Heute in den Feuilletons

Dieses lila Herz

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.10.2008. Im Tagesspiegel behauptet Gregor Gysi: Die DDR war antizionistisch, aber nicht antisemitisch. Die Bonner CDU dagegen war vielleicht für Israel - aber antisemitisch. Die NZZ verreißt Sherry Jones' frühislamische Schmonzette über Aisha. Die FR stöhnt: lieber sinkende Börsenkurse als Jeff Koons. Die taz ist einigermaßen entsetzt über die "Sch'tis": unraffiniertes Regionalküchenprodukt. In der SZ wird die Finanzkrise dekonstruiert oder so.

NZZ, 30.10.2008

Als einen Fall von "gut gemeinter Unredlichkeit" betrachtet Angela Schader Sherry Jones' Roman über Aisha, die Frau des Propheten Mohammed. Von Kinderpornografie kann keine Rede sein, meint Schader, eher von Schönfärberei: "Kaum mehr zu rechtfertigen ist die Leichtfüßigkeit, mit welcher Jones über die dunklen Seiten der islamischen Frühgeschichte hinwegtänzelt. Dass Mohammed Kritiker und Spötter kurzerhand beseitigen ließ, ist so verblümt angedeutet, dass nur Eingeweihte wissen können, worauf der Text anspielt. Die Vertreibung zweier jüdischer Stämme aus Medina wird im ersten Fall sozusagen als Kulisse für einen von Aishas Schwerttänzen missbraucht, im zweiten nachgerade als Gnadenakt des Propheten geschildert."

Weiteres: Andrea Köhler spießt "diese blöde Kleidersache" von Sarah Palin auf. Yvonne Volkart berichtet vom Shift-Festival der elektronischen Künste in Basel. Besprochen werden die drei Picasso-Ausstellungen in Paris, Andre Hellers Kindheitsgeschichte "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" und Giovanni Orellis Prosa-Werk "Walaceks Traum".

Die Filmseite widmet sich Marco Kreuzpaintners "Krabat"-Verfilmung und dem Debüt des Thailänders Aditya Assarat "Wonderful Town".

Perlentaucher, 30.10.2008

Das tschechische Magazin Respekt sieht keinen Anlass, sich bei Milan Kundera zu entschuldigen, berichtet Hans-Jörg Schmidt im Perlentaucher. Kundera hatte eine solche Entschuldigung nach den Veröffentlichungen des Magazins verlangt (mehr hier): "'In unseren nächsten Ausgabe wird sich unser Herausgeber zu dem Fall äußern', sagt Chefredakteur Martin M. Simecka am Mittwoch gegenüber Perlentaucher.de. Und er fügt hinzu: 'Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir uns nicht entschuldigen.' Diese Formulierung wählt er, um seinem Herausgeber Zdenek Bakala nicht vorzugreifen. Man sehe auch 'sehr gelassen' einem möglichen, von Kundera angedrohten Prozess entgegen. Die nächste Ausgabe von Respekt erscheint am Montag. Simecka besteht darauf, dass das Dokument der tschechoslowakischen Polizei, das Kundera belastet, echt sei."
Stichwörter: Kundera, Milan

FR, 30.10.2008

Elke Buhr lässt sich über Jeff Koons aus, dessen stählerne Skulpturen zur Zeit zusammen mit einer Paul-Klee-Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie zu sehen sind: "Man könnte Koons auch preisen für die Direktheit, mit der er einer geldgeilen Konsumwelt buchstäblich den Spiegel vorhält, und ihn als Verkünder einer Wahrheit feiern, die andere durch vorgetäuschte Intellektualität verschleiern. Aber ach: Man muss es dann ja immer noch angucken, dieses lila Herz. Dann lieber Eskapismus und sinkende Börsenkurse."

Weitere Artikel: Jürgen Otten sieht zu, wie der neue Intendant Sebastian Hartmann das Schauspiel Leipzig umkrempelt und "in einen donnernden Diskurstempel" verwandelt: "Dieses Theater schlägt Wunden, es schlägt zu, es nimmt sich, wenn es mal einen Augenblick nichts zu sagen weiß, laute Musik zur Hilfe, es will den klaren, knallharten, konzisen Konflikt mit der Realität und dem Publikum. Und es will Fragen stellen, große Fragen." In der Times Mager sinniert Hans-Jürgen Linke über Ehre und den Schriftsteller Peter Kurzeck.

Besprochen wird die Rene Magritte Ausstellung in der Frankfurter Schirn, der Film "Let's make money" von Erwin Wagenhofer, "Mein Freund aus Faro" von Nana Neul, der französische Kino-Hit "Willkommen bei den Sch'tis" und ein Buch: "Briefe 1933-1936" der Dichterin Else Lasker-Schüler.

Welt, 30.10.2008

Manuel Brug stellt einige neue junge Pianisten vor. Besonders gefallen ihm der Chopin-Sieger Rafal Blechacz und und der Russe Nikolai Tokarev, der nicht nur ein "schlanker, sehniger Bursche" ist, sondern auch noch Ravels Pianistenalptraum "Gaspard de la Nuit" bewältigt. Er selbst sagt dazu: "Ravels 'Gaspard' erlaubt mit seinen skurrilen Porträts ganz eigenwillige Nuancen der Expression. Das ist fast abstrakt. Was ist eine Undine oder ein Gnom, die Ravel benennt? Ich muss Farben malen, Albträumen und Wassergeistern Kontur geben."

Hier Blechacz mit einem Chopin-Walzer:



Hendrik Werner musste feststellen, dass seine Dissertation aus dem Jahre 2001 bei Google Book Search eingestellt wurde: "Niemand hat mich über diesen Schritt informiert, geschweige denn um Erlaubnis gefragt. Nicht der Verlag. Nicht jene deutsche Bibliothek, aus deren vom Kooperationspartner Google digitalisierten Beständen der online gestellte Text stammen muss. Und Google selbst hat auch nicht bei mir angerufen."

Weitere Artikel: Eckhard Fuhr verfolgte Reden und andere Darbietungen beim Fest für zehn Jahre Bundeskulturministerium. Sascha Lehnartz wundert sich in der Leitglosse nicht besonders darüber, dass Radio France Internationale den deutschsprachigen Dienst abschaffen wird (andere Randsprachen wie Laotisch sind ebenfalls betroffen). Uta Baier begleitet den Umzug der Sammlung Rau in das von Richard Meier entworfene Arp-Museum in Remagen. Auf der Filmseite bespricht Matthias Heine den französischen Erfolgsfilm "Willkommen bei den Sch'tis", und der Autor unterhält sich aus diesem Anlass auch mit der Synchronregisseurin Beate Klöckner, die ein glaubhaftes deutsches Pendant für den nordfranzösischen Dialekt erfinden musste.

Tagesspiegel, 30.10.2008

Das historisch-dialektische Potenzial der PDS ist ungebrochen: Die DDR war antiisraelisch, aber nicht antisemitisch, schreibt der Politiker Gregor Gysi im Tagesspiegel, die Bonner CDU dagegen war zwar für Israel - aber antisemitisch. "Bei der Anerkennung Israels durch die BRD verwandte Konrad Adenauer das antisemitische Argument, wonach die Juden in den USA immer noch sehr viel Einfluss hätten, er glaubte also an das Vorurteil des jüdisch beherrschten Weltkapitals. Die CDU verweigerte nach 1945 jahrelang eine Aufarbeitung der NS-Zeit, förderte alte Nazis, Leute wie Globke und Oberländer, eingefleischte schlimmste Antisemiten. Globke hatte nicht nur die Nürnberger Rassengesetze kommentiert, sondern ist für deren Verschärfung leider erfolgreich eingetreten. Er war trotzdem engster Vertrauter von Adenauer und Staatssekretär im Kanzleramt. Es ist auch nicht atypisch, dass die CDU zur Verschleierung ihrer Spendenaffäre jüdische Vermächtnisse vortäuschte."

Aus den Blogs, 30.10.2008

Das slowakische Internetmagazin Salon hat anlässlich der Gründung der Tschechoslowakei vor 90 Jahren mehrere Artikel übersetzt: von Adam Michnik, Tibor Pichler, Jiri Kratochvil und Ludvik Vaculik. Mehr dazu hier mit Links zu den Artikeln.

Don Alphonso verrät seine fünf Lieblingsblocks an potenzielle Medieninvestoren (als würden die sich für Inhalte interessieren!). Und er rät außerdem zu einer Orientierung am WAZ-Dienst Der Westen: "Machen Sie ALLES anders. Übernehmen Sie von denen NICHTS. Basteln Sie keinen Ehrensenf und keinen Spreeblick und anderes Zeug für hypig-nervige Cliquen. Dann könnte es vielleicht sogar was werden mit Ihrer Onlinemarke."

TAZ, 30.10.2008

Einigermaßen fassungslos ist Ekkehard Knörer angesichts der sagenhaften 20 Millionen Franzosen, welche der Komödie "Willkommen bei den Sch'tis" einen Zuschauerrekord bescherten. "Man kann einerseits lange herumrätseln, was die große Film-Haute-Cuisine-Nation Frankreich dazu treibt, sich auf ein derart unraffiniertes Regionalküchenprodukt zu stürzen. Man kann andererseits aber auch an die so viel brachialere deutsche Erfolgskomödienvariante a la Bully Herbig denken, da wird man dann gleich freundlicher gesinnt... Was nichts daran ändert, dass 'Willkommen bei den Sch'tis' nicht mehr und nicht weniger ist als ein etwas lang geratener gespielter Witz, zu dem die Kirchturmglocke ihr 'palim, palim' klimpert."

Weitere Artikel: Cristina Nord berichtet vom Wiener Filmfest, dessen Retrospektive sich dieses Jahr um "Los Angeles - Eine Stadt im Film" drehte und dazu einen fast hundertstündigen Metafilm produzierte. Dominikus Müller besichtigt die Temporäre Kunsthalle, die jetzt für zwei Jahre bis zum Baubeginn des Humboldtforums auf dem Berliner Schlossplatz stehen wird und deren Eröffnungsschau - Videoinstallationen von Candice Breitz - zeige: "Kunst ist der neue Pop." Ganz in Ordnung, aber auch ein bisschen langweilig fand Dirk Knipphals den Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Amts des Kulturstaatsministers.

Besprochen werden der Dokumentarfilm zur Finanzkrise "Lets make money" von Erwin Wagenhofer, der angesichts der aktuellen Entwicklung stellenweise "ungewollt veraltet" wirkt, und das Künstler-Porträt "Botero: Geboren in Medellin" von Peter Schamoni.

Hier Tom.

SZ, 30.10.2008

Der Konstanzer Germanist Albrecht Koschorke sieht mit der Finanzkrise endgültig eine vierte (und letzte) Etappe der US-Eroberung von Raum und Zeit jenseits vorhandener Grenzen erreicht: "Jetzt könnte man eine vierte Etappe hinzufügen - nicht nur mit Blick auf die USA, sondern auf die Industrieländer insgesamt. Zukunft ist die letzte frontier. Nach dem Ende des klassischen Kolonialismus und dem Entstehen einer hoch integrierten, aber in räumlicher Hinsicht endlich gewordenen Weltwirtschaft scheint sich der Expansionsdrang in die zeitliche Dimension zu verlagern. Die Energien verlagern sich nun dahin, Raubbau an der Welt künftiger Generationen zu treiben."

Die Schriftstellerin Slavenka Drakulic beschreibt das dichte Netzwerk von Politik und Mafia in Kroatien, das mit der Ermordung des Verleger Ivo Pukanic ins Blickfeld geraten ist: "In den letzten Jahren wurden mehrere Mafia-Bosse mitten in der Stadt ermordet, aber vielleicht nicht nahe genug am Zentrum der Macht. Anders liegt der Fall bei Ivo Pukanic, der dafür bekannt war, dass er ebenso gute Kontakte zum organisierten Verbrechen hatte wie zur Politik. Während angeblich einer der Mafia-Bosse seine Zeitschrift beschützte, war er zugleich per Du mit dem Staatschef, der sich auch bei seiner Beerdigung zeigte. Kein Wunder, dass dieses Verbrechen die Regierungsspitze erschüttert und als politische Tat gedeutet wird. Zum ersten Mal ist in beängstigender Weise klar geworden, dass die staatlichen Organe ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Der Anschlag im Herzen Zagrebs ist das Ergebnis von mindestens zwei Jahrzehnten, in denen Kapitalverbrechen geflissentlich übersehen wurden."

Weitere Artikel: Falk Jaeger hat das "Architektur-Dorado" auf dem Gelände der Firma Trumpf im schwäbischen Ditzingen besucht. Felix Lang schildert, wie die Musik der marokkanischen Sufi-Bruderschaft der Gnaoua sehr geschäftstüchtig dem Weltmusik-Markt zugeführt wurde. In der NYRB-Reihe weiß Frances Fitzgerald, was die religiöse Rechte der USA an Sarah Palin hat (englische Fassung). Über die schönsten Filme auf der soeben zuende gegangenen Viennale (Website) schreiben Hans Schifferle und Susan Vahabzadeh. Kurz bereitet Fritz Göttler auf das heute beginnende Asia Filmfest in München vor. Nicht ohne skeptische Seitenbemerkungen berichtet Jens Bisky von der Feier zum zehnjährigen Bestehen der Institution des Kulturstaatsministers.

Besprochen werden eine - "entzückende", so Egbert Tholl - Puppenkisten-"Alice" am Augsburger Stadttheater, Erwin Wagenhofers Dokumentation "Let's Make Money" und Bücher, darunter der Band "Wahrheit, Sprache und Geschichte", mit dem die Sammlung der Philosophischen Aufsätze von Donald Davidson abgeschlossen ist (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 30.10.2008

Einen ganz seltenen und zuvor an keine Glocke gehängten Auftritt des Comic-Künstlers Robert Crumb hat Andreas Platthaus in Dortmund erlebt. Auch Crumbs jüngstes Projekt kennt er schon: "Sein neuestes Vorhaben ist eine zweihundertseitige Adaption des Ersten Buches Moses. 200.000 Dollar eines Verlegers haben ihn überzeugt, 'aber ich fürchte, weder die Christen noch die Juden werden es mögen', und da kommt wieder das Kichern: 'Aber wenigstens die Muslime werden mich in Frieden lassen.' Dabei sind die Genesis-Seiten streng am Text der Bibel orientiert, es gibt keinen grotesken Humor oder Zerrbilder, und doch ist jedes Bild reiner Crumb. Seine Tuschezeichnungen sind seit den frühen neunziger Jahren von einer handwerklichen Qualität, die ihn zum unfreiwilligen Liebling des Kunstmarkts gemacht und 2003 bis ins Kölner Museum Ludwig geführt hat. 'Dem Kurator musste ich allerdings erst einmal erklären, was Comics sind. Er sah darin nur Kunst.'"

Weitere Artikel: In der Glosse fürchtet Lorenz Jäger, dass man in Zukunft nur noch schwer das fiktive und das möglicherweise reale Gepäck des Milan Kundera wird auseinanderhalten können. Über die zwischen Google und amerikanischen Autoren und Verlegern erzielte Einigung zur Büchervolltextsuche bei "Google Buchsuche" informiert Jordan Mejias. Paul Ingendaay hat in Madrid den österreichischen Dokumentarfilmer Günter Schwaiger getroffen, der einen Film über den SS-Obersturmführer Paul Hafner und einen über die Verbrechen des Franco-Regimes gedreht hat. Nina Rehfeld fasst die Diskussionen um die (Nicht-)Veröffentlichung von Sherry Jones' Aisha-Roman zusammen - außerdem schildert sie den durchschlagenden Erfolg, mit dem Tina Fey aus Sarah Palin eine komische Figur gemacht hat.. Andreas Kilb durfte der Berliner Feierstunde zum zehnjährigen Jubiläum des Amts des Kulturstaatsministers beiwohnen.

Von der Eröffnung der Kunstsammlung Amalia Lacroze de Fortabat in Buenos Aires berichtet Josef Oehrlein. Neues gibt es aus Felicitas Hoppes Washingtoner Wettbüro. Oliver Jungen porträtiert den Historiker Heinz Duchhardt, der gerade als Vorsitender des Stiftungsrat der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA) berufen wurde. Andreas Rossmann informiert darüber, dass die Gelder für ein Konzerthaus in Bochum nun zusammen sind. Auf die für heute Abend von Schmidt & Pocher geplante Fortsetzung des FAZ-Feuilletons mit anderen Mitteln weist Alexander Camann hin: Die beiden spielen den fünften Band von Hans-Ulrich Wehlers deutscher Gesellschaftsgeschichte mit Playmobil-Figuren nach. Auf der Kinoseite schreiben Weggefährten - von Wim Wenders bis Bernd Eichinger - des Filmmanns Günter Rohrbach, der gerade seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert hat, über ihr Leben mit dem Kino.

Besprochen werden Ausstellungen der Porträt-Künstler Albert Watson und Liselotte Strelow in Düsseldorf und Bonn, Peter Schamonis "Botero"-Film, und Bücher, darunter Juri Andruchowytschs Alter-Ego-Autobiografie "Geheimnis" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Zeit, 30.10.2008

"World Music schmeckt nicht mehr nach Jute und korrekt gehandeltem Kaffee, sie ist Teil des urbanen Lebensstils geworden", stellt Thomas Groß beglückt fest, der vor allem beim Londoner Africa Express einer afrikanischen Musik auf Augenhöhe begegnete: "Afrikanische Musiker wurden nicht nur eingeladen, die ganze Bühne verwandelte sie in eine spontane Jam-Session mit allen Beteiligten, darunter Amadou & Mariam aus Mali, Baaba Maal aus dem Senegal, Flea von den Red Hot Chili Peppers und DJ Adrian Sherwood. Um Eurozentrismusvorwürfen vorzubeugen, fand zwei Tage zuvor im Fela-Kuti-Shrine in Lagos ein vergleichbares Konzert mit Ex-Cream-Drummer Ginger Baker und Fela Kutis Sohn Femi statt."

Im Übrigen hält die Finanzkrise das Feuilleton auch weiter in eisernem Griff. Dietmar Dath schreibt sich in revolutionär-prophetische Trance: "Der Umsturz vollzieht sich mit der paradoxen Anmut beinah zufälliger Zwangsläufigkeit. Es beginnt mit Krawallen in Lübeck." Jens Jessen fleht die "lieben Deutschen und verehrten Volkswirte" an, mit dem Kapitalismus zu machen, was sie wollen, nur die Juden sollen sie bitte aus dem Spiel lassen. Ganz geheuer ist Peter Kümmel die im Hamburger Schauspielhaus geprobte Revolte nicht, bei der Volker Lösch in seiner "Marat"-Inszenierung Namen und Adressen von Hamburgs Supperreichen verlesen ließ: "Das bürgerliche Theaterpublikum wärmt sich an der Wut der wirklich Armen. Es genießt die Gewissheit, relativ unschuldig zu sein am Unglück der Welt."

Besprochen werden die drei großen Ausstellungen zu Kandinsky in München, van Gogh in Wien und Picasso in Paris, eine Edward-Hoppers-Retrospektive im der Wiener Kunsthalle und die supererfolgreiche französische Provinzidyll-Komödie "Willkommen bei den Sch'tis", die Pascale Hugue einigermaßen beklommen fragen lässt, was das für ein Land sei, das "ein derart fantasmatisches Bild seiner selbst feiert".