Ostpreußen-Reportage fürs ZDF und die politische Entschärfung des Begriffs Heimat. Petra Kohse hat sich das neue Dokustück "Breaking News" von
Rimini Protokoll angesehen. In einer Times mager zum Problembereich Film und Streik
bedankt sich Daniel Kothenschulte bei den Aleviten, die endlich mal
gegen das Fernsehprogramm demonstriert haben.
NZZ, 08.01.2008
Navid Kermani war auf einem Rockfestival und findet den Trend zu
hübschen Bassistinnen fatal: "Jedenfalls die zwei oder drei Bassistinnen, die ich auf dem Festival erlebte, waren einfach nicht gut oder nur gut und keinesfalls sensationell, wie sie hätten sein müssen, damit es eventuell hätte anfangen können zu rocken. Wenn der Bass nicht hämmert, wenn er den Beat nicht vorgibt, sondern ihn gerade eben hält, bleiben die anderen Instrumente stecken, mögen sie noch so technisch versiert gespielt werden. Ein Bass muss anführen, und zwar so, dass niemand es bemerkt."
Im Übrigen gibt es Besprechungen zu einer
Ausstellung von
Biedermeiermöbeln im
Museum für angewandte Kunst in Frankfurt, einer
Sonderaustellung der Sammlung des Pariser
Musee Guimet und Büchern, darunter
Andreï Makines Roman "Die Frau vom Weißen Meer" und
Andrei Kurkows Erzählungen "Herbstfeuer" (mehr in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
TAZ, 08.01.2008
Antonia Herrscher
besucht auf der Suche nach dem guten alten Westberlin-Feeling den
Wrangelkiez in Kreuzberg. Christiane Müller-Lobeck
liest den Band "Wovon lebst du eigentlich" über fröhlich-prekären Existenzbedingungen der "
digitalen Boheme". Und Yarden Michaeli
berichtet, dass sich
israelische Künstler mit Protesten erfolgreich gegen Kürzungen des Kulturetats wehrten.
Besprochen werden, in einer
Doppelrezension, die
Mondrian-Ausstellung im
Museum Ludwig und eine
Picasso-Schau im
Gemeentemuseum Den Haag.
Auf der Medienseite
bekennt Dirk Knipphals, sich bei "Matusseks Reisen" in der
ARD nach Kräften gelangweilt zu haben.
Und
Tom.
Welt, 08.01.2008
Michael Stürmer
hält im Feuilleton-Aufmacher fest, dass die Eliten
Arabiens und Asiens nach wie vor britische Privatschulen und Oxford und Cambridge besuchen. Eckhard Fuhr
nimmt die Kirchenfenster von
Neo Rauch in Naumburg in Augenschein. Hanns-Georg Rodek
resümiert die neuesten Streikwirrnisse im Vorfeld der
Golden-Globes-Verleihung. Manuel Brug
schreibt über neue Chefs bei Hamburger Orchestern. Peter Beddies
unterhält sich mit
Anton Corbijn über seinen Film "Control" und über die Band
Joy Division.
Besprochen werden ein
Bühnenabend des Regisseurs
Jürgen Kruse nach einem Stück von
Jack Kerouac in Bochum, eine "Faust"-
Choreografie Jean-Christophe Maillots in Monte Carlo und ein
Band über das Pferd in der Kunst.
Auf der Forumsseite
porträtiert Marko Martin den spanischen Philosophen
Fernando Savater, der zusammen mit anderen Intellektuellen die
Partei UpyD (Union Progreso y Democracia - "Einheit, Fortschritt, Demokratie") gegründet hat.
Aus den Blogs, 08.01.2008
Das Blogoscop
Rivva präsentiert eine Liste der im letzten Jahr in der deutschen Blogosphäre am meisten diskutierten Artikel. Ganz oben steht ein
Artikel aus
Spiegel Online über umstrittene Werbestrategien bei
StudiVZ.
Und
Denis Dutton, der Erfinder des legendären
Verweisdienstes Arts & Letters Daily, weist uns auf seine
neueste Schöpfung hin:
Climatedebatedaily.com, eine Spalte für die "Calls to action" und eine für die "Dissenting voices".
SZ, 08.01.2008
Ein hundsmiserables Verhältnis zwischen
Italienern und
Deutschen macht Henning Klüver aus. Ein italienkritischer Bericht im
Spiegel hatte erst den römischen Botschafter in Berlin, Antonio Puri Purini, und dann ganz Italien verärgert (
mehr hier). Davor gab es ein deutsches Urteil gegen einen Sarden, dessen Milde die Italiener als blanken Rassismus verstanden (
mehr hier). Am übelsten genommen wird den Deutschen aber die kühle Reaktion auf die
sieben Toten bei einem Großbrand im Turiner Stahlwerk der Thyssen-Krupp-Gruppe (mehr
hier und
hier). "So erinnerte der Intellektuelle
Adriano Sofri daran, dass der Tod von sechs Italienern bei einem Mafia-Anschlag vor einem Restaurant in
Duisburg 'eine italienische Tragödie' gewesen sei. Warum, so fragt Sofri in der Repubblica, habe die deutsche Öffentlichkeit die Toten von Turin nicht auch als 'deutsche Tragödie' begriffen?
Giuseppe Vita, sizilianischer Top-Manager von Schering und Springer, erklärt das im Corriere della Sera damit, dass sich die Welt und also auch Deutschland eben
nicht für Italien interessiere."
Weitere Artikel: Florian Werner findet es mehr als gerecht, dass
Eminems Mutter Debbie Nelson auf die Hasstiraden ihres Sohnes nun mit einem
Buch geantwortet und "die Deutungshoheit über seine Texte" übernommen hat. Ralf Bönt resümiert die
Antworten auf die
Neujahrsfrage bei edge.org: "Welche Ihrer Meinungen haben Sie einmal geändert?" Franziska Brüning berichtet von Hürden, die Universitätsverwaltungen und etablierte Professoren für
junge Forscher errichten, die eine
transnationale Ausbildung anstreben.
Besprochen werden eine Ausstellung mit Zeichnungen von
Honore Daumier im
Kunsthaus Zürich,
Mozarts Oper "Die Entführung aus dem Serail" am Theater Augsburg, eine Ausstellung mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler in der
Huerta de San Vicente,
Garcia Lorcas Haus in Granada,
Erik Gedeons Liederabend "Stairways To Heaven" im Düsseldorfer Schauspielhaus,
Antoine de Caunes' Filmkomödie
"Wir verstehen uns wunderbar" und Bücher, darunter
Eberhard Straubs Band über "Die Furtwänglers" (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
FAZ, 08.01.2008
Über den neapolitanischen Zusammenhang von
Müll und Camorra klärt Dirk Schümer auf: "'Für uns bedeutet der Müll pures Gold', zitieren italienische Zeitungen Aussagen jener Clanchefs, die mit der ungeregelten Wegschaffung des Mülls weiterhin Milliarden verdienen. Das funktioniert so: Anstatt eine preisgünstige und möglichst schonende
Abfall-Logistik zu nutzen, überlässt die Gesellschaft ihren Müll gegen gutes Geld den Kriminellen. Die müssen sich um Gesetze und Auflagen nicht kümmern und können alles kostenfrei in die Landschaft kippen. Zahllose Seen, Bergtäler, Naturschutzgebiete in Süditalien hat die Camorra durch diese Lösung bereits ruiniert, andererseits aber
sauberes Geld mit Dreck verdient."
Weitere Artikel: Hans Christoph Buch war dabei, als sich in Haiti Schriftsteller aus der
Karibik mit Autoren aus Europa und Nordamerika trafen. Edo Reents erinnert an einen eklatanten Fall von
Jugendstraftätertum, mutmaßlich ohne Migrationshintergrund: Wilhelm Buschs
Max und Moritz. In der Glosse
hat Peter Richter Spaß mit
Spam-Emails und ihrer automatisierten Übersetzung. Kerstin Holm porträtiert den russischen Schauspieler
Wladimir Iljin, der in der großen "Krieg und Frieden"-Fernsehverfilmung gerade den russischen General Iwan Kutusow spielt. In Klaus Ungerers jüngstem Bericht aus dem Amtsgericht Tiergarten geht es um einen
Unhold der Massage. Lorenz Jäger nimmt das in der ursprünglichen Fassung unlängst verbotene Buch
"Havemann" und dessen Autor Florian Havemann gegen Florian Havemanns Schwester Sibylle Havemann in Schutz, die im
Spiegel ihr Entsetzen über das von Florian Havemann im Buch "Havemann" verbreitete Gerücht äußert, sie, Sibylle Havemann, habe ein
inzestuöses Verhältnis mit ihrer beider Vater Robert Havemann gehabt; am Schluss bringt Lorenz Jäger auch noch Sibylle Havemann und Wolf Biermanns gemeinsamen Sohn und eine
Telefonterrorgeschichte ins Spiel. Den verstorbenen Architekten
Harald Deilmann würdigt Andreas Rossmann.
Eine beeindruckende Riege von neun Naturwissenschaftlern - von
Günter Blobel bis
Meinhart Zenk - plädiert in einer Art
Manifest für die engere Verflechtung von
Max-Planck-Instituten und universitärer Forschung und Lehre. Auf der Medienseite meldet "ht.", dass die
soziale Suchmaschine Wikia des Wikipedia-Gründers James Wales seit gestern online ist. Regina Mönch und Michael Hanfeld kritisieren den "Maulkorb" für den Beliner Oberstaatsanwalt
Roman Reusch, dessen Vorgesetzter ihm verbietet, in der Öffentlichkeit das zu sagen, was er - Reusch, und eben nicht der Vorgesetzte - denkt.
Besprochen werden
Olivier Messiaens "Turangalila"-Symphonie, die in Berlin gleich in zwei Interpretationen zu hören war, die "Friend EP" von
Grizzly Bear, Roger Vontobels ins
"Second Life" verlegte Inszenierung von Henrik Ibsens "Die Helden auf Helgeland", eine
Hannoveraner Ausstellung mit Videos von Aernout Mik und Peter Nadas' Vergangenheits-Buch "Spurensicherung" (dazu mehr in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).