Heute in den Feuilletons

Das Geld, das er macht

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.10.2009. In der Berliner Zeitung erklärt David Albaheri die Vorzüge von Kaffee mit Satz. China ist eine Diktatur, aber vor vierzig Jahren war es eine schlimmere Diktatur als heute, meint die FR. Verbotenes macht uns gerade scharf, verkündet die NZZ mit Blick auf China. Wo das Herzblut des Buchhändlers Thalia hinfließt, beschreibt die SZ. In der FAZ erinnert sich Rolf Michaelis an seinen Versuch, im Winter 1986 Herta Müller in Temeswar zu besuchen. Und alle gratulieren Kathrin Schmidt zum Deutschen Buchpreis.

Berliner Zeitung, 14.10.2009

Mathias Schnitzler hat den jüdisch-serbischen Schriftsteller David Albahari, dessen neuer Roman "Ludwig" gerade erschienen ist, in Zagreb getroffen. Zum Kaffee. "Im Südosten Europas, fern der Touristenzentren, trinken die Einheimischen ihren Kaffee noch mit Satz. Der Kaffeegenuss ist hier ein Moment, indem man sich aller Tagessorgen frei dem Göttlichen nähert. Nicht umsonst hat man aus dem Kaffeesatz von jeher die Zukunft gelesen. 'Kaffee mit Satz zu trinken', sagt David Albahari, 'bedeutet also, alle Segmente der Zeit zu vereinen. Derjenige, der Kaffee ohne den Satz trinkt, lebt nur in der Gegenwart.'"

"Freiheit sagen und Unfreiheit meinen" - für Bernhard Bartsch geht die Selbstdarstellung der chinesischen Zensurbehörde auf der Frankfurter Buchmesse noch lange nicht auf: "Wenn Kinder an vergifteter Babymilch erkranken oder Fabriken das Trinkwasser mit krebserregenden Abfällen verseuchen, wenn korrupte Beamte Menschen um ihr Hab und Gut betrügen oder ethnische Minderheiten Opfer von Diskriminierung werden, dann lernen die Chinesen nicht nur den Wert freier Rede kennen, sondern oft auch gleich die Macht der staatlichen Zensur."

Weitere Medien, 14.10.2009

All jenen, die bei Polanski "gleiches Recht für alle und erst recht für Polanski" rufen, hält Volker Schlöndorff in Cicero online entgegen, "dass Roman Polanski nur deshalb seit 32 Jahren so hartnäckig verfolgt wird, weil er prominent ist. Richter und Staatsanwälte brauchen in den USA Wählerstimmen, für die dieser zutiefst unbürgerliche Künstler, dieser Satansbraten, ein gefundenes Fressen ist. Die Schweizer Justizministerin, Frau Widmer-Schlumpf, muss ihrer ziemlich rechtsradikalen Partei beweisen, dass sie es ernst meint mit der Forderung 'Ausländer raus'. Polanski wird nicht geschützt durch seine Berühmtheit, sie liefert ihn ans Messer."

NZZ, 14.10.2009

Danke China, ruft Joachim Güntner und fasst mit leichter Ironie das derzeitige Meinungsspektrum zum Ehrengast der Buchmesse zusammen: "Nicht der Pluralismus der Stimmen in Frankfurt scheint gefährdet, vielmehr wird jetzt das Risiko betont, das Chinas Führung dadurch eingehe, dass das Land seine literarische Produktion nun der Weltöffentlichkeit aussetze. Dies sei als Öffnung zu loben. Als 'spannendste Buchmesse' seit Jahren wird die diesjährige Frankfurter Herbstschau ob der Aufregungen im Vorfeld gehandelt. Dem autoritären Regime in Peking sei Dank - Verbotenes macht uns gerade scharf, Autoren und ihre Werke sind wieder Thema, und es starren nicht alle bloß auf die digitalen technischen Neuerungen."

Im Internet steht der Artikel allerdings nicht, stattdessen ein Bericht über die gestrige Eröffnungsfeier, die Güntner reichlich mau und zahm fand [Nachtrag: ein dritter Artikel von Güntner zu den e-Books steht im Nachrichtenteil der Online-Ausgabe].

Besprochen werden Niels Arden Oplevs Verfilmung des Krimis "Verblendung" von Stieg Larsson, die Christoph Egger zu weiten Teilen als "gepflegtes Konversationsstück" erscheint, eine Werkschau zu Peter Handke im Wiener Literaturhaus, eine Ausstellung in der Basler Universitätsbibliothek über den Architekten und Privatgelehrten Heinrich von Geymüller und etliche Bücher: Carl Gustav Jungs biblisch anmutendes "Rotes Buch", Mischa Meiers historischer Band "Anastasios I. Die Entstehung des Byzantinischen Reiches", die Theatergeschichte "Inszenierung der Antike" von Helmut Flashar sowie Barbara Bongartz' Krimi "Perlensamt" (mehr in der Bücherschau ab 14 Uhr).

Welt, 14.10.2009

Viel Ähnlichkeit habe sie nicht mit ihrer Romanheldin Helene Wesendahl, erklärt Buchpreis-Trägerin Kathrin Schmidt im Interview, auch wenn sie wie diese vor Jahren einen Schlaganfall hatte. "Die Distanz ist eigentlich doch ziemlich groß. Die Dinge, die Helene Wesendahl zugestoßen sind, sind mir nie zugestoßen. Die Liebesgeschichte mit dem Transsexuellen zum Beispiel, die ist frei erfunden. Ich habe mich aber natürlich ganz exakt erinnert an die Zeit des Aufwachens und an die ersten Schritte im Krankenhaus. Eigentlich wollte ich gar nicht, dass die Protagonistin Schriftstellerin ist. Nur konnten wir einfach keine andere Lösung finden."

Weiteres: Elmar Krekeler freut sich über die Verleihung des Buchpreises an Kathrin Schmidt. In der Leitglosse kommentiert Ulrich Weinzierl die Verleihung des Theaterpreises Nestroy in Wien. Thomas Lindemann gratuliert der Münchner Plattenfirma ECM zum Vierzigsten und berichtet daneben über ein ziemlich ziemlich divenhaftes Konzert von Keith Jarrett, dem Star von ECM. Hendrik Werner berichtet über die Vorstellung von Amazons Kindle in St. Pauli: man kann ihn jetzt auch in Deutschland kaufen (allerdings nur mit amerikanischer Tastatur, amerikanischen Stecker und nur für englischsprachige E-Bücher, die man ausschließlich bei Amazon kaufen darf, erklärte Andrian Kreye kürzlich in der SZ). HA Schult gratuliert dem Ausstellungsmacher Klaus Honnef zum Siebzigsten. "Für Elise" ist wahrscheinlich gar nicht von Beethoven, meldet Lucas Wiegelmann. Besprochen wird Michael Hanekes Film "Das weiße Band".

TAZ, 14.10.2009

Christoph Schröder kommentiert die Verleihung des Deutschen Buchpreises an die Berliner Schriftstellerin Kathrin Schmidt: Der Preis geht für ihn in Ordnung, aber irgendetwas an ihrer Rede fand er peinlich, man versteht nicht, was. Esther Boldt berichtet über das ehrgeizige Tanzfestival "Visa 2 Dance" im tansanischen Daressalam.

Auf den Tagesthemenseiten beschließt Claus Leggewie die Serie zur Macht des Staates anlässlich der Bundestagswahl mit Überlegungen zum "zukunft-verzehrenden Zeitregime" und "endlosen Selbstbewusstsein" demokratischer Staaten. In tazzwei hält Tarik Ahima die Kulturflatrate für die Lösung der Probleme die das Filesharing der Unterhaltungsindustrie bereitet.

Die heute beiliegende Literataz bespricht Bücher unter anderem von David Grossman, Charles Taylor, Ben Hecht und Ulla Hahn.

Und Tom.

FR, 14.10.2009

Arno Widmann stellt die Bücher aus und über China vor, die man unbedingt gelesen haben muss, allen voran Jonathan Spences "Chinas Weg in die Moderne" und Liao Yiwus "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser". Und er stellt fest: "China ist eine Diktatur. Aber es ist eine weniger diktatorische Diktatur als vor vierzig Jahren, als ich der mörderischen Kulturrevolution zujubelte. Es geht den Menschen besser. Deutlich besser."

Weiteres: Claus-Jürgen Göpfert berichtet von seinem ersten Rundgang über die Frankfurter Buchmesse. Wilhelm Genazino gibt in einem Kurzinterview Tipps, wie man auch in der Masse der Messe Optimist bleibt. Ina Hartwig berichtet von der Verleihung des Buchpreis an Kathrin Schmidt. In Times mager weist Christian Schlüter auf einige Ungereimtheiten in unserem Verhältnis zu China hin.

Besprochen werden Ulrich Rasches Inszenierung von Oscar Wildes "Salome" in Stuttgart und Anselm Webers "Ring"-Fortsetzung mit "Siegfried" in Essen.

SZ, 14.10.2009

Zensur in China? Qin Hui, Wirtschaftshistoriker der Tsinghua-Universität Peking, schreibt dazu auf Seite 2 der SZ: "Eine Kontrolle der Meinungsäußerung findet zwar nach wie vor statt. Der Freiraum hat sich aber trotz gelegentlicher Rückschläge immer weiter vergrößert."

"Freiheit! Freiheit! Wie viele Leute gehen für dich durchs Feuer?", fragt im Feuilleton dagegen Liao Yiwu, Autor des Interviewbands "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser", der nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens für ein Gedicht ins Gefängnis kam und trotz Einladung nicht nach Deutschland reisen darf: "Während nun die Buchmesse beginnt, während sich der Termin für meinen Vortrag nähert, sitze ich hier Tausende Meilen von Frankfurt entfernt dumm am Schreibtisch herum. Der Himmel über Chengdu ist bedeckt, und es bläst ein kalter Wind. Ich ziehe aus Gewohnheit die Schulterblätter zusammen und komme mir vor wie eine graue Ratte."

Birk Meinhardt spricht für seine Seite 3-Reportage über die Konzentration im Buchhandel auch mit dem Thalia-Geschäftsführer Michael Busch: "'Wir wollen eine Milliarde erreichen. Spätestens übernächstes Jahr möchten wir das schaffen', sagt Busch, 'da steckt wirklich eine Menge Herzblut drin.' Übergangslos kommt er, dieser Zusatz. Busch definiert seinen Job über das Geld, das er macht, und nicht über die Bücher, die er vertreibt, um das Geld zu machen. Sie sind seinem Herzen ferner. Man merkt es, wenn man im Laufe eines langen Gesprächs die Namen Hans Henny Jahnn und Warlam Schalamow fallen lässt und er sie nicht kennt."

Im Feuilleton-Aufmacher empfiehlt Thomas Steinfeld für die Zugfahrt nach Frankfurt Rainald Goetz' neueste Buch "Loslabern", in dem die Buchmesse und die Feuilletons eine prominente Rolle spielen. Christiane Schätzer begleitet einen Bus mit der Aufschrift "Demokratie in Bewegung", in dem deutsche Künstler in Anlehnung an Beuys und auf Einladung des Goethe-Instituts durch Griechenland tourten. Im Interview auf der Medienseite fordert der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer nach dem NDR-Skandal um die Redakteurin Doris Heintze mehr Transparenz in den Sendern.

Besprochen werden das Tanztheater-Projekt "Trust" von Falk Richter und Anouk van Dijk an der Berliner Schaubühne, dem Christine Dössel ein "enormes Witz- und Wutpotenzial" bescheinigt, Michael Hanekes neuer Film "Das weiße Band", ein Solokonzert des Jazzpianisten Keith Jarrett in der Berliner Philharmonie, die Austellung mit Renoirs Spätwert in Paris und Bücher, darunter zwei Romane von Mo Yan (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 14.10.2009

Der ehemalige Zeit-Redakteur Rolf Michaelis erinnert sich, wie er im Winter 1986 einmal Herta Müller in Temeswar besuchen wollte. Es wurde ein Horrortrip, auf dem er sie nicht antraf. Dafür Menschen anderen Schlags: "Am Hauseingang zwei große Schatten in dicken Mänteln. Als ich an ihnen vorbei will, drehen sie sich, nicht ohne eine gewisse Grazie, um, boxen mir die Ellbogen in den Bauch, springen mir mit Stiefeln auf die Zehen. 'Kümmer dich um deine Sachen!', meine ich zu verstehen. Der freundliche Hilfschauffeur hat, durch die offene Haustür, den Überfall mitbekommen. Sichtlich nervös, will er sofort zum Hotel. Ich auch. Die Zehen schmerzen. Ich habe plötzlich Angst. Im dunklen Hotelflur kommt mir ein Parfum entgegen, dann eine halbnackte Blondine, die ich bei der Abendessen-Show schon einmal gesehen zu haben glaube. Der Schatten flötet: 'Ficki? Ficki? Deutsch-Mark!'"

Weitere Artikel: In der Verleihung des Buchpreises an die Nichtnobelpreisträgerin Kathrin Schmidt für ihren Roman "Du stirbst nicht" kann Felicitas von Lovenberg nur ein Signal des "literarischen Provinzialismus" erkennen. Vom Buchmessenauftakt, bei dem es mehr um Google und Ebooks als um China ging, berichtet Oliver Jungen. Oliver Tolmein fieselt die rechtlichen Schwierigkeiten im Fall Verena Becker - insbesondere das "Wohl des Bundes" betreffend - auseinander. Martin Kämpchen berichtet launig über die Eingewöhnungsschwierigkeiten, die der Schriftsteller und einstige UN-Elite-Diplomat Shashi Tharoor als indischer Staatsminister hat. Ausführlich informiert Dirk Schümer über Vorteile und Tücken des venezianischen Wohnungsmarkts. Peter Köpf berichtet von einer Tagung über "African American Civil Rights and Germany in the Twentieth Century" in Poughkeepsie nahe New York. Auf der DVD-Seite werden unter anderem Editionen neuer Filme von Barbet Schroeder und die neue DVD- und Bluray-Ausgabe von Walt Disneys "Schneewittchen" besprochen.

Außerdem gibt es heute die Literaturbeilage zur Buchmesse, die mit John Burnsides Roman "Glister" (Belletristik) bzw. Liao Yiwus Gesprächsprotokoll-Band "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" (Sachbuch) aufmachen.

Besprochen werden ein Keith-Jarrett-Konzert in Berlin, ein Jan-Delay-Konzert in Köln, die Ausstellung "Max Scheler - Von Konrad A. bis Jackie O" in den Hamburger Deichtorhallen, die Damien-Hirst-Ausstellung "No Love Lost" in der Londoner Wallace Collection, Michael Hanekes Palmen-Gewinner "Das weiße Band", und Bücher, darunter Robert Littells neuer Roman "Das Stalin-Epigramm" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).