Heute in den Feuilletons

Ein kleiner Haufen Nazi-Sperrmüll

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.12.2008. Die taz besucht das Rommel-Museum und schreitet über die Rommel-Brücke und wohnt im Rommel-Hotel in Marsa Matruh in Ägypten. In der NZZ erklärt der Musikjournalist Nik Cohn seinen zwangsläufigen Weg zum Gangsta-Rap. In der SZ übt Nadine Gordimer scharfe Kritik am künftigen südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma. Und die FAZ konstatiert: China diskutiert nicht über die Charta 2008, China verhört.

TAZ, 19.12.2008

Für tazzwei besucht Gerald Drissner das Rommel-Museum in Marsa Matruh in Ägypten, das auf ihn einen eher jämmerlichen Eindruck macht: "Doch für die Bewohner ist dieser Ort mehr als eine Höhle, in der ein kleiner Haufen Nazi-Sperrmüll liegt. Erwin Rommel ist hier dermaßen beliebt, dass sie eine Insel nach ihm benannt haben, einen Strand und eine neu gebaute Brücke. Es gibt ein Rommel-Cafe und ein Rommel-Hotel, hier, in Marsa Matruh, einer Stadt am Mittelmeer, die ziemlich genau zwischen Alexandria und der libyschen Grenze liegt und in der ziemlich genau einhunderttausend Menschen leben, die an Allah glauben."

Im Feuilleton kritisiert Georg Seeßlen die jetzige Phase des Kapitalismus am Beispiel historischer und gerade erschienener Christmas-Alben: "Mit Weihnachtshasserliedern landet man keine Hits. Mit dem alten Scheiß schon. Wahrscheinlich können wir gar nicht anders, als die Renaissance der klassischen Weihnachtsalben als 'Symptom' zu akzeptieren."

In weiteren Artikeln hält Tobias Rapp Rückblick auf das Popjahr 2008. Und Dorothea Marcus bespricht Neil LaButes Stück "Der große Krieg" in Bonn.

Die Medienseite bringt ein Streitgespräch zwischen dem Medienpublizisten Lutz Hachmeister und dem Medienpolitiker Martin Stadelmaier (SPD). Laut Hachmeister beachten die gesetzlichen Neuregelungen für die öffentlich-rechtlichen Sender gar nicht recht, dass "das Fernsehen rein technisch vollständig im Internet aufgehen wird. Ohne zu futuristisch klingen zu wollen: Das ist auch publizistisch eine revolutionäre Phase."

Schließlich Tom.

Welt, 19.12.2008

Berthold Seewald sucht nach historischen Wurzeln der griechischen Autonomen: "In den Nationalitätenkämpfen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, zuletzt im Zweiten Weltkrieg und im folgenden vierjährigen Bürgerkrieg waren es immer wieder Guerilla-Kämpfer, die für sich in Anspruch nehmen konnten, die Belange der Nation zu vertreten."

Weitere Artikel: Im Aufmacher stellt Michael Pilz ein Weihnachtsalbum von Aretha Franklin vor. Hendrik Werner kommentiert den Ausverkauf der Marke Brockhaus, die sich wohl nie wieder in Lexikonbänden verkörpern wird, an Bertelsmann. Manuel Brug kritisiert in der Leitglosse die deutschen Orchesterstreiks in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Eckhard Fuhr gratuliert dem Historiker Heinrich August Winkler zum Siebzigsten. Dankwart Guratzsch stellt einen von Albert Speer formulierten Masterplan für die Stadt Köln vor, die von den städtebaulichen Sünden der Nachkriegszeit geheilt werden soll. (Im Kölner Stadtanzeiger gibt es übrigens ein Interview mit Speer dazu. Hanns-Georg Rodek besucht den als Luxuskino renovierten Filmpalast am Kurfürstendamm, wo man jetzt beim Filmegucken mit hochgelegten Füßen "geliertes weißes Tomatensüppchen" zu sich nehmen soll.

Besprochen werden eine "Iphigenie auf Tauris" in Valencia mit dem nach Manuel Brug stets noch "stahlstrahlend" singenden Placido Domingo und eine Werkschau des Performance-Künstlers Christian Jankowskis in Stuttgart.

Auf der Magazinseite bespricht Ulli Kulke eine Ausstellung über die Tiefsee in Frankfurt. Und im Forum macht der Strahlentechniker Lutz Niemann auf die Gefahren erneuerbarer Energien aufmerksam: "Betrachtet man die Situation der Bewohner des Zillertals in Österreich, die unterhalb von drei Staumauern leben, so kann man nur konstatieren, dass sie im Notfall ziemlich chancenlos wären."

Perlentaucher, 19.12.2008

Im Perlentaucher erklärt Ekkehard Knörer, warum die Kritikerkollgen in vielen Zeitungen so taten, als hätten sie Tom Cruises "Operation Walküre"-Film bei der New Yorker Premiere gesehen - der Verleih wollte per Sperrfrist die Berichterstattung verhindern: "Es hat nämlich in Deutschland sehr wohl Voraufführungen des Films für die Presse gegeben. Für Berlin kann ich's bezeugen, denn ich war drin. Das war aber ein relativ exklusives - nämlich genau 132 Journalistinnen und Journalisten vergönntes - Vergnügen. Ich habe von Fällen gehört, in denen Leute erst ein-, dann wieder ausgeladen wurden."

NZZ, 19.12.2008

Im Gespräch mit Julian Weber erzählt der Musikjournalist Nik Cohn, warum er zwangsläufig in New Orleans landen musste, um ein Buch über Gangsta-Rap zu schreiben: "Meine Mutter hat jüdisch-russische Wurzeln. Mein Vater ist ein deutsch-englischer Jude. Ich bin im Nordirland der fünfziger Jahre aufgewachsen, als die Segregation, jene der Protestanten gegenüber den Katholiken, Ausmaße wie in den USA angenommen hatte. Ich hätte auch vom Mars kommen können, es gab in Derry außer uns keine Juden. Mein Jüdischsein war mir auch gar nicht bewusst. Sehr vertraut war mir hingegen die Lebensgeschichte meiner Großmutter. Sie hatte im Präsidium der Menschewiken gesessen. Diese wurden dann nach der russischen Oktoberrevolution von den Kommunisten verfolgt. Meine Mutter wuchs im sibirischen Exil auf, bis ihre Familie in den zwanziger Jahren nach Berlin flüchtete. Das war auch für mich prägend."

Angesichts der anhaltenden Proteste in Griechenland konstatiert Ekkehard Kraft, dass die Gesellschaft genauso wenig zu Veränderungen bereit ist wie der Staat: "Auf der einen Seite misstraut man dem Staat und hintergeht ihn bei jeder Gelegenheit. Auf der anderen Seite erwartet man jedoch stets dessen Unterstützung bei eigenen Belangen."

Besprochen werden eine eine Ausstellung zu Friedrich Torberg im Wiener Jüdischen Museum, die Uraufführung von drei Einaktern des Dramatikers Neil LaBute am Theater Bonn, Klaus Theweleits und Rainer Höltschls Jimi-Hendrix-Biografie sowie Politische Bücher (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Auf der Medienseite versucht Stephan Russ-Mohl den unglücklichen Umstand zu erklären, dass ausgerechnet in der hochentwickelten Region um San Francisco mit ihrer mulitkulturellen und gebildeten Bevölkerung die Zeitungen auf keinen grünen Zweig kommen. Heribert Seifert reibt sich von Freude die Hände über das Blog "stuffwhitepeoplelike", das ordentlich das juste milieu aufmischt.

FR, 19.12.2008

Im Aufmacher verfolgt Peter Michalzik die Aufregung um Jürgen Flimms Abgang als Festspielleiter von Salzburg, Christian Thomas kümmert sich in Times mager um das Problem der Berliner Stadtschlossuhr. Claudia Schmölders erinnert an die Fotografie Gisele Freund, die vor hundert Jahre geboren wurde. Harry Nutt gratuliert dem Historiker Heinrich August Winkler zum Siebzigsten.

Besprochen wird eine Ausstellung über den Comic als Medium der jüdischen Erinnerung" im Jüdischen Museum Frankfurt und Neil LaButes drei Einakter am Theater Bonn.

SZ, 19.12.2008

Die Schriftstellerin Nadine Gordimer, Mitglied des ANC, prangert im Gespräch mit Werner Bloch schlimme Missstände in Südafrika und in ihrer Partei an. Für eine Katastrophe hält sie, dass ausgerechnet Jacob Zuma neuer Präsident des Landes wird: "Herr Zuma ist ein Problem. Nicht nur, dass er Schmiergeldzahlungen für eine Lieferung von U-Booten von einer deutschen Firma bekommen hat. Die U-Boote waren übrigens so schlecht, dass eines von ihnen nicht mal richtig funktionierte. Er hat auch junge Frauen vergewaltigt, Minderjährige, die seine Schutzbefohlenen waren, Kinder von ehemaligen Kämpfern des ANC. Die Polizei hat die Schreie der Mädchen gehört, gar nicht weit von hier, im Stadtteil Whitcliff. Zuma behauptete später, es sei Sex mit gegenseitigem Einverständnis gewesen. Vor Gericht sagte er: 'Es gehört zum Ehrenkodex der Zulus, eine Frau, wenn man sie erst einmal erregt hat, bis zum Schluss zu befriedigen.'"

Weitere Artikel: Scharf kritisiert Andreas Zielcke in Fortsetzung einer SZ-Debatte manche Kritiker der Patientenverfügung: "Die Kritiker, die der Patientenverfügung misstrauen, weil sie dem Patientenwillen misstrauen, scheint es nach einer paternalistischen Hoheit zu verlangen, die den Patienten im Ernstfall zum Objekt einer ärztlich-autokratischen Fürsorge macht." Christopher Schmidt porträtiert die Schauspielerin Birgit Minichmayr. Gottfried Knapp freut sich über Max Klingers per Restauration wiederauferstandenen "Christus im Olymp". Claus Biegert hat sich mit der US-Linksaktivistin Amy Goodman über den Zustand des US-Linksaktivismus unterhalten. Gustav Seibt gratuliert dem Historiker Heinrich August Winkler zum Siebzigsten.

Besprochen werden das neue Rimini-Protokoll-Stück "Black Tie", die Ausstellung "Mythos Rommel" im Stuttgarter Haus der Geschichte, direkt aus den amerikanischen Kinos Stephen Daldrys Schlink-Verfilmung "Der Vorleser", und Bücher, darunter der Band "Berlin - Ecke Prenzlauer" mit Fotografien von Bernd Heyden (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 19.12.2008

Mark Siemons situiert die "Charta 08" und ihre Demokratie-Forderungen für China im politischen Kontext und stellt fest: "Die Staatspartei diskutiert einstweilen gar nicht, sondern verhört; der am 8. Dezember festgenommene Vorsitzende des Unabhängigen Chinesischen PEN, Liu Xiaobo, ist immer noch in Haft. In den staatlichen Medien wird weder darüber noch über die Charta selbst berichtet. Wie weit das Papier trotz der Kontrollmaßnahmen in China verbreitet ist und wie viel Unterstützung es dort findet, lässt sich schwer abschätzen; mehr als 3600 Chinesen sollen mittlerweile unterschrieben haben."

Weitere Artikel: Karen Krüger notiert die zynische Reaktion von Ministerpräsident Erdogan auf die von privater Seite initiierte Entschuldigung an Armenien: "Offensichtlich haben die Unterzeichner einen Genozid begangen, deshalb bitten sie um Verzeihung. Die türkische Republik hingegen hat so ein Problem nicht." Joseph Croitoru setzt auseinander, wie das Ex-Al-Qaida-Führungsmitglied Doktor Fadhl aus dem Gefängnis heraus seiner Ideologie abschwört. Im Interview mit Bert Rebhandl spricht Armin Müller-Stahl über seine Rolle als Jean Buddenbrook, seine Rollen, seine Kunst und sein Leben. In der Glosse schreibt Jürg Altwegg über ein Zürcher Bekleidungsgeschäft, in dem man mit UBS-Aktien deutlich über Tageskurs bezahlen kann. Thomas Thiel fragt sich, was nach dem Verkauf von Brockhaus an Bertelsmann aus der Enzyklopädie wird. Eine Berliner Diskussion über den Schriftsteller Warlam Schalamow referiert Alexander Cammann. Wiebke Hüster lässt die Sylphide ihr Leben erzählen.

Der italienische Parlamentspräsident und Ex-Faschist Gianfranco Fini hat, wie Dirk Schümer berichtet, in einer Rede nicht nur mit Mussolini abgerechnet, sondern auch das Verhalten der katholischen Kirche im Faschismus kritisiert. Ein Dortmunder Festival zu Ehren Olivier Messiaens, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, hat Gerhard Rohde besucht. Hendrik Wieduwilt informiert darüber, dass die österreichische Buchpreisregelung für aus Deutschland importierte Bücher kippen könnte. Wie Andreas Platthaus meldet, sind die Rechte an den "Asterix"-Comics jetzt in den Besitz der Verlagsgruppe Lagardere übergegangen. Andreas Kilb gratuliert dem Historiker Heinrich August Winkler zum Siebzigsten.

Besprochen werden die Bonner Uraufführung von Neil LaButes "Kriegs"-Trilogie, die Ausstellung "Rational/Irrational" im Berliner Haus der Kulturen der Welt, Claude Millers Film "Ein Geheimnis" und Bücher, darunter ein Band mit Fotografien von Gisele Freund sowie eine Gisele-Freund-Biografie (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).