Heute in den Feuilletons

Das geht nur in dieser Art Schreibe

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.02.2008. In der Welt plädiert Geert Mak für einen EU-Beitritt der Türkei in etwa fünfzig Jahren. In der taz spricht Gabriele Goettle mit einer Hundeexpertin, die den belgischen für den besten Schäferhund hält. wirres.net findet folge-mag.com ein bisschen geleckt. Klaus Theweleit erzählt in der FAZ, dass er von Littell Furchtbares erwartet und dann auch bekommen hat. Im Tagesspiegel spricht Charlotte Roche über ihre Hämorrhoiden.

Welt, 25.02.2008

Im Interview mit Jennifer Wilton und Alan Posener plädiert Geert Mak ("Die Brücke von Istanbul") für einen EU-Beitritt der Türkei: "Wir brauchen diese Brücke zwischen Europa und dem Orient. Eine moderne islamische Nation in Europa wäre ein Leuchtfeuer der Hoffnung für alle fortschrittlichen Menschen in der islamischen Welt." Allerdings sieht Malk einen langen Zeithorizont vor: "Vielleicht reden wir von 40 bis 50 Jahren."

Im Feuilletonkommentar wundert sich Elmar Krekeler über das Schweigen der Intellektuellen zu den Erfolgen einer Partei, die zwar nicht so ganz auf dem Boden der FDGO steht, aber eben auch nicht rechts ist und darum nicht die entsprechenden Reflexe auslöst. Besprochen werden eine Ausstellung über den Mythos der Samurai in Speyer, Stephan Kimmigs Inszenierung der "Endstation Sehnsucht" im Thalia Theater Hamburg, das letzte Konzert des Alban-Berg-Quartetts in Berlin und neue DVDs, darunter Opern in Felsenstein-Inszenierungen.

TAZ, 25.02.2008

Gabriele Goettle besucht eine Hundetrainerin, die deutsche Schäferhunde und Soldaten zu natürlichen Partner erklärt. "Wir hatten verschiedene Hunderassen. Vor allem deutsche Schäferhunde, belgische Schäferhunde, Labradore. Aber auch Jack Russel, die sind sehr gut in Ruinen, aber auch bei der Autosuche, sie machen nichts kaputt und haben viel Power. Mischlinge gab es auch und ein paar Rottweiler, eine deutsche Dogge war da für die Menschensuche. Am besten ist der belgische Schäferhund, er ist sehr intelligent und kann viele verschiedene Sachen. Und er hat einen sehr guten athletischen Körperbau, was deutsche Schäferhunde zum Beispiel nicht haben. Die sind hinten zu wenig hoch, so zurückgezüchtet, sie sind gut im 'Langsamarbeiten', zum Beispiel wenn jemand über die Grenze gegangen ist, dann ist ein deutscher Schäferhund gut, mit Soldaten zusammen."

Auf der Meinungsseite fordern die beiden Islamwissenschaftler Michael Kiefer und Jamal Malik die Politik auf, sich darauf einzustellen, dass Muslime nicht so wie die christliche Kirche organisiert und deshalb anders anzugehen sind. Für die zweite taz war Lars Gaede bei einem Auftritt Dieter Dehms, Romanautor, Schlagerkünstler und Chef der niedersächsischen Linken in Personalunion.

Und Tom.

Tagesspiegel, 25.02.2008

Im Tagesspiegel leistet Charlotte Roche, die einen Roman mit vielen Details geschrieben hat, schonungslose gesundheitliche Aufklärung: "Manchmal lag ich nach dem Aufschreiben der Geschichte abends im Bett und konnte nicht einschlafen, weil ich Angst hatte, jemand könnte mich für mein Buch bestrafen. Hämorrhoiden sind ja mein Lieblingstabu. Sie befinden sich übrigens hinter dem Schließmuskel. Das Spektrum reicht von leicht juckend bis zu höllischen Schmerzen. Menschen sind leider so, dass sie so etwas ganz lange nur mit sich allein ausmachen. Wenn der Proktologe wissen will, ob die Eltern auch schon damit zu tun hatten, weiß man das nicht. Das ist für mich so ein typischer Witz über die Menschheit: Das vererbt sich in einer Hämorrhoidenfamilie seit Generationen, und keine Sau spricht mit dem Kind darüber."
Stichwörter: Roche, Charlotte, Roche

Aus den Blogs, 25.02.2008

Felix Schwenzel von wirres.net stellt das schicke neue Internet-Interviewmagazin folge-mag.com vor und fragt sich, warum, er selber eigentlich nicht so schick sein will: "mir kam kurz der gedanke, ob es manchmal nicht besser sei, die dinge einfach hinzurotzen, dinge einfach zu machen, auch wenn man weiss, man könnte es besser, es einfach so lassen wie es kommt. bloggen, ins internet schreiben ist oft so: einen gedanken aussprechen, auch wenn er nicht perfekt ausformuliert ist oder hundertprozentig durchdacht ist. sich auf die idee konzentrieren und nicht auf die form. keinen, ausser den inneren, zwängen nachgeben zu müssen. zu fehlern, zur imperfektion stehen können, sie aushalten. auf rechtschreibung scheissen."
Stichwörter: Rechtschreibung

FR, 25.02.2008

Thomas Stillbauer wird es beim Frankfurter Auftritt der wiedervereinigten Smashing Pumpkins schon beim Auftakt mit "Porcelina of the vast oceans" ganz lyrisch zumute. "Das Lied schwebt los, ganz sacht wie ein Zitronenfalter, fährt dann schwer ächzend als stählerner Schiffsrumpf durchs meterhohe Packeis und befreit sich schließlich mit blendender Perspektive."

Weiteres: Arno Widmann resümiert eine Diskussion zwischen dem Historiker Karl Schlögel und dem tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg. In der Times mager denkt Hans-Jürgen Linke schon an Eier.

Besprechungen widmen sich Katharina Thalbachs Inszenierung der Uraufführung von Torsten Raschs Oper "Rotter" nach Thomas Brasch, Laurent Chetouanes "sinnlicher" Verquickung von Hölderlins "Empedokles" und Brechts "Fatzer" am Schauspiel Köln sowie Sherko Fatahs Roman "Das dunkle Schiff".

FAZ, 25.02.2008

Ganze Seite zu Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten" in der Sonntags-FAZ, diesmal von Klaus Theweleit, der sich wütend mit den Kritikern des Romans auseinandersetzt. Den Vorwurf, der Roman sei sei ganz fürchterlich geschrieben, versteht er zum Beispiel überhaupt nicht. "Bloß: was hat man erwartet? Dass wir so etwas erzählt bekommen in Thomas Mannscher Distanzschreibe? Literarisch poliert? Das genau wäre ein Verbrechen gewesen. Ich habe Furchtbares erwartet und Furchtbares bekommen; und habe etwa 700 Seiten gebraucht, bis ich kapiert habe: das geht nur so; das geht nur in dieser Art Schreibe; das geht nur in diesem Pseudo-Denker-Stil, in dem Dr. Max Aue sich (angeblich) vom durchschnittlichen SS-Brutalo unterscheidet; weil: man braucht sich nur Himmlers Posener Rede vom Oktober 1943 anzuhören, dann weiß man: dies Sprachkonglomerat, das Jonathan Littell herstellt - das den Leser schmerzen soll und muss -, trifft die Sache genau..."

Im heutigen Feuilleton plädiert der Rechtswissenschaftler Michael Pawlik dafür, in Auseinandersetzung mit dem modernen Terrorismus auf Elemente des Kriegsrechts zurückzugreifen - und damit zum Beispiel auch über präventive Inhaftierungen nachzudenken. Schmerzliche Maßnahmen, meint Pawlik, aber alles andere wäre das Beharren auf einem "wirklichkeitsenthobenen Rechtsstaatsideal". Das heißt auch: "Postheroische Gesellschaften haben zwar die Tendenz, sich selbst als Kulminationspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung zu interpretieren und jede Härte, sei es auch nur diejenige des Begriffs, für moralisch anrüchig zu halten. Dennoch kann auch eine postheroische Gesellschaft angesichts der terroristischen Herausforderung der Frage nicht ausweichen, ob und inwieweit ihre Angehörigen dazu bereit sind, im Kampf gegen den Terror Verzicht zu leisten."

Weitere Artikel: Als Land im Wandel zeichnet Knud Romer Dänemark, das gerade heftige Unruhen unter jugendlichen Einwanderern erlebt. In der Glosse beschäftigt sich Dieter Bartetzko mit gefährdeten archäologischen Stätten im Irak. Die Kunsthistorikerin Birgit Schwarz kommentiert den Fund einer Katalogübersicht über Adolf Hitlers private Kunstsammlung. Thomas Thiel musste erleben, wie auf einer Tagung in Mainz das Feuilleton als Hort neokonservativer Gegner eines postkolonialen Perspektivenpluralismus in den Blick geriet. Wolfgang Schneider hat ein Berliner Kolloquium anlässlich des siebzigsten Geburtstags des Germanisten Hans-Jürgen Schings besucht, bei dem es um Kitsch ging. In amerikanischen Zeitschriften hat Jordan Mejias mehrere Artikel über den allzu netten Herrn Obama gelesen. Wolfgang Fuhrmann porträtiert Daniel Kühnel, den erfolgreichen Chef der Hamburger Symphoniker. Paul Ingendaay erzählt, was einem bei der Wohnungssuche in Madrid so alles begegnen kann. Über einen Fonds zur Restauration gefährdeter Kulturgüter informiert Regina Münch. Auf der Medienseite konstatiert Nina Rehfeld einen heftigen Image-Schaden für die New York Times, die Gerüchte um eine Liebschaft des mutmaßlichen republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain in die Welt setzte, ohne irgendwelche Belege zu haben. Gustav Falke gratuliert dem Philosophen Odo Marquard zum Achtzigsten.

Besprochen werden die Ausstellung "Jugo - Filmgeschichte in Bildern" im Filmmuseum Potsdam, mehrere neue Choreografien am Ballett Mainz, David McVicars "Salome"-Inszenierung an Covent Garden, Inszenierungen von Dostojewskijs "Idiot" und Shakespeares "Kaufmann von Venedig" in Zürich und Bücher, darunter Charles Scott Richardsons Roman "Das Ende des Alphabets" und Heinz Verfürths Buch über "Die Arroganz der Eliten" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 25.02.2008

Die NZZ war heute morgen noch nicht online. Vielleicht versuchen Sie es später noch einmal hier:

"Überraschend konservativ erscheint Lilian Pfaff Renzo Pianos Erweiterung des Los Angeles County Museum of Art. Alfred Hackensberger erinnert an die verschiedenen jüdischen Gemeinden in den islamischen Ländern. Marianne Zelger-Vogt stellt die Bayerische Theaterakademie August Everding im Münchner Prinzregententheater vor.

Besprochen werden Alvis Hermanis' Dostojewski-Inszenierung "Der Idiot" in der kleinen Schiffbauhalle (die Barbara Villiger Heilig durch "bedingungslose Versessenheit" bezwungen hat) und die Ausstellung junger figurativer Künstler aus der Schweiz "Aus einem malerischen Land" im Salzburger Hangar 7.

Online gemeldet werden die Oscars, mit denen vor allem die Coen-Brüder für "No Counrty for Old Men" überhäuft wurden.

SZ, 25.02.2008

Auf der Seite jetzt.de erzählt Charlotte Roche im Interview, wie sie in ihrem Roman "Feuchtgebiete" immer wieder überprüfen musste, "ob jetzt das Unaussprechliche ausgesprochen wird und ich das weibliche Sexualorgan detailliert genug beschreibe... Ich bin auch nicht gut darin, etwa mit Freundinnen über solche Sachen zu reden. Was Helen sich in dem Buch denkt, hat viel mit mir zu tun. Zum Beispiel regt sie sich darüber auf, dass sie nie weiß, wen sie fragen soll und also zu Prostituierten geht. Und für mich ist das schon ein Problem, dass man eigentlich mit niemandem drüber reden kann."

Zum Feuilleton: Holger Liebs lernt in der Tate Modern in London ein Künstlertrio der Avantgarde besser kennen. Von Man Ray, Francis Picabia und Marcel Duchamp kürt er vor allem letzteren als wahren Vorreiter. "'Die Braut, Von Ihren Junggesellen Nackt Entblößt, Sogar' - sein opus magnum, ein gläsernes Symbolbild sexueller Vergeblichkeiten (1915-23). Es ist eines der wichtigsten, aber auch unbekanntesten Meisterwerke der Moderne; früh zerstört, doch 1964, von Duchamp abgesegnet, durch den Popkünstler Richard Hamilton repliziert. Einsame 'Bachelors' und eine unerreichbare Braut werden darin als Gemisch aus onanistischen Motoren ('Schokoladenreibe') und diffundierenden Gasen dargestellt - ein grandioses Tableau sexueller Einbildung und Phantasie, dargestellt mit Symbolen der Physik, Mechanik und Alchemie."

Weitere Artikel: Die zeitweilige Schließung der Europäischen Universität in St. Petersburg könnte politische Gründe haben, vermutet Sonja Zekri. Harald Eggebrecht überlegt, wie man die EU-Richtlinie zum Schutz von Orchestermusikern umsetzen könnte (deutsche Variante) und schlägt unter anderem Ohrstöpsel und eine Anhebung des Orchestergrabens vor. Alex Rühle zweifelt an den angeblich von Hitler gemalten Disney-Kärtchen, die in Norwegen aufgetaucht sind. Im Interview mit Petra Steinberger stellt die Soziologin Saskia Sassen fest, dass der globale Kapitalismus sich entweder verstärkt oder wir den Anfang seines Endes miterleben. Till Briegleb befürwortet den Entschluss des Hessischen Landemuseums, ihre Beuys-Abteilung nicht zu renovieren und als etwas muffige "Zeitkapsel" zu erhalten.

Auf der Literaturseite erklärt Alexander Menden den mordenden Barbier Sweeney Todd, der als Groschenheft begann und nun von Tim Burton verfilmt wurde, zum urbanen Mythos. Die New York Times bekommt Renditedruck von Hedgefonds, berichtet Nikolaus Piper im Medienteil. Und Willi Winkler darf die Dreharbeiten zu Jan Mojtos "La Boheme"-Verfilmung in Wien besichtigen, inklusive des Bettes, in dem Anna Netrebko singend dahinsiechte.

Besprochen werden die Uraufführung von Torsten Raschs Oper nach Thomas Braschs 1977 geschriebenem Stück "Rotter" in der Inszenierung von Katharina Thalbach in Köln, Stephan Kimmigs Version von "Endstation Sehnsucht" am Hamburger Thalia Theater, Neuerscheinungen auf DVD wie eine Douglas-Sirk-Kollektion und Bücher, darunter Frank Uekötters "Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert" (mehr in unserer Bücherschau des Tages).