Heute in den Feuilletons

Die Antwort kam postwendend

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.04.2010. Der Papst soll in Großbritannien wegen Duldung und Vertuschung von Pädophilie verklagt werden. Die Süddeutsche eilt ihm mit wehenden Soutanen zur Hilfe. Die FAZ muss wegen des eingesetzten Spitzenanwalts ganz schön schlucken. Christopher Hitchens bleibt in Slate dabei: Der Papst gehört verklagt! Dito Paolo Flores d'Arcais im Tagesspiegel. Die taz porträtiert die türkische Autorin Pinar Selek, die die Rolle der Armee in der Zurichtung des türkischen Mannes beschreibt. Netzwertig findet die Medien-Apps auf dem Ipad fantasielos. 

Aus den Blogs, 13.04.2010

"Das Schlüsselwort ist das Gesetz", schreibt Christopher Hitchens in seiner Kolumne in Slate, in der er den heutigen Papst beschuldigt, die Aufklärung von Pädophilie-Vorwürfen in der Kirche systematisch unterdrückt zu haben. Er schildert noch einmal die Vorfälle an einer Taubstummenschule in den USA und kommt auf die Karfreitagszeremonien zurück, in der sich die Kirchenoberen mit verfolgten Juden verglich. Hitchens: "Man hat mich noch nie beschuldigt, dass ich Teil eine Pogroms oder von Lynchjustiz sei, geschweige denn eines Mobs, der von tauben vergewaltigen Kindern angeführt wird, aber ich stolz bei diesem dabei zu sein."

Andreas Göldi und Peter Sennhauser äußern sich in Netzwertig noch nicht so begeistert von den Ipad-Apps der Medien: "Das iPad ist primär ein Gerät für den Medienkonsum, und dementsprechend sollten Inhaltsanbieter ja wohl alles tun, um sich in Stellung zu bringen. Und diese paar lauwarmen, überteuerten Apps sind wirklich alles, was die milliardenschweren Medienriesen zu diesem Ereignis zu bieten haben?"

Der Kurznachrichtendienst Twitter hat nun endlich angekündigt, wie er durch eingestreute Anzeigen Geld verdienen will. Marshall Kirkpatrick atmet im amerikanischen Medienblog ReadWriteWeb erleichtert auf: "It's relatively non-invasive, nothing too crazy, nothing terribly exploitive. Some people who insist on reading every Tweet in their stream will probably be annoyed once they find ads in it, but there are already lots of unofficial ads being published on Twitter and maybe this will break those people of the habit of obsessing over every little message."

Tagesspiegel, 13.04.2010

"Ausreden helfen nicht mehr", ruft der italienische Philosoph Paolo Flores d?Arcais dem Vatikan zu. "Jahrzehntelang wurden Tausende pädophiler Priester gedeckt, nicht den Strafverfolgungsbehörden gemeldet, es wurde ihnen damit eine Straffreiheit verschafft, die es ihnen möglich machte, den Missbrauch von zigtausenden (manchmal behinderten) Kindern und Jugendlichen fortzusetzen. Dafür sind Joseph Ratzinger und Karol Wojtyla unmittelbar verantwortlich. Ob ihre Verantwortung moralischer oder juristischer Natur ist, werden in Kürze amerikanische Gerichte klären. Dabei geht es keineswegs um einzelne Fälle von Vertuschung auch im Umfeld der Kirchen-'Justiz', die inzwischen erwiesen sind und über die vor allem die amerikanischen und deutschen Medien berichtet haben. Es geht um die Verantwortung beider Päpste für sämtliche Fälle von Missbrauch innerhalb der Kirche, die nicht der staatlichen Justiz angezeigt wurden." Hier das Original des Artikels in Micromega.

Außerdem: Volker Schlöndorff erinnert an Anna Walentynowicz: "Katholikin, Schweißerin, Kranführerin, sozialistische Heldin der Arbeit, Auslöserin des Streiks, der zur Gründung der Solidarnosc führte" und Heldin eines Schlöndorff-Films, den sie nie sehen wollte. Walentynowicz starb im Flugzeug nach Katyn. Christine Wahl schreibt zur Halbzeit bei den Berliner Autorentagen.

Bernd Gäbler, ehemals Grimme-Institut, hat für den Tagesspiegel am Sonntag einen lesenswerten Artikel zu sechzig Jahren ARD geschrieben. Statt einer Show hätte er sich Reflexion gewünscht. Zum Beispiel darüber, "wie viel Verständnis die erste 14-teilige Serie über die NS-Zeit 1960/61 für die Mitläufer aufbrachte; wie Dagobert Lindlau den Philosophen Max Horkheimer immer wieder in Magazinsendungen unterbrachte; wie Gert von Paczensky und Joachim Fest im NDR vom Hof gejagt wurden; wie die Parteien das Fernsehen okkupierten, als dieses die Politikberichterstattung zu prägen begann..."

Welt, 13.04.2010

Eckhard Fuhr berichtet heute noch einmal ausführlich von der Trauerfeier für Wolfgang Wagner in Bayreuth ("Mehr als ein Drittel der 2000 Plätze, die für die Festspiele auf Jahre hin ausgebucht sind, bleibt leer.") Matthias Heine verarbeitet in der Randglosse die Meldung, dass in New York mittlerweile das dritte Theaterstück über Tupac Shakur produziert wurde. Sven Felix Kellerhoff versammelt verschiedene Verschwörungstheorien um abgestürzte Flugzeuge und umgekommene Politiker - von Polens Exilregierungschef Wladislaw Sikorski über Zia ul-Haq bis Uwe Barschel. Hildegard Strausberg berichtet, dass in Köln heute über die Zukunft des heiß umkämpften Schauspielhauses entschieden wird.

Besprochen werden Juli Zehs neues Stück "Boys and Girls" in Düsseldorf, das Album "Congratulations von MGMT und Annie Leonards Plädoyer für bewussteren Konsum "The Story of Stuff".

NZZ, 13.04.2010

Marta Kijowska versammelt Stimmen aus dem noch immer geschockten Polen, und fragt: "Wird das momentane Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit den Stil der polnischen Politik, den oft aggressiven, unfairen Ton unter Politikern ändern? Viel Hoffnung scheint man nicht zu haben. 'Die Polen sind ein Volk, das nach einem Leid schnell zusammenrückt', sagte der Ex-Premier Tadeusz Mazowiecki. 'Unser Problem ist nur, dass es immer kurz dauert und keine Konsequenzen hat.'"

Außerdem: Andreas Breitenstein berichtet recht beschwingt von den Rauriser Literaturtagen. Ingrid Galster meldet, dass nun auch Sartres autobiografische Schriften in die Pleiade Eingang gefunden haben. Besprochen werden die neue Schausammlung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Orhan Pamuks Essayband "Der Koffer meines Vaters" und Jewgeni Grischkowez' sibirische Erzählung "Flüsse" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Auf der Medienseite stellt der Öffentlichkeitssoziologe Kurt Imhof im Interview mit Rainer Stadler sein neues Medien-Observatorium vor, das unter anderem klären will, wie sich die "Kommerzialisierung der Medien" auf Politik und Ökonomie auswirkt. Außerdem kündigt Stadler ein großes Treffen investigativer Journalisten in Genf an und hält in seiner Kolumne fest: "Durch Abwehr gewinnt keiner die Zukunft."

Online gemeldet wird, dass der Pulitzer-Preis erstmals an ein Online-Medium ging, nämlich die gemeinnützige Nachrichtenorganisation ProPublica.

TAZ, 13.04.2010

Deniz Yücel porträtiert die mutige türkische (zur Zeit in Berlin lebende) Autorin Pinar Selek, die sich in ihrem jüngsten Buch "Zum Mann gehätschelt. Zum Mann gedrillt" mit der Rolle der türkischen Armee in der Zurichtung des türkischen Mannes auseinandersetzt: "Selek behandelt die Armee als Institution des Patriarchats. Und als zentrale Etappe männlicher Sozialisation. 'Die Vaterposition erreicht ein Mann dann, wenn er beschnitten wurde, Wehrdienst geleistet, heterosexuelle Erfahrungen gesammelt und Arbeit gefunden hat.' Dann erst folge die Endstation: die Ehe."

Weitere Artikel: Aram Lintzel beschreibt in einer Kolumne das "Dath-Kontinuum", das aus immer neuen, zuverlässig provokativen Büchern Dietmar Daths bestehe ("man kann die Uhr danach stellen"). Und Ben Schwan hat bei Torrent Freak gelesen, dass das Ipad den illegalen Download von Büchern beschleunigen könnte.

Besprochen werden eine Ausstellung über Film und Architektur in Antwerpen und Ulrike Syhas Stück "Fracht - Nautisches Denken" in Mannheim.

Auf der Medienseite berichtet Christian Rath, was passierte, als sich eine freie Mitarbeiterin der Frankenpost auf die neuen Vergütungsregeln berief und von der Zeitung künftig stolze 52 statt 35 Cent pro Zeile wollte. "Die Antwort kam postwendend : 'Haben Sie Dank für Ihr großzügiges Angebot, auf das wir leider nicht zurückgreifen können. Ich wünsche Ihnen für Ihre berufliche Zukunft alles Gute.' Unterzeichnet war der zynische Dreizeilen-Abschiedsbrief von Johann Pirthauer, dem Chefredakteur der Frankenpost." (Ein Disclaimer informiert nebendran über die miserablen Zeilenhonorare der taz.)

Und Tom.

FR, 13.04.2010

Hans-Martin Lohmann schreibt zum 125. Geburtstag von Georg Lukacs. In Times Mager fertigt Hans-Jürgen Linke in einem Satz die französische Krise (Sarkozy, Bruni, Dati, Biolay) ab. Auf der Medienseite berichtet Rudolf Walther über den Niedergang von Le Monde und den vermutlichen Verkauf an El Pais.

Besprochen werden Matthias Davids Inszenierung von Rossinis einaktigem Dramma giocoso "Il Viaggio a Reims" in Hannover, einige lokale Ereignisse und Bücher, darunter Max Frischs "Entwürfe zu einem dritten Tagebuch" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Berliner Zeitung, 13.04.2010

Warum versuchte der Pilot der polnischen Präsidentenmaschine trotz aller Warnungen in Smolensk zu landen? Wurde er von seinen Vorgesetzten unter Druck gesetzt? Oder misstraute er den russischen Warnungen? "Wenn am 10. April das polnisch-russische Verhältnis nicht durch gegenseitiges Misstrauen belastet gewesen wäre", meint Adam Krzeminski, "wäre es zu dieser Tragödie vielleicht nicht gekommen. Eine Ausweichlandung in Moskau wäre kein großes Problem gewesen. Wichtiger als die Analyse der psychologischen Gründe der Katastrophe könnte die polnische Selbstreflexion über das eigene - historisch bedingte, aber oft so kontraproduktive - Misstrauen gegenüber seinen Nachbarn sein, deren Politik vor allem als permanente Konfrontation wahrgenommen wird und wo es an gegenseitigem Vertrauen mangelt. Unter diesem Gesichtspunkt sind die russischen und die deutschen Beweise des Mitgefühls nach der Katastrophe von Smolensk von großer Bedeutung. Sie zeigen einer neuen Generation von Polen, dass sie nicht allein gelassen werden und, dass das gemeinsame Europa nicht nur eine Chimäre von Utopisten ist."

Weitere Medien, 13.04.2010

Polen in Trauer: The Big Picture bringt eine bewegende Bilderstrecke aus dem Nachbarland.
Stichwörter: Polen

SZ, 13.04.2010

Wird Religion attackiert, dann eilt das Münchner Feuilleton sozusagen mit wehenden Soutanen herbei. In aller Form verurteilt Andreas Zielcke den "Feldzug gegen Glaube, Religion und Kirche", den die Religionskritiker Richard Dawkins und Christopher Hitchens durch ihre Ankündigung eröffnet haben, dass sie den Papst wegen "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" festnehmen lassen wollen, sobald er britischen Boden betritt. "Der Papst als gewöhnlicher Straftäter oder aber als ein Verbrecher gegen die Menschheit? Im ersten Fall wäre er in Großbritannien nicht zu belangen, im zweiten Fall ist schon die Unterstellung grotesk."

Weitere Artikel: Johannes Willms berichtet über Widerstände gegen den Plan eines Groß-Paris und über ein gigantisches Metroprojekt, mit dem Nicolas Sarkozy die Unfähigkeit bemänteln will, die Region administrativ sinnvoll zu ordnen. Kathrin Lauer unterhält sich mit einem wenig optimistisch gestimmten György Konrad über das Ergebnis der ungarischen Wahlen. Markus Zehentbauer besucht die Mailänder Möbelmesse und stellt fest, dass Papier ein immer wichtigeres Material des Möbeldesigns ist. Martina Knoben berichtet über einen Studentenstreik an der Berliner Filmhochschule dffb gegen die Ernennung des Regisseurs Jan Schütte zum Rektor. Burkhard Müller gratuliert J.M.G. Le Clezio zum Siebzigsten. Auf der Literaturseite setzt sich der Historiker Klaus Bringmann mit Shlomo Sands Buch "Die Erfindung des jüdischen Volkes - Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand" und meldet Zweifel an Sands Vorschlag einer Einstaatenlösung für Israelis und Palästinenser an.

Besprochen werden eine Aufführung von Schuberts Opernprojekt "Sakontala" in Saarbrücken, eine Dramatisiergung von Marguerite Duras' Erzählung "Der Schmerz", inszeniert von Corinna Harfouch (die auch spielt) in Stuttgart und eine Ausstellung mit Mittelalterlichen Elfenbeinarbeiten im Bayerischen Nationalmuseum.

FAZ, 13.04.2010

Der FAZ-Feuilleton-Rechtsexperte Patrick Bahners erläutert en detail, was es mit der Drohung, Papst Benedikt bei einer Einreise nach Großbritannien verhaften zu lassen, auf sich hat. Großen Respekt hat Bahners weniger vor dem Evolutionstheoretiker Richard Dawkins als vor dem anderen Möchtegern-Ankläger, dem höchst angesehenen Menschenrechtsanwalt Geoffrey Robertson: "Es ist ein bedeutendes Faktum in der Geschichte der Weltmeinung, dass einer der angesehensten Juristen Großbritanniens, einer der Schutzmächte der weltweiten rule of law, in der klassischen Zeitung des englischen Liberalismus die Forderung erhebt, dem Papst solle der Prozess gemacht werden, und ihn auf eine Stufe mit einem Diktator und Völkermörder stellt."

Weitere Artikel: Von der Trauerfeier für Wolfgang Wagner in Bayreuth berichtet Holger Noltze. In der Glosse macht sich Edo Reents Gedanken zur Frage, wie es zur Wortbildung "Bollywood" kam. Eine Zürcher Tagung des Titels "Portale. Musiktheater 'Neue Technologien' Neue Räume" hat Wolfgang Fuhrmann besucht.

Besprochen werden Corinna Harfouchs Stuttgarter Inszenierung von Marguerite Duras' "Der Schmerz", die von Tina Lanik inszenierte deutsche Erstaufführung von Dorota Maslowskas zweitem Stück "Wir kommen gut klar mit uns" in München, ein Konzert der Band Frightened Rabbit (Website) in Köln, die Ausstellung "Wendepunkte im Bauen" im Münchner Architekturmuseum, die Ausstellung "Michelangelo's Dream" in der Londoner Courtauld Gallery und Bücher, darunter Josh Weils Novelle "Herdentiere" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Auf der Technik-und-Motorseite raten die FAZ-Nerds nach eingehendem Test vom Ipad ab: "Es ist ein goldener Käfig mit vielen Verlockungen, aber am Engang steht Apple als 'Gatekeeper' und wacht über die Inhalte. Für unseren Geschmack ist das eindeutig zuviel an Gängelung."