12.04.2010. In der Welt macht der Reggae-Sänger Gentleman noch einmal klar: Schwulenfeindlichkeit in Jamaika soll man akzeptieren, das ist Kultur. Nach 15 Jahren Internet stellt die SZ klar: Fernsehen und Umweltingenieure sind nach wie vor wichtiger. In der FAZ erklärt erklärt der Verlagsmanager Georg Rieppel, warum Verlage keine Buchhandlungen gründen werden.Die NZZ feiert die Fußballstadien von Südafrika. Netzpolitik veröffentlicht eine Petition zu den Acta-Verhandlungen.
Welt, 12.04.2010
Die
Opferung ganzer Kategorien der Bevölkerung gehört zur Ideologie des
Pop, sofern es dem Kulturrelativismus dient. Der Reggae-Musiker
Gentleman hat's im
Interview mit der
taz gesagt und
wiederholt es in der
Welt: Man soll in Jamaika nicht schwul sein: "Ich kann aber anderen Kulturen nicht
meine Kultur verordnen. Ich muss nicht in
Vatikan City Kondome verteilen oder im
Iran den Frauen die Tücher vom Kopf reißen. Ich kann nicht in Jamaika die Homophobie geißeln. Was der
Rastamann nicht mit seinem Glauben vereinbaren möchte, sollte man
akzeptieren."
Im Aufmacher
schreibt Hanns-Georg Rodek lesenswert über
Nollywood, das neue nigerianische Kino, das charmante, aber recht grob gestrickte Räuberpistolen an Fernsehen und Kino vorbei direkt als Videos produziert und über fliegende Händer vertreibt: "Nollywood hat, mehr durch Zufall als durch Planung, das
ideale Geschäftsmodell einer Filmindustrie unter Drittweltumständen entwickelt. Dazu gehört zuallererst, dem Publikum das zu zeigen, was es sehen will. Das sind keine unter
postkolonialem Trauma leidenden Gesellschaften (wie in vielen französisch geförderten afrikanischen Kunstfilmen) und keine vom Bürgerkrieg zerrissenen Länder (die stereotype Hollywood-Sicht), sondern: Menschen auf dem Weg
nach oben."
Weitere Artikel:
Tom Tykwer berichtet im Gespräch mit Peter Beddies über sein kenianisches Filmprojekt "Soul Boy". Andreas Rosenfelder
unterstellt dem Biologen
Richard Dawkins, der zusammen mit
Christopher Hitchens den Papst festnehmen lassen will, eine Ambition zum
Gegenpapst. Dankwart Guratzsch
ist nicht begeistert von den Vorschlägen der
IBA in Sachsen-Anhalt, die sich mit der undankbaren Aufgabe befasst, schrumpfende Städte zurückzubauen. Eckhard Fuhr
schickte eine Notiz von der Trauerfeier für
Wolfgang Wagner in Bayreuth, wo ein Teil der Familie wegen eines Streits über die Sitzordnung nicht zugegen war. Und Josef Engels
gratuliert Herbie Hancock zum Siebzigsten.
Aus den Blogs, 12.04.2010
Esther Slevogt
resümiert in der Nachtkritik vom
Bankentribunal in der Volksbühne, bei dem Angela Merkel, Peer Steinbrück, Gerhard Schröder, Chef Josef Ackermann und Hans Tietmeyer erwartungsgemäß schuldig gesprochen, aber nicht verurteilt wurden. "'Es war uns klar, am Schluss können keine Handschellen klicken,' erklärte Jutta Sundermann, Mitbegründerin der deutschen Sektion von attac. Die Angeklagten waren, wie gesagt, ohnehin nicht erschienen, und eine Exekutive, die ein Urteil kurzfristig hätte vollstrecken können, war Gott sei Dank weit und breit nicht in Sicht. So ging also von diesem, in Abwesenheit der Angeklagten tagenden Gericht nicht nur der
diskret-totalitäre Appeal eines Femegerichts, sondern auch der
süße Duft der Vergeblichkeit aus. Und das ungute Gefühl, dieses Tribunal könnte selbst bereits Zeichen der Atomisierung der Gesellschaft in einzelwirtschaftliche Interessensgruppen
ohne Verankerung in einem demokratischen Ganzen sein, die gemeinhin als Folge des Neoliberalismus beklagt wird."
Netzpolitik stellt eine internationale Petition zu den unter der dem Siglum
Acta laufenden internationalen
Copyright-Verhandlungen vor. Eine der Forderungen: "Wir weisen darauf hin, dass es Zweck des Urheberrechtes ist, schöpferische Leistungen und deren Verbreitung zum Wohle der Allgemeinheit zu fördern und den Urhebern eine dementsprechende Kontrolle über ihr Werk zu verschaffen. ACTA geht davon aus, diese Zielsetzung wäre gefährdet und weitere Schutzmechanismen wären nötig. Wir fordern eine
klare Aussage welches genaue Problem ACTA lösen soll und
unabhängige Anhaltspunkte, die diese bekräftigen."
Staci D. Kramer
berichtet für
paidcontent.org von einer
Konferenz amerikanischer Zeitungsverleger und resümiert, wie sich
Eric Schmidt von Google die
Zukunft des Journalismus im Netz vorstellt: "I think some combination of
advertising plus subscriptions will work. I think it's too early to say exactly what that combination will be. ... It will be a mixture. Something you want everyone in the world to see, you advertise. Stuff that you want your subscribers to see, you'll have a smaller but more lucrative audience. You'll have a mixture."
Sollte der Pilot
um jeden Preis landen - auf Weisung
Lech Kaczynskis? Burkhard Müller-Ullrich
malt sich auf
Achgut.de die letzten Minuten vor dem Unfall aus. Der Pilot "wusste selbstverständlich um das
hohe Risiko, das der dichte Nebel über einem Flugplatz ohne Instrumentenlandesystem darstellte; die russischen Fluglotsen hatten ihm dringend geraten, einen anderen Flughafen anzusteuern. Deshalb kreiste er erst eine Weile über der Stadt, von vier Runden ist die Rede. Dadurch verlor er Zeit. Es ging auf elf Uhr. Um halb zwölf sollten die Gedenkfeiern in Katyn beginnen. Die Autofahrt dahin dauert eine halbe Stunde. Zwischen Cockpit und Kabine entspann sich
eine dämonische Dramatik. Der Präsident hatte schon einmal einen
Piloten kleingemacht, der ihn aus Sicherheitsgründen nicht zum ursprünglichen Bestimmungsort gebracht hatte."
Perlentaucher, 12.04.2010
Vor zehn Jahren fand auf Initiative der
Grünen und der
Böll-Stiftung die zu trauriger Berühmtheit gelangte
Iran-Konferenz statt, die der Stärkung von Reformkräften im Regime dienen sollte. Diese wurden nach ihrer Heimkehr festgenommen und zum Teil für Jahre ins Gefängnis gesteckt und
gefoltert. Daran
erinnert im
Perlentaucher Matthias Küntzel.
Joschka Fischer änderte nach diesem Debakel seine konziliante Haltung gegenüber dem Regime nicht um ein Iota und ließ es bei einer Einbestellung des Botschafters bewenden: "Außenminister Fischer hielt sich 'mit
öffentlicher Kritik an den Urteilen zurück, um den seit dem vergangenen Jahr verbesserten Beziehungen zu Iran nicht zu schaden.'... Mehr noch: Das rot-grüne Regierungsbündnis legte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse nahe, auf seine für Februar 2001 angesetzte Reise nach Iran nicht zu verzichten. In Teheran angekommen, äußerte sich Thierse über die Terrorurteile '
zurückhaltend'. Mit umso mehr Verve kündigte er die Intensivierung der 'politischen und wirtschaftlichen Kontakte mit Iran' an. Er werde sich insbesondere 'dafür einsetzen, dass noch in diesem Jahr ein neues
deutsch-iranisches Kulturabkommen geschlossen werde.'"
FR, 12.04.2010
Als echtes Erweckungserlebnis
erlebt Christian Schlüter die Vorlesungen des französischen Philosophen
Alain Badiou, der ihm ganz genau bewies, dass Linke in der Wahrheit leben, während
Rechte immer lügen. Und der so ganz ohne "
akademische Vornehmheit" auskomme: "Badious Projekt besteht darin, die Linke auf den
Abschied von der Demokratie - unser letztes Tabu im Westen - vorzubereiten. Er nennt das die
Idee des Kommunismus, die er von allen dogmatischen, zumal hegel-marxistischen Verirrungen befreit und - das wird der Philosoph erst in späteren Büchern ausführen - auf Kant zurückgehen lässt."
Weiteres: Arno Widmann
attackiert den Papst, der in den letzten Tagen wieder etliche Gelegenheiten verstreichen ließ, in Sachen Missbrauch etwas Angemessenes verlauten zu lassen. In Times mager
weiß Sylvia Staude, dass die
viktorianischen Frauen überhaupt nicht prüde waren. Die Autorin
Antje Ravic Strubel schickt Reiseeindrücke aus Los Angeles. Besprochen werden eine
neue CD des
Portico Quartet und
Matthias Fontheims Inszenierung der "Salome" in Mainz.
TAZ, 12.04.2010
Robert Hodony
erinnert an die Gründung der Zeitschrift "Der Sturm durch Herwarth Walden vor hundert Jahren. Und Rene Hamann
liest zwei neue Tagebuchbände,
Helmut Kraussers "Substanz" und
Clemens Meyers "Gewalten" (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).
Schließlich
Tom.
SZ, 12.04.2010
Computertechnologie und
Gentechnik haben nach Andrian Kreyes durchaus verblüffender Meinung bisher noch kaum durchgreifende Wirkung auf unser alltägliches Leben entfaltet. So hält er das
Fernsehen etwa für weltweit viel einflussreicher als das Internet, in dem man seiner Ansicht nach ohnedies lediglich die
eigenen Vorurteile wiederfindet. Kreye zufolge werden wir uns noch auf absehbare Zeit an die etablierten Technologien halten müssen. "Die großen
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die Herausforderungen durch Klimawandel, Energieversorgung, neue Krankheiten und die globale
Demokratisierung des Wohlstandes, werden weder das Internet noch die Genforschung bewältigen. ... Die nächsten Ergebnisse werden
Ingenieure liefern, die Verkehrswege, Motoren und Gebäude
optimieren, Designer, die
simple Lösungen für komplexe Problem finden, Künstler und Autoren, die
allgemeingültige Wahrheiten finden." (Oh schöne alte Welt!)
Weitere Artikel: In den "Nachrichten aus dem Netz" spottet Johannes Boie mit deutlich mehr als der
printtypischen Verspätung über
Ilse Aigners offenen Beschwerdebrief an Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und die mangelnde Netzkompetenz deutscher Politiker im allgemeinen. Tobias Moorstedt liefert eine kulturwissenschaftliche Analyse über
beleuchtungstechnische Neuerungen in Diskotheken. Helmut Mauro
berichtet unter besonderer Beachtung familiären Zwists von der Trauerfeier für
Wolfgang Wagner in Bayreuth. Gottfried Knapp schreibt einen Nachruf auf den Münchner Architekten
Paolo Nestler. Und Karl Lippegaus gratuliert dem Jazzpianisten
Herbie Hancock zum siebzigsten Geburtstag.
Besprochen werden eine Ausstellung über "Die Entdeckung des Alten Ägypten im 19. Jahrhundert" in
Baden-Baden, die deutschsprachige Erstaufführung von
Dorota Maslowskas "Wir kommen gut klar mit uns" im Münchner Marstall-Theater, die Uraufführung eines Auftragswerks von
Juli Zeh über amoklaufende Schüler am Düsseldorfer
Schauspielhaus und das mit Schülern besetzte Projekt "Koma" des
Jungen Schauspiels Hannover zum gleichen Thema. Außerdem Bücher, darunter
Pavel Kohouts Roman "Die Schlinge" und
Svenja Goltermanns historische Studie über Kriegsheimkehrer "Die Gesellschaft der Überlebenden" (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages).
Tagesspiegel, 12.04.2010
Der
Tagesspiegel dokumentiert die Trauerrede
Christian Thielemanns auf
Wolfgang Wagner: "Menschliche Nähe und Güte verbanden sich bei ihm mit einem geradezu
unglaublichen Urwissen um die Werke seines Großvaters und die Besonderheiten, die Vorzüge wie die Tücken dieses einzigartigen Festspielhauses. Keiner kannte das Haus so gut wie er, keiner außer ihm wusste so ausgezeichnet Bescheid von den Bedingungen, die für das
Gelingen einer Aufführung zu erfüllen sind."
FAZ, 12.04.2010
Marta Kijowska berichtet, dass nach dem
Flugzeugunglück von Smolensk in Polen fatalistische Stimmen laut werden, die den Tod der Würdenträger mit dem Verlust der Eliten im Massaker von Katyn in eine Reihe stellen. So unfassbar das Geschehen sei, um die Zukunft Polens müsse man, so Kijowska, keine Angst haben: "Polen ist auch heute, nach der Tragödie von Smolensk, auf dem besten Weg, ein modernes, in alle europäischen und weltlichen Strukturen eingebundenes Land zu werden, und es darf sich nicht selbst diesen Weg versperren, indem es in den alten
historischen Fatalismus zurückfällt."
Der in der Geschäftsleitung von Klett-Cotta tätige
Georg Rieppel findet Ulf Erdmann Zieglers
Vorschlag, die Verlage sollten doch selbst Buchhandlungen aufmachen, um den Großketten Paroli zu bieten, so sympathisch wie unrealistisch. Eine von mehreren Ideen, was die Verlage dennoch tun können, ist diese: "Wir Verlage sollten alles tun, um den
unabhängigen Buchhandel - dort werden immer noch die überwiegende Zahl der Bücher verkauft - zu unterstützen. Es gibt durchaus eine Gegenbewegung zum Bestseller-Allerlei vieler großer Buchhandelsflächen, eine wachsende Zahl von Lesern wendet sich von diesen ab und den kleineren Qualitätssortimenten zu."
Weitere Artikel: Jordan Mejias hat den Islamprediger
Tariq Ramadan, nachdem Hillary Clinton ihm die Einreise in die USA erlaubte, bei einer Konferenz in New York erlebt, wo es ihm wie auch sonst gelungen sei, "alle Grenzen zwischen Verweigerung,
Spitzfindigkeit und notwendiger Differenzierung [zu] verwischen". Sehr kurz werden die "drakonischen" und den Grundsatz der Unschuldsvermutung aushebelnden
Internet-Gesetze abgehandelt, die in Großbritannien soeben verabschiedet wurden. In der Glosse
staunt Jürg Altwegg, dass angesichts des Drucks von außen im Innern der Schweiz geradezu ein "
Helvetischer Friede" ausgebrochen scheint. Regina Mönch blickt voraus auf die Internationale
Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt (
Website). Oliver Jungen unterhält sich mit Bischof
Franz-Josef Overbeck über Internet-Strategien
der Katholischen Kirche.
Besprochen werden die Uraufführung von
Juli Zehs Stück "Good Morning, Boys and Girls" am Düsseldorfer Schauspielhaus, die Inszenierung von
Erich Wolfgang Korngolds extrem selten gespielter Oper "Das Wunder der Heliane" in Kaiserslautern, die große, vom Künstler selbst zusammengestellte
Liam Gillick-Ausstellung in der Bonner
Bundeskunsthalle, und Bücher, darunter
Roland Barthes' postum veröffentlichtes "Tagebuch der Trauer" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
NZZ, 12.04.2010
Roman Hollenstein
preist noch einmal die grandiosen neun Fußballstadien von Durban und Kapstadt und hält fest: "Allein für die Stadien gab Südafrika rund
zwei Milliarden Franken aus, wobei das
Soccer City und das
Green Point je rund 500 und das
Moses Mabhida an die 250 Millionen Franken kosteten. Angesichts der vielen temporären Arbeitsplätze, aber auch der grossartigen Bauten, die so geschaffen werden konnten, scheint das Geld
vernünftig investiert zu sein. "
Besprochen werden die
Ausstellung "C'est la vie!" über das
Vanitas-Motiv in der Kunst im Pariser Musee Maillol, die
Schau "Krieg/Individuum" in der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst (AZKM) im westfälischen Münster (die zur Freude Ursula Seibold-Bultmanns über die
Medienkritik hinausging), das Stück "Bing, Bang, Boom" von
Kinsun Chan beim Luzerner Tanztheater sowie eine Aufführung von "Schuld und Sühne" am Luzerner Theater.