Heute in den Feuilletons

Muss ich etwas zu sagen haben?

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.03.2010. Die Welt trifft den Dichter Bei Dao in Hongkong, dessen Bücher in China immerhin wieder erscheinen dürfen. In der FAZ erklärt Jürgen Kuri, dass nur Soziale Netzwerke Googles amoralischen Algorithmen etwas entgegensetzen können. In der SZ bekommen Mädchen und Damen wieder Zustände. In der taz hört Klaus Theweleit Jimi Hendrix.

Welt, 20.03.2010

Marko Martin trifft in Hongkong den chinesischen Dichter Bei Dao, der ihm als erstes sagt, wie sehr er Berlin vermisst. "Ich glaube, das ist normal. Nach 1989, nach dem Aufenthalt in West-Berlin und während der langen Jahre in den USA hatte ich einen Lyrikband nach dem anderen veröffentlicht, viele davon hat mein Freund Wolfgang Kubin ins Deutsche übertragen. Und jetzt? Meine Gedichte erscheinen inzwischen sogar wieder in China (Anmerkung: Bei Dao benutzt die Vokabel Mainland anstatt des von Peking offiziell verwendeten Motherland). Private Verleger bringen sie an der Zensur vorbei in zehntausenden Exemplaren auf den chaotischen Markt, dann zahlen sie dem Staat eine Strafe, zahlen mir selbst jedoch nichts und der Staat... Nun ja, nach kurzen, kontrollierten Aufenthalten zwischen 2001 und 2004 hat er entschieden, mich nicht mehr einreisen zu lassen."

Außerdem: Abgedruckt sind einige der Briefe Sigmund Freuds an seine Kinder, die im Mai veröffentlicht werden. Besprochen werden unter anderem Robert Skidelskys Buch über "Die Rückkehr des Meisters" Keynes, die Sophie-Scholl-Biografie von Barbara Beuys und Neuerscheinungen zu Richard von Weizsäcker.

Im Feuilleton feiert Volker Tarnow das neu gestaltete Komponisten-Museum im Leipziger Bosehaus. Besprochen wird Daniel Wahls Inszenierung von Simon Stephens' "Punk Rock" am Hamburger Schauspielhaus.

FR, 20.03.2010

Der Pianist Arcadi Volodos spricht im Interview über Genies, Talent, den Sinn von Musik und Tempo. Abgedruckt ist die Laudatio von Daniel Kothenschulte auf die Filmkünstler Werner Schroeter und Elfi Mikesch, die in Bielefeld den Murnau-Preis erhalten haben. Marcia Pally versucht, während eines Sturms von New York nach Orlando zu fliegen. In times mager grübelt Hans-Jürgen Linke über den Schneid.

Besprochen werden Daniel Wahls Inszenierung von Simon Stephens' "Punk Rock" am Hamburger Schauspielhaus, die Ausstellung "Maßstabssprünge" mit Werken von Claus Bury in Nürnbergs Neuem Museum, die Aufführung von Richard Maxwells Stück "Das Mädchen" in der Schauspielhalle Bonn und Jacques Roubauds Roman "Der verwilderte Park" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 20.03.2010

Literatur und Kunst druckt vorab einen Auszug aus Max Frischs drittem Tagebuch: "Ein fast unüberwindlicher Ekel vor der Schreibmaschine, Versuche mit Handschrift, einmal auch mit dem Tonband, aber das hilft nicht - Muss ich etwas zu sagen haben?"

Außerdem: Michel Mettler gratuliert dem Schriftsteller Peter Bichsel zum Fünfundsiebzigsten. Manfred Clemenz liest noch einmal Jaime Sabartes' Erinnerungen an Pablo Picasso.

Im Feuilleton schlendert Christine Wolter durch das chinesische Viertel von Mailand, um sich die Haare schneiden zu lassen. Marion Löhndorf stellt die bisher nur auf Englisch erschienenen Erinnerungen Antonia Frasers an Harold Pinter vor.

Besprochen werden die große Retrospektive des Architekten Joseph Maria Olbrich im Institut Mathildenhöhe in Darmstadt und Bücher, darunter Eric Hobsbawms neue Studie "Globalisierung, Demokratie und Terrorismus", Javier Tomeos Roman "Die Silikonliebhaber" und Jürgen Brocans neue Übersetzung von Walt Whitmans Großepos "Leaves of Grass" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

TAZ, 20.03.2010

Klaus Theweleit findet auf dem aus Jimi Hendrix' Nachlass herausgegebenen Album "Valley of Neptune" wenig neues, stellt aber erleichert fest: "Alle Stücke sind guter Hendrix, einige sogar sehr guter Hendrix".

Außerdem: Brigitte Werneburg hat in Rom eine Ausstellung zur Feministischen Avantgarde der sechziger und siebziger Jahre besucht. Gina Bucher hat sich in einem Hamburger Archiv, das Uni-Flugblätter sammelt, durch AstA- und RCDS-Postillen gewühlt. Und Waltraud Schab liefert zu dessen bevorstehendem achtzigsten Geburtstag ein Porträt des Künstlers und Bäumepflanzers Ben Wagin.

Besprochen werden Anna Linsels Film "Tanz Träume" über ein Pina Bausch-Projekt und Bücher, darunter Don DeLillos Kurzroman "Der Omega-Punkt", Michael Scharangs Roman "Komödie des Alterns" und Meinhard Miegels Wirtschaftskrisenbehandlung "Exit." (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Samstag: Tom in bunt.

FAZ, 20.03.2010

Jürgen Kuri, stellvertretender Chefredakteur der c't, erklärt, warum Filter im Netz so wichtig sind, und warum nur soziale Netzwerke die Algorithmen von Google und Co. außer Kraft setzen können: "Algorithmen sind nicht moralisch und nicht intelligent. Algorithmische Filter führen zu einem Mainstreaming, das stark an den Matthäus-Effekt erinnert: 'Denn wer da hat, dem wird gegeben werden.' Bekanntes wird durch Wiederholung und gleichartige Ergänzungen verstärkt; Unbekanntes und Anderslautendes wird ausgeblendet. Wie Filter anders funktionieren können, darauf weist das Nutzerverhalten in den Social Networks hin. Die Freundeskreise auf Facebook, die Follower-Kreise auf Twitter, die in Social Networks entstehenden Beziehungsgeflechte schaffen einen sozialen Filter aus Hinweisen, Verlinkungen, Retweets, Äußerungen, Kommentaren."

Weitere Artikel: Auf einer ganzen Seite darf Hannes Hintermeier eine Krimi-Koproduktion von Liza Marklund und James Patterson anpreisen, möchte aber Formulierungen wie "das neue Traumpaar des internationalen Thriller-Genres" nicht für Werbezwecke gebraucht sehen. Verärgert reagiert Jürgen Dollase auf den Band "Coco" aus dem Haus Phaidon, der die wichtigsten internationalen Köche zu porträtieren verspricht, es aber vor allem bei englischsprachigen belässt. Für die Reportage auf der letzten Seite beobachtet Marcus Jauer das Alltagsgeschäft des Berliner Politik- und Medienbetriebs.

Besprochen werden die Ausstellung von Ai Weiwei "Barely Something" in Duisburger Museum DKM, Klaus Weises Inszenierung von Marina Carrs Ehedrama "In Marmor", Nadar Mashayakhis in Osnabrück uraufgeführte Oper über die getötete Teheraner Demonstrantin "Neda - der Ruf", Ernst Kreneks Motetten gesungen vom Rias-Kammerchor, das "beglückende" Album "Moon Landing" des früheren Madrugada-Sängers Sivert Höyen und die CD "Be Brave" der Strange Boys. Und Bücher, darunter Denis Johnsons Roman "Keine Bewegung!" und Dietmar Daths neustes Buch "Deutschland macht dicht". Auf der Medienseite graust es Friederike Haupt vor dem Geotagging.

In Bilder und Zeiten werden Erinnerungen von Ivan Bunin an seine Begegnungen mit Tolstoi abgedruckt. Dieter Bartezko betrachtet Zeichnungen von Architekten. Stefanie Schelleis und Christian Metz besuchen die Buchgestalter Lu Jingren und Zhu Yingchun in Peking. Peter Kemper spricht im Interview mit Ry Cooder.

In der Frankfurter Anthologie stellt Jakob Hessing Paul Celans "Psalm" vor:

"Gelobt seist Du, Niemand.
Dir zulieb wollen
wir blühn.
Dir
entgegen..."

SZ, 20.03.2010

"Die Büchersaison beschert uns eine erhebliche Unruhe in der Damen- und Mädchenwelt", behauptet Ina Hartwig. "Hochbegabt und ehrgeizig sind sie alle, auch unsere jüngste Punk-Boheme mit dem glitschigen Lurch in der Plastiktüte. Und: Sie haben stark reagierende Nerven. Die Selbstdarstellungen Sontags und Ensslins, die uns postum erreichen, gehören zum Interessantesten, das man seit langem lesen konnte. Sie sind Zeugnis eines Zeitgeistes, der einen Sog in die Zukunft erzeugt. Hier waltet eine faszinierende Kraft, die auffällig kontrastiert mit den elegischen, coolen Deko-Lebensversionen vieler schreibender Frauen der letzten Jahre."

Weitere Artikel: Brigitte Kronauer erinnert an Hubert Fichte, der morgen 80 Jahre alt geworden wäre. Andreas Zielcke sucht nach einem Zusammenhang zwischen realem Missbrauch und dem in Romanen beschriebenen Jugendelend. Axel Timo Purr besucht Namibia, das sich nach 20 Jahren Unabhängigkeit langsam auf den Weg in die Gegenwart macht. Helmut Mauro informiert über Disharmonien bei der Philharmonie der Nationen und den Rücktritt deren wegen umstrittener Geldverteilungspraktiken kritisierten Intendanten Justus Frantz. Eva Karcher berichtet über die vierte Ausgabe der Kunstmesse Art Dubai. Gemeldet wird die Favoritenrolle von Michael Hanekes "Das weiße Band" beim Deutschen Filmpreis.

Besprochen werden die Ausstellung "Albtraum und Befreiung" mit Werken des Surrealisten Max Ernst in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall, eine Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne über Konrad Wachsmann, der unter anderem das Haus von Albert Einstein in Caputh baute, und die Entwicklung von der seriellen zur digitalen Architektur, das Buddha-Ballett "Siddharta" an der Pariser Bastille-Oper, Anne Linsels Film "Tanzfreunde" über das Remake von Pina Bauschs 1978 uraufgeführtem Tanztheater-Projekt "Kontakthof" und Iris ter Shiphorsts Kinderoper von der "Gänsemagd" im Berliner Radial System.

In der Wochenendbeilage porträtiert Harald Hordych die Schauspielerin Julie Andrews, die nach zwei Gouvernantenrollen nun in "Zahnfee auf Bewährung" von Michael Lembeck noch einmal in dieses Genre zurückkehrt. Im Interview spricht der Modedesigner Tom Ford über sein gefeiertes Regiedebüt "A Single Man". Und Dirk Peitz traf den perfekten Hollywoodstar Matt Damon