Heute in den Feuilletons

Guten Tag, wie geht es mir?

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.01.2009. In der Berliner Zeitung erklärt Claude Lanzmann, warum er nicht "Warum" fragt. Die FR greift beherzt ins fallende Messer. Die taz hat das geeignete Lokal für Suhrkamp in Berlin gefunden: das Schloss. Die FAZ bringt einen Artikel von Bernard-Henri Levy zum Gaza-Krieg. In der Welt freut sich der Leiter des Radio Vatikan: Der Papst spricht jetzt den Segen Youbi et Tubi.

Berliner Zeitung, 24.01.2009

Natascha Freundel unterhält sich im Magazin der Berliner Zeitung mit Claude Lanzmann, auch über seinen Film "Shoah". "Die Frage 'Warum' war nie meine Frage. Und ich denke, wenn man der Wahrheit dienen will, sollte man sich von dieser Frage fernhalten. Man muss die Frage nur sehr einfach formulieren, also: 'Warum wurden die Juden ermordet?' - dann zeigt sie sofort ihre Obszönität. Man kann lange in die Tiefen der Geschichte oder Psychoanalyse eintauchen, man kann die ökonomische Krise anführen: Eines schönen Tages begann das Töten. Und es gibt einen Bruch, eine Kluft zwischen den sogenannten Gründen und der Ermordung von Kindern und nackten Frauen. Mit der Frage 'Warum' entzieht man sich der Realität."

TAZ, 24.01.2009

Birgit Glombitza unterhält sich mit dem Filmemacher Dror Zahavi über seinen Film "Alles für meinen Vater", der von einem palästinensischen Selbstmordattentäter erzählt und über die Schwierigkeiten, die es dabei gab: "Während der Dreharbeiten gab es einen Anschlag. Ein Jude wurde erst angeschossen, dann mit einem Kopfschuss liquidiert. Einfach so, auf offener Straße. Außerdem wurden bei dem Attentat noch zwei weitere Israelis verletzt. Nicht nur der Hauptdarsteller Shredy Jabarin, der in seinen Ansichten sehr liberal und moderat ist, auch andere Palästinenser debattierten mit uns lange darüber. Da knallten verbal schon zwei Fronten aufeinander. Der Unterschied ist, dass man beim Drehen gezwungen ist, miteinander auszukommen."

Weitere Artikel: Dirk Knipphals schlägt vor, dass Suhrkamp, falls der Verlag wirklich nach Berlin kommt, ins Stadtschloss ziehen sollte - oder vielleicht doch nach Marzahn. Steffen Grimberg stellt den möglichen Umzug in den Kontext des "kalten Abbaus von Arbeitsplätzen".

In der zweiten taz spricht David Denk mit der "Lulu & Jimi"-Darstellerin Katrin Sass über die Arbeit an diesem und anderen Filmen. Steffen Grimberg hält das deutsche Lesepublikum für reif genug, die kommentierten Originalnachdrucke von Nazi-Zeitungen, die das neue Zeitzeugen-Magazin offeriert, zu rezipieren - ob es allerdings wirklich sein muss, weiß er nicht. Im Dossier des taz mag berichtet Gabriela M. Keller vom Schicksal afrikanischer und asiatischer Hausangestellter im Libanon und ihren finsteren Lebens- und Überlebensbedingungen.

Besprochen werden die Nina-Simone-Retrospektive auf drei CDs "To Be Free - The Nina Simone Story" und Bücher, darunter Jochen Schmidts Lektüreschilderungen "Schmidt liest Proust" und Ralph und Stefan Heidenreichs Essay "Mehr Geld" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Und Tom.

Welt, 24.01.2009

Der Papst hat jetzt einen eigenen Kanal auf Youtube, und Eberhard von Gemmingen, Leiter des Radios Vatikan, findet das gut. Auch wenn er da manchmal in seltsamer Gesellschaft steht: "Das passiert ja auch jetzt schon, dass ich in einer Zeitung etwas Frommes oder Aufbauendes lesen kann neben dem Foto eines wunderschönen nackten Mädchens oder neben einer schlechten oder verfälschten Meldung einer grauenhaften Politik. Aber dass der Papst auf den Areopag geht, ist einfach gut."

Weitere Artikel: Das vielgescholtene "Dschungelcamp" zeigt auch nicht mehr öffentliche Entblößung als Ludwig XIV. vor seinem Hof, meint Holger Kreitling. Ulrich Weinzierl amüsiert sich über den Rummel um die Mediensatire "Pension Fritzl" in Wien. Sänger Alex Kapranos spricht im Interview über seine Band Franz Ferdinand, die gerade ihr drittes Album herausgebracht hat. Der Linguist Ulrich Ammon betont die Wichtigkeit der deutschen Sprache für die Geisteswissenschaften. Tilman Krause war bei einer Podiumsdiskussion über Wilhelm II. in Berlin. Hanns-Georg Rodek gratuliert dem Regisseur Joseph Vilsmaier zum Siebzigsten. Gernot Facius erinnert an die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils vor fünfzig Jahren.

Beprochen werden die Ausstellung "Embedded Art" in der Berliner Akademie der Künste und David Martons Inszenierung der "Lulu" in Hannover.

In der Literarischen Welt reist der österreichische Schriftsteller Rudi Palla zum Grab von Bruce Chatwin auf der südlichen Peloponnes. Tilman Krause erinnert sich daran, wie Tom Cruise bei den Dreharbeiten zum "Operation Walküre" im Borchardt Hof hielt. Tanya Lieske porträtiert die britische Schriftstellerin und Drehbuchautorin Sadie Jones. Besprochen werden unter anderem Thomas Bernhards Buch "Meine Preise", Jochen Köhlers Moltke-Biografie und Sandor Marais Tagebücher.

NZZ, 24.01.2009

In Literatur und Kunst erinnert die in der Schweiz lebende chinesische Autorin Yen Minju an die Kulturrevolution und ihre bis heute kaum bewältigten Folgen: "Die Chinesen waren 'in den Kommunismus hineingerannt'. Die Kommunistische Partei Chinas ist aber durch die Kulturrevolution schwächer geworden. Die 'siebzehn Jahre' werden heute neu bewertet, alle Kampagnen gelten nun als falsch. Während der Kulturrevolution musste man gezwungenermaßen nach der Arbeit den Politikunterricht besuchen. Heutzutage ist jedes politische Engagement des Volkes der chinesischen Regierung ein Dorn im Auge."

Weitere Artikel: Philipp Hildebrand erinnert an Albert Gallatin, einen aus Genf stammenden Gründervater des amerikanischen Finanzsystems. Besprochen werden einige Bücher, darunter eine Neuübersetzung des "Don Quijote".

Im Feuilleton kommt Andrea Köhler nochmal auf Barack Obamas Versprecher im Moment des Amtseids zu sprechen. Samuel Herzog stellt die Zusammenarbeit zwischen Google Maps und dem Prado vor, dessen Bilder in schärfster Auflösung bei Google zu betrachten sind. Paul Jandl berichtet über die Intendantensuche bei den Salzburger Festspielen. Besprochen Danny Boyles Film "Slumdog Millionaire" und Bücher (unter anderem wendet sich Joachim Güntner gegen Bücher von Autoren der Achse des Guten).

Weitere Medien, 24.01.2009

Simon Hattenstone fragt im Guardian, warum Vorurteile gegen Rothaarige, englisch "Gingism" immer noch erlaubt zu sein scheinen. "I should know. I've got previous. In my time I have been a revolting gingist. My daughter Alix was born 17 years ago with a fine carrot topping. Over time, she developed into a fully-fledged ginger. Ginger is one of the first words she learned. Why? Because I called her my little ginge, my ginger darling - on a good day." Begleitet wird der Artikel mit einer umwerfenden Serie von Porträts Rothaariger der Fotografin Jenny Wicks.

Aus den Blogs, 24.01.2009

Markus Beckedahl von Netzpolitik.org erklärt im Blog der Kollegen von Medienlese, wie sich Journalisten gegen die Vorratsdatenspeicherung schützen können: "Eine alternative Möglichkeit ist sicherlich, mit dem Journalisten per verschlüsselter Mail (PGP/GNUPG) Kontakt aufzunehmen und dafür ein Mailanbieter im fernen Ausland zu nutzen, den man mit Anonymisierungssoftware wie Tor ansurft. Allerdings sollte der Journalist auch PGP nutzen und sein offener Schlüssel bekannt sein. Sonst kann man ihn ja nicht anschreiben." Verstanden?

Dieses irritierende Bild fanden wir bei Gawker. Mehr hier.

FR, 24.01.2009

Gekürzt nachgedruckt wird ein in der Berliner Zeitung erschienener, immer noch sehr langer Text von Regine Sylvester, in dem sie am eigenen Beispiel das durchaus selbstverschuldete Leiden einer Frau aus dem Osten an der Welt kapitalistischer Geldvermehrungs-Imperative beschreibt: "In meinem Depot herrscht viel Verkehr. Ich frage meine Bankfrau, warum ich einen bestimmten Fonds nach kurzer Zeit schon wieder verkaufen solle. 'Die Biester laufen nicht', sagt sie. Dieser Spruch begleitet uns jahrelang. Sie empfiehlt mir einen anderen, einen besseren Fonds. Ich kenne die Börsenweisheit: 'Hin und her - Taschen leer!' Aber es gibt so viele Sprüche. Manche widersprechen sich: 'Kaufe, wenn alle verkaufen' passt nicht zu 'Greife nie in ein fallendes Messer.' Ich bin ein kleines Licht und vertraue dieser Frau."

Weitere Artikel: In ihrer US-Kolumne stellt Marcia Pally zur Obama-Amtseinführung fest, dass sich "die tektonischen Platten des amerikanischen Zeitgeistes" tatsächlich verschieben. Peter Michalzik fragt sich in einer Times Mager, was "man darf "- wie zum Beispiel: darf man Thomas-Mann-Romane auf die Bühne bringen?

Besprochen werden eine Ausstellung zur Venus von Willendorf im Naturhistorischen Museum in Wien, eine Mainzer Inszenierung von Stephane Bittouns "Family Affairs 2274", ein Frankfurter Konzert des Hagen Quartetts, und Bücher, darunter Michael Sollorz' Roman "Die Eignung" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 24.01.2009

Bernard-Henri Levy versucht sich in Israel und in Ägypten ein Bild von der Lage zu machen. Unter anderem hat er Ehud Barack getroffen, der ihm das israelische Dilemma schildert: "'Zwei Möglichkeiten', erklärt er mir in einem Ton, in dem sich, ich könnte es schwören, die Neugier eines Strategen auf eine unerhörte Taktik findet. 'Entweder wir sind rechtzeitig informiert und schießen nicht, dann haben sie gewonnen. Oder wir kennen das Umfeld nicht und schießen doch, dann filmen sie die Opfer, schicken die Bilder an die Sender, und dann haben sie ebenfalls gewonnen.'" (Selbst im zahlbaren Onlinebereich der FAZ, der Abonnenten zugänglich ist, haben wir diesen Artikel nicht gefunden. Wer französisch kann, liest den Artikel hier.

Anmerkung vom 26. Januar. Später wurde der Artikel online freigeschaltet. Hier der Link.)

Weitere Artikel: Im Leitartikel auf Seite 1 des politischen Teils bestätigt sich Frank Schirrmacher nochmals, recht gehabt zu haben mit seiner Vermutung, dass der Film "Operation Walküre" das Bild Deutschlands in der Welt verändere. "Schade", ruft Karl-Peter Schwarz zur Meldung, dass Milan Kundera nun also definitiv nicht gegen die Zeitschrift Respekt klagen wird, die ihm einen fatalen Verrat zu Studentenzeiten nachwies (siehe unser Dossier). Christian Geyer schreibt über das bayerische Verbot einer Zeitschrift mit Faksimiles von Zeitungen der NS-Zeit. Stefanie Peter berichtet über den Verfall der Überreste des Lagers Auschwitz, der jetzt durch das Geld einer Stiftung aufgehalten werden soll. Andreas Platthaus freut sich, dass die in Not geratene Privatuni in Witten nun doch Staatshilfe bekommt. Jordan Mejias liest amerikanische Zeitschriften, die sich mit der Ankunft Obamas befassen. Werner Spies berichtet über die Einweihung einer Place Andre Breton in Paris.

Besprochen werden die "Lustige Witwe" in Hamburg, ein Konzert der Kaiser Chiefs in Köln und die neue Platte von Franz Ferdinand.

Auf der Schallplattenseite unterhält sich Eleonore Büning mit der Mezzosopranistin Elina Garanca. Auf der Medienseite wendet sich Norbert Schneider von der Landesanstalt für Medien in NRW gegen die Ausstrahlung der Dokumentation über den Freitod des Briten Craig Ewert durch Focus TV.

Für Bilder und Zeiten besucht Melanie Mühl das entlegene Dorf Golzern in den Schweizer Alpen. Regina Mönch betrachtet die Fotos Bernd Heydens aus dem Prenzlauer Berg in den siebziger Jahren, die jetzt in einem Bildband ediert wurden. Auf der letzten Seite spricht Niklas Bender mit dem Gärtner von Versailles, Alain Baraton. Auf der Literaturseite wird unter anderem eine Neuübersetzung der Gedichte Silvia Paths besprochen.

Für die Frankfurter Anthologie liest Sebastian Kleinschmidt ein Gedicht Hölderlins: "Des Morgens -
Vom Taue glänzt der Rasen..."

SZ, 24.01.2009

Georg Diez hat sechzehn Jahre nach Leander Haußmanns legendärer Münchner "Romeo und Julia"-Inszenierung die Hauptpersonen, vom Regisseur bis zur Julia-Darstellerin Anne-Marie Bubke, wiedergetroffen, die sich fast alle noch lieben und hassen wie einst. Jonathan Fischer referiert amerikanische Diskussionen, ob die perfekte Familie Obama als Vorbild für afro-amerikanische Familien taugen kann, in denen es statistisch gesehen weit weniger ideal zugeht. Petra Steinberger stellt den pazifistischen israelischen Sänger Aviv Geffen vor. Mit Blick auf aktuelle Diskussionen fragt Reinhard J. Brembeck, ob München einen neuen Konzertsaal braucht. Er sagt nicht nein, glaubt aber, dass die Musik in München auch in alten Bauten weiterblüht. Michael Struck-Schloen porträtiert Stefan Blunier, den neuen Bonner Generalmusikdirektor. Roman Deiniger erzählt, wie die Rechte an Ingmar Bergmans Filmen ausgerechnet im amerikanischen Aspen landeten. Vom Symposion "Ritual. Macht. Blasphemie" über das Verhältnis von Kunst und Katholizismus in Österreich berichtet Christian Jostmann. Darüber, wie gelungene Elektroautos aussehen könnten, denkt Oliver Herwig nach. Wie in einem Wettbewerb das offene Ende des Films "The Italian Job" zu einer befriedigenden Lösung gebracht wurde, weiß Alexander Menden. Stefan Koldehoff verabschiedet die Schweriner Museumsdirektorin Kornelia von Berswordt-Wallrabe in den Ruhestand. Auf der Literaturseite erinnert Alexander Menden zu dessen 250. Geburtstag an den schottischen Nationaldichter Robert Burns.

Besprochen werden die Ausstellung "Paris/New York" im Museum of the City of New York, der Animationsfilm "Bolt" von Byron Howard und Chris Williams, der jetzt in München anlaufende Film "Ich will da sein - Jenny Gröllmann" und David Sedaris' Erzählungsband "Schöner wird's nicht" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Im Aufmacher der SZ am Wochenende denkt Stefan Gabanyi über unseren - unverantwortlichen - Umgang mit Wasser nach. Der Reporter Stefan Klein erzählt, wie er einmal einer alten Geschichte nachrecherchierte und sich selbst bei der Gelegenheit unvermutet nicht im allerbesten Licht zu sehen bekam. Holger Liebs porträtiert den Künstler Peter Piller. Abgedruckt wird Jochen Missfeldts Text "Geistige Merkmale: Lyrik" mit "Erinnerungen über das Dichten, das Denken und das Militär". Michaela Haas eröffnet ihr Gespräch mit dem Psychologen Paul Ekman zum Thema "Lügen" mit der Frage "Guten Tag, Herr Professor, wie geht es mir?"