Heute in den Feuilletons

Kreischbunte Lach-Blumen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.09.2008. In der NZZ schildert die pakistanische Journalistin Shehar Bano Khan die Probleme ihres Landes mit dem Terrorismus. Eine Lehre will der Ökonom Robert Skidelsky in der Welt aus der Krise schon mal ziehen: Seine Wissenschaft ist keine Wissenschaft. Die taz weiß, warum Sigrid Löffler ihre Zeitschrift Literaturen verlässt. In der FAZ antwortet Evelyn Hecht-Galinski auf ihre Kritiker. Die SZ würdigt die Verdienste der CSU.

TAZ, 26.09.2008

Brigitte Werneburg sah die Retrospektive des Starkünstlers Takashi Murakami im Frankfurter Museum für Moderne Kunst und hat die Nase voll: "Was Mode und Kunst derzeit aneinander schmiedet, ist das verstärkte Vordringen von Corporate Culture, Marketing und PR in beide Bereiche der zeitgenössischen Ästhetik. Tatsächlich bedeutet die ökonomische Ratio des Marketings den Versuch, das erwähnte Diktum von Andy Warhol radikal zuzuspitzen: Kunst oder Mode soll es nur noch in Form von Markenartikeln geben. Die Ausweitung der Kampfzone führt zu einer Refeudalisierung der zeitgenössischen Ästhetik, in jedem Fall aber zur erneuten Etablierung autoritärer Strukturen. Hatte man gerade geglaubt, dem Diktat der Haute Couture entronnen zu sein, sieht man sich nun vom Diktat der angesagten Labels bedroht. Provinziell ist nicht, wer der Mode nicht folgt, sondern wer die hippen Brands nicht kennt. Hatte man gerade geglaubt, dem Diktat der Avantgarde glücklich entkommen zu sein, nervt die zeitgenössische Kunst anstelle der bekannten Glaubenskriege um künstlerische Stilrichtungen und Bewegungen nun mit aufwändigen Publicity-Schlachten."

Sigrid Löffler trennt sich nicht in Freundschaft von der Zeitschrift Literaturen, die sie mitbegründet und herausgegeben hat, weiß Dirk Knipphals, der sie getroffen hat. "Ein Wort, das sie nur wie mit spitzen Fingern in den Mund nehmen kann, lautet 'Servicemagazin'. Sie habe die begründete Befürchtung, dass Literaturen von der Geschäftsführung in so eine Richtung entwickelt werden soll. Sie sagt: 'Wenn eine Änderung der Blattlinie in diese Richtung beabsichtigt ist, dann kann ich dafür nicht mehr zur Verfügung stehen.' Nach dem Satz lächelt sie nicht."

Weiteres: Katharina Granzin stellt das Programm des Berliner Literaturfestivals vor. Besprochen werden einige R&B-CDs.

Und Tom.

Welt, 26.09.2008

Der Ökonom und Keynes-Biograf Robert Skidelsky glaubt, dass nach der Wirtschaftskrise der Keynesianismus zurückkehrt und befürwortet es auch. Aber der Wechsel ökonomischer Moden zeigt für ihn ebenfalls, das Wirtschaftswissenschaften alles mögliche sind - nur keine Wissenschaft: "Die klassische Wirtschaftslehre der 1920er abstrahierte vom Problem der Arbeitslosigkeit, indem sie annahm, es existiere nicht. Der Keynesianismus seinerseits abstrahierte vom Problem der Inkompetenz und Korruption offizieller Stellen, da er annahm, der Staat werde von allwissenden, wohlwollenden Experten verwaltet. Die heutige 'neoklassische Theorie' abstrahiert vom Problem der Ungewissheit, da sie annimmt, dieses könne auf ein messbares (oder versicherbares) Risiko reduziert werden."

Auch Maxeiner & Miersch denken in ihrer Kolumne über die Krise nach: Lehman Brothers gehörte im Finanzmarkt zu den größten Händlern von CO2-Zertifkaten und sagte schon im Eigeninteresse eine Wirtschaftskrise wegen des Klimawandels voraus, ohne zu ahnen dass die eigene Pleite aus ganz anderen Gründen unmittelbar bevorstand.

Im Feuilleton blickt Eckhard Fuhr zurück auf zehn Jahre Bundeskulturministerium. Elmar Krekeler kommentiert den Abschied Sigrid Löfflers von Literaturen. Karsten Kastelan berichtet über wirtschaftliche Schwierigkeiten der Filmfirma Senator, die einen großen Kinostart der Verfilmung der "Vorleserin" erschweren könnten. Hendrik Werner unterhält sich mit dem Krimiautor Jan Costin Wagner über eine möglicherweise klimatisch bedingte Tendenz der Finnen zu Amokläufen. Gerhard Gnauck notiert heraufdämmernde polnische Diskussionen um den Kriegsanfang 1939, die durch einen polnischen Film zum Thema, der noch gar nicht gedreht ist, ausgelöst werden könnten. Holger Kreitling verabschiedet den Sozialtypus des klassischen Gangsters, dem durch immer geringere Summen zirkulierenden Bargelds das Geschäftsfeld abhanden kommt. Besprochen wird eine Murakami-Ausstellung in Frankfurt.

NZZ, 26.09.2008

Auf der Medienseite beschreibt Stephan Russ-Mohl den Erneuerungskurs der New York Times, ihre Web-Aktivitäten und ihre Fähigkeit zur Selbstkritik: "Es gibt vermutlich keine andere Zeitung der Welt, die sich vergleichbar um Transparenz bemüht. Freiwillig, sehr penibel und täglich wiederkehrend werden auf Seite 2 die Fehler des Vortags korrigiert. In 'editor's notes' wird oftmals ergänzend erläutert, weshalb der Redaktion ein Irrtum unterlaufen ist. Aber auch in Blogs und Diskussionsforen stehen Redaktoren Rede und Antwort."

Weiteres: Die Bild-Zeitung macht ihre Blattkritik jetzt im Internet öffentlich, ras. findet die ersten Kritiker allerdings ungewöhnlich zahm. Im Libanon wird Werbegeld nicht für kommerzielle Interessen ausgegeben, sondern für politische, berichtet Mona Sarkis.

Im Feuilleton beschreibt die pakistanische Journalistin Shehar Bano Khan die prekäre Lage ihrer Landsleute, die zur Zeit unter fundamentalistischer Gewalt, einer wenig vertrauenswürdigen Regierung und den amerikanischen Interventionen leiden. Das Pakistan-Bild des Auslands werde der Situation Pakistans nicht gerecht: "Man wirft dem Land vor, es exportiere den Terrorismus - und schenkt der Tatsache wenig Beachtung, dass seine Bewohner seit der Jahrtausendwende selbst immer wieder terroristischen Attacken ausgesetzt waren. Es heißt, dass Pakistan die Talibanisierung unterstütze; aber wäre es dann zu den blutigen Kämpfen gekommen, die im vergangenen Jahr um die von fanatisierten Klerikern besetzte Rote Moschee in Islamabad ausgefochten wurden?"

Weitere Artikel: Wil Rouleaux informiert über den schweren Stand der deutschsprachigen Literatur in den Niederlanden angesichts des ausbleibenden Übersetzernachwuchses. Aram Lintzel sprach mit dem Musikjournalisten Jon Savage über dessen neues Buch "Teenage - Die Erfindung der Jugend (1875-1945)". In Zeiten der Finanzkrise sind auf Sponsoring angewiesene Kulturinstitute und soziale Projekte in den USA akut bedroht, fürchtet Andrea Köhler. Joachim Güntner berichtet über den Streit um die Entlassung des Intendanten der Essener Philharmonie, Michael Kaufmann.

Besprochen werden Robert Wilsons Inszenierung von Samuel Becketts "Oh les beaux jours" in Luxemburg, neue Alben des Kölner Produzenten Burnt Friedman und Bücher, nämlich Friedrich Reutners Ratgeber "Erfolgsnationen vor dem Abstieg bewahren" sowie die Studie "Die Deutsche Bank und die USA" von Christopher Kobrak (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FR, 26.09.2008

Fix und fertig kam Sandra Danicke aus der Murakami-Ausstellung im Museum für Moderne Kunst Frankfurt, wo sich "aufdringliche Niedlichkeit, grotesker Grusel und abstrus überzeichnete Erotik" vermischen. "Auf so etwas kommen sie vermutlich nicht einmal im Pornokanal. Wenige Meter Luftlinie entfernt lassen Hunderttausend kreischbunter Lach-Blumen, die als Tapete angebracht wurden, den Besucher zurücktaumeln. Hier wirkt geballte Harmlosigkeit plötzlich ähnlich beängstigend, als sei man auf einem schlechten LSD-Trip hängen geblieben."

Weitere Artikel: Der Religionswissenschaftler Joachim Valentin lobt die "die in den Niederlanden, Deutschland und Österreich herrschende kooperative Trennung von Staat und Religion bzw. einen 'positiven Laizismus'", die Armut und Globalisierung besser abfedern könne als der "schroffe, Religion als wirksames gesellschaftliches Phänomen letztlich ignorierende Laizismus" französischer Prägung. Peter Michalzik betrachtet amüsiert das "Bayerntheater" kurz vor der Wahl. Für die Times Mager hat Ina Hartwig auf Elfriede Jelineks Homepage vorbeigeschaut und las, wie die Schriftstellerin nach der Lektüre von "Herzzeit" den Mann von heute als ätzenden "Normalitätsterroristen" schimpft.

Besprochen werden das neue Album von Rosenstolz, "Die Suche geht weiter" und zwei Sachbücher: "Endgame. Zivilisation als Problem" von Umweltaktivist Derrick Jensen und ein Band über den österreichischen Schauspieler Michael Heltau von Monika Mertl "Auf Stichwort: Michael Heltau" (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 26.09.2008

In einer Antwort auf Arno Lustigers Artikel im speziellen und ihre Kritiker im allgemeinen stellt Evelyn Hecht-Galinski klar, warum sie sich auch weiterhin nicht als Antisemitin und jüdische Selbsthasserin beschimpfen lassen will: "Arno Lustiger irrt: Israel ist heute keinesfalls das arme kleine, von Feinden umzingelte Land, sondern gehört zu den hoch gerüsteten Militärmächten, die sich nicht scheuen, anderen Staaten mit einem Präventivschlag - auch atomar - zu drohen... Arno Lustiger und andere verbreiten seit Jahren die Legende, dass Kritiker Israels wie Grosser, Chomsky, Finkelstein, Felicia Langer, Judt, Melzer, Meyer, Fried, Neudeck und Blüm nichts anderes wollten, als den ums Überleben kämpfenden Staat zu zerstören. Damit steht jede Debatte um Israels Politik unter dem Schatten des Antisemitismusvorwurfs. Dann hört man zwar, man dürfe Israel kritisieren. Aber wer es dann wirklich wagt, Israel zu kritisieren, der ist automatisch ein Judenhasser."

Weitere Artikel: John McCain will die erste Fernseh-Debatte mit Barack Obama verschieben, um in Washington die Finanzwelt zu retten. Arg dramatisch findet Jordan Mejias das und für ein Ablenkungsmanöver hält er es auch. Mit dem ossetischen Dirigenten Valeri Gergiew, der im letzten Monat mit dem Mariinsky-Orchester ein Konzert (Ausschnitt auf YouTube) in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali zur Aufführung brachte, unterhält sich Kerstin Holm. Michael Siebler feiert die farbige Rekonstruktion des sogenannten "Perserreiters", die ab Oktober im Frankfurter Liebieghaus zu bewundern sein wird, als "Meilenstein in der Polychromie-Forschung". In der Glosse informiert Joachim Müller-Jung darüber, dass nun die Bedeutung aller 20325 Gene des Menschen bekannt ist - und man begreift auch, warum das FAZ-Feuilleton diesmal auf den vollständigen Abdruck verzichtet hat: "Würden die Einträge dieses Lexikons gedruckt und nicht nur gespeichert, sie füllten 57 Bände zu je 1000 Seiten."

Dass sich ein Barockbau wie das Frankfurter Palais Thurn und Taxis partout nicht in Beton rekonstruieren lässt, darauf beharrt Dieter Bartetzko. Gerhard R. Koch hat das Musikfest "sacrum + profanum" in Krakau besucht. Patrick Bahners war in Norwich zu einer Tagung über W.G. Sebald, der an der dortigen Universität lehrte. Hinter die Kulissen des neuen Caricatura Museums für Komische Kunst in Frankfurt blickt Andreas Platthaus. Jürg Altwegg berichtet von einem Paketbombenanschlag in Jerusalem, den der israelische Historiker Zeev Sternhell leicht verletzt überlebte. Helmut Mayer porträtiert den Wissenschaftssoziologen Bruno Latour, der am Sonntag den Siegfried-Unseld-Preis erhält. Der FAZ-Karikaturist Fritz Behrendt gratuliert seinem russischen Kollegen Boris Efimow, dem "Lieblingszeichner Stalins", zum 108. Geburtstag.

Besprochen werden Amos Gitais "überfrachteter" Film "Trennung", und Bücher, darunter Stefan Merrill Blocks Romandebüt "Wie ich mich einmal in alles verliebte" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 26.09.2008

Heribert Prantl erklärt, wie die CSU sich durch zu großen Erfolg ihrer Modernisierungs- und Aufklärungsbemühungen selbst auf die nun drohende Normalgröße gebracht hat: "Die neue Selbstsicherheit der Bayern ist nolens volens ein Werk der CSU: Die CSU hat, auch wenn sie das so gar nicht unbedingt wollte, dem Land eine neue Aufklärung geschenkt. Sie hat das Bildungsnetz verdichtet, höhere Schulen in den ländlichen Gebieten gebaut und Universitäten in der Provinz, sie hat die Ausbildung der Grund- und Hauptschullehrer akademisiert, die Bildungsreserve mobilisiert und Bayern an die deutschen Spitze im Pisa-Ranking geführt. Sie hat das Atomei zu den Landeiern gebracht, sie hat aus einem Agrarland ein Hightech-Land gemacht... Nun schwappt die Moderne aus den Zentren in die Provinz, die vielgestaltig, disparat, unübersichtlich und kritisch geworden ist - das Land wächst der CSU über den Kopf."

Weitere Artikel: In seiner "Nackt in Nowosibirsk"-Kolumne berichtet der Schriftsteller Georg Klein von einem Ausflug ins Gebirge. Holger Liebs erklärt, warum im Fall des japanischen "Superflat"-Künstlers Takashi Murakami die Unterscheidungen "Museum vs. Markt, high vs. low, Originalität vs. Masse, Hochkunst vs. Trivialität, billig vs. teuer" nicht mehr weiterhelfen (ab heute im Frankfurter Museum für Moderne Kunst). Johannes Willms informiert über Anstrengungen von Präsident Sarkozy, die Eliterekrutierungsinstitution Ena offener zu gestalten. Der Fotograf Ken Schles fragt, wie sich der Blick auf die Geschichte der Fotografie in Zeiten des digitalen Massenknipsens verändert. An das Berliner Hochbahn-Unglück vor hundert Jahren erinnert Tino Jacobs.

Auf der Literaturseite berichtet Tobias Lehmkuhl von Ausstellungen und Veranstaltungen zu Ehren W.G. Sebalds. Kaspar Renner schreibt zur Eröffnung des Berliner Literaturfestivals.

Besprochen werden der Theaterabend über "Die deutsche Mutter" in München, Andras Schiffs Aufnahme der 32 Klaviersonaten Beethovens, Michael Moores im Internet zum Download bereitstehender "Slacker Uprising", den Jörg Häntzschel nur als Dokument von des Regisseurs "grenzenloser Eitelkeit" begreifen kann, das neue Rosenstolz-Album "Die Suche geht weiter" und Winston Churchills Bericht über den Feldzug gegen das Reich des Mahdi (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).