Heute in den Feuilletons

G,B,C! G,B,Des-C! G,B,C. B,G

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.02.2008. In der NZZ beschreibt Norberto Fuentes, wie Fidel Castro der letzte sowjetische Held wurde. Die FAZ weiß, für wann Castro sich einen Nachfolger wünschte: "Nach meinem Tod natürlich, falls ich einmal sterben sollte." In der FR erkundet der Schriftsteller Burkhard Spinnen den Symbolgehalt des Falls Zumwinkel. In der SZ betrachtet Slavenka Drakulic die kosovarische Unabhänigigkeit mit gemischten Gefühlen. In Slate erinnert Christopher Hitchens daran, dass fast keine westliche Zeitung die Mohammend-Karikaturen druckte.

NZZ, 20.02.2008

Den Nachruf auf Fidel Castro schreibt Norberto Fuentes, der Castro einst nahe stand und eine fiktive Autobiografie des Caudillo veröffentlichte. Bei der Kubakrise, meint Fuentes, hätten Castro und die Seinen ihre Mission begriffen: "Die Russen brauchten sie. Diese alten Herren schafften es nicht einmal mehr, ihre eigenen Komitees zu motivieren. Und so wurde Fidel Castro zum letzten sowjetischen Helden, nachdem er bereits früher der Robin Hood des amerikanischen Fernsehens gewesen war."

Im Gespräch mit Joachim Güntner warnt Necla Kelek vor einer Islamisierung der türkischen Politik durch die regierende Partei AKP und das Religionsministerium, das auch in Deutschland aktiv ist: "Allein in Deutschland beten und leben über 800 von der Türkei bezahlte Vorbeter in den Moscheen. Das sind alles Schritte in Richtung eines islamischen Landes. Und in der Türkei stehen heute, als Folge der AKP-Regierung, mehr Moscheen als Schulen. Dabei ist das Bildungssystem marode. Doch die Gelder fließen in den Moscheebau, und Imame werden nach Deutschland und Europa entsandt."

Besprochen werden die Ausstellung "Die Versuchung des heiligen Antonius" im Bucerius-Kunst-Forum, Hamburg und Bücher, darunter Eva Horns Studie "Der geheime Krieg - Verrat, Spionage und moderne Fiktion" (mehr hier) und Dezsö Kosztolanyis Roman "Lerche" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 20.02.2008

In einem Interview mit Ulli Kulke erklärt der dänische Autor und Direktor des Copenhagen Consensus Center, Björn Lomborg auf der Magazinseite, warum er den drohenden Klimawandel nicht für das dringlichste Problem hält: "Die Kosten einer spürbaren Minderung des CO2-Ausstoßes heute stehen in keinem auch nur annähernd vernünftigen Verhältnis zum möglichen Ertrag der ganzen Aktion. Das einzige Ergebnis wäre, dass uns dadurch die Mittel für die wirklichen Probleme fehlten. Dabei verlangen doch ganz andere Themen auf der Welt unsere Anstrengungen, auch finanzieller Art: Aids, Malaria und andere Seuchen, Hunger, Mangel an sauberem Trinkwasser, Armut."

Im Feuilleton: Auch wenn Deep Purple mittlerweile als Kapelle für das Betriebsfest bei Gasprom auftreten, würdigt Michael Pilz ihre Gründung vor vierzig Jahren, ihren Status als "Mutter allen Schwermetalls" und den berühmtesten aller Rockriffs: "G,B,C! G,B,Des-C! G,B,C. B,G." Ulrich Clauß macht darauf aufmerksam, dass vor dem Brockhaus schon directmedia auf der Seite zeno.org eine Volltextbibliothek ins Netz gestellt haben. Nikolaus Nowak berichtet von dem umstrittenen Projekt des baskischen Bildhauers Eudardo Chilida, den Berg Tindaya auf Fuerteventura auszuhöhlen und in ihm einen gigantischen Felsendom zu errichten. Peter Dittmar meldet, dass Christian Flick Berlin 144 Werke aus seiner Sammlung geschenkt hat.

Sven Felix Kellerhoff hält in der Randspalte ein Denkmal für Georg Elser in Berlin zwar nicht für verkehrt, aber trotzdem unnötig. Berthold Seewald hat sich von Historiker Hans-Joachim Gehrke in dessen Pläne für das Deutsche Archäologische Institut einweihen lassen. Gernot Facius wirft einen Blick auf die wachsende, aber offenbar harmlose Gemeinde der Evangelikalen in Deutschland. Besprochen werden Tim Burtons Film "Sweeney Todd" mit Johnny Depp und eine New Yorker Shakespeare-Inszenierung mit Patrick "Captain Picard" Stewart.

FR, 20.02.2008

In einem Essay zieht der Schriftsteller Burkhard Spinnen eine vorläufige Bilanz zum Symbolgehalt des Falls Zumwinkel. "Die aktuelle Argumentation der Steuerbehörden ist nicht mehr allein vom Hinweis auf den Gesetzesbruch und seine Verfolgung geprägt - nein, ganz offen präsentiert die Staatsmacht die Begründung für ihr Vorgehen als das Ergebnis einer einfachen ökonomischen Berechnung: Für fünf Millionen Einsatz bekomme sie Hunderte Millionen zurück! Das heißt: Gesetzesbrecher und Gesetzeshüter treffen sich ab jetzt 'auf Augenhöhe'. Vom 'Staatsfeind' und von der moralischen Verfehlung mag auch die Rede sein; doch dominierend erscheint die Geschäftsbilanz des Fiskus."

Schon gestern - hatten wir übersehen - hat Harry Nutt sich Gedanken über die Vorbildfunktion der Eliten gemacht und dabei Josef Ackermann aus der Bild-Zeitung zitiert: "'Wer nicht Vorbild ist, kann nicht erfolgreich führen', versuchte er mit einem Gemeinplatz sicherzustellen, was seinem Kollegen Zumwinkel nach Lage der Dinge wohl abhanden gekommen ist. Welcher Idee und welchem Ideal seinesgleichen vorstehen, führte Ackermann nicht weiter aus. Vielmehr deutete er leise Zweifel an, dass es immer weniger gelinge, die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu erklären und verständlich zu machen, 'warum Kapital und Wettbewerb, Marktwirtschaft und Globalisierung gut sind für die Menschen in Deutschland.' Es ist wohl nur ein Zufall und den Fragen des Bild-Redakteurs geschuldet, dass Ackermann Staat und Demokratie in diesem Zusammenhang unerwähnt ließ. Tatsächlich scheint sich deren Prägekraft so weitgehend verflüchtigt zu haben, dass sie im Weltbild von Topmanagern nur noch eine untergeordnete Rolle spielen."

Weiteres: In Times mager lotet Judith von Sternberg den inflationären Einsatz von Alfredo Catalanis Arie "Ebben ... Ne andro lontana" aus. Eine Meldung informiert uns, dass die FSK für RTL eine Strafe von 100.000 Euro wegen Verstoßes gegen Jugendschutzbestimmungen durch Lächerlichmachung der Kandidaten in der Show "Deutschland sucht den Superstar" fordert. Schließlich schrieb - ebenfalls gestern - Martina Meister den Nachruf auf den Schriftsteller Alain Robbe-Grillet.

Besprochen werden eine Inszenierung von Robert Schumanns Oper "Genoveva" im Opernhaus Zürich, die Ausstellung "Max Ernst - Une semaine de bonte. Ein surrealistischer Roman" in der Wiener Albertina und Tim Burtons Musical-Verfilmung "Sweeney Todd" mit Johnny Depp.

TAZ, 20.02.2008

Auf der Meinungsseite erklärt der amerikanische Journalist Jeremy Scahill, der ein Buch über Blackwater geschrieben hat, was es der US-Regierung bringt, für eine private Kampftruppe jährlich eine halbe Milliarde Dollar im Irak auszugeben: "Viel. Mit Blackwater verfügt die Bush-Regierung über eine Schattenarmee mit 25.000 jederzeit einsetzbaren Söldnern, den Gerätschaften einer regulären Brigade und einer eigenen Luftflotte. Tote oder verletzte Söldner tauchen in der offiziellen Statistik nicht auf. Das mindert die Proteste gegen den Irakkrieg. Der Einsatz von Blackwater und anderen Söldnern verschleiert, wie viele US-Amerikaner wirklich im Irak sind."

Ilja Trowanow erregt sich über das Münchner Biller-Urteil. Auf den Kulturseiten unterhält sich Jonathan Fischer mit dem Regisseur Charlie Ahearn, der 1982 mit "Wild Style" den ersten Film über Hiphop drehte, und nun mit diesem und einem dazu herausgegebnen Buch auf Deutschlandtournee geht. Ulrich Gutmair stellt das Drehbuch zum nie realisierten Film über den heiligen Paulus von Pier Paolo Pasoloni vor, das jetzt erschienen ist. Und Marion Lühe schreibt einen Nachruf auf den Schriftsteller Alain Robbe-Grillet.

Schließlich Tom.

Weitere Medien, 20.02.2008

Den Hinweis verdanken wir der Achse des Guten. Christopher Hitchens erinnert in Slate anlässlich der Soli-Aktion der dänischen Zeitungen für den Karikaturisten Kurt Westergaard daran, dass praktisch keine westliche Zeitung es wagte, die Mohammed-Karikaturen abzudrucken: "How can it be that the whole point of an entirely visual story can be deliberately left out? (To see the original cartoons, by the way, click here.) I have a feeling that the decision to protect you from the images was determined this time by something as vulgar as fear."

SZ, 20.02.2008

Mit gemischten Gefühlen betrachtet die kroatische Schriftstellerin Slavenka Draculic die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, die in der Region eine "neue Saat der Angst" schüre. "Sieht man einmal ab von Serbiens Frustration über den Verlust des Kosovo (...), scheint für die Region wieder die 'Stunde null' angebrochen zu sein: Serben in der Republika Srpska, Kroaten in Bosnien-Herzegowina, Albaner in Mazedonien - und Serben in der kroatischen Krajina ... Warum sollten sie nicht alle genau dasselbe tun wollen? Und wer würde ihnen dann erklären, dass sie nicht ebenso gut solch ein 'Sonderfall' sind?"

Unter der Überschrift "Geographie des Grauens" liest Kurt Kister Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten" als eine "Art beklemmende Reiseerzählung", als eine "Tour de Force von Schauplatz zu Schauplatz des deutschen Massenmordes". Carlos Widmann stimmt anlässlich Castros Rückzug einen "Abgesang auf die Ästhetik des Verfalls" in Kuba an. Tobias Kniebe nimmt erleichtert Toshibas Aufgabe eines eigenen HD-DVD-Formats zur Kenntnis. Judith Raupp informiert über die Wiedereröffnung des 2005 in Brand gesetzten Goethe-Instituts in Togo. Berichtet wird außerdem über in einem Tresor in Dallas gefundene Unterlagen, die angeblich Lee Harvey Oswalds Schuld an der Ermordung von John F. Kennedy belegen - vermutlich aber Fragmente eines Filmskripts sind. Stefan Koldehoff berichtet über die nach 94 Jahren wiederentdeckte Zeichnung "Alter Mann mit Frau" von Vincent van Gogh. auf der Literaturseite berichtet Henning Klüver, dass das Auswärtige Amt zusammen mit dem Kulturbeauftragten der Bundesregierung einen Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis ausgelobt hat, um besonders die Übersetzungstätigkeit in Italien ein wenig anzukurbeln.

Besprochen werden Martin Kusejs Inszenierung von Robert Schumanns Oper "Genoveva" im Opernhaus Zürich, eine Ausstellung von Gestaltungsentwürfen der als Übergangsbau geplanten Berliner Kunsthalle in der Architektur-Galerie, Simon Rattles erster Beethovenzyklus, eine Sammlung von Jules-Verne-Romanen als Hörspiel und Lesung und Bücher, darunter der Gedichtband "Unter freiem Himmel" von Michael Krüger (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 20.02.2008

Zum nun auch offiziellen Abschied Fidel Castros von der Macht resümiert Paul Ingendaay: "Selbst Kenner räumen ein, dass die kubanische Systemvariante die Dinge im Alltag weniger prinzipiell und mit mehr Schlupflöchern regelt als damals die europäische. Daneben hat die schiere Dauer des Castro-Regimes so viele Lebensläufe geprägt, dass es kaum einen Kubaner gibt, der davon unberührt geblieben wäre. Selbst an einen Despoten, sofern er nur am Ruder bleibt und sich zur Ewigkeitsmaske der Herrschaft selbst erklärt, mag man sich irgendwann gewöhnen." Und Walter Haubrich erinnert sich an ein Gespräch mit Castro: "'Parteien zulassen? Gar viele? Das kann ich nicht. Das sollen, wenn es denn nötig ist, meine Nachfolger tun' - 'Und wann wird es einen Nachfolger geben?' - 'Erst nach meinem Tod natürlich, falls ich einmal sterben sollte.'"

Oliver Jungen war beim Konzert von Ex-Pixie Black Francis in Köln. Großes Ding! "Höhepunkt des Abends und tatsächlich so gigantisch, dass es ganze Wagenladungen geklonter Indie-Bands zu ersetzen vermag, ist die nackt beginnende Schwellenangst-Hymne 'Treshold Apprehension', in der es kreischt und gewittert, wobei die zittrige Hysterie immer wieder in den melodiösen Refrain 'Who's carrying who? Who's turning the screw?' umbricht. Es geht an dieser Schwelle um den Übergang in seiner höchsten Form: 'Roll away the rock so I can get to my ascension.' Eine apotheotische Sekunde lang ist es, als hätte noch niemand bemerkt, was die eigentliche Etymologie von Rock'n'Roll ist."

Weitere Artikel: In der Glosse bewundert Gerhard Stadelmaier die philosophische Demut des späten Studienabbrechers Erwin Teufel. Alexandra Kemmerer hat eine Münchner Tagung besucht, auf der es um das Selbstbestimmungsrecht der Völker ging. Anne-Dore Krohn hat sich mit dem Künstler Carsten Nicolai über das Leben als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom unterhalten. Wolfgang Schneider stellt Brechts Notizbücher vor, in denen es um alles zwischen Liebeslust und Schwarzwurzeln geht. Joseph Croitoru hat in osteuropäische Zeitschriften geblickt und unter anderem einen Aufsatz über die Aktualität der Ära Breschnew gelesen. Karen Krüger berichtet über ein Manifest mit dem Titel "Wir sind noch nicht emanzipiert", in dem türkische Frauen das Recht zum Kopftuchtragen einfordern. Im einst, aber längst nicht mehr gefährlichen New Yorker Viertel Hell's Kitchen war Jordan Mejias unterwegs. Pia Reinacher hat der ersten Karl-Schmid-Vorlesung an der ETH Zürich gelauscht: Der Schriftsteller Thomas Hürlimann war der Vortragende. Auf der Medienseite zeigt sich Jörg Thomann vom stark interaktiven neuen Holtzbrinck-Internet-Newsportal zoomer.de naturgemäß wenig begeistert: vieles liegt da in der Hand der Nutzer. Karen Krüger weist auf einen Film über die ermordete Journalistin Anna Politkowskaja hin.

Auf der DVD-Seite preist Dominik Graf Filme von Alain Tanner. Michael Althen erinnert an den, ja: auch Filmemacher Alain Robbe-Grillet, von dessen zehn Filmen freilich nur einer überhaupt irgendwo auf DVD greifbar ist.

Besprochen werden Mike Newells Garcia-Marquez-Verfilmung "Die Liebe in den Zeiten der Cholera", Joachim von Burchards Göttinger Inszenierung von Stephen Sewells etwas umständlich betiteltem Stück "Mythos, Propaganda und Katastrophe in Nazi-Deutschland und dem heutigen Amerika" und Bücher darunter Ida Pohl-Sennhauser Heilkund-Historie "Rattenschwanz und Schneckenschleim" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).