Heute in den Feuilletons

Kuchen umsonst

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.05.2009. In der SZ erzählt der Künstler James Turrell, wie er den Sammlern Licht verkauft. Die FAZ bringt weitere Artikel gegen Open Access. Und Martin Walser verteidigt den Kapitalismus. Die FR schätzt Wolfgang Rihms "Proserpina" als feministische Oper. Thomas Knüwer hat für Indiskretion Ehrensache den Guardian besucht, wo die Printjournalisten dem Prekariat aus der Online-Abteilung gleichgestellt werden.

Aus den Blogs, 06.05.2009

Der Urheberrechtsexperte Till Kreutzer analysiert für die Seite irights.info die "Total-Buy-Out"-Verträge, die deutsche Medien ihren freien Journalisten vorlegen und muss festellen, dass die Autoren in diesem Spiel so gut wie chancenlos sind - selbst vor Gericht: "Davon, dass das seit 2002 geltende Urhebervertragsrecht gemeinsam mit dem AGB-Recht einen 'lückenlosen Schutz' bietet, wie es sich der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung auf die Schulter klopfend selbst attestiert, kann nach alledem keine Rede sein."

Thomas Knüwer hat für sein Blog Indiskretion Ehrensache den Guardian besucht, der deutschen Printjournalisten wie die Hölle vorkommen muss: "In drei großen Ressorts hat der Guardian die Grenzen zwischen Online- und Print-Redakteuren aufgehoben - es gibt nur noch Redakteure. Und das bedeutet eben auch: Der bisherige Zeitungsredakteur muss gelegentlich Schichtdienst für Online machen."

In einem sehr gut dokumentierten Hintergrundtext zur regierungsseitig geplanten Kinderpornosperre hat Lutz Donnerhacke für Netzpolitik.org auch in der Kriminalstatistik recherchiert. Die behauptete Zunahme von Kinderpornografie im Netz hat er dort nicht gefunden: "Die schweren Misshandlungen gemäß §176a erscheinen unter den Schlüssel 1316 bis 1318. Hier liegen die Fallzahlen konstant bei 1200 Fällen pro Jahr zwischen 1999 bis 2007. Diese Zahlen zum realen Missbrauch wurden für 2007 von Christian Bahls nochmals im Detail betrachtet und zeigen, dass mehr als 99 Prozent der realen Missbrauchsfälle ohne Erzeugung von Bildmaterial standfinden. Die meisten Vorfälle sind dabei auch noch frühsexuelle Erfahrungen von Teenagern untereinander. Die von der Bundesregierung als Hauptargument ins Feld geführten Kindesmisshandlungen zur Erstellung von Kinderpornografie umfassen circa 100 Verdachtsfälle pro Jahr und sind rückläufig."

Welt, 06.05.2009

Für Sven Kellerhoff geht völlig in Ordnung, dass die Jury den Wettbewerb zum Einheitsdenkmal entnervt abgebrochen beendet hat, dessen Einsendungen in einer Ausstellung zu begutachten sind: Ein Viertel der Entwürfe sei Schrott, der Rest nicht zu gebrauchen: "Etwa die offenkundige Parodie, ein Rudel blau-weißer Schlümpfe auf ein Steinpodest zu stellen; die Idee, gegenüber dem wieder aufgebauten Stadtschloss ein 'Cafe Deutschland' einzurichten, in dem es zum Tag der Deutschen Einheit Kuchen umsonst gibt."

Weiteres: In einem weiteren Artikel unterhält sich Sven Kellerhoff mit dem Geschäftsführer der Robert-Havemann-Gesellschaft, Olaf Weißbach, über die Open-Air-Ausstellung zu 1989 auf dem Alexanderplatz. In der Randglosse bemerkt Peter Dittmar, dass es den großen Auktionshäusern gerade gar nicht gut geht, vielleicht weil Kunstverkäufer im Moment eher auf den diskreten Kunsthandel denn auf öffentliche Auftritte setzen.

Besprochen werden die Michelangelo-Ausstellung im Frankfurter Städel, Mauro Bigonzettis Händel-Choreografie beim Wolfsburger Movimentos-Festival, das Album "Roadsinger" von Yusuf Islam (der sich, wie Michael Pilz meint, jetzt nur noch Yusuf nennt, aber fast schon wieder nach Cat Stevens klingt), Sam Mendes' "Kirschgarten"-Inszenierung mit Ethan Hawke und Rebecca Hall bei den Ruhrfestspielen und der ARD-Krimi "12 Winter".

NZZ, 06.05.2009

Marianne Zelger-Vogt bewundert in einer Wiener Inszenierung von Wagners "Rheingold" die raffinierte Ausleuchtung der Räume durch Rolf Glittenberg: "So wachsen die Rheintöchter (Ileana Tonca, Michaela Selinger, Elisabeth Kulman) in ihren wallenden Stoffhüllen gleichsam aus dem Rheingrund heraus, während ein flimmernder Lichtschimmer am oberen Bühnenrand (Video Friedrich Zorn) den Wasserspiegel erahnen lässt. Taghell ist es dann auf den Bergeshöhen, wo die Götter vor der zart gezeichneten Silhouette ihrer künftigen Wohnstätte auf mächtigen Quadersteinen lagern, 'durch Schönheit herrschend', derweil die Riesen Fasolt (Sorin Coliban) und Fafner (Ain Anger) wie wandelnde Kohletürme einherschreiten."

Weitere Artikel: Marc Zitzmann hat sich die Pläne von zehn Architektenteams für den Großraum Paris angesehen, die gerade in einer Ausstellung in der Pariser Cite de l'architecture & du patrimoine gezeigt werden. Klaus Bartels sinniert über Epidemie und Pandemie. Brigitte Kramer stellt David Truebas preisgekrönten Roman "Saber perder" zu Spaniens Krise vor.

Besprochen werden James Marshs Dokumentarfilm "Man on Wire", Lothar Galls Buch "Walther Rathenau. Portrait einer Epoche" sowie Kinder- und Jugendbücher (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 06.05.2009

Deutschen Privatstiftungen fehlt es neben den üblichen Betätigungsfeldern wir Kultur, Sport oder Bildung an Innovationskraft, meint Jörg Rohwedder, der selbst Geschäftsführer einer Stiftung ist: "Wichtige Themen wie Globalisierung, Nord-Süd-Gerechtigkeit und Menschenrechte fehlen in dieser Liste ganz. Dass Stiftungen neue Themen nur schwer aufgreifen können, ergibt sich schon aus ihrer konservativen Struktur. Der Stiftungszweck wird vom Gründer unwiderruflich festgeschrieben und lässt sich nicht mehr ändern."

Auf der Kulturseiten erklärt der Philosoph Raffaele Simone im Gespräch mit Milvia Spadi seine Ansicht zum Niedergang der Linken in Italien und überall sonst. Robert Misik setzt sich in der Zeitschriftenschau mit einer Nummer der Texte zur Kunst auseinander. Besprochen wird ein auf den Grimmschen Märchen beruhendes Spektakel des Regisseurs Simon Solberg am Schauspiel Frankfurt.

Auf tazzwei untersucht Katharina Finke die Versuche der deutschen Parteien, sich im Internetwahlkampf modern zu geben.

Und Tom.

FR, 06.05.2009

Na also, wenigstens einer, der beim Anblick eines Gynäkologenstuhls nicht gleich vor Peinlichkeit erstarrt! In Wolfgang Rihms "Prosperina" haben "immerhin Goethe, Rihm und Neuenfels die Partei der Frau ergriffen", wie Joachim Lange zufrieden anmerkt. "Rihm stellt sich mit seiner Vertonung des Goethetextes vehement auf die Seite dieser Frau. Nicht nur, indem er der brillanten Mojca Erdmann seine ariosen Bögen und dramatischen Koloraturen, inklusive eines augenzwinkernden Verweises auf die Königin der Nacht, gleichsam maßgeschneidert in ihre junge Kehle komponierte. Auch, weil er sie als eine bedrängte Frau zeigt, die rebelliert, die sich nicht nur zurücksehnt, sondern die auch vehement, auf ihrem Recht an ihrem Körper und ihrer Selbstbestimmung besteht. Doch auch ihre Schwäche und die Verzweiflung, mit der sie sich am Ende mit ihrem Schicksal arrangiert, werden hörbar. 'Nenn es nicht Liebe! Wirf mich mit diesen Armen in die zerstörende Qual!' sind denn auch ihre letzten Worte, zu denen die Musik verebbt."

Harry Nutt wundert sich nicht, dass der Wettbewerb um ein Einheitsdenkmal ergebnislos endete: "Vom Initiator, die Deutsche Gesellschaft (DG), stammte die Idee, einen anonymen und offenen Wettbewerb durchzuführen. Professionelle Architekten und Künstler haben sich unterdessen längst darauf verständigt, derlei Ausschreibungen nicht mit ihrem Berufsethos vereinbaren zu können. Der Deutsche Bundestag, der aus einer Feiertagsarithmetik heraus zeitlichen Druck auf das Verfahren ausgeübt hat, steht nun vor einem Scherbenhaufen. Die Jury hat wohl aus Selbstschutz auf die Präsentation eines Siegers verzichtet. Das symbolische Durcheinander, das das Gesamtbild der Entwürfe ergibt, sagt nicht zuletzt einiges über die unausgegorenen Vorgaben des Bundestages aus."

Weitere Artikel: Gerd Döring war bei den ersten Geigen-Meisterkurse der Kronberg Academy. Arno Widmann schreibt zum 150. Todestag Alexander von Humboldts, Peter Michalzik schreibt zum Tod der Schauspielerin Gisela Stein, Ariel Dorfmann schreibt zum Tod des brasilianischen Theatermanns Augusto Boal. In Times Mager ärgert sich Christian Schlüter über den Freiheitsbegriff amerikanischer Bischöfe. Auf der Medienseite berichtet Eva Schweitzer über die Krise des Boston Globe.

Besprochen werden der "Star Trek"-Film, ein Konzert von Jane Birkin in Frankfurt und Sam Mendes' Inszenierung des "Kirschgartens" in der Fassung von Tom Stoppard bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen (Stefan Keim fand's ziemlich müde, trotz Ethan Hawke und Sinead Cusack).

FAZ, 06.05.2009

In der Serie zum Kapitalismus jubiliert nun Martin Walser. Er hat einen Mann ganz nach seinem Geschmack gefunden, Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Michael Ungethüm, in Theorie und Praxis der Inbegriff einer sozialen Marktwirtschaft: "Bei Ungethüm heißt das: Die wohltätige Wirkung des Wettbewerbs wird durch eine geeignete Wirtschaftsordnung erst hervorgebracht. Das ist es doch, die einander nützlich sein könnenden Interessen, die der Firma und die der in ihr Arbeitenden, so organisieren, dass sie einander wirklich nützlich sind - das hat Michael Ungethüm nicht nur durchschaut und formuliert, sondern in der Firma Aesculap verwirklicht."

Weitere Artikel: In der Glosse bewundert Dirk Schümer die Coolness, mit der der "Osservatore Romano" die Uraufführung der neuen Dan-Brown-Verfilmung "Angels & Demons" kommentiert. Andreas Kilb sieht, wie die Jury, nichts Preiswürdiges unter den nun im Kronprinzenpalais ausgestellten Wettbewerbseinreichungen für ein Einheitsdenkmal - wobei: Was wäre eigentlich gegen die von Kilb erwähnte 25 Meter hohe Giraffe einzuwenden? Patrick Bahners hat an der American Academy in Berlin einen Vortrag des amerikanischen Journalisten Charles Lane zur Frage der Todesstrafe in den USA gehört. Die in Deutschland lebende türkische Schauspielerin und Autorin Sema Meray fordert die Türkei auf, das christliche Kloster Mor Gabriel zu erhalten. Nach den - in der Meldung von Jürg Altwegg freilich nicht erwähnten - Kulturschaffenden, die das rabiate neue Raubkopierergesetz entschieden ablehnen, gibt es nun ein Protestschreiben von Linken wie Michel Piccoli oder Pierre Arditi, die gegen den sozialistischen Widerstand gegen dies Gesetz protestieren. Gerhard Stadelmaier schreibt zum Tod der Schauspielerin Gisela Stein.

Auf der Forschung- und Lehre-Seite sind eine Reihe von Artikeln dem Urheberrecht gewidmet. Brigitte Hilmer springt etwa 170 Jahre nach einem verlorenen Prozess Friedrich Wilhelm Schelling zur Seite, der den Heidelberger Theologen Paulus wegen Verletzung des Urheberrechts verklagt hatte. Paulus hatte Schellings erste Vorlesung in Berlin von einem Mitschreiber aufnehmen lassen und die Nachschrift, mit kritischen Kommentaren und Widerlegungen versehen, veröffentlicht. Schelling klagte und verlor. Der Medienwissenschaftler Stefan Weber befürchtet den Kollaps des qualitätssichernden Referenzsystems" in den Wissenschaften durch Open Access und schlimmeres: "Zensur könnte dann nicht mehr durch ein Vorenthalten, sondern auch durch einen Überfluss an Informationen stattfinden." Und der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner findet Open Access eine gute Sache - für die Masse der unnützen Dissertationen: "Wer kennt nicht in seinem jeweiligen Fach die leider nicht so seltenen Dissertationen, die ihre Existenz vielleicht doch lieber auf dem entsprechenden Universitätsserver fristen würden als in irgendwelchen abgelegenen Dissertationsreihen? Es ließe sich viel Papier sparen... Aber, und das ist der entscheidende Punkt, ein Zwang, der von irgendwelchen forschungsfinanzierenden Institutionen ausgeübt wird, darf aus all dem nicht erwachsen."

Wer sich mal einige interessante neue Überlegungen zum Urheberrecht anhören möchte, lausche einem Vortrag des amerikanischen Juristen Lawrence Lessig zum Thema. Lessig beschreibt die Veränderungen, die durch die neuen Technologien ausglöst wurden, mit einer Kenntnis, die in der FAZ noch niemand bewiesen hat. Der Vortrag wurde übrigens auf Veranlassung von Warner Music bei Youtube entfernt, weil Ausschnitte aus einem Video mit einem Muppet-Song gezeigt werden, an dem Warner die Rechte hat!



Besprochen werden die gesamtkunstwerkhafte neue Choreografie "Zugvögel" von Jiri Kylian in München, J.J. Abrams "Star Trek"-Neustart und Bücher, darunter Glyn Maxwells Roman "Das Mädchen, das sterben sollte" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 06.05.2009

Das Feuilleton hat Jörg Häntzschel eine Reise ins argentinische Hochland spendiert, wo ein Schweizer Winzer dem Lichtkünstler James Turrell ein offensichtlich atemberaubendes Museum eingerichtet hat. Im dazugehörigen Interview erklärt Turrell, warum seine Werke für Sammler und Museen so umständlich sind: "Selbst die kleineren Lichtinstallationen machen es Sammlern nicht leicht. Wie transportiert man sie? Wie versteigert man sie? Was gehört einem eigentlich? Ich sage Sammlern immer: Sie besitzen das Licht, das durch das Werk hindurchfällt!"

Weitere Artikel: Im Aufmacher bezweifelt Alex Rühle den Sinn des Übergangs von Grundschule zu Gymnasium nach der vierten Klasse, wie er in Bayern praktiziert wird. Christopher Schmidt schreibt zum Tod der großen Münchner Schauspielerin Gisela Stein. Alexander Kissler erklärt, warum er die bevorstehende Reise des Papstes nach Israel als entscheidend für sein Pontifikat ansieht. Alexander Menden meldet, dass die Brit-Art-Künstlerin Tracey Emin zu den Konservativen übergelaufen ist.

Besprochen werden der neue "Star Trek"-Film von J. J. Abrams, Händels "Teseo" an der Staatsoper Stuttgart und Bücher, darunter eine Studie Ottmar Ettes über Alexander von Humboldt.