19.03.2008. Die Welt staunt über ein Gebirge aus 176.000 Kubikmeter weißem Carrara-Marmor in Oslo. In der FR debattieren Claus Offe und Heinz Bude über das Ende des Sozialsstaats. In der taz erinnert sich Jochen Schimmang nur lückenhaft an 68. Die Zeit begutachtet islamische Kunst für zwei Milliarden Euro in Qatar. In der SZ fordert der Staatsrechtler Christoph Möller starke Richter.
Welt, 19.03.2008

Oslo hat ein
neues Opernhaus, gebaut vom Architekturbüro Snohetta. Und es ist ganz in weiß,
staunt Dankwart Guratzsch: "Die frappierende Wirkung ihres Bauwerks erreichen die Architekten mit einem wahren Gebirge aus
176.000 Kubikmeter weißem Carrara-Marmor, in das mit Computerhilfe lange, flach auslaufende Stufen geschnitten sind. Die Suggestion ineinander geschobener Eisschollen ist perfekt. Aufgerissene gläserne Flanken, die abwechselnd das Licht des Himmels und die Bewegung des Wassers reflektieren, und die in Weiß und Silber changierenden aluminiumverkleideten Bühnentürme lassen über die
eisigen Flanken Luftspiegelungen huschen, die den Eindruck von lebensfeindlicher Kälte und Glätte noch erhöhen. Vor dem grellweißen Hintergrund wirken die winzigen tiefschwarzen Silhouetten emporklimmender Besucher wie verloren (der Eisberg ist zum 'Besteigen' freigegeben)." (
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In Schlesien und Sachsen wird probeweise das neue
deutsch-polnische Geschichtsbuch, das die Zeit von 1933 bis 1949 umfasst, in Schulen als "ergänzendes Unterrichtsmaterial" bereitgestellt. Polens Rechte ist nicht zufrieden, Paul Flückiger kann das zum Teil
verstehen: "Augenfälliger ist allerdings die Tatsache, dass die
deutsche Widerstandbewegung gegen den Nationalsozialismus in
'Geschichte verstehen - Zukunft gestalten' einen verhältnismäßig breiten Raum einnimmt, während der
polnische Widerstand zur Zeit der Besatzungszeit nur enpassant erwähnt wird. Weder hat sich das deutsch-polnische Historiker-Team die Mühe gemacht, den gerade in Deutschland wenig bekannten polnischen Untergrundstaat mit seinen konspirativen Schulen und Universitäten in einem eigenen Kapitel vorgestellt, noch werden die verschiedenen bewaffneten Untergrundverbände beschrieben, angefangen von der heute in Polen populären Heimatarmee (AK) bis zu den kommunistischen Partisanen."
Weitere Artikel: Der Schriftsteller
Peter Rühmkorf spricht im
Interview über die Aufgabe der Literatur, 1968 und apokalyptische Lyrik: "Die Leute haben beim Zuhören jedenfalls immer gelacht. Ich hab sie dann gefragt, was lachen Sie denn, hier ist
Untergang angesagt. Darauf kam neues Lachen. Da sieht man, wie eng Tragödie und Komödie beieinander lagern, literarisch." Uwe Wittstock
fragt sich, ob die
Frankfurter Buchmesse, die
China im nächsten Jahr als Gastland eingeladen hat, sich damit nicht nur als prächtige Bühne für Diktatoren zu Verfügung stellt. Hanns-Georg Rodek
schreibt zum Tod des Regisseurs
Anthony Minghella. Peter Dittmar
erzählt von einer bemalten chinesischen
Schnupftabakdose, die heute bei Christie's in New York versteigert wird.
Besprochen werden
Aufnahmen von Schumann-, Mozart- und Schubert-Liedern des Baritons
Matthias Goerne, die
Asta-
Nielsen-
Retrospektive in
Berlin, eine
Stefan-
Zweig-
Schau im
Deutschen Historischen Museum und eine Inszenierung von
Fromental Halevys Oper "La Juive" in Stuttgart.
Auf der Forumsseite ist die
Rede abgedruckt, die
Angela Merkel gestern in der
Knesset hielt. Auf der Magazinseite porträtiert Heike Vowinkel
porträtiert die libanesische Journalistin
May Chidiac, die in Berlin ihre Autobiografie vorgestellt hat.
Tagesspiegel, 19.03.2008
Im Interview mit Katja Reimann
erklärt der im deutschen Exil lebende irakische Autor
Najem Wali seine zwiespältige Haltung zum Krieg: "Ich habe den Sturz Saddam Husseins befürwortet, nicht die Intervention. Für alle Iraker war es eine schwierige Entscheidung zwischen einer
Diktatur und einer
imperialen Macht, die wirtschaftliche Interessen verfolgt. Es gab nur Schwarz oder Weiß: Wer gegen Saddam ist, ist für die Invasion. Die Bevölkerung war so verzweifelt, dass es ihr egal war, wer einmarschiert. Und dann sollten sie abwägen, welcher Krieg barmherziger ist: der bisherige oder der kommende, dessen Versprechen aber nicht eingehalten wurden. Die Amerikaner haben Saddam gestürzt, dann hat der Westen sie
allein gelassen."
FR, 19.03.2008
In einem Gespräch
unterhalten sich der
Politikwissenschaftler Claus Offe und der
Soziologe Heinz Bude über den
sozialen Wandel, das Ende des Sozialsstaats und das Drama der Exklusion. Offe macht im Gegensatz zum dem früheren Verhältnis von Kapital und Arbeit eine "Entmischung" von
Chance und Risiko aus: "Auf der einen Seite kumulieren sich die Chancen, ohne dass ernsthafte Risiken zu bewältigen sind. Diejenigen, die aus Zufällen der Kapitalausstattung, der persönlichen Qualifikationen, des Geburtsjahrgangs, des Wohnorts, der richtigen Beziehungen und Auslandserfahrungen im Vorteil sind, befinden sich auf Lebenszeit in
nahezu unanfechtbaren Positionen gesicherter Prosperität. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die 'abgehängt', jedenfalls nicht in der Lage sind, ihr Realeinkommen zu steigern oder nur zu erhalten." Bude bestätigt und beschreibt es so: " Über die Fragen von 'oben' und 'unten' hat sich die von '
drinnen' und '
draußen' gelegt."
Daniel Kothenschulte
würdigt in einem Nachruf den überraschend gestorbenen englischen Regisseur
Anthony Minghella. Ursula Knapp
kommentiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu
Prominenten-Fotos. Und in Times mager
räsonniert Christian Thomas anlässlich der Planungen für ein Urban Entertainment Center (UEC) in Frankfurt am Main über den
Urbanitätsstatus der Stadt.
Auf der Medienseite
geht Harry Nutt dem Gehalt einiger Fernseh- und Rundfunkbeiträge nach, die am Image der brandenburgischen Keramikkünstlerin
Hedwig Bollhagen kratzten; demnach soll sie wissentlich Nutznießerin eines von den Nazis betriebenen
Arisierungsvorgangs gewesen sein, indem sie 1934 den Marwitzer Keramikbetrieb der Jüdin Margarete Heymann-Loebenstein übernommen hatte. Zu
lesen ist außerdem ein Artikel über den Theologen
Hans Küng, der heute 80 wird.
Besprochen werden Paul Esterhazys
Produktion "Weder noch -
Musiktheater von den letzten Dingen" in
Kassel, die Morton Feldmans Einakter "Neither" nach Beckett, in Verdis "Requiem" einbettet und eine
Edition sämtlicher Gedichte des portugiesischen Nationaldichters
Luis de Camoes. (mehr dazu in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)
NZZ, 19.03.2008
Urs Schoettli, China-Korrespondent der
NZZ,
porträtiert die
Tibeter als "uraltes Kulturvolk ohne Reduit": "'Wir wollen unsere eigenen Richter haben', so lautete der Schlachtruf der alten
Eidgenossen gegen die habsburgische Fremdherrschaft. Genau dasselbe wollen auch die Tibeter, wie viel an moderner Entwicklung die Chinesen auch in ihr Land hineinpumpen mögen."
Weitere Artikel: Marc Zitzmann
lobt die "geniale Szenografie" der von Robert Carsen kuratierten Ausstellung über
Marie-Antoinette in
Paris. Susanne Ostwald
schreibt zum Tod des britischen Filmregisseurs
Anthony Minghella.
Besprochen werden ferner
Jacques Fromental Halevys Oper "La Juive" in der Regie
Sergio Morabitos und
Jossi Wielers in Stuttgart und Bücher, darunter
Johannes Willms'
Biografie Napoleons III. und
Dirk Kurbjuweits Roman "Nicht die ganze Wahrheit" (mehr
hier).
TAZ, 19.03.2008
"Einen Besinnungsaufsatz"
überschreibt der Schriftsteller
Jochen Schimmang seine Betrachtungen zum "Ende des Winters" die eigentlich Erinnerungen an
1968 in seiner Berliner Studentenzeit sind. In zwei Passagen nimmt er darin Bezug auf
Götz Alys jüngstes Buch
"Unser Kampf". Eine davon: "Draußen lag der Schnee kniehoch. Da saß also der junge Student und las, mit Blick auf den weißen Wintermorgen,
Maos Schrift 'Über den Widerspruch'. Mein Generationsgenosse Götz Aly, der zur gleichen Zeit am selben Otto-Suhr-Institut studiert haben muss wie ich, hat uns allen ja gerade aktuell erklärt, dass wir schon damals besser hätten wissen können und müssen, was in China wirklich los war,
wir Kinder der 33er. Stattdessen 'tanzten (wir) um einen kultigen Massenmörder'. Dazu vielleicht ein
andermal und anderswo mehr, vielleicht auch nicht. An diesem eiskalten Silvestermorgen jedenfalls tanzte in Schlachtensee niemand." (Mit dem Erinnern haben's die Kinder der 33er offensichtlich auch nicht anders als die Eltern!)
Besprochen werden
Jason Reitmans Kinokomödie "Juno" und
Eric Hazans Bericht über das Westjordanland "Reise nach Palästina". (siehe hierzu unsere
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)
Und
hier Tom.
Zeit, 19.03.2008
Für fast zwei Milliarden Euro hat
Saud al-Thani in aller Welt
islamische Kunst gekauft, die jetzt im neuen Museum in Qatar zu besichtigen ist. Hanno Rauterberg findet dieses Museum irgendwie sympathischer als die rekordsüchtigen Kulturtempel in den Nachbar-Emiraten: Nicht so
neureich. "Das erste neue Staatshaus der Kultur ist eben kein Guggenheim, kein Louvre, auch keine Berliner Nationalgalerie. Man kauft sich nicht vorschnell die Marken des Westens, man versucht sich
am Eigenen. Auch wenn das Museum fast nichts zeigt, was aus der Region stammt, ist es doch eine Art Rückbesinnung. Bislang war es so, dass jeder, der sich für islamische Kunst interessierte, nach London oder New York reisen musste."
Weiteres: Christiane Grefe schildert, wie weit die "
wunderbar größenwahnsinnige" Ruhrgebietsinitiative
"Jedem Kind ein Instrument" nach einem Jahr gediehen ist. Evelyn Finger äußert schwere Bedenken gegen das moralisch begründete und bestätigte
Inzestverbot. Der Dramaturg
Carl Hegemann erklärt, wie er
Botho Strauß' Stück "Groß und Klein" inszenieren würde, wenn man ihn ließe.
Besprochen werden
Claus Gruths "Rheingold"-Inszenierung in Hamburg,
Jason Reitmans Teenager-Komödie "Juno", die Stillleben-Ausstellung
"Magie der Dinge" im Frankfurter Städel und Neues aus der Diskothek.
Im Aufmacher des
Literaturteils schreibt Elisabeth von Thadden über
Goethes vor zweihundert Jahren erschienenen "Faust". Das Dossier porträtiert Deutschland
erfolgreichsten Fernsehproduzenten, den Schöpfer der "Schwarzwaldklinik" und des "Traumschiffs", Wolfgang Rademann.
SZ, 19.03.2008
Alexander Menden informiert über einen
Streit, der in England um den
Orange-Literaturpreis entbrannt ist; zentraler Kritikpunkt ist die Tatsache, dass die mit 40.000 Euro dotierte Auszeichnung
ausschließlich an Frauen vergeben wird. In seiner Kritik
argumentiert der Autor Tim Lott im
Daily Telegraph: "'Frauen
sind in den wichtigsten Verlagen und Agenturen dominant, sowohl was ihre Zahl, als auch was ihre Macht
angeht. Sie verkaufen die meisten Bücher auf einem Markt, der zum Großteil aus weiblichen Lesern besteht.' Die sozialen Bedingungen, welche die Einrichtung eines reinen Frauen-Preises vor zwölf Jahren angeblich gerechtfertigt hätten, existierten nicht mehr."
Weitere Artikel: Der Staatsrechtler
Christoph Möller erklärt anhand der gegenwärtigen Debatte um das Auswahlverfahren von Verfassungsrichtern, weshalb wir
starke Richter brauchen. Mit einem Porträt gratuliert Matthias Drobinski dem Theologen
Hans Küng zum 80. Geburtstag. Fritz Göttler
schreibt zum Tod des Regisseurs
Anthony Minghella. emd informiert über den
Rücktritt von zweien der drei Leiter des
Stratford Shakespeare Festival in Kanada. In einer Doppelbesprechung widmet sich Andrian Kreye
Jason Reitmans Film
"Juno" und
Nick Hornbys Roman
"Slam", die beide eine Generation porträtierten, die
Pop mit Moral zu verbinden wisse. Begleitend ist ein Interview
mit der Drehbuchautorin von "Juno",
Diablo Cody zu lesen, die für ihr Skript einen Oscar gewann.
Auf der Medienseite schreibt Nikolaus Piper über die sich verschärfende
Zeitungskrise in den USA.
Besprochen werden außerdem Jacques Fromental
Halevys Oper "La Juive" in
Stuttgart, die Ausstellung "Marxist Disco" des britischen Grafikers
Scott King im
Kunstverein München,
Dennis Kellys Stück "Liebe und Geld" am
Theater Basel und
Bücher, darunter "100 Geschichten" des Katalanen
Quim Monzo und eine Studie zu
"Literatur als Skandal". (mehr in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
FAZ, 19.03.2008
Der
Hirnforscher Gerd Kempermann erklärt, wie seiner Ansicht nach eine vergleichsweise verschwindend kleine Zahl neu entstehender
Gehirnzellen im Hippocampus dafür sorgt, dass unsere Reaktionen auf die Umwelt "so stabil wie möglich und dabei so
anpassungsfähig wie nötig" bleiben. Eindrücke vom
Pariser "
Salon du livre", bei dem israelische Autoren über Gegenwart und Zukunft ihres Landes und die Rolle der Literatur debattierten, liefert Joseph Hanimann. Rainer Hermann prophezeit, dass in Zeiten
multipler Nationalidentitäten die Religion als einheitsstiftende Kraft an Bedeutung gewinnen wird. Der Schweiz-Korrespondent Jürg Altwegg stellt mit sehr persönlichen Erinnerungen und Eindrücken die
Stadt Genf vor, die ihm Heimat geworden ist. In der Glosse
denkt Paul Ingendaay anlässlich privater und öffentlicher Vorkommnisse übers
Nacktsein nach.
Martin Wilkening berichtet vom Berlin
"MaerzMusik"-Festival. In
osteuropäischen Zeitschriften liest Joseph Croitoru, dass es immer mehr Polen in Deutschland gibt und weniger Polen in Polen. Alessandro Topa stellt
Ramin Sadighi vor, Chef des Teherander Labels Hermes, das für persische Avantgarde-Musik berühmt ist. Gregor Maria Hoff gratuliert dem
Theologen Hans Küng zum Achtzigsten. Michael Althen schreibt den Nachruf auf den britischen Regisseur
Anthony Minghella. Auf der Medienseite
erklärt Michael Hanfeld, wie es kommt, dass
Claus Kleber ohne sein Einverständnis Werbung für "Spiegel Wissen" macht.
Auf der
DVD-Seite bestaunt Dominik Graf den großartigen Giallo-Film "
Malastrana" von Aldo Lado, Michael Althen hat ein paar der schönsten Filme der Welt von
Douglas Sirk gesehen und Bert Rebhandl empfiehlt eine Box mit Filmen von
Chantal Akerman aus den siebziger Jahren.
Besprochen werden eine
Baseler Ausstellung zu "Homer" und dem Troja-Mythos, die Hamburger "Ring"-Eröffnung mit Simone Youngs und Claus Guths "Rheingold"-Inszenierung und Bücher, darunter die von Paul Freedman herausgegebene Kulturgeschichte des Geschmacks mit dem Titel "Essen" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).