Heute in den Feuilletons

Menschen wie Brian

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.04.2008. Die NZZ staunt: Bertelsmann investiert jetzt nicht mehr in Medien, sondern in die Verwaltung der Stadt Würzburg. Die Blogger überlegen ernstlich, ob sie nicht kellnern sollten. Die taz ist böse: Die alten Rechten waren gegen alle Minderheiten, die neuen Rechten sind nur noch gegen die Muslime. In der Achse des Guten findet ein anonymer Professor: Geert Wilders hat recht. Die SZ erklärt, warum die Mazedonier etwas gegen "Skopianiten" haben. Der FAZ ist klar: Klimakollaps ist jetzt. Die Welt ist empört über Putins Duma, die den Holodomor nicht als Genozid bezeichnen will.

Welt, 04.04.2008

Die Welt ist heute in Form.

Maxeiner und Miersch verteidigen Geert Wilders' "Fitna"-Film gegen den Vorwurf der Pauschalisierung. Wenn man sage "Die Kanadier töten Robben" sei auch klar, dass nicht alle Kanadier gemeint sind: "Dokumentarfilme aller Art, die Brutalität und Unmenschlichkeit zeigen und anprangern, sind seit gut einem Jahrhundert teil unserer Kultur. Auch dass in solchen Filmen ganze Länder und Kulturkreise angeklagt werden, ist absolut üblich - meistens ist es Amerika."

Im Kulturteil kommentiert Sven Felix Kellerhoff die Meldung, dass Putins Duma, den Holodomor genannten Hungermord an Millionen Ukrainern unter Stalin nicht als Genozid anerkennen will: "Wenn die Duma in ihrer Erklärung die Ukrainer aber zu einer Opfergruppe unter anderen degradiert, dann ist das eine bewusste Relativierung."

Thomas Kielinger unterhält sich mit dem Soziologen Richard Sennett über den Mord an Martin Luther King vor 40 Jahren. Die Rassenproblematik scheint ihm heute nicht mehr so zentral: "Neue Klassenunterschiede treten nach vorn. In den Sechzigern zum Beispiel hatten auch ärmere Schichten in den USA, unbeschadet ihrer Hautfarbe, irgendeine Form von Krankenversicherung. Das ist heute eher unwahrscheinlich. Arme Amerikaner sind heute viel isolierter in der Gesellschaft als früher."

Weiteres: Manuel Brug stellt das Cincinnati Symphonie Orchester und seinen Dirigenten Paavo Järvi vor, die ab heute auf Deutschland-Tournee sind. Thomas Lindemann porträtiert Jade Raymond, die mit "Assassin's Creed" zum Star der Videospiel-Branche wurde. Peter Dittmar berichtet über die Versteigerung der Kunstsammlung Lauffs. Besprochen wird Udo Lindenbergs neue Platte.

NZZ, 04.04.2008

Auf der Medienseite berichtet Thomas Schuler über Bertelsmanns neue Strategie als Serviceunternehmen. In Würzburg übernimmt die Tochterfirma Arvato demnächst die Kommunalverwaltung: "Ziel sei es, Bürgern, Unternehmen und Partnern alle Dienstleistungen der Stadt über nur eine Anlaufstelle anzubieten. Würzburg erhofft sich während der Laufzeit von zunächst zehn Jahren Einsparungen in Höhe von mehr als 27 Millionen Euro, indem Personal abgebaut wird: 75 Mitarbeiter, die nach und nach in Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt. 10 der eingesparten 27 Millionen Euro sollen an die Stadt gehen. Dem Vernehmen nach belaufen sich die Projektkosten auf weitere 10 Millionen Euro. Somit bleiben Arvato bis zu sieben Millionen Euro Gewinn."

Im Feuilleton freut sich Hubertus Adam, wie der britische Architekt Tony Fretton das Fuglsang-Kunstmuseum in die dänische Landschaft südwestlich von Nyköbing eingepasst hat: "Der Blick der von Westen her sich nähernden Besucher schweift, vom Neubau kaum tangiert, in die Ferne: über die von einzelnen Baumgruppen akzentuierten Viehweiden bis zum nahen Guldborgsund und über diesen hinweg zur Küste von Falster. Denn nicht nur der Gutshof mit seinem englisch inspirierten Park macht den Reiz der Lage aus, sondern ebenso die Einbettung in die Weite der tellerflachen dänischen Landschaft und der Bezug zum Wasser."

Weitere Artikel: Klaus Hart bilanziert zweispältig die Arbeit des abtretenden brasilianischen Kulturministers Gilberto Gil, der offenbar ein recht lässiges Verhältnis zu Geschäftsfreunden oder Mafia-Bossen pflegte. Peter Hagmann stellt zu Herbert von Karajans hundertstem Geburtstag ausgewählte Aufnahmen vor. Das "einzig Obszöne" an Charlotte Roches Antihygiene-Buch "Feuchtgebiete" ist für Dorothea Dieckmann der "Zuspruch alter Herren vom Schlage eines Claus Peymann". Daniel Ender berichtet von religiösen Musikfestivals in Österreich.

Besprochen werden eine Ausstellung zu Joseph Roths späten Jahren im Literaturhaus Wien und ein CD-Album zum achtzigsten Geburtstag von Christa Ludwig.

Freitag, 04.04.2008

Der Freitag dokumentiert eine Laudatio der irakischen Dichterin Amal Al Jubouri auf Hans Magnus Enzensberger: "Enzensberger war für den Krieg gegen mein Land. Er nannte unser Schreien gegen den Krieg einen blinden Aufruf zum Frieden. Ich fuhr mit ihm nach Ägypten, und wir gaben dort im Opernhaus von Kairo eine Lesung. Es war kurz nach der Besetzung des Irak. Als er die Tränen der Menschen in meinen Augen sah, und es waren nicht nur meine Tränen, hat er vielleicht erkannt, dass wir nicht den Diktator beweinten, sondern eine Heimat, die an Extremisten verkauft wird."

Aus den Blogs, 04.04.2008

Basicthinking stellt das Projekt Alive in Baghdad des Journalisten Brian Conley vor, der zusammen mit irakischen Kollegen das Leben im Irak schildert: "Was ich aber daraus mitnehme ist die Frage, ob ich wirklich nur mit meinem Blog genug aus den Möglichkeiten mache, die das Netz heute bietet, sich einzusetzen. Menschen wie Brian beschämen einen."

Don Alphonso greift eine Diskussion de Bloggerkongresses re:publika auf, glaubt aber nicht, dass Werbung in Blogs je eine relevante Einnahmequelle darstellen kann: "Jenseits aller persönlichen und ideologischen Vorbehalte, die man gegen die Blogvermarktung haben kann: Es lohnt sich nicht, selbst wenn man den ganzen damit verbundenen Ärger rausrechnet. Kellnern ist sicher lukrativer." (Aber auch da wünschen wir uns doch Profis!)

Auch Wirres.net berichtet über den in mancher Hinsicht ("Qualität", "Geldverdienen mit Blogs" offensichtlich ziemlich ratlosen Bloggerkongress re:publika): "900 leute die normalerweise über alles mögliche berichten, berichten von einer veranstaltung von der 900 andere auch berichten."

In der Achse des Guten äußert sich ein unbekannter Universitätsprofessor, der findet, dass Geert Wilders ganz recht hat mit der Gewalt im Koran: "Wilders zitiert Sure 4,56, wo es heißt: 'Siehe, diejenigen, die nicht an unsere Zeichen glauben, die werden wir mit Feuer rösten. Jedes Mal, wenn ihre Häute gar gebraten sind, tauschen wir sie gegen andere Häute aus, damit sie die Strafe auskosten. Siehe, Gott ist allmächtig, allweise.' Aus dem Zusammenhang gerissen? Obsessiv hämmert der Koran dem Leser ein, wie schrecklich die Strafen sind, welche die Ungläubigen in der Hölle erdulden müssen... Der Leser kann sich auch über die faulen Früchte des Zaqqûm-Baumes, das flüssige Erz und die glühenden Schürhaken informieren, die ihn in der Hölle erwarten."

Im Umblätterer hält San Andreas ein Plädoyer für das neue neue Hollywood: "Das neue Hollywood schaut zunehmend über formale und inhaltliche Tellerränder hinaus, kippt ausgetretene Plotmuster und besetzt mutig gegen den Strich."

TAZ, 04.04.2008

Auf der Meinungsseite klassifiziert Daniel Bax Geert Wilders als Exemplar eines neuen monothematischen Rechtspopulismus, der in Europa um sich greife. "Die alte Rechte hegte ihre Ressentiments noch gegen alle Minderheiten gleichermaßen, ob Schwule, Juden oder Muslime. Die neue Rechte, deren Konturen sich heute in fast allen westlichen Ländern abzeichnen, richtet ihre Abneigung exklusiv gegen Muslime. Homophobie und Antisemitismus unter Muslimen malt sie sogar in den düstersten Farben aus, nur um sich selbst in umso helleres Licht zu rücken."

In der zweiten taz wirbt Martin Reichert im Fall der beiden Redakteure der Berliner Zeitung, die für die Stasi gearbeitet haben, um Verständnis.

Besprochen werden das Album "The Odd Couple" von Rapper Cee-Lo Green und Produzent Dangermouse, das Album "Funplex" von den B-52s ("Es bleibt dabei, die erste und die zweite Platte sind ihre Meisterwerke, danach kommt Abklatsch", stellt Jörg Sundermeier kategorisch fest) und "Satan, kannst Du mir nochmal verzeihen", ein Buch über den DDR-Punkrocker "Otze" Ehrlich.

Schließlich Tom.

FR, 04.04.2008

In einem Essay stellt Robert Kaltenbrunner fest, dass unsere Städte immer unwirtlicher werden, während die Architekturstars immer sensationellere Solitäre bauen: "Die Geringschätzung etwa, mit der die zeitgenössischen Gewerbegebiete bedacht werden, erinnert bisweilen an die Abneigung gegenüber den Mietskasernenvierteln in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Geißelte man damals mangelnde Hygiene und zu hohe Baudichte, werden heute Flächenfraß, Identitätslosigkeit und Fokussierung auf den Individualverkehr kritisiert. Wahrgenommen werden nur die Kathedralen der Neuzeit: Museen, Regierungsbauten, Konzernzentralen, Geschäftshäuser. Die 'grey belts' bleiben baulich Terra incognita - nach Kräften ignoriert, achselzuckend ertragen, hastig durchquert, so es unvermeidbar ist."

Weiteres: Stephan Loichinger berichtet vom Mannheimer Time-Warp-Festival für Jetztmusik und Medienkunst, bei dem unter anderem eine neue Musik für die "Sinfonie der Großstadt" Premiere hatte. Arno Widmann stellt die recht bunte Truppe Frank Wolff & Company vor, die Frankfurter Kultur in der chinesischen Partnerstadt Guangzhou vorführen soll. In Times Mager widmet sich Ina Hartwig dem Wohnen, Leben und Dichten. Martin Becker gibt einen Überblick über neuere Bücher zum Islam.

Besprochen werden das Stück "Call Cutta" von Rimini Protokoll, eine Aufführung von Verdis "Othello" an der Frankfurter Oper, das Album "Couples" der Long Blondes.

FAZ, 04.04.2008

Der Weltklimarat verschweigt der Welt die Wahrheit - behaupten neuerdings einige Klimaforscher. Joachim Müller-Jung erklärt das genauer: "Der Vorwurf lautet: Was der Weltklimarat jüngst immer wieder behauptet hat - wir können den 'gefährlichen Klimawandel' mit den vorgeschlagenen Maßnahmen noch verhindern -, diese Annahme sei rundweg falsch gewesen. Falsch und längst überholt. Statt aber der Öffentlichkeit die ungeschminkte Wahrheit zu sagen, dass die Menschheit nämlich die Schwelle zum Klimakollaps bereits betreten oder sogar schon überschritten habe, sei ihr mehr oder weniger vorsätzlich Sand in die Augen gestreut worden."

Weitere Artikel: In seiner Kolumne schlachtet Eduard Beaucamp ein paar "heilige Kühe" der Gegenwartskunst von Cy Twombly bis Luc Tuymans und vermutet, dass die Zukunft auf unsere Gegenwart als "kapitalistische Moderne" zurückblicken wird. Tobias Rüther weiß: Gazprom wird seine ohnehin schon beträchtliche Präsenz in Deutschland weiter verstärken, egal, ob es nun am Potsdamer Platz sein Hauptquartier aufschlägt oder, wie vom Konzern behauptet, doch nicht. Mark Siemons staunt über das Engagement der Hongkonger für ihre alten Gebäude. In der Glosse erläutert Jürg Altwegg nicht ohne Boshaftigkeit, wie es kam, dass der wendige französische Kulturbetriebskarrierist Georges-Marc Benamou den begehrten Posten als Chef der Villa Medici nicht erhielt.

Andreas Rossmann unterhält sich mit dem Kunstsammler Rainer Speck, der jetzt einen Teil seiner Sammlung veräußert hat. Nina Rehfeld porträtiert die Thriller-Autorin Chelsea Cain. Franziska Seng stellt die Dubai-Pläne des Michael Schindhelm vor. Gerhard Stadelmaier würzt die Meldung, dass Claus Peymann seinen Vertrag als Intendant des Berliner Ensembles verlängert hat, mit einer Prise Sarkasmus und gibt sie dann weiter. Jörg Baberowski gratuliert dem Osteuropa-Historiker Manfred Hildermeier zum Sechzigsten. Auf der Medienseite erkennt Harald Keller in seinem Kommentar zu den Grimme-Preisen ein Kriterienproblem in Sachen guter Unterhaltung.

Besprochen werden die Londoner Uraufführung von Howard Brentons neuem Stück "Never so Good", die Ausstellung "Tutanchamun und die Welt der Pharaonen" im Wiener Völkerkundemuseum, ein Münchener "Portishead"-Konzert, Franziska Stünkels Moritz-Rinke-Verfilmung "Vineta" und Bücher, darunter Siri Hustvedts Roman "Die Leiden eines Amerikaners" und das letzte Werk des vor wenigen Tagen verstorbenen Historikers Karl Christ "Der andere Stauffenberg", einer Biografie des Bruders des Widerstandshelden (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 04.04.2008

Griechenland will die Republik Mazedonien zwingen, ihren Namen zu ändern, berichtet Nils Kadritzke. Mazedonier können nämlich nur Griechen sein, die allesamt direkt von Alexander dem Großen abstammen! Dass sich jahrhundertlang Slawen, Kreter, Südgriechen, Bulgaren oder Zuwanderer aus Kleinasien unter die mazedonischen Griechen mischten tut dabei nichts zur Sache. "Diese faszinierende Heterogenität ist in der Lebensgeschichte fast jeder Familie in Griechisch-Mazedonien aufzuspüren. Aber die Menschen haben gelernt, sie als einen Makel zu empfinden, der nur durch den Anspruch zu tilgen ist, dass sie Alexander den Großen in den Genen haben. Diesen Anspruch gilt es, sogar gegen südgriechische Landsleute, zu verteidigen, die in den Fußballstadien von Athen die Teams aus Thessaloniki mit dem Schmähwort 'Bulgaren' begrüßen. Diese Schmach macht einen patriotischen Mazedonier vollends entschlossen, seinen guten Namen gegen die 'Skopianiten' zu verteidigen, die er seinerseits im Grunde für 'Bulgaren' hält."

Weitere Artikel: Ijoma Mangold kommentiert ausführlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage, ob ein Vater zum Umgang mit seinem unehelichen Kind gezwungen werden kann. (Wer wissen will, wie das Urteil ausging, muss hier nachlesen.) Gottfried Knapp berichtet über die von dem schwäbischen Unternehmer Reinhold Würth finanzierte Restaurierung der normannisch-byzantinisch-arabischen Capella Palatina in Palermo. Jörg Häntzschel beschreibt das neue Gebäude der Bank of America in Manhattan als Leuchtturm der Ökoarchitektur. Georg Rudiger sieht Hoffnung für ein Aufblühen des Freiburger Operntheaters. Jonathan Fischer beschreibt die Veränderungen in der Country-Musik.

Auf der Medienseite meint der Journalismus-Professor und Pulitzerpreisträger Michael Parks über Zeitungen und das Internet: "Man kann nur dann Erfahrungen sammeln, wenn man auch etwas ausprobiert."

Besprochen werden fünf Beckett-Einakter, die Peter Brooks im Pariser Theater Les Bouffes du Nord inszeniert hat (und die vom 17. bis 20. Juli in Potsdam zu sehen sein werden), Gregory Hoblits Thriller "Untraceable" mit Diane Lane, eine große Derek-Jarman-Werkschau in der Londoner Serpentine Gallery und Bücher, darunter Slavoj Zizeks "Lacan", Antanio Jose Pontes' Erinnerungsbuch "Der Ruinenwächter von Havanna" und Kinderbücher (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).