Heute in den Feuilletons

Die Emphase ist weg

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.09.2009. In iRights.info erklärt Till Kreutzer, warum Leistungschutzrechte den Verlagen nichts nützen und der Öffentlichkeit schaden würden.  Die Frage, ob Roman Polanski ausgeliefert werden soll, spaltet die Feuilletons. In meisten Ländern wäre die Tat längst verjährt, meinen die einen. Polanski hat sich noch nicht verantwortet, die anderen. In der Welt erklärt Dietmar Dath, warum Pop für ihn tot ist.

Aus den Blogs, 30.09.2009

1969 schrieb der vor einigen Tagen verstorbene Kolumnisten William Safire eine Rede, die Richard Nixon halten sollte, Buzz Aldrin und Neil Armstrong auf dem Mond sterben sollten. Lesen kann man sie bei Gawker. Hier der Anfang: "Fate has ordained that the men who went to the moon to explore in peace will stay on the moon to rest in peace."

Die Wahl ist vorbei. Die Lobbyisten der Verlage warten, dass vor allem die im Wahlkampf knieweiche CDU die Forderungen der Industrie nach Leistungsschutzrechten erfüllt. In iRights.info schreibt der Urheberrechtler Till Kreutzer einen sehr kundigen Artikel zu diesen Forderungen, und er kommt zu der Idee, dass man das mit den Leitungsschutzrechten auch genau umgekehrt sehen könnte, nämlich so "dass angesichts der unübersehbaren Flut der Inhalte und Informationen diejenigen, die dafür sorgen, dass sie erschlossen werden, auffindbar sind und aggregiert werden und die gleichzeitig den Webseiten der Inhaltsanbieter erhebliche Zugriffe verschaffen, in einer globalen Wissensgesellschaft diejenigen sind, die dafür mit eigenen Rechten oder gesetzlichen Vergütungsansprüchen belohnt werden müssen. Aber das würde wahrscheinlich als ketzerisch angesehen." (Also, jedenfalls nicht vom Perlentaucher!)

Dirk Laucke verteidigt in der Nachtkritik sein Theaterprojekt "Ultras" mit rechtsradikalen Fußballfans in Halle. Das Projekt hat große Empörung ausgelöst, zumal es von der Bundeskulturstiftung mit 67.000 Euro gefördert wurde. Laucke schreibt: "Wenn das Bier zu teuer ist, sind das 'jüdische Preise'. Dennoch behaupten die Ultras des Halleschen FC von sich, 'unpolitisch' zu sein. Politik habe im Stadion nichts zu suchen. Im Stadion, klar. Sonst verhalten sich die jungen Männer wie es ihnen passt, auch klar. Ich habe diese Haltung als Beobachter erst einmal hingenommen und genau diesen Vorgang in meine Inszenierung eingebaut: Die Zuschauer werden mit diesen teils sich widersprechenden Äußerungen konfrontiert. Es ist ihnen überlassen, weitere Schlüsse auf das Weltbild der Ultras und ihre Brisanz im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang zu schließen."

FR, 30.09.2009

Die Frage, ob Polanski über dem Gesetz steht, stellt sich überhaupt nicht, meint Daniel Kothenschulte. "Die USA sind fast das einzige westliche Land, in dem Vergewaltigung nicht verjährt - auch wenn in der Schweiz gerade ein ähnliches Gesetz diskutiert wird. In Deutschland beträgt die Verjährungsfrist maximal zehn Jahre. Wäre die Tat hier geschehen, Polanski wäre seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr zu belangen. Die Schweiz ist allerdings auch das einzige dieser westlichen Länder, das in seinem Auslieferungsabkommen die fremde, nicht die eigene Verjährungsfrist zum Maßstab nimmt. Wir dürfen also mit Fug und Recht für Unrecht halten, was in der Schweiz doch rechtens ist."

Weitere Artikel: Die SPD sollte ihre Niederlage als Chance für einen Neuanfang begreifen, meint Manfred Schneider. Christian Schlüter war dabei, als Robert Crumb in Paris seinen Comic "Schöpfung" vorstellte. Harry Nutt hält es für wahrscheinlich, dass Bernd Neumann Kulturstaatsminister bleibt. Auf der Medienseite berichtet Ulrich Hottelet über amerikanische Terrorjäger im Internet.

Besprochen werden zwei Inszenierungen an den Münchner Kammerspielen, nämlich Stefan Puchers "Platonow" und Lola Arias' "Familienbande", sowie und Ernst-Wilhelm Händlers Roman "Welt aus Glas" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 30.09.2009

Cristina Nord meint, dass Roman Polanski sich ausliefern lassen soll: "Roman Polanski ist ein herausragender Filmemacher. Aber 1977 hat er etwas getan, wofür er sich bisher nicht verantwortet hat und wofür er sich verantworten muss."

Weitere Artikel: In der tazkultur resümiert Cristina Nord noch einmal den Streit um Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" nach einem Roman von Gerhard Zwerenz, das nun in Mülheim tatsächlich erstmals aufgeführt werden soll, kommt aber zu keinem Schluss in der Fage, ob es antisemitisch ist oder nicht. Laut Micha Brumlik muss es den Sozialdemokraten ab jetzt darum gehen, "die 'Linke' über Regierungsverantwortung in ein sozialdemokratisches Projekt für das 21. Jahrhundert zu holen". Sebastian Knoll berichtet über das US-Einreiseverbot für den Verleger KD Wolff.

Tom.

NZZ, 30.09.2009

Marta Kijowska berichtet für die Schweizer Leser über die polnischen Reaktionen auf Andrzej Wardas Film "Das Massaker von Katyn" und hört Kritik am Anspruch des Regisseurs: "Er lasse sich diesmal zu wenig von einer künstlerischen Vision und zu sehr von einer didaktischen Botschaft leiten, erteile seinen Landsleuten eine Lektion in Geschichte, statt ihnen zu einem kathartischen Erlebnis zu verhelfen, so der Haupteinwand."

Weiteres: Kerstin Stremmel resümiert das 3. Fotofestival Mannheim/Ludwigshafen/Heidelberg. Besprochen werden Luc Bondys Inszenierung von Puccinis "Tosca" an der Metropolitan Opera in New York ("erfrischend blasphemisch", findet Andrea Köhler) und Bücher, nämlich Harro Zimmermanns Studie "Friedrich Schlegel oder Die Sehnsucht nach Deutschland", Eric Firleys und Caroline Stahls Architekturband "The Urban Housing Handbook" sowie Andrei Sinjawskis Buch über sowjetische Lagerhaft "Eine Stimme im Chor" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 30.09.2009

Er hat aufgehört an die politisch-ästhetische Relevanz von Pop zu glauben, bekennt der ehemalige Spex-Redakteur Dietmar Dath nebenbei in einem Interview mit Thomas Lindemann über einige neue Romane, die er in dieser Saison vorlegt: "Ab jetzt ist Pop nur noch etwas wie viele andere Dinge. Die Emphase ist weg, die sagte, wir wenden uns vom Theater ab, von der bildenden Kunst, von allen diesen bürgerlichen und parastaatlichen Medien, und suchen uns eine Plattform, die zwar von Geld verdreckt ist, aber noch nicht von Kompromissen irgendeiner quasi sozialdemokratischen Betulichkeit. Daran glaubt heute niemand mehr."

Weitere Artikel: Peter Beddies unterhält sich mit Roland Emmerich, der in Babelsberg einen (englischsprachigen) Film drehen wird. Manuel Brug gratuliert dem Stadttheater Basel zum Titel "Opernhaus des Jahres". Eckhard Fuhr empfiehlt den Film "Jenseits der Mauer", der heute am im Ersten läuft. Elmar Krekeler ist ganz fasziniert von der Schauspielerin Noomi Rapace, die in der Verfilmung von Stieg Larssons "Millennium"-Bestseller die Lisbeth Salander gibt. Julia Macher würdigt den Film "Nanking, Nanking" des chinesischen Regisseurs Lu Chuan über die Massaker der Japaner an den Chinesen - der Film war Preisträger in San Sebastian. Und "wfr" kommentiert die Ernennung Victoria Espinels zur "Copyright-Zarin" der amerikanischen Regierung: "Barack Obama, der erste große Internet-Wahlkämpfer, hat sich der 'Copyright' und nicht der 'Copyleft'-Bewegung zugeneigt."

Besprochen werden die Ausstellung "Moctezuma: Herrscher der Azteken", die an Ausstellungen über einen chinesichen, einen römischen und einen persischen Kaiser anschließt, in London, der "Prinz von Homburg" am Deutschen Theater und neue Vokalwerke von Wolfgang Rihm in Basel.

Auf der Magazinseite porträtiert Hanns-Georg Rodek Roman Polanski, der nun in der Bredouille sitzt, als einen "gewaltigen Regisseur".

FAZ, 30.09.2009

In der Glosse hält Tilman Spreckelsen sehr wenig davon, den aus der Gunst junger Leser gefallenen Karl May durch "Modernisierung" zeitgemäßer zu machen. Mark Siemons sah das große filmische Nationalepos "Die Gründung einer Republik" gesehen, das sich China zum sechzigsten Jahrestag spendiert hat (mehr dazu in der gestrigen NZZ, und hier ein knapp achtminütiger Trailer.) Dieter Bartetzko erklärt, warum die beiden SPD-Verlierer Steinmeier und Müntefering vor Rainer Fettings Brandt-Statue so klein aussahen. Sabine Berking porträtiert den Schriftsteller Daniel Alarcon, der den Internationalen Literaturpreis des Berliner Hauses der Kulturen der Welt erhält. Auf der DVD-Seite werden eine Box mit Filmen von Carl Theodor Dreyer, Maximilian Plettaus Box-Doku "Comeback" und Enki Bilals "Tykho Moon" empfohlen.

Besprochen werden Stefan Puchers "Platonow"-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen, Anthony Taylors Philipp-Glass-Choreografie "Sind wir Helden?" in Koblenz, und Bücher, darunter Rolf Schneiders Kulturgeschichte "Das Mittelalter" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 30.09.2009

Thomas Haberkorn schreibt zur Selbstmordserie bei der France Telecom, die inzwischen zu einer Art Werther-Effekt zu führen scheint: "Das Land debattiert über seine Selbstmordrate (nach Finnland die zweithöchste in Europa) und fragt sich, ob Management-Methoden angelsächsischer Prägung und die Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen tatsächlich immer mehr Arbeitnehmer bis zum Äußersten treiben." (Ähm, müsste dann die Selbstmordrate in angelsächsischen Ländern nicht höher sein, oder ist der Menschenschlag dort einfach zäher?)

Weitere Artikel: Thomas Urban berichtet über erbitterte Debatten in Polen über die Frage, ob die Schweiz Roman Polanski in die USA ausliefern solle, obwohl selbst das Opfer der Vergewaltigung vor 32 Jahren, für eine Einstellung des Verfahrens plädiert. Christine Dössel sieht ganz klar die beiden Protagonisten als Grund des Erfolgs von Stieg Larssons "Millennium"-Trilogie ("Der lautere Mikael und die schräge Lisbeth: ein Medien- und ein Computer-Junkie, die ohne Internet, iBook und Blackberry gar nicht mehr auskommen würden. Auch das macht sie so modern.") Fritz Göttler bespricht recht positiv die Verfilmung des ersten Bandes der Trilogie. Lothar Müller schlägt vor, den "30. September 1659 als Feiertag in der Geschichte der Romankunst" zu begehen - an diesem Tag strandete Robinson Crusoe auf seiner Insel im Pazifik.

Besprochen werden Kirsten Harms' Inszenierung von Strauss' "Frau ohne Schatten" an der Deutschen Oper Berlin, die Thomas-Demand-Ausstellung ebendort und Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" am Deutschen Theater Berlin und auch ein Münchner Ereignis, nämlich eine Ausstellung mit frühen Fotografien von jüdischen Siedlern in Palästina (mehr hier).