17.04.2010. Die NZZ beobachtet eine Renaissance des Jiddischen. Die FR sieht nur Pseudozusammenhänge im Werk Neo Rauchs. Die taz rühmt das Tollkühne an Alain Resnais. Die SZ lauscht Enteignungsfantasien auf der re:publica. Die FAZ betrachtet das Grauen in Form einer anonymen Hacker-Truppen auf der Webseite 4chan.
FR, 17.04.2010
Mit gleich zwei Ausstellungen,
einer in seiner Heimatstadt Leipzig,
einer in München, wird der fünfzigste Geburtstag des deutschen Maler-Weltstars
Neo Rauch begangen. Sebastian Preuss hat sich beide
angesehen und erzählt noch einmal die Geschichte vom Aufstieg des Künstlers nach: "Seit der Zeit um 1997 entstehen dann die Bilder, die Rauchs Welterfolg begründen. Er erschließt sich ein Reservoir aus dem
sozialistischen Realismus wie aus einer altertümlichen Reklamewelt Amerikas, er zettelt absurde Märchen an, bedient sich aber auch bei Comic-Elementen oder Haushaltsgegenständen. Die Kombinatorik aus diesem Fundus ist unerschöpflich. Immer meint man, etwas wiederzuerkennen, doch am Ende spielen sich ort- und zeitlose Welttheater ab... Dargestellt wird im Grunde nichts, die Pseudozusammenhänge zwischen Motiven, Szenen und den sehr konkreten Titeln gaukeln das nur vor. Im Grunde ist es ein
Informel aus gegenständlichen Versatzstücken."
Weitere Artikel: Claus Leggewie
zieht nach einem Jahr "
Klima-Manifest" eine vorläufige Bilanz - es ist der Vorabdruck seiner Eröffungsrede zum Berliner Symposium "Vernunft für die Welt". In einer Times Mager
meditiert Hans-Jürgen Linke über
Vulkanasche und Sonnenuntergang. Marcia Pally muss
erleben, dass sie sich mit ihren Uni-Kollegen nicht auf eine Deutung von Michael Hanekes Film "
Das weiße Band" einigen kann. Kirsten Liese
gratuliert der Sopranistin
Anja Silja zum Siebzigsten.
Besprochen werden eine
Inszenierung von
Nick Walshs "Genug ist genug" an der Frankfurter Komödie und Bücher, darunter
Stig Dagermanns Roman "Schwedische Hochzeitsnacht" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
NZZ, 17.04.2010
In Literatur und Kunst
beobachtet Carsten Hueck eine
Renaissance des Jiddischen: "Die Jungen sind es, die das Jiddische wiederentdecken." So zum Beispiel Assaf Talmudi, Komponist, Sänger und Akkordeonist der israelischen Gruppe
Oy Division. "Dass Oy Division alte jiddische Lieder traditionell interpretiert, versteht Talmudi, der an der Universität von Haifa unterrichtet, als
politischen Akt. 'Überall auf der Welt erkennen die Menschen die Nachteile der Globalisierung. Und wenden sich wieder ihrer spezifischen Kultur zu. Sie sprechen Jiddisch, Arabisch, Ladino - die Sprachen, die ihre Großeltern sprachen. Die jiddische Sprache in Israel zu gebrauchen, ist für mich ein
bewusstes Statement: ein Plädoyer gegen den monolithischen hebräischen Einheitsstaat.'"
Weitere Artikel: Jeannette Villachica
besucht die aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammende israelische
Schriftstellerin Mira Magen. Roman Hollenstein
unterhält sich mit dem
Architekten Mario Botta über das
Schweizerische an dessen Baukunst. Georg Klein
betrachtet in den "Bildansichten"
Anke Feuchtenbergers Kohlezeichnung
"Zähnchens Himmelfahrt".
Im Feuilleton
berichtet Andrea Eschbach von der Internationalen
Möbelmesse in
Mailand. Besprochen werden eine
Ausstellung zu
Hans von Aachen im
Suermondt-Ludwig-Museum, die
Uraufführung von
Armin Petras' "Herakles-Trilogie" in Basel, ein
Brahms-Konzert mit dem Tonhalle-Orchester Zürich und Bücher, darunter
Thomas Schenks Geschichte "Im Schneeregen" (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
TAZ, 17.04.2010
Sehr
schwärmt Birgit Glombitza von Filmregisseur
Alain Resnais und seinem jüngsten Film "Vorsicht Sehnsucht": "Das
Tollkühne an Resnais-Filmen wie 'Vorsicht Sehnsucht' ... ist ihre bis heute avantgardistische Experimentierfreude. Das Spiel mit donnernder Sinnschwere und unbekümmerter Bedeutungsleere, mit pubertärer Sprunghaftigkeit und greiser Erlösungssehnsucht, mit liebevoller Nähe und penibler Distanz. Resnais hält den Fingern genau
auf die Scharniere, an denen unsere Welt ganz in die des Kinoillusionismus kippen möchte. Dabei will er nicht den Zauber des Kinos zerstören, seine Überhöhungen vom Heldentod oder einer alles überwältigenden Liebe zunichtemachen. Er will ihm und seiner
inneren Mechanik einfach nur auf die Schliche kommen."
Weitere Artikel: Bernd Pickert
spricht mit der Cellistin
Sol Gabetta über das anstrengende Leben als Klassik-Star. Katrin Bettina Müller
führt ein Gespräch mit
Christine Richter-Nilsson, der Kuratorin des Bielefelder Theater-
Festivals "
Voices of Change". Doris Akrap
spricht mit
Kati Marton, der in seinem Buch "Flucht der Genies" die Erfolgsgeschichten von
neun ungarischen Juden in den USA erzählt. In der "Leuchten der Menschheit"-Kolumne hat Wolfgang Gast bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung
nicht begriffen, warum mit der Enttarnung von
Karlheinz Kurras als Stasimann die Geschichte der Studentenbewegung neu geschrieben werden müsse. Auf der Medienseite
unterhält sich Steffen Grimberg mit Uwe Vorkötter, dem Chefredakteur der
Berliner Zeitung, über die neue Redaktionsgemeinschaft mit der
Frankfurter Rundschau.
Besprochen werden Bücher, darunter Annika Reichs
Roman "Durch den Wind" und (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
Und
Tom.
Welt, 17.04.2010
Im Aufmacher der Literarischen Welt
erinnert Wieland Freund an
Mark Twain, der vor einhundert Jahren starb. Besprochen werden u.a. Rosa Sale Roses
Geschichte des Liedes "
Lili Marleen",
Robert Zapperis Buch "Abschied von Mona Lisa", Rolf Hosfeld
Ideen-Biografie über
Karl Marx und dessen Werke,
Robert Spaemanns Aufsätze in "Schritte über uns hinaus",
John Grays Abschied vom Humanismus in "Von Menschen und anderen Tieren" und Angela Elis'
Biografie der
Bertha Benz.
Im Feuilleton geht's um ein Pariser
Bühnenstück, das an das
Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Frankreich von 1982 erinnert, und eine
Ausstellung zu Geschichte und Geist der
Dresdner Kunstsammlungen.
SZ, 17.04.2010
Nicht ohne Sympathie
berichtet Johannes Boie von der Berliner Blogger-
Konferenz Re:publica. Vor allem widerspricht er der
FAZ-
Deutung der deutschen Blogosphäre diametral und stellt erfreut fest, dass die Zeit der selbstreferenziellen Insider-Bloggerei wohl endgültig vorbei sei: "Einheitlich waren die diskutierten Lösungsstrategien nur im politischen Sinn. Die 'Re:Publica'ist eine
dezidiert linke Konferenz geworden. Die Debatte über die wachsende Macht von Internetprovidern wie Alice oder Telekom, endete mit
Enteignungsfantasien. Götz Werner reiste an, um wie stets für das bedingungslose Grundeinkommen zu werben, und gleich mehrere Podien beschäftigten sich mit feministischer Theorie im digitalen Raum - da sackte das Niveau stark ab."
Weitere Artikel: Burkhard Müller untersucht den
Vulkan als "philosophisches Problem". So recht überzeugend findet Oliver Herwig nicht, was auf der Mailänder
Möbelmesse zum Thema "Nachhaltigkeit" präsentiert wurde. Jens Malte Fischer gratuliert der Sopranistin
Anja Silja, Wolfgang Schreiber (allerdings viel kürzer) dem Tenor
Siegfried Jerusalem zum Siebzigsten. Ein weiterer
Glückwunsch geht an die französische Comikzeichnerin
Claire Bretecher, die ebenfalls siebzig wird.
Im Aufmacher der
SZ am Wochenende gratuliert die Regisseurin
Doris Dörrie dem Produzenten
Bernd Eichinger zum Deutschen Filmpreis und erinnert sich an die achtziger Jahre, in denen sie zum ersten Mal einen Film ("Ich und Er") für ihn drehte und auch seine Reaktionen auf Hollywood miterlebte: "Er war einsam, verletzt, wütend, jeden Abend wieder nach unendlichen Telefonaten mit Studioarschlöchern, wie er sie nannte, warf er das weiße Telefon an die Wand und nahm jeden Morgen den Kampf wieder auf. Ein bisschen wie ein
deutscher Schäferhund. Unbeirrbar, potentiell bissig, und auf seltsame Weise treu."
Außerdem: Reymer Klüver reiste auf den Spuren
Mark Twains durch die USA. Holger Liebs hat für sein Porträt den deuschen Maler
Neo Rauch besucht. In der Reihe "Das war die Gegenwart" schreibt Gustav Seibt über die katholische Kirche und das Ende des "
Feuilletonkatholizismus". Abgedruckt werden viele Fotos aus dem Band "Icons of Rock" und unter der Überschrift "Das kaputte Knie Gottes" ein Auszug aus
Marc Degens' noch in Entstehung befindlichem neuen Roman. Willi Winkler unterhält sich höchst unterhaltsam mit
Helmut Thoma über "Unterhaltung", von Bertelsmann bis Zeitungstod, über das ZDF und die Dritten: "Wenn
Jürgen Rüttgers auftritt und was eröffnet, muss das im Fernsehen kommen, das ist der einzige Sinn der Dritten Programme."
Besprochen werden die Kunstsammlungs-Jubiläums-Ausstellung "
Zukunft seit 1560" im Dresdener
Residenzschloss, die neue Dauerausstellung "
Ideologie und Terror der SS" in der Gedenkstätte Wewelsburg bei Paderborn, eine CD mit
Roger Woodwards Version des "Wohltemperierten Klaviers", Oliver Parkers Oscar-Wilde-
Verfilmung "
Das Bildnis des Dorian Gray" und Bücher, darunter die Veröffentlichung von Ingeborg Bachmanns "Kriegstagebuch" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
FAZ, 17.04.2010
Alard von Kittlitz hat sich für die Reportage auf die "
Bahnhofstoilette des Internets" begeben, auf das
Forum b der totale Anonymität gewährenden
Seite 4chan. Von hier aus starten auch die
Hacker-Truppen von
Anonymous ihre Aktionen: "Nach jenem Dämon, den Jesus
in die Schweine fahren lässt, nennen sich Anonymous auch Legion, 'denn wir sind viele'. Weiter steht dort: 'Wir sind niemandes persönliche Armee.' Anonymous betrachten sich als Kollektiv, in dem die Einzelnen ihre Identität aufgegeben haben. Sie kennen keinen Führer, kein Gesetz, sie sind
zahllos, töricht, unberechenbar, schnell gelangweilt, gnadenlos, irrational. ... Anonymous erinnern sich an die Angriffe auf Organe der australischen Internetzensur und an die Streiche, die man den Institutionen der etablierten Welt gespielt hat: Sarah Palins E-Mail-Account wird gehackt,
Oprah Winfrey liest in ihrer Sendung nichtsahnend Witze von b-tards vor, ein deutscher Polizeichef bekommt nach dem
Amoklauf von Winnenden falsche Informationen."
Weiteres: Jordan Mejias schildert die Lage der
New Yorker Met, die bei einem erkrankten
James Levine, schwächelnder Primadonna und notorischem Haushaltdefizits wenigstens nicht auf Luxus verzichtet. Immerhin gab es kürzlich eine überraschende Spende von
30 Millionen Dollar. In seiner Geschmackssachen-Kolumne empfiehlt Jürgen Dollase den revolutionär-zurückhaltenden
Zürcher Koch Marcus G. Lindner. In der Randglosse
wertet Gina Thomas die Fernsehdebatte der britischen Spitzenkandidaten aus.
Besprochen werden Peter Kastenmüllers Inszenierung von
Armin Petras' "Herkules"-Trilogie in Basel, eine Ausstellung mit Fotoalben von Wehrmachtssoldaten im
Historischen Museum Frankfurt, ein Konzert von
Angelique Kidjo in Franfurt und Bücher, darunter
Marion Poschmanns Gedichte "Geistersehen",
Nadja Küchenmeisters Lyrikdebüt "Alle Lichter" und Frank Schulz' Erzählungen "Mehr Liebe" (mehr ab 14 Uhr in unsererer
Bücherschau des Tages).
Auf der Plattenseite geht es um
Paul Wellers neues Album "Wake Up The Nation" (das Edo Reents als sein bisher gewalttätigstes, als "akustisches Attentat" und "stampfendes Ungetüm"
empfiehlt), die CD "ABCDEFG" der
Antifa-Combo Chumbawamba, Paolo Restanis Einspielung von John Fields Klavierkonzerten, Hermann
Wolfgang von Waltershausens Oper "Oberst Chabert", die das Deutschlandradio heute Abend senden wird.
In
Bilder und Zeiten besucht Andreas Platthaus
Sakebrauer in Kyoto. Wiebke Hüster porträtiert den Choreografen und neuen Direktor des "Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg"
Martin Schläpfer. Lisa Seelig unterhält sich mit Claudia Bausewein, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für
Palliativmedizin.
In der
Frankfurter Anthologie stellt Norbert Hummelt
Peter Huchels Gedicht "Damals" vor:
"Damals ging noch am Abend der Wind
Mit starken Schultern rüttelnd ums Haus..."