Heute in den Feuilletons

Die acht ehrenhaften Verhalten

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.07.2009. 3-D-Filme boomen. Die Welt kennt das Geheimnis des Erfolges. In Le Monde kann Andre Glucksmann die Aufklärungsbeteuerungen Medwedjews im Fall Natalia Estemirowa nicht ernst nehmen.  In der taz fragt die Dramaturgin Maxi Obexer: Wer unterdrückt Frauen besser, Männer oder Frauen? Die SZ erzählt die Urgeschichte des Quelle-Katalogs. Die FAZ fordert schnieke Öko-Autos.

TAZ, 24.07.2009

Die Dramaturgin Maxi Obexer kommentiert amerikanische Studien, wonach Theaterautorinnen besser sein müssen als ihre männlichen Kollegen und es hauptsächlich Frauen sind, die das weibliche Geschlecht diskriminieren. "Es wäre den Versuch wert, eine ähnliche Untersuchung auch hierzulande durchzuführen, die herausfinden kann, in welchem Grad die Stutenbissigkeit von Frauen in höheren Positionen die Möglichkeiten von Künstlerinnen beeinträchtigt. Denn dass es sie gibt, gehört zum offenen Gemeinplatz. Selbst hartnäckige Frauenrechtlerinnen gestehen inzwischen ein, dass sie unter Frauen häufig die 'schlimmeren Männer' antreffen. Korrekter wäre es allerdings, das fiese Verhalten fieser Frauen nicht dem männlichen Geschlecht unterzujubeln, wo es weiblich ist."

Weiteres: Laura Ewert schreibt über das Comeback von Britney Spears und ihre aktuelle "Circus"-Tour, die sie am Sonntag nach Berlin führt. Michael Braun kommentiert die drastischen Kürzungen im italienischen Staatsbudget für Theater, Oper, Film, Ballett und Symphonieorchester. Besprochen wird das Album "Sonn und Mond. Rare and Unreleased Austrodub Tracks 1995-2009? von Hey O Hansen.

Auf den Tagesthemenseiten spricht Oleg Orlow, Vorsitzender der Organisation Memorial, über Menschenrechte in Russland;Bürgerrechtler gelten dort als Verräter, doch nach der Ermordung der Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa ändere sich nun der Ton. Aber ihre Recherchen hätten auch gezeigt, dass der Tschetschenien-Krieg im Untergrund weitergeht: "Längere Zeit galt Tschetschenien als Erfolgsgeschichte. Grosny wurde wiederaufgebaut. Das Regime rühmte sich, ein Hort der Stabilität im Kaukasus zu sein. Nataljas Enthüllungen belegen das Gegenteil. Die Führung ist verunsichert, weil sie mit dem Widerstand im Untergrund nicht fertig wird."

Und Tom.

Weitere Medien, 24.07.2009

Andre Glucksmann warnte bereits gestern in Le Monde davor, nach dem Mord an der russichen Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa wieder zur Tagesordnung überzugehen. Weder bei Russlands Präsident Medwedjew noch bei seinem tschetschenischen Vasallen in Grosny, Ramsan Kadyrow, sei die Aufklärung in guten Händen: "Kadyrow versteht es zu strafen, er tut es sogar gern, heißt es. Sein erster 'Akt der Gerechtigkeit' spricht Bände: Er verklagte Oleg Orlow, zusammen mit Sacharaow einer der Gründer von Memorial und Mitstreiter von Natalia Estemirowa. Ja, Medwedjew, Putins freundlicher Klon, wird eine Untersuchung veranstalten, um die Welt einzulullen. Hat er die Mörder von Anna Politkowskaja gefunden? Die von Stanislaw Markelow und Anastasia Barburowa? Die von vielen anderen Namenlosen? Hat er die von Alexander Litwinienko an Großbritannien ausgeliefert? Nein! Der Mann sitzt in der Duma und macht sich im Fernsehen lustig. Schwört, er wird sein Mögliches tun, er, der gerade die Jagd auf die 'Antipatrioten' eröffnet hat, also auf die, die Stalins Verbrechen während, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchen."

Welt, 24.07.2009

Peter Zander berichtet Erfreuliches über den steigenden Kinobesuch in Deutschland. Unter den Kinohits sind zahlreiche Kinderfime - und das kommt so: "Ein Großteil des Erfolgs wird der neuen 3-D-Technik zugeschrieben, selbst ein Kind der Krise, wenn auch einer ganz anderen. 3-D ist die Antwort der Filmwirtschaft auf die Videopiraterie: 3-D-Filme sind nur mit speziellen Brillen konsumierbar, bei heimlichen Aufzeichnungen sieht man alles unscharf."

Weitere Artikel: Thomas Kielinger beschreibt die typische Gelassenheit, mit der die Briten auf die Schweinegrippe-Pandemie reagieren. Ulli Kulke besucht das neue Dornier-Museum in Friedrichshafen. Peter Zander unterhält sich mit dem jungen Schauspieler Ken Duken, einer Hoffnung des deutschen Films. Elmar Krekeler liest ein Buch über das dramatische Finale des Davis-Cups im Jahr 1937, das der bei den Nazis auch wegen seiner Homosexualität nicht besonders beliebte Gottfried von Cramm am Ende gegen Donald Budge verlor. Volker Blech erzählt die neueste Episode aus dem Streit der Theatergreise Rolf Hochhuth und Claus Peymann um das Berliner Ensemble - Peymann müsste Hochhuth, dessen Stiftung das Theater gehört, eigentlich das Gebäude aufschließen lassen, damit Hochhuth eine eigene Produktion vorbereiten kann, ist aber in den Urlaub entschwunden. Besprochen wird eine "Aida"-Produktion in Bregenz.

Auf der Forumsseite erklären Maxeiner & Miersch, wie die EU es europäischen Fischern ermöglicht, vor den Küsten Somalias zu fischen, indem sie den Afrikanern die Lizenzen abkauft - und wie die somalischen Fischer darum ein neues Geschäftsmodell entwickeln: die Piraterie. Und für die Magazinseite hat Marko Martin eine Reisereportage über Odessa geschrieben: "Wiedergeburt einer Stadt".

Aus den Blogs, 24.07.2009

Thomas Rohde meldet in seinen Beweglichen Lettern, dass sich der Amazonchef Jeff Bezos für die Löschung von Büchern auf Lesegeräten von Kunden entschuldigt hat: Jeff Bezos räumt in seinem knappen Beitrag nun ein, dass Amazons Vorgehen 'dumm, gedankenlos und ein schmerzhafter Verstoß gegen die eigenen Prinzipien' gewesen sei." ein paar Fragen bleiben, zum Beispiel: "Sind die Kindle-User Besitzer von Kopien der erworbenen E-Books oder wird ihnen mit dem 'Kauf' lediglich ein beschränktes Nutzungsrecht eingeräumt?"

Cory Doctorow hat noch ein paar Fragen an Jeff Bezos: "Ob die Lizenzvereinbarung oder andere Geschäftsbedingungen es verbieten, Kindles DRM-freie Bücher auf andere Geräte zu verschieben. Ob es ein Patent oder andere Einschränkungen gibt, die es illegal machen, ein konkurrierendes Gerät herzustellen, mit dem DRM-Freie Dateiene gelesen oder konvertiert werden können. Welche Kontrolle Amazon nach einem Kauf noch über DRM-Freie Dateien ausüben kann: Können die auch ferngesteuert gelöscht werden? Können bestimmte Funktionen gestoppt werden? Das sind gundlegende Fragen: Wenn man ein Produkt verkauft, sollte man dem Käufer schon sagen, was er bekommt. Das ist keine radikale Position, und die Tatsache, dass Amazon mit seinem ausgezeichneten kundenorientierten Echtwaren-Geschäft dies nicht preisgeben will, erschüttert mich."

Robin Meyer-Lucht versucht in Carta, die Piratenpartei politisch einzuordnen: "Die Piraten sind digiliberal und zugleich konzernkapitalismuskritisch."

Matthias Spielkamp hat sich ein als Podcast veröffentlichtes Juristengespräch angehört, in dem der Syndikus der New York Times, Ken Richieri, etwas sagt, das kein Jusitizar einer deutschen Zeitung über die Lippen brächte: "Lassen Sie uns doch einfach mit dem Thema Verlinkungen anfangen. Es fällt mir schwer, das als Urheberrechtsverstoß zu sehen. Links sind das, was das Web zum Web macht. Ohne Links wäre das Web nicht das Web."

NZZ, 24.07.2009

Matthias Messmer gibt Entwarnung: Die neue offizielle Liste chinesischer Schriftzeichen wird solch klingende Namen wie "Wohlduftende Orchidee" (Xiang Lan), "Frühlingsknospe" (Chun Lei) oder "Von Bambus träumen" (Meng Zhu) auch künftig nicht verhindern. Leider auch nicht, und das sorgt ihn vielmehr, Namen wie "Die Partei lieben" (Ai Dang) oder "Die acht ehrenhaften Verhalten" (Ba Rong).

Weiteres: Marcus Stäbler sieht gute Chancen, dass sich Hamburg im Windschatten der Elbphilharmonie doch noch zu einer Musikstadt entwickelt. Marc Zitzmann besucht das Comic-Zentrum Cite internationale de la bande dessinee et de l'image in Angouleme. Besprochen werden die Bauhaus-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau und Ben Katchors Comic "Der Jude von New York".

Auf der Medienseite plädiert der Medienmanager Roy Oppenheim gegen eine Zusammenlegung von Radio und Fernsehen beim Schweizer Rundfunk. Christoph Ammann und Stephan Russ-Mohl begutachten die Wissenschaftsberichterstattung in den Medien.

FR, 24.07.2009

Bei allem "Wunsch nach Verkörperung" findet es Schriftsteller Burkhard Spinnen doch etwas "problematisch", dass Manager zu Medienstars und allegorischen Figuren geworden sind: "Einerseits scheint die Wirtschaft der Politik zu sagen, wo es langgeht, andererseits versteht kaum einer die komplexen Strukturen der globalen Ökonomie. Man fühlt sich abgehängt vom Zeitgeist, daher ist der Bedarf an Identifikationsfiguren groß. Man wünscht sich, die komplizierten Verhältnisse der Ökonomie mögen in ihren Repräsentanten erscheinen. Man wünscht sich menschliche Verkörperungen des ökonomischen Erfolgs ebenso wie des Scheiterns. Ja, man wünscht sich letzten Endes, die Triebfedern des komplexen Wirtschaftslebens auf die schlichten Triebfedern menschlichen Lebens reduziert zu sehen: etwa auf Geltungsdrang, Gewieftheit, Geschick und Gier."

Weiteres: Harry Nutt bilanziert Bernd Neumanns Amtszeit: "Vieles löste Bernd Neumann mit finanziellen Zuwendungen, ohne dabei politischen Problemen aus dem Weg zu gehen. "In Times mager bemerkt Judith von Sternburg, dass Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite wieder in Mode kommt. Der Sozialwissenschaftler Andreas Herberg-Rothe umreißt das Konzept des republikanischen Soldatens, der auch im Krieg an die demokratische Gesellschaft gebunden bleibt.

Besprochen werden ein Konzert des Pianisten Jean-Yves Thibaudet, die Festspiele Heppenheim und die Wagner-Studie "Weihe, Werkstatt, Wirklichkeit".

Auf der Medienseite meldet Harry Nutt, dass ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke im Blog bekannt hat, nicht einmal selbst seine Sendung interessant zu finden: "'Wenn wir mal ehrlich sind', schrieb er auf blog.tagesschau.de, 'hätte man jedes, ja wirklich jedes unserer heutigen Themen auch lassen können'."
Stichwörter: ARD, Gier, Peer Gynt, Gniffke, Kai

FAZ, 24.07.2009

Vom Porsche-VW-Clinch kommt Niklas Maak auf die Öko-Zukunft des Autos. Hier liegen die eigentlichen Herausforderungen, meint er: "Energiesparende Architektur heißt 'Passivhaus', Öko-Autos sehen aus wie motorisierte Fahrradanhänger, die Formen sagen Verzicht! Reue! Zurück! So etwas kauft man trotz intensiver Umwelterziehung nicht. Autos wie die amerikanischen 'Tesla'-Wagen, die so schnell wie ein Porsche sind und mit Strom aus Solarzellen betrieben werden sollen, zeigen, dass Öko und Hightech, Sparen und Spaß keine Gegensätze sein müssen - was ihre vielleicht folgenreichste Innovation ist."

Weitere Artikel: Julia Spinola betreibt Christian-Thielemann-Deutung: "Thielemanns Problem liegt in einem Machtanspruch, hinter dem sich eine grundlegende künstlerische Unsicherheit zu verbergen scheint." In der Glosse hat Patrick Bahners erneut Bedenken zur Vertrauensfrage im Norden - diesmal speziell die Enthaltungen der CDU-Abgeordneten betreffend. Joseph Hanimann fragt sich, was man aus Emile Ciorans frühen Schriften über das Frankreich von heute lernen kann. Lisette Gebhardt hat schon Haruki Marukamis bisher nur auf Japanisch erschienenen neuen Roman "1Q84" gelesen und bescheinigt ihm auf jeden Fall "kaltschnäuzige Kunstfertigkeit". Stephan Sahm berichtet, was er in bioethischen Zeitschriften zu lesen bekam. Lorenz Jäger schreibt knapp zum Tod des Philosophen Werner Becker.

Besprochen werden ein Konzert des Blues-Musikers Joe Bonamassa in Darmstadt, Graham Vicks "Aida"-Inszenierung bei den Bregenzer Festspielen, eine große "Hermann Obrist"-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne, und Bücher, darunter Jean Paulhans literaturtheoretische Schriften "Die Blumen von Tarbes" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 24.07.2009

Auf einer ganzen Seite breitet der Historiker Gregor Schöllgen seine - im Auftrag der Erbin Madeleine Schickedanz erarbeiteten - Forschungen zur Rolle des Quelle-Firmengründers Gustav Schickedanz im Dritten Reich aus. Daran, dass dieser sich, als mittuender Mitläufer, stets "persönlich korrekt" verhalten habe, hat Schöllgen keinen Zweifel. Interessant zu erfahren ist, dass der Versandhandel unter den Nazis boomte, und zwar sehr viel eher des Spielzeugs wegen als wenig erfolgreicher Anbiederungsversuche wie diesem: "Und schließlich macht Schickedanz mit seinem Katalog, dem wichtigsten Instrument des Versandhandels, Konzessionen an den Zeitgeist. Dazu gehören Ergänzungen des Warenangebots, wie die Aufnahme eines 'Bildnis unseres Volkskanzlers' in die 'Neuesten Quelle-Nachrichten' (so heißen die Kataloge noch bis in die fünfziger Jahre). Angeboten zwischen 'Küchenwaage' und 'Sauger', vulgo Schnuller, ist der 'mehrfarbige Kunstdruck' im handlichen Format von 30 x 41 cm - 'ein Schmuck für jedes Zimmer' - seit 1933 für eine Reichsmark zu haben. Reißenden Absatz scheint er nicht zu finden."

Weitere Artikel: Till Briegleb schildert, was das strikte und mit hohen Strafen bewehrte Draht-Glühlampen-Verbot nach Ökodesign-Richtlinie 2005/32/EG der EU für manches Werk der zeitgenössischen Kunst und seine Aussteller und Restauratoren bedeutet. Helmut Mauro weiß, was Dirigenten tun und was die Welt von ihnen will. Thomas Steinfeld nähert sich der Tour de France mit Peter Sloterdijks Ideen zur Askese. Von den Wunsiedler Luisenburg-Festspielen berichtet Eva-Elisabeth Fischer. In einer Glosse fragt sich Christopher Schmidt, was es mit den "Clans" in Kultur (Wagner) und Wirtschaft (Porsche) auf sich hat. Auf der Medienseite weist Gerti Schön auf das von David Lynch produzierte Internet-Interview-Projekt hin.

Besprochen werden die neue ständige Ausstellung von Skulpturen aus Sachsen im Chemnitzer Schlossbergmuseum, Graham Vicks "Aida"-Inszenierung in Bregenz, John Mayburys Dylan-Thomas-Film "Edge of Love" und Bücher, darunter Ernst Halters Roman "Jahrhundertschnee" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).