Heute in den Feuilletons

Wie die Trennung von siamesischen Zwillingen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.05.2008. Wenn die Deutschen sich nicht mehr für die Italiener interessieren, dann liegt das in erster Linie an den Italienern, meint die SZ. Die NZZ befragt israelische Schriftsteller zur Zukunft ihres Landes. Die Times macht sich Sorgen um Tom Cruises Stauffenberg-Film, der offensichtlich wegen mangelnder Zugkraft nicht in die Kinos kommt. Die Berliner Zeitung bespricht ein Konzert Pierre-Laurent Aimards, das nicht stattgefunden hat - aus Sehnsucht nach der Kunst der Fuge.

Berliner Zeitung, 13.05.2008

Korrektur vom 15. Mai: Wir sind einem Missverständnis aufgesessen und glaubten einen Artikel Peter Uehlings so verstanden zu haben, dass Pierre-Laurent Aimard einen Klavierabend wegen mangelnden Publikumsinteresses abgesagt hätte - in Wirklichkeit war es fast ausverkauft und Aimard war krank. Als verantwortungsvolle Perlentaucher stellen wir dies selbstverständlich richtig - und fahren fort mit dem Zitat aus Uehlings "virtueller" Besprechung.

Peter Uehling bespricht das Konzert trotzdem, denn er hätte Bachs "Kunst der Fuge" gern unter Aimards Fingern erklingen hören: "Man werfe nur einen Blick in die Noten und versuche sich an diesen Fugen die Finger zu verknoten, dann wird man sehen, dass es sich um abenteuerlich virtuose Musik an der Grenze des Darstellbaren handelt." (Hier zum Trost eine Aufnahme von Messiaens "Oiseaux exotiques" mit Aimard und Boulez, Teil 1 und Teil 2)

Tagesspiegel, 13.05.2008

Daniela Kloock gibt eine Übersicht über den Stand der Digitalisierung im Kino - und über Probleme, Konsequenzen, Risiken und Nebenwirkungen. Ein mögliches Szenario: Der Film verliert seinen bisher einheitlichen Weltstandard. "Auch Hollywood sieht sich mit Problemen konfrontiert, die viel mit Macht- und Verteilungsfragen zu tun haben. 2002 kamen sieben große US-Studios zusammen, um sich auf ein digitales Standardformat zu einigen. Mit einer viermal so hohen Auflösung wie HDTV ermöglicht es eine schärfere Bilddarstellung als je zuvor. Noch gibt es den 35-Millimeter-Film als jahrhundertalten, weltweit gültigen Standard. Sollten sich große Kinoregionen wie Indien, China oder der arabische Raum der US-Entscheidung nicht anschließen und ein anderes digitales Format wählen, würde ausgerechnet die Digitalisierung das Ende des Kinos als eines globalen Mediums bedeuten - und das im Zeitalter der Globalisierung."

Weitere Medien, 13.05.2008

Tom Cruises Stauffenberg-Film "Valkyrie" ist bei Testvorführungen leider nicht so gut angekommen, berichtet Richard Brooks in der Times, der Gerüchte über den Film und den Start gesammelt hat: "'Wir erwarteten den Filmstart eigentlich für Juni, sagt ein führender Manager einer britischen Kinokette, ''aber ich habe gehört, dass es eine Menge Probleme mit der Produktion gab und dass der Start nicht mehr in diesem Jahr sein wird.' Dann wäre der Film nicht nur ein Schlag gegen Cruises Karriere als Schauspieler, sondern auch als Kinomogul bei den United Artists (UA), dem Studio des Films. 'Valkyrie' ist tot, sagt ein Filmkritiker in Hollywood, während ein anderer beipflichtet, dass die Probleme des Films auch die neu erstandenen United Artists herunterziehen könnte." Vielleicht sollte man die Amerikaner informieren, dass Cruise hier bereits mit dem Courage-Bambi für seine Rolle als Stauffenberg ausgezeichnet wurde!
Stichwörter: Cruise, Tom

TAZ, 13.05.2008

Karen Duve hat ihre Zeit als Taxifahrerin in den achtziger Jahren in einen Roman gegossen. Dirk Knipphals hat selbst mal Leute durch Berlin kutschiert und findet in "Taxi" einen Haufen authentischer Geschichten wieder. "Randvoll ist dieses Buch mit Erfahrungen, die man in den Achtzigern als Taxifahrerin machen konnte. Und so kann man das Glas immerhin als halb voll ansehen. Aber was man beklagen kann, ist ein fehlender Wille zur Durcharbeitung und zur literarischen Gestaltung dieser Erfahrungen. Und das macht im Ganzen diesmal doch nervige schlechte Laune. In gewisser Weise ist 'Taxi' das literarische Dokument einer Arbeitsverweigerung: Karen Duve begnügt sich damit, zu einer literarischen Marke zu werden."

Weiteres: Andreas Fanizadeh und Eva-Christina Meier unterhalten sich mit der argentinischen Schriftstellerin Cecilia Pavon (die auch eine Galerie gegründet hat) über Buenos Aires, die Wirtschaftskrise und die "fatalistische Kultur des Tangos". Christiane Müller-Lobeck verfolgt, wie auf dem Hamburger Trendtag der neue Konsument gesucht wurde. Auf der Medienseite beklagt Reiner Wandler, dass al-Dschasira in Marokko die Sendelizenz entzogen wurde. Eine Besprechung widmet sich der Ausstellung mit Bildern des sowjetischen TASS-Fotografen Jewgeni Chaldej im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Michel Houllebeqs Mutter gibt in Frankreich fröhlich Interviews, berichtet Ines Kappert in der zweiten taz: "In diesen beschimpft sie ihren Sohn als einen an seinen Mitmenschen notorisch desinteressierten 'Parasiten'. Sollte er sich noch ein weiteres Mal schlecht über sie äußern, dann - so droht die heute auf la Reunion lebende Algerierin - würde sie ihm mit einem Stock so fest 'in die Fresse schlagen', dass kein Zahn mehr am Platze bliebe. Das Feuilleton freut sich. Wann kriegt man schon mal eine Mutter vors Mikrofon, die Gewaltfantasien gegen ihr Kind so beherzt zu Markte trägt?"

Und Tom.

Welt, 13.05.2008

Werner Sudendorf berichtet, dass Nazi-Propagandafilme wie "Jud Süß" oder "Der ewige Jude" neuerdings übers Internet auf DVD zu beziehen sind. Die Museen in Deutschland boomen - und zwar, kommentiert Eckhard Fuhr, weil Eltern ihren Kindern "für Status und Zukunftschancen die entscheidende Ressource zu sichern" versuchen: Bildung. Manuel Brug führt ein ins Drunter und Drüber an der Oper Leipzig. Hannes Stein denkt in einem "Brief aus Brooklyn" nach über historische Volten von Abraham Lincoln bis Barack Obama. Reinhard Wengierek verabschiedet den Intendanten des Deutschen Theaters Berlin, Bernd Wilms, dem Erstaunliches gelang: "In acht Jahren vom Buhmann zum Superstar."

Besprochen werden neue Alben von Gonzales und Jamie Lidell, die Uraufführung von Harald Weiss' Komposition "Vor dem Verstummen" im Berliner Holocaust-Mahnmal, die CD-Rom-Sammlung "Deutschland in frühen Farbfotografien", der ARD-Film "Copacabana" mit Nicole Heesters und Bruno Ganz.

FR, 13.05.2008

Auf der Medienseite berichtet Jana Schulze über die Grundzüge des 12. Rundfunkstaatsvertrag, der in einem Jahr in Kraft treten und auch den Umfang der Online-Angebote regeln soll: "Zur Frage, wer denn kontrolliere, dass sich die TV- und Rundfunkanstalten an die Vorgabe über ihre Online-Angebote halten, haben die Staatskanzleichefs keine Bedenken. Gäbe es Beschwerden, seien die Intendanzen und die Rundfunkräte der jeweiligen Länder zuständig. Strafen und Sanktionen soll es nicht geben. 'Wir wissen doch, dass das nichts bringt', sagte (Martin) Stadelmaier", der Staatskanzleichef aus Rheinland-Pfalz.

Laut Daniel Bouhs konnte die ARD es nicht abwarten und hat am Wochenende still und leise ihre Mediathek ins Netz gestellt: "Auch wenn inzwischen durchsickert, dass die Medienpolitiker äußerst zurückhaltend sein werden, sich Privatsender und Verleger also wohl nicht mit ihren Forderungen nach großen Internet-Schranken für die Gebührenfinanzierten durchsetzen dürften: Die ARD hat jetzt einfach mal Fakten geschaffen, statt auf diese grundlegenden Entscheidungen zu warten. In der ARD heißt es dazu lapidar, notfalls müsse sie eben wieder Teile aus dem Netz nehmen?"

Weitere Artikel: Rudolph Walter berichtet über die dramatische Lage bei Le Monde. Christian Schlüter war beim Konzert von Kylie Minogue und ahnt, wie der Popstar altern könnte: "Kein ewig-junges Tralala mit der stets neuesten Soundware, sondern ein musical- oder operettenhafter Frohsinn." In Times Mager kommentiert Sylvia Staude die Ankündigung von Dmitri Nabokow in der New York Times, das letzte Manuskript seines Vaters gegen dessen Willen veröffentlichen zu wollen. Sandra Danicke stellt Francis Bacons "Triptych 1976" vor, das die Familie Moueix (Chateau Petrus, denen sollte es eigentlich phantastisch gehen) morgen bei Sotheby's versteigern lassen will. Thomas D. von den Fantastischen Vier versucht im Interview zu erklären, wie er seine Texte schreibt.

Besprochen werden eine Ausstellung der Brandenburgischen Kunstsammlungen im neu eröffneten Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus und die CD "Music Hole" von Camille Dalmais.

NZZ, 13.05.2008

Carsten Hueck spricht für einen Artikel zum 60. Geburtstag Israels mit einigen Schriftellern über die Zukunftsperspektiven des Landes. Unter anderem zitiert er Abraham B. Yehoshua: "'Obwohl wir uns mit den Palästinensern einig sind, dass es zwei Staaten geben wird' bemerkt er, 'scheint die Teilung immer schwieriger zu werden. Zum ersten Mal haben alle das Gefühl, dass nur eine externe Macht sie durchsetzen kann. Sie muss äußerst behutsam vollzogen werden. Wie die Trennung von siamesischen Zwillingen.'"

Der Schriftsteller und Journalist Hassan Dawud, Redakteur bei der Zeitung Al-Mustaqbal, deren Gebäude jüngst in Brand gesteckt wurde, gibt seiner Verzweiflung über die Lage im Libanon Ausdruck: "Wenn ich an die dreiunddreißig Jahre zurückdenke, die seit dem Beginn des libanesischen Bürgerkriegs verstrichen sind, habe ich den Eindruck, kriegerische Handlungen erlebt zu haben wie kein Beduine zu Ibn Mansurs Zeit. Es war ein Leben, das zur einen Hälfte aus Krieg, zur anderen aus dem Warten auf die Rückkehr des Krieges bestand."

Weitere Artikel: Kersten Knipp verfolgte in Essen ein Gespräch über die heikle Frage des Moscheenbaus in Deutschalnd. Besprochen werden Hans-Ulrich Möhrings Buch "Vom Schweigen meines Übersetzers", Pfingstkonzerte in der Kartause Ittingen und ein Konzert des Sinfonie-Orchesters Basel mit der Dirigentin Susanna Mälkki.
Stichwörter: Basel, Libanon

FAZ, 13.05.2008

Die Aufmacherseite ist vor allem mit Dingen beschäftigt, die Literaturnobelpreisträgerinnen gerade so umtreiben. Als "stark und hellsichtig" preist Rose-Maria Gropp Elfriede Jelineks Amstetten-Text "Im Verlassenen". Hubert Spiegel hat Jelineks nur auf ihrer Website veröffentlichten "Privatroman" mit dem Titel "Neid" gelesen, fragt sich dabei aber erst einmal, welche Konsequenzen die Form der Veröffentlichung für den Werkbegriff hat: "Frei von jeglichen Verwertungszwängen herrschen hier autonome Innerlichkeit und Privatheit in ihrer denkbar öffentlichsten Form. So ist ein Werk entstanden, das die Mittel des Blogs benutzt, um nahezu sämtliche Fesseln des Romans abzustreifen... So wird die Aushöhlung des klassischen Werkbegriffs, die in Elfriede Jelineks Schaffen immer schon angelegt war, im Netz auf die Spitze getrieben." Und Gina Thomas meldet kurz, dass Doris Lessing über den noch immer nicht abgeklungenen Preistrubel klagt und vor lauter Interviews "nicht mehr schreiben kann."

Weitere Artikel: In der Glosse weiß Kerstin Holm nicht so genau, ob der neue russische Präsident Dmitrij Medwedjew des Amts wegen sexy ist oder nicht doch immer noch an "einen Hasen oder an ein Eichhörnchen" erinnert. Lutz Hachmeister liefert einen langen Bericht über weiße und dunkle Flecken in der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Von Frank Pergande gibt es Preisberichterstattung zur Verleihung der Henri-Nannen-Preise, an erster Stelle geht es natürlich um Marcel Reich-Ranicki und die Laudatio von Angela Merkel. Gina Thomas hat die englische Stadt Ebbsfleet besucht, die es eigentlich noch gar nicht recht gibt, die aber, da per Eurostar London in nächster Nähe liegt, in naher Zukunft zwanzigtausend Einwohner finden soll. Außerdem informiert Thomas die Leserschaft über die Sorgen, die Cormac Murphy-O'Connor, dem Erzbischof von Westminster, die neuen Atheisten bereiten. Bei einem Besuch im brandenburgischen Meseberg, in dem sich das Gästehaus der Bundesregierung befindet, hat sich Arno Orzessek umgesehen - und muss feststellen, dass den Einwohnern der Geruch der weiten Welt nicht immer geheuer ist. Dirk Schümer porträtiert Italiens neuen Kulturminister Sandro Bondi. Anja Hirsch stellt das neue "Literaturportal Westfalen" vor. Jürgen Dollase schreibt zum Tod des Kochs Paul Haeberlin. Auf der Medienseite berichtet Erhart Haubold vom Boom der indischen Presse.

Besprochen werden die Dresdner Uraufführung von Manfred Trojahns Oper "La Grande Magia", die Kölner Uraufführung von Christoph Nußbaumeders Stück "Mörder-Variationen", das letzte Konzert des sich auflösenden Alban-Berg-Quartetts in Frankfurt, die Uraufführung von Harald Weiss' Komposition "Vor dem Verstummen" im Berliner Holocaust-Mahnmal, eine Ausstellung mit Fotografien von Jewgeni Chaldej im Berliner Gropius-Bau, die Frankfurter Wanderausstellung "Jüdische Mathematiker in der deutschsprachigen akademischen Kultur", die Ausstellung "Kafkas Welt" im Münchner Literaturhaus, das Album "My Foolish Heart" des Keith-Jarrett-Trio und Jan Volker Röhnerts Gedichtband "Metropole" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 13.05.2008

Das Interesse der Deutschen an den Italienern erlahmt. Und schuld daran sind die Italiener, meint Gustav Seibt: "Was kommt heute aus Italien? Wir sehen Bilder aus einem Senat, wo alte Herren mit Fäusten aufeinander losgehen und dann Prosecco-Flaschen auf den roten Teppich sprühen lassen. Der wichtigste Oppositionelle ist ein feister Komiker, der vor allem Witze ad personam reißt. Und das drängendste politische Problem ist die Unfähigkeit von Großstadtverwaltungen, ihren Müll von den Straßen zu holen."

Weitere Artikel: Jürgen Berger resümiert den Heidelberger Stückemarkt (mehr hier), wo zwei junge Autoren prämiert wurden. Günter Kowa berichtet von der allmählichen Verwandlung der Leopldina in Halle zur Nationalakademie. Vasco Boenisch traf Cate Blanchett bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, wo sie ihre Inszenierung (denn sie ist auch Regisseurin!) von David Harrowers Stück "Blackbird" vorstellt. Stefan Koldehoff berichtet über neueste Wirren um das Hans-Arp-Museum. Tobias Lehmkuhl verfolgte einen Lyrikwettbewerb in Meran.

Besprochen werden eine Retrospektive der Arbeiten Robert Rauschenbergs nach 1970 in München, Giovanni Paisiellos Oper "Il matrimonio inaspettato", augegraben von Riccardo Muti in Salzburg, neue DVDs, Puccinis "Manon Lescaut" unter Riccardo Chailly an der Oper Leipzig und Bücher, darunter Michael Burleighs monumentale "Geschichte des Kampfes zwischen Politik und Religion von der Französischen Revolution bis in die Gegenwart".