26.03.2010. Die Washington Post zitiert aus den neuesten Zensurvorschriften der chinesischen Regierung an die Medien des Landes: Organisieren Sie keine Diskussionen zum Google-Rückzug, stellen Sie keine eigenen Recherchen an! Timothy Garton Ash träumt im Guardian nach dem Google-Rückzug von Regeln für das globale Dorf. In der FR spricht Beate Klarsfeld über Naziverfolgung und Justiz. Die NZZ beschreibt, wie sich Irland von der katholischen Kirche emanzipiert. Die FAZ widmet sich den Kulturkürzungen in den Bundesländern.
Weitere Medien, 26.03.2010
Die
Washington Post zitiert aus Instruktionen der chinesischen Regierung zur Berichterstattung über den
Google-Rückzug, die zuerst von der
China Digital Times publiziert wurden. Eine der instruktionen an die Zeitungen: "Produzieren Sie keine großen Themenseiten; Eröffnen Sie
keine Diskussionen; führen Sie keine eigenen Recherchen durch." Und an Blogs: "Es ist
nicht erlaubt, Diskussionen oder Recherchen zum Thema Google durchzuführen."
"
Netizens aller Länder vereinigt euch, Ihr habt
nichts zu verlieren außer eure Regierungen, Serviceprovider und
Illusionen",
ruft Timothy Garton Ash im
Guardian nach
Googles seiner Meinung nach absolut sinnvollen Wechsel nach Hongkong. Für ihn geht die Debatte aber jetzt erst richtig los, ihm stellen sich derzeit vier Möglichkeiten: 1. Der Staat entscheidet; 2. Google, Baidu und Apple entscheiden; 3. Jeder darf sich ansehen, was er will, inklusive Dschihadisten-Videos und Kinderpornografie; 4. Jeder darf sehen, was er will, abgesehen von einigen
global definierten Ausnahmen: "Im Moment gilt eine Kombination aus Punkt 1 und 2. Technische Entwicklungen werden uns mehr von Punkt 3 geben, ob wir wollen oder nicht. Punkt 4. klingt derzeit noch nach einem frommen Wunsch. Trotzdem sollten wir 4. anstreben. Es ist die
Infosphäre, in der die Welt am ehesten und schnellsten zu einem globalen Dorf wird, also ist es die Infosphäre, die am dringendsten eine globale Debatte über die
Dorfregeln braucht. Wenn wir diese Debatte nicht bald führen, dann wird das, was wir auf unserem Schirm sehen, das Ergebnis eines
Machtkampfs sein, zwischen der althergebrachten Macht des Staates, in dem wird zufällig leben, der neuen Macht der gigantischen Informationsunternehmen, der aufstrebenden Macht der neuartigen Informationstechnologie und dem Einfallsreichtum individueller Netizen."
Aus den Blogs, 26.03.2010
Golem fasst drastische Bestimmungen aus dem kommenden internationalen Copyright-Verhandlungen (
Acta) zusammen. Downloaden kann gefährlich werden: "Wäre womöglich der
Teenager betroffen, der ein eigenes Video unerlaubterweise mit einem Michael-Jackson-Hit synchronisiert und bei
Youtube hochgeladen hat? Wenn es nur genügend Downloads gibt, dann wäre diese Frage wohl mit ja zu beantworten. Dann wäre es wohl eine 'signifikante,
absichtliche Verletzung von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten, die ohne direkte oder indirekte Gewinnerzielungsabsicht erfolgt' ist."
FR, 26.03.2010
Felix Helbig
unterhält sich mit
Beate Klarsfeld über ihre berühmte Ohrfeige, die sie 1968 dem damaligen Kanzler Kurt Georg Kiesinger verpasste, und warum sie in Deutschland allein dafür bekannt ist, ihre Arbeit als
Nazi-Jägerin, die NS-Verbrecher bis in die Anden verfolgte, dagegen weitgehend ignoriert wird. Auf die Frage, wie weit sie gegangen wäre, wären die von ihr aufgespürte NS-Verbrecher
Kurt Lischka, Chef der Gestapo in Paris, und
Klaus Barbie, Gestapo-Chef von Lyon, nicht vor Gericht gestellt worden, sagt sie: "Es gab immer wieder, gerade bei Barbie, die Diskussion, dass Leute gesagt haben, ihr müsst
was Radikales machen,
erschießt ihn. Soweit kam es dann natürlich nie. Bei Lischka weiß ich nicht, was geschehen wäre, wenn das Gericht ihn nicht verurteilt hätte."
In Times mager
schwärmt Christian Thomas von der den
"Systemstarrkrampf" überwindenden Kraft des bayrischen Stürmers
Arjen Robben.
Besprochen werden Luk Percevals
Inszenierung von
Gorkis "
Kinder der Sonne" am Hamburger
Thalia-Theater, ein
Liederabend der Sopranistin
Sophie Karthäuser mit Mozart-Liedern in der Oper Frankfurt, das neue
Album der
Band To Rococo Rot, die
Erinnerungen von Bob Dylans erster Muse
Suze Rotolo "Als sich die Zeiten zu ändern begannen" und das
neu übersetzte "Tagebuch der Trauer" des Philosophen
Roland Barthes. (siehe hierzu unsere
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)
NZZ, 26.03.2010
In keinem anderen Land hat die katholische Kirche in solchem Ausmaß Kinder missbraucht und dies so systematisch vertuscht wie in
Irland. Martin Alioth
schildert, wie sich das Land nun von der Kirche zu emanzipieren versucht: "Greifbar wurde die Gedankenwelt des irischen Episkopats in den Aussagen des damaligen Erzbischofs von Dublin,
Desmond Connell, vor dem Untersuchungsausschuss über die Vertuschung in der Diözese Dublin (
Murphy-Kommission). Der
eklatanten Lüge überführt, berief sich Connell auf das jesuitisch-kasuistische Konzept des
geheimen Vorbehalts (mentalis restrictio): Solange der Sprechende während des Lügens stumme Fußnoten über den wahren Sachverhalt anfertigt, lügt er nicht wirklich. - Angesichts dieses flexiblen Umgangs mit dem klerikalen Gewissen und der vernichtenden Schelte des Papstes für die irische Kirche ist in Irland eine neuartige Debatte über die verbleibenden Funktionen der Kirche in der Gesellschaft entbrannt. Immerhin kontrolliert die Kirche
92 Prozent aller Primarschulen, sämtliche Lehrerseminare und weite Teile des Gesundheitssektors."
Weiteres: Joachim Güntner
schreibt online den Nachruf auf die "
Pythia vom Bodensee", die
Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann: "Selbstkritik gehört zu jenen Tätigkeiten, deren Ausübung Elisabeth Noelle-Neumann tunlichst vermied. Sie war auf imponierende Weise selbstbewusst, unbefangen, tatkräftig, eigensinnig." Barbara Spengler-Axiopoulos
lässt sich in St. Louis von Senegals
Beaute sociale betören: "Mbaye erzählt von seinem Onkel, einem bekannten Trommler in Westafrika, der zu Neujahr für jede Familie seiner
fünf Frauen einen
Ochsen habe schlachten lassen. 'Und das im armen Senegal', seufzt er." Brigitte Kramer
erklärt die
Pfeifsprache von La Gomera. Marc Zitzmann berichtet vom Pariser
Salon du livre, der in diesem Jahr offenbar ein paar Federn lassen musste.
Besprochen werden
Sophie Hungers Album "1983" und
Amparo Sanchez' CD "Tucson-Habana".
Welt, 26.03.2010
Uwe Wittstock
meldet, dass den großen alten Männern des Verlegertums,
Klaus Harpprecht und
Michael Naumann bei der "Anderen Bibliothek" gekündigt wurde. Eckhard Fuhr
findet die Idee, die
Stadtschlossattrappe in Berlin zunächst ohne Fassade aufzubauen, die das Gebäude ja erst zur Attrappe macht, absurd. Michael Pilz
meldet ermutigende Zahlen aus der Platten- und Downloadindustrie. Dankwart Guratzsch
berichtet über den Wiederaufbau des Stadtschlosses von Potsdam. Daniele Dell'Agli
beklagt ein unvorteilhaftes, vom Feminismus geprägtes
Männerbild in aktuellen Tatort- und weiteren Fernsehproduktionen. Manuel Brug
lauschte bolivarischen Jungmusikern in Luzern.
Besprochen werden in Konzert
Peter Gabriels in Berlin und und
Luk Percevals Stück "Kinder der Sonne" am Hamburger Thalia Theater.
TAZ, 26.03.2010
Heute morgen war die
taz noch offline. Wir resümieren sie erst einmal unverlinkt, vielleicht versuchen Sie es später noch einmal selbst.
Diedrich Diederichsen hat sich alles in allem ganz gern
Barbara Sukowas Album
"Devouring Time" angehört: "Barbara Sukowa hat
keine einschüchternde Angeberstimme. Ihr Gesang ist für die emotionalen Ritte und Stürze, die sie aufführen will, in seiner angreifbaren Beweglichkeit ideal." Außerdem besprochen werden die Ausstellung
"Gender Check" in der Warschauer Nationalgalerie Zacheta und ein Konzert der amerikanischen
Band MGMT im Berliner Columbiaclub.
In der
tazzwei interviewt David Denk den Schauspieler
Jürgen Vogel, der das gar nicht gut leiden kann: "Wer wirklich etwas über mich erfahren will, sollte sich meine Filme angucken, weil ich da am allerehrlichsten bin. Dagegen, meine Figuren im Gespräch zu analysieren, gibt es
eine Urweigerung in mir. Weil es nicht mein Haupttalent ist und so etwas
Klugscheißerisches, Anmaßendes hat."
SZ, 26.03.2010
"Geist ist flüchtig", schreibt
Michel Hutter (mehr
hier), Berliner TU-Professor und Direktor der Abteilung "Kulturelle Quellen von Neuheit" am Wissenschaftszentrum Berlin, in einem kleinen Plädoyer, mit der "Schauermär vom geistigen Diebstahl" aufzuhören. "Geist wird nicht gestohlen, sondern
schlimmstenfalls erschlichen - so, wie man in ein Konzert schleicht und mithört, ohne dafür bezahlt zu haben... Geistige Inhalte - Geschichten, Lieder, Bilder in allen möglichen Kombinationen - sind nicht weg, wenn sie erschlichen worden sind."
Weiteres: Wolfgang Schreiber besichtigt das nach Umbau und Renovierung neu eröffnete
Bach-Archiv mit Museum in
Leipzig. Jens Bisky informiert über Querelen um das Berliner
Homo-Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen (entgegen der Konzeption der Denkmalverfechter ist es nach Ansicht von Experten dummerweise "
nicht wahr, 'dass
lesbische Frauen im Nationalsozialismus individueller Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt gewesen seien'", kein einziger Fall ist verbürgt). Susan Vahabzadeh gratuliert dem Schauspieler
James Caan zum 70. Geburtstag. Zu lesen sind Auszüge aus dem 23. Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses der Lutheraner von 1530 "
Vom Ehestand der Priester". Gemeldet wird die Kündigung
von
Klaus Harpprecht und
Michael Naumann als Herausgeber der
Anderen Bibliothek - der Eichborn Verlag wünscht sich moderne Marketing-Methoden und eine neue Zielgruppe.
Besprochen werden
Herbert Frischs "
Hamlet"-Langzeitprojekt und seine jüngste Adaption
"Elf Onkel" ("Wie Achternbusch auf LSD"), eine Ausstellung zur "
Feministischen Avantgarde" in der Galleria Nazionale d'Arte Moderna in Rom, eine Anti-Inszenierung von
Gorkis "Kinder der Sonne" am Hamburger
Thalia-Theater, ein neues Album des
Jazz-Drummers Manu Katche, ein Münchner Konzert des
Pianisten Arcadi Volodos, und
Bücher, darunter der Roman
"Kokoschkins Reise" von
Hans Joachim Schädlich sowie Tagebücher und Aufzeichnungen des Historikers
Gustav Mayer. (mehr dazu in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)
Auf einer mit Anzeigen vom Sponsor
Haniel geschmückten Doppelseite berichtet die
SZ außerdem unabhängig vom Festival
Ruhr 2010.
FAZ, 26.03.2010
Eine ganze Seite ist den
Kulturstreichungen in diversen Bundesländern gewidmet: In
Nordrhein-Westfalen ist "das Ende der Fahnenstange erreicht", schreibt Andreas Rossmann,
Baden-Württemberg meldet vorsichtige Gelassenheit, nichts zu befürchten hat in
Schleswig-Holstein die ohnehin nur minimal geförderte freie Szene (die auf Subventionen angewiesenen Großprojekte sehen sich indes schon "in der Kulturwüste"), trostlos ist die Lage
in
Brandenburg, nicht ganz so schlimm in
Berlin.
Weitere Artikel: Tilman Spreckelsen
kommentiert die Entlassung
Klaus Harpprechts und
Michael Naumanns bei der "Anderen Bibliothek". Jürgen Kaube verwahrt sich gegen den von
Hartmut von Hentig vorgebrachten Feuilletonismusvorwurf in Bezug auf seine Interpretation der Vorgänge an der Odenwaldschule (mehr
hier und
hier). Dieter Bartetzko zeigt sich beim Rundgang durch das gerade wiedereröffnete
Augustinermuseum in Freiburg sehr begeistert. Marcus Jauer berichtet vom Richtfest beim
Bundesnachrichtendienst in Berlin. Aus Madrid berichtet Paul Ingendaay von
Gerard Mortiers erster Saison im Opernhaus
Teatro Real. Dirk Schümer kennt die Pläne des
Theaters an der Wien.
Auf der Medienseite interviewt Michael Hanfeld den Gruner + Jahr-Chef
Bernd Buchholz, der sich Einnahmen aus
mobilen Internetgeräten erhofft. Hanfeld
konstatiert auch, dass "die Reform des
ZDF durch die Länder" gescheitert sei.
Besprochen werden eine
Chlodwig-Poth-Ausstellung im Frankfurter
Caricatura Museum und zahlreiche Bücher, darunter
Mosab Hassan Yousefs "Sohn der Hamas", in dem der einstige Moslem seine Erfahrungen mit der
Hamas und seine Konversion zum christlichen Glauben beschreibt (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).