Heute in den Feuilletons

Nur Verdränger haben ein Problem damit

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.03.2008. Kritik am Dalai Lama: In der FR erklärt der amerikanische Autor Louis Bayard die Appeasement-Politik des Dalai Lama für gescheitert. In der NZZ erinnert der tibetische Schriftsteller Jamyang Norbu den Dalai Lama daran, dass er seine Freiheit Tibetern mit einem Gewehr zu verdanken hat. Der Kölner Stadtanzeiger fand Geert Wilders Film "Fitna" nur als theoretische Provokation interessant. Die FAZ sieht im Film weder Rassismus noch Blasphemie. Die SZ blickt mit Aufbau-Verleger Frank Lunkewitz auf tausendfünfhundert rechtswidrig vergebene Lizenzen.

Kölner Stadtanzeiger, 28.03.2008

Geert Wilders Film "ist eine Enttäuschung", schreibt Tobias Kaufmann. "'Fitna' war am stärksten, solange niemand den Film gesehen hatte. Solange über eine theoretische Provokation gestritten wurde, solange allein anhand der Möglichkeit, dass ein Koran-feindlicher Film in den Niederladen veröffentlicht werden könnte, Gefährdungsszenarien durchgespielt und finstere Drohungen ausgestoßen wurden - solange war Wilders Film ein großartiges Beispiel für den Wahnsinn, in den die islamistische Bedrohung selbst beschauliche Länder wie Holland inzwischen gestoßen hat. Solange war er wertvoll. Wilders hätte dies auf die Spitze treiben können. Er hätte, statt den Film ins Netz zu stellen, eine Pressekonferenz einberufen und sagen können: 'Ich habe nur ein paar Clips aus dem Internet zusammengeschnippelt, die ich niemandem gezeigt habe - und jetzt guckt, wie Ihr Euch ins Hemd macht.'"
Stichwörter: Holland, Internet, Wilders, Geert, Hemd

Spiegel Online, 28.03.2008

Aus Amsterdam trägt Gerald Traufetter erste Reaktionen von Regierungs- und muslimischer Seite auf Geert Wilders nun hier oder hier öffentlich gemachtes Anti-Islamismus-Pamphlet "Fitna" zusammen. So hat bereits am gestrigen Abend Premierminister Jan Peter Balkenende den Film kommentiert: "Am Abend kam das Kabinett zusammen und schaute gemeinsam den Film, der nun auf der ganzen Welt in Niederländisch und Englisch zu sehen ist. Dann, nur drei Stunden nach dem Erscheinen von 'Fitna', trat ein ernster Premierminister Jan Peter Balkenende vor die Medien und hielt eine Ansprache auf Niederländisch und für das Ausland gleich noch mal auf Englisch. Der Regierungschef geißelte darin die Gleichsetzung des Korans mit Terroranschlägen. Er kündigte an, dass das Justizministerium rechtliche Fragen prüfen wird. Und er erinnerte daran, dass bei den Selbstmordanschlägen schließlich auch Muslime getötet wurden."

NZZ, 28.03.2008

In einem sehr interessanten Interview spricht der tibetische Schriftsteller Jamyang Norbu über das in seinen Augen gescheiterte Prinzip der Gewaltlosigkeit, das nur Peking in die Hände spiele, da es die Tibeter zur tatenlosigkeit verurteilt habe: "Erst als 1959 der Dalai Lama floh, nach Aufständen in Lhasa, an denen Städter, Ex-Militärs und ehemalige tibetische Beamte teilnahmen, rückte Tibet ins internationale Rampenlicht. Alles, was wir heute im Exil haben und sind, ist auf diesen Aufstand zurückzuführen. Auch der Dalai Lama sollte sich bewusstmachen, dass er nur deshalb fliehen konnte, weil Tibeter mit dem Gewehr in der Hand ihm zur Flucht verholfen haben. Seine Freiheit und seinen Status verdankt er letztlich Menschen, die zur Gewalt bereit waren und nicht nur sein Leben retteten, sondern ihn auch vor weiterer Schmach schützten. Der Dalai Lama wurde eigentlich gegen seinen Willen von Tibetern gekidnappt und ins Ausland verbracht. Wäre er geblieben, wäre mit ihm dasselbe geschehen wie mit dem Pantschen Lama - er wäre eine Marionette in den Händen der chinesischen Regierung geworden."

Wei Zhang berichtet von einem Sexfoto-Skandal, der derzeit Hongkong in Atem hält: "Die Eltern des Urhebers der Skandalbilder entschuldigten sich in den Medien für ihr 'Versagen' bei der Erziehung ihres Sohnes."

Weiteres: Karin Leydecker begutatchtet Günter Zamp Kelps Neubau für die Kunsthalle Mainz, einen steilen, mit grünem Glas verkleideten Turm, der aus dem historischen Gebäude heraus in den Himmel ragt. Rolf Niederer schreibt zum Tod des amerikanischen Schauspielers Richard Widmark. Besprochen werden auf der Plattenseite Stephen Malkmus' Album "Real Emotional Trash" und neue Produktionen aus der Kraut-Disco.

Solche Geschichten gibt es einfach nur woanders: Paul Steiger, früherer Chef des Wall Street Journals, spricht im Interview auf der Medienseite über sein neues, von Mäzenen finanziertes Projekt eines investigativen Nachrichtenportals - Pro Publica: "Wir werden jeden Tag einen Blog-Beitrag veröffentlichen, der die Recherchen anderer Journalisten zusammenfasst. Wir werden sowohl in den USA als auch weltweit nach investigativen Geschichten Ausschau halten, von denen wir denken, dass sie publikationswürdig sind. Und wir werden die Recherchen anderer Kollegen kommentieren und vielleicht in zwei oder drei Fällen pro Tag diese selbst überprüfen. Mein Ziel ist es, in den ersten drei bis sechs Monaten bis ein halbes Dutzend Reporter pro Tag darauf anzusetzen, Bloggern dabei zu helfen, Storys ausfindig zu machen. Damit verbindet sich unsere Hoffnung, dass uns die Leute nach einem halben Jahr ihre investigativen Recherchen anvertrauen und uns E-Mails schicken, so dass es einfacher für uns ist, etwas durch diese Leute zu erfahren."

FR, 28.03.2008

Der amerikanische Autor Louis Bayard hält die Appeasement-Politik des Dalai Lama für gescheitert und rät zum Rücktritt. "Ob der Dalai Lama sich getraut hätte, seine weisen Ratschläge der Million Tibeter zu erteilen, die bei der Invasion durch Chinas Truppen ums Leben kamen? All den Menschen, die vergewaltigt, sterilisiert oder mit Elektroschocks gefoltert wurden? Und was ist mit jenen tibetischen Eltern, die gezwungen wurden zu applaudieren, während ihre Kinder hingerichtet wurden? Wenn das, was der Dalai Lama predigt, wirklich Buddhismus ist, dann drängt sich die Frage auf, ob ausgerechnet ein Mönch der richtige Akteur für den politischen Wandel in einer gefährlichen und unübersichtlichen Welt ist."

Weiteres: Seit die russische Staatsanwaltschaft gegen den unliebsamen Kurator der Tretjakow-Galerie Andrej Jerofejew ermittelt, erhält er weder Aufträge noch Solidarität, berichtet Florian Hassel. Jürgen Otten entdeckt auf dem Hamburger Festival "Ostertöne" die Bezüge zwischen Brahms und Messiaen. In der Times mager warnt Hans-Jürgen Linke vor der Flatrate-Inflation. Daniel Kothenschulte schreibt zum Tod des amerikanischen Schauspielers Richard Widmark.

Besprechungen widmen sich Doug Limans "unbeschwertem" Actionfilm "Jumper und Mobys neuem Album "Last Night" (ein "Blick zurück in milder Melancholie", meint Thomas Winkler).

Welt, 28.03.2008

Der ehemalige Berliner Senatsbaudirektor Hans "Traufhöhe" Stimmann erinnert sich mit Schaudern an die lebensfeindlichen Architekturkonzepte der 68er: "Um diese Zeit in ihrer Mischung aus Geschichtsfeindlichkeit, Vertrauen auf technokratische Lösungen und vermeintlichem gesellschaftlichem Fortschritt sichtbar werden zu lassen, genügte es, die Wettbewerbe des Jahre 1968 neu auszustellen, exemplarisch die Hochschul-Wettbewerbe für die TU Berlin, die TH Zürich oder die Erweiterung der FU Berlin durch Candilis/Woods, die später als 'Rostlaube' bekannt wurde."

Weitere Artikel: In der Kommentarspalte bedauert es Hendrik Werner, dass der hessische Dialekt in Deutschland wenig beliebt ist - und konstatiert überhaupt das Verschwinden von Dialektsprache. Der Rechtsanwalt Gunnar Schnabel informiert über die Folgen einer geplanten Modifizierung des österreichischen "Kunstrückgabegesetzes". Klaus Honnef erinnert an die Fotografin Gerda Taro, Anlass ist das Erscheinen eines Bestandskatalogs ihres Werks. Eckhard Fuhr zieht eine positive Bilanz der Amtszeit der scheidenden Goethe-Instituts-Präsidentin Jutta Limbach. Hanns-Georg Rodek hat sich mit dem Maler und Regisseur Julian Schnabel über dessen Film "Schmetterling und Taucherglocke" unterhalten. Ulli Kulke schreibt zum Tod des Diplomaten und Autors Erwin Wickert.

Auf der Magazin-Seite wird ein fünf Jahre alter Text des Autors und zu Ostern vom Papst getauften Ex-Muslims Magdi Allam (Website) abgedruckt, in dem er bereits über konvertierte Muslime schreibt. Außerdem gibt es ein Interview mit Allam.

Besprochen werden die Arcimboldo-Ausstellung in Wien, Janet Jacksons neues Album "Discipline" und diverse weitere CDs.

TAZ, 28.03.2008

Dirk Knipphals schreibt zum Tod des amerikanischen Schauspielers Richard Widmark. in der zweiten taz solidarisiert sich Martin Reichert mit den Lidl-Angestellten: "Gängelung und Überwachung sind sie schon von der Bundesagentur für Arbeit gewohnt."

Besprochen werden die Gesammelten Werke von Clemens Eich , die neue CD von Panic At The Disco und eine Reihe von CD-Kompilationen wie das "Nigeria Special" des Soundway-Labels.

Schließlich Tom.

SZ, 28.03.2008

Der Aufbau-Verlag wurde 1991 von der Treuhand unrechtmäßig an den ehemaligen Maoisten und Millionär Bernd Lunkewitz verkauft. Sie war nicht Eigentümerin des Verlags, wie der BGH jetzt feststellte, und wusste das auch, berichtet Hans Leyendecker. "'Vielleicht müssen wir feststellen, Operation gelungen, Patient tot', meint der Frankfurter Anwalt Hans-Christian Hauck, einer der juristischen Helfer von Lunkewitz. Hauck hat eine Skizze gestrichelt mit Pfeilen, die all die komplizierten Beziehungen erläutern soll und doch nicht alles erklären kann: 'Da wird eine Bombe geworfen und niemand weiß, wen sie zerfetzen wird', sagt er. Tausendfünfhundert Lizenzen, die der Verlag zwischen 1990 und 2008 geschlossen und verkauft hat, sind rechtswidrig vergeben worden, weil der angebliche Eigentümer, die Aufbau-Verlagsgruppe-GmbH, über die Rechte nicht verfügen durfte."

Ijoma Mangold schüttet mehrer Eimer Häme über die Lidl-Detektive aus: "Ja, der Schnüffler ist der wahre Unternehmensberater, ein kleiner, umso brutalerer McKinsey. Vor der Inflexibilität der Mitarbeiter bekommt er, der allen ständig höchst beweglich auf den Fersen ist, das Grausen. Da liegt doch auf dem Kassenförderband ein Karton mit Stafford Filtercigarillos, ohne dass Frau H. die rasch mal verräumt! Am liebsten würde er jetzt selber in die Unternehmensabläufe eingreifen. Aber wenn er Frau H. darauf anspräche, würde die nur antworten: 'Ich mache das immer so, warum soll ich das jetzt anders machen.' Dabei ist doch klar, dass im modernen Change Management alle Arbeitsabläufe permanent überprüft werden müssen!"

Weitere Artikel: Stefan Koldehoff hat erfahren, dass Reiner Speck seine Kunstsammlung an die Brüder Viehof verkauft hat, die seit der Veräußerung der "Allkauf"-Kette an Metro das nötige Kleingeld fürs systematische Kunstsammeln haben. Eine freie Wahl in Simbabwe könnte Mugabe ablösen, meint der Meinungsforscher Eldred Masunungure, der nach dem ersten Durchgang eine Stichwahl zwischen Tsvangirai und Mugabe prophezeit. Jörg Häntzschel bedauert, dass die Railyards in New York nun ausgerechnet von dem Investor bebaut werden, der sich von Helmut Jahn einen recht langweiligen Entwurf hat basteln lassen. Judith Reker besichtigt die erste Joburg Art Fair in Johannesburg. Die Hamburger Elbphilharmonie wird wohl teurer als geplant, informiert Till Briegleb. Trotz diplomatischer Eiszeit zwischen Großbritannien und Russland verleiht die Tate Britain Bilder an das Puschkin-Museum, meldet Alexander Menden. Fritz Göttler schreibt den Nachruf auf den amerikanischen Schauspieler Richard Widmark.

Auf der Medienseite zeigt Henrik Bork wenig Verständnis über die chinesische Kritik an Ungenauigkeiten in der Tibet-Berichterstattung westlicher Medien, die nur wegen eben jener Zensur entstehen. Nur online denkt Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger im Interview über die Zukunft der Zeitungen nach.

Besprechungen muss man heute mit der Lupe suchen, einen Film gibt es, Adam Brooks' Liebesfilm "Vielleicht, vielleicht auch nicht", und Romane wie Yan Liankes "Dem Volke dienen" und Johano Strassers "Bossa Nova" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 28.03.2008

Jetzt ist das Video des niederländischen Provokateurs und anti-islamischen Filmemachers Geert Wilders also online. Nils Minkmar kommentiert auf faz.net nach Ansicht des Films: "Es ist ein direkter Sprung ins Gesicht all jener, die die Probleme leugnen oder auf die lange Bank schieben wollen. Es ist aber kein rassistischer oder blasphemischer Film. Viele moderate Muslime, die selbst die Opfer der Fanatiker sind, werden ihn mit ebensolchem Entsetzen sehen wie säkulare oder christliche Zuschauer. Nur Verdränger haben ein Problem damit, so einen Film zu zeigen."

Und Dirk Schümer weiß - im Print - schon von Nachahmungstätern: "Ein Komitee ehemaliger Muslime will an Hitlers Geburtstag einen zwölfminütigen Zeichentrickfilm namens 'Leben des Mohammed' präsentieren, welcher den Propheten (wegen seiner Ehe mit einer Neunjährigen) als Päderasten mit Erektion neben einem Minarett mit Hakenkreuz zeigt." (mehr hier)

Weitere Artikel: In der neuen Hirnserie stellt Jürgen Kaube fest, dass das Hirn alles andere als einfach nur eine Rechenmaschine ist. Lorenz Jäger empört sich in der Glosse über den "Wirtschaftsstalinismus von Lidl", gegen den der Altstalinismus der DKP-Frau Christel Wegner gar nichts ist. Eine Einführung in die amerikanischen Debatten um Nicholson Bakers Buch "Human Smoke", das nachträglich für pazifistischen Umgang mit den Nazis plädiert, gibt Jordan Mejias. Karen Krüger unterhält sich mit dem Regisseur und Sozialarbeiter Neco Celik über deutsch-türkische Verhältnisse. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf weist detailliert nach, dass die deutschen Bischöfe und katholischen Parteien das Reichskonkordat 1933 nicht auf Weisung des Vatikans, sondern aus eigenem Antrieb unterschrieben. Französische Zweifel an der Behauptung Horst Ripperts, er habe Antoine de Saint-Exupery abgeschossen, notiert Jürg Altwegg. Von einem geradezu "sensationellen" Fund bisher verschollen geglaubter Augustinus-Predigten in einer Erfurter Bibliothek berichtet Jürgen Kaube. Michael Althen schreibt zum Tod des Schauspielers Richard Widmark. Auf der Medienseite informiert Klaus-Peter Schwarz über den Aufruhr, den ein neues, zensurfreundliches Pressegesetz in der Slowakei verursacht.

Besprochen werden ein Konzert von Patrick Watson in Köln und Bücher, darunter Ron Leshems Roman "Wenn es ein Paradies gibt" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).