31.01.2009. Der Islam war im Iran nie so verpönt wie heute, erklärt der deutsch-iranische Schriftsteller Said in der FR. Im Guardian sieht Ian McEwan das Ende des Goldenen Zeitalters der amerikanischen Literatur gekommen. In der taz fürchtet der Journalist Kadri Gürsel eine geistige Abkopplung der Türkei vom Westen. Die Welt bilanziert das vergangene Krimijahr. FAZ und NZZ begehen den 200. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy.
FR, 31.01.2009
"Zum ersten Mal nach einigen 100 Jahren hat
eine Religion die Macht übernommen! Ein Unikum in der modernen Zeit. Ich glaube, der Westen hat immer noch nicht die Tragweite dieses Ereignisses begriffen",
sagt der deutsch-iranische
Schriftsteller Said, der in einem Gespräch mit Arno Widmann auf die
Islamische Revolution vor dreißig Jahren zurückblickt, als der
Ayatollah Chomeini - mit der Sympathie der westlichen Linke - den Schah von Persien stürzte. Anzeichen für ein Ende der Mullah-Herrschaft sieht Said nicht: "Es gibt Tendenzen, leider auch fatale. Noch nie wurde
so viel Alkohol getrunken, noch nie waren so viele Jugendliche drogenabhängig. Nirgends im Nahen Osten sind die Moscheen so leer wie im Iran. Dieser Islam, der als Allheilmittel gepriesen worden ist, bekommt nicht einmal die
Tomatenpreise in den Griff. Kurz gesagt: Diejenigen, die mit Parolen gegen die gottlose Dekadenz an die Macht gekommen sind, sorgen nun dafür, dass die Religion immer mehr Anhänger verliert. Ich wage zu behaupten, dass der Islam im Iran
nie so verpönt war wie heute."
Und der Schriftsteller
Faraj Sarkohi erinnert sich, wie er erst von den Schergen des Schah, dann von denen Chomeinis in die
Folterzellen geteckt wurde. "Bei einem Verhör reichte der Beamte, der vom CIA geschult worden war, meine schriftlichen Antworten ins Nebenzimmer weiter. Ein Amerikaner, der Persisch sprach, las sie und stellte neue Fragen. Er wollte unbedingt verstehen, warum die Intellektuellen Amerika, das uns vor den kommunistischen Nachbarn bewahre und uns
zur Zivilisierung verhelfe, als Gegner betrachteten. Meine Antworten befriedigten ihn nicht. Eine Folterzelle war nicht gerade der ideale Ort für Diskussionen über den verletzten Stolz einer Nation, die seit Jahrhunderten unter ausländischen Mächten litt. Einige der
Folterbeamten des Schahs, die in Amerika geschult worden waren, wurden später in der Islamischen Republik in die DDR entsandt, damit sie ihre Fertigkeiten auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs vervollkommnen. Als ich vor zwölf Jahren wegen meines Engagements gegen die Zensur im Gefängnis saß, verhörte mich einer dieser Beamten. Ich war gefesselt und wurde
mit Kabeldraht ausgepeitscht."
Im Feuilleton
macht einem Ina Hartwig große Lust,
Andreas Maiers neuen Roman
"Sanssouci" zu lesen: "Der vierte Roman von Andreas Maier ist ein höchst merkwürdiges Buch, vielleicht
das merkwürdigste der Saison. Es ist ein böses, ein rätselhaftes und gerade deshalb ein spannendes und manchmal ein ätzend komisches Buch. Es heizt unsere Phantasien an, führt uns an die Tür de Sadescher Wunderkammern und lässt uns doch keinen Blick erhaschen vom Geschehen darinnen."
Weitere Artikel: In ihrer US-Kolumne
schreibt Marcia Pally über
Puppen - schwarze und weiße. Peter Michalzik
denkt in einer Times Mager über die
Gespensterhaftigkeit von Finanzkrise und steigenden Arbeitslosenzahlen nach. Christian Thomas
macht uns näher mit der von Magdeburg nach Halle entführten
Editha bekannt. Hans-Jürgen Linke
stellt das von Jean Nouvel entworfene neue
Konzerthaus in
Kopenhagen vor.
Besprochen werden
Armin Petras' Theater-
Fassung von Werner Bräunigs Roman "Rummelplatz" am Berliner Maxim Gorki Theater,
Morgan Fishers ortsspezifische
Installation "Portikus Looks at Itself" im Frankfurter
Portikus, eine
Aufführung von
Robert Thomas' Krimikomödie "Die Falle" in Frankfurt und Guy Deutschers Linguistik-
Einführung "
Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
Weitere Medien, 31.01.2009
Ian McEwan schreibt im
Guardian den Nachruf auf
John Updike: "And now this masterly blasphemer, whose literary schemes and pretty conceits touched at points on the Shakespearean, is gone, and American letters, deprived in recent years of its giants, Bellow and Mailer, is a levelled plain, with one solitary peak guarded by Roth. We are coming to the
end of the golden age of the American novel in the 20th century's second half."
Welt, 31.01.2009
In der Randspalte
meldet Wieland Freund, das die
Washington Post ihre Literaturbeilage künftig nur noch im Internet veröffentlichen wird: "Ohne Buchdruck keine Prosa, ohne Schreibmaschine keine konkrete Poesie, könnte man sagen. Die
digitale Literaturkritik also wird sich von der analogen unterscheiden." Uta Baier
erzählt die bittere Geschichte der Gemälde des Sammlers Paul Westheim, zu denen auch
Iwan Punis "Stillleben mit weißer Flasche" gehört, das die
Berlinische Galerie nun womöglich an die Erben zurückgeben muss. Uwe Wittstock
ächzt, dass schon wieder ein Schiller-Gedenkjahr ins Haus steht, nur vier Jahre nach dem letzten. Der Theologe
Klaus Berger widerspricht Theorien der Bibel-Auslegung, nach denen aus der "jungen Frau" Maria durch einen Übersetzungsfehler eine "Jungfrau" geworden sei. Lisa Grotz
unterhält sich mit der neuen Generaldirektorin des
Kunsthistorischen Museums in Wien,
Sabine Haag: "Die ästhetisch humanistische Bedeutung des Sammelns bedarf einer neuen Wertschätzung. Als
Barockmensch plädiere ich für die
Opulenz."
Besprochen werden Armin Petras'
Bühnen-Adaption von
Werner Bräunigs Roman "Rummelplatz" für das Berliner Maxim Gorki Theater, das
Album "Bel Canto" der lettischen
Mezzo-Sopranistin Elina Garanca und die neue im ZDF gezeigte Krimistaffel "Lewis".
In der
Literarischen Welt bilanziert Tobias Gohlis das vergangene Krimijahr als fast verlorenes Jahr:
"Unisono gingen der Deutsche Krimipreis und der erste Platz der KrimiWelt-Bestenliste an denselben Titel,
Richard Starks 'Fragen Sie den Papagei'. Ein tolles Buch, ein cooler Autor. Doch leider ist er am Silvesterabend 2008 verstorben. Ist das wirklich der herausragende Krimi des vergangenen Jahres? Der
dreiundzwanzigste Roman einer Serie um einen Helden, der 1962 das Licht erblickte? Die Wahl von Richard Starks Parker-Roman ist Symptom. Das Genre befindet sich in einer Art Besinnungspause. Zwar entdecken die Verlage pro Saison mindestens ein neues Genie. Aber das entpuppt sich dann meistens wie der
überhypte Schwede Stieg Larsson als mittelmäßig begabter Kompilierer oder einfach als die übliche Dutzendware, heute gekauft und morgen für immer vergessen. Ansonsten wurde im vergangenen Jahr hauptsächlich wiederentdeckt, reanimiert, musealisiert... Vielleicht ist das
Genre: kurzes Gedächtnis, wenig Traditionsbewusstsein.
Außerdem hat Ulrich Wickert
Günter Grass besucht, dessen Tagebücher aus dem Jahr 1990 demnächst erscheinen ("Einblicke in eine verletzliche Seele").
Aus den Blogs, 31.01.2009
In der Achse des Guten
ärgert sich Richard Wagner über die Vorliebe der Feuilletons für den
Schriftsteller und Nachwuchskommunisten
Dietmar Dath: "Zum frappierendsten an der Sache gehört die Begründung aus den Reihen der Kunstrichter und Journalverzauberer: Dath sei der einzige jüngere Autor, der sich eindeutig politisch positioniere. Wie bitte? Was hat denn das Bekenntnis zum Kommunismus mit Politik zu tun? Dath kommt schließlich nicht aus der DKP, sondern von
Spex.
Spex aber war bekanntlich ein notorischer Treffpunkt von Pop und Kulturwissenschaft.
Zizek für den Jungspießer, der zwar den gleichen Bausparvertrag besitzt wie seine Eltern, aber auf dem Handy die Internationale als Klingelton nutzt.
NZZ, 31.01.2009
Sieglinde Geisel begegnet im Grunewald einem der geschätzten 6.000
Berliner Wildschweine. Marc Zitzmann berichtet kurz über den Familienrechtsstreit um "Asterix". Die
Brandeis University will ihre Kunstsammlung verkaufen, um "ein nicht näher beziffertes Loch" zu stopfen, meldet Andrea Köhler.
Besprochen werden die
Ausstellung "
Bildwelten - Afrika, Ozeanien und die Moderne" in der Riehener
Fondation Beyeler und
Armin Petras'
Inszenierung von Bräunigs "Rummelplatz" am Berliner Gorki-Theater
Literatur und Kunst ist fast ganz dem vor 200 Jahren geborenen
Felix Mendelssohn Bartholdy gewidmet. Ernst Lichtenhahn
würdigt sein Werk. Daniel Ender
stellt die neue Mendelssohn-Biografie von
R.
Larry Todd vor (hier eine
Leseprobe). Peter Hagmann
schreibt über Mendelssohn und seine
Interpreten. Martin Staehelin
denkt über die Bedeutung von Mendelssohns
Konversion zum Christentum nach. Judith Klein
schreibt zum 100. Geburtstag von
Simone Weil.
TAZ, 31.01.2009
Kadri Gürsel, Journalist der Zeitung
Milliyet,
warnt vor einem
Abdriften der Türkei in Richtung Osten - den Ausbruch des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen den israelischen Präsidenten Shimon Peres in Davos findet er da ganz typisch: "Die Türkei führt ihre Beziehungen zur EU zwar weiter, aber es gibt eine
geistige Abkopplung. Der Fall Gaza wurde missbraucht. Rassismus und Antisemitismus werden geschürt. Das Land nähert sich eher dem Nahen Osten, der geistigen Welt des Nahen Ostens. Die Entfernung von westlich-universellen Normen ist aber langfristig eine Gefahr für die Demokratie in der Türkei. Das führt zum
religiösen Communitydenken und zu reaktionären Vorstellungen."
Weitere Artikel: Claudia Lenssen
unterhält sich mit
Philipp Bräuer, dem Leiter des Saarbrücker
Max-Ophüls-Festivals für deutsche Nachwuchsfilmer. Für die
zweite taz hat Cigdem Akyol Kamil Kaplan
getroffen, der bei der
Brandkatastrophe von Ludwigshafen
vor einem Jahr Frau, Mutter, Kinder verlor.
Besprochen werden Armin Petras' Theater-
Fassung von Werner Bräunigs Roman "
Rummelplatz", die
Ausstellung "
Embedded Art - Kunst im Namen der Sicherheit" in der Berliner
Akademie der Künste, Luigi Falornis
Film "Feuerherz" und Bücher, darunter
Stefan Weidners Essay "Manual für den Kampf der Kulturen" und
Thomas Meineckes neuer
Diskursroman "Jungfrau" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
Im Dossier des
taz mag geht es um unseren
Umgang mit Tieren, unter anderem unter den Aspekten
"Aufessen oder Streicheln?" und
"Liebe macht Mist".
Und
Tom.
FAZ, 31.01.2009
Alexander Cammann
mokiert sich über den Geschichtsprofessor
Jürgen Kocka, der im
Merkur die Dissertationen seiner Studenten lobt, die sich wiederum gern mit Kockas Förderer
Werner Conze beschäftigen. Gina Thomas
schreibt über die
Krise in Großbritannien. Abgedruckt ist das Gedicht "Requiem Requiem" von
John Updike. Kkr. kritisiert in der Leitglosse den wahlkampftauglichen
Abgang Erdogans in Davos. Igl. meldet das Erscheinen des neuen, überarbeiteten
Kindlers online und im Print. Jürgen Dollase isst bei Söhnen berühmter Väter, nämlich bei
Jean-Yves Schillinger im "JY's" und bei
Philippe Gaertner im "Aux Armes de France". Hendrik Wieduwilt berichtet vom Prozess um ein Buch, das eine geistige und physische Nähe
Magda Schneiders zu führenden
Nazis behauptet. Sybille Menke-Kasugai schreibt zum Tod von
Irmtraud Schaarschmidt-Richter, Edo Reents zum Tod des Folksängers
John Martyn. Für die letzte Seite schickt Andreas Lesti eine Reportage über zwei Bergsteiger, die vor fünfzig Jahren auf dem
Gipfel des Cerro Torre gewesen sein sollen - oder auch nicht.
In Bilder und Zeiten schreibt Julia Spinola zum zweihundertsten Geburtstag
Felix Mendelssohn Bartholdys. Edo Reents erinnert an den vor 50 Jahren verunglückten
Buddy Holly. Kerstin Holm berichtet von der Reise des Direktors des Aachener
Suermondt-Ludwig-Museums auf die
Krim, wo seit dem Zweiten Weltkrieg
verschollene Gemälde aufgetaucht sind. Und
Meryl Streep lüftet im
Interview "das wahre Geheimnis jeder glücklichen Partnerschaft: getrennte Badezimmer!".
Besprochen werden die Aufführung von
Händels "Partenope" in Ferrara mit Elena Monti in der Titelrolle ("deliziös und zierlich"),
Armin Petras'
Bearbeitung von Werner Bräunigs Roman "Rummelplatz" für das Berliner Gorki-Theater und Bücher, darunter
Mathias Gatzas Debütroman "Der Schatten der Tiere" (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Auf der Schallplatten- und Phono-Seite geht's um
britischen Prahlhans-Rock von
Glasvegas,
Bach-Solokantaten mit Nathalie Dessay und Bernarda Fink, "Canti Drammatici" mit dem
Ensemble Raro, Rap von
Roots Manuva, Techno-Lieder von
Fenin und "eine ellenlange Folge von Liedtranskriptionen" für den Bratscher
Nils Mönkemeyer.
SZ, 31.01.2009
Johan Schloemann findet, dass Deutschland von Amerika nicht zuletzt lernen kann, sich selbst auf höherem Niveau
feiernd zu repräsentieren. Andrian Kreye
beschäftigt sich mit der "
Maskulinisierung" des Christentums beim US-Prediger Mark Driscoll und beim Bibel-Vorleser
Ben Becker. In einem kurzen Interview stellt
Sabrina van der Ley ihre Pläne als neue Leiterin der
Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle vor. Susan Vahabzadeh denkt über den Riesenerfolg des "
Mamma Mia!"-Musicals (inklusive Filmversion) nach. Alexander Menden teilt mit, dass der scheidende Chef des englischen
Arts Council sich gegen Kritik an seiner Institution verwahrt. Gottfried Knapp informiert darüber, dass
Wilhelm Leibls "Bauernmädchen"-Gemälde an die Erben seiner einstigen Besitzer zurückgegeben werden muss. Fritz Göttler gratuliert der Hollywood-Schauspielerin
Jean Simmons zum Achtzigsten. Zum Tod des schottischen Folk-Gitarristen
John Martyn (
Website) schreibt Karl Bruckmaier.
Auf der Literaturseite gratuliert Johannes Willms der legendären
Nouvelle revue francaise zum Hundertsten. Tobias Lehmkuhl hat einen Auftritt des Trend-
Denkers Malcolm Gladwell in Berlin erlebt. Lothar Müller schreibt zum Tod des Autors und Übersetzers
Christian Enzensberger.
Mit lakonischem Realismus betrachtet auf der Medienseite der Literaturkritiker
Denis Scheck sein Schicksal, das ihn immer sonntags zu später Stunde mit
"Druckfrisch" auf Sendung schickt: "Wissen Sie, Sendeplätze werden nicht nach
Lotterieprinzip vergeben. Ich habe wirklich den Verdacht, dass ich diesen Sendeplatz habe, weil weniger Leute 'Druckfrisch' sehen wollen als den 'Tatort'."
Besprochen werden Armin Petras' Theater-Version von Werner Bräunigs Roman "
Rummelplatz" im Berliner Maxim Gorki Theater, Christof Loys Inszenierung von Richard Strauss' "
Arabella" in Frankfurt, eine Inszenierung von Tschaikowskijs "
Pique Dame" an der Komischen Oper in Berlin, ein von
Daniel Harding dirigiertes Konzert mit Strauss, Sibelius, Mozart und Berg in München, die
Ausstellung "
Art and Love in Renaissance Italy" im New Yorker
Metropolitan Museum, das neue Album "Yesterdays" von
Keith Jarrett und der
Thomas-Bernhard-Nachlassband "Meine Preise" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
Im Aufmacher der
SZ am Wochenende klagt Tobias Kniebe zum
Berlinale-Start: Der Virus des "
Großmimentums" geht um. Jan Brandt schildert, wie ein Besuch von Andy Warhol die Künstler-Karriere des Malers
Werner Hoeflich dann doch nicht beflügelte. Michael Michalsky hat Einschätzungen von
Mode-Designern zu den Folgen der Finanzkrise für ihre Branche erfragt. Auf der Historien-Seite geht es um die
Revolution im Iran vor dreißig Jahren. Abgedruckt wird David Wagners Erzählung "
Der Gabi-Bikini". Anne Ameri-Siemens unterhält sich mit der iranischen Friedensnobelpreisträgerin
Shirin Ebadi über das "Recht" und über die Errungenschaften des Präsidenten
Mahmud Ahmadinedschad: "Es gibt keine, die mir da im Moment einfallen würden."