21.05.2010. Die SZ erwägt nach dem spektakulären Raub in Paris die praktischen Vorteile geklauter Kunstwerke. Die taz fragt, was das für Damien Hirst heißt. BoingBoing stellt Google TV vor, das das Internet ins Fernsehen bringt. Die Welt staunt über die Birthler-Behörde, die dem Historiker Helmut Müller-Enbergs den Prozess macht, weil er die Stasi-Vergangenheit des Karl-Heinz Kurras enthüllte. In der FAZ entsteht nun zumindest künstliches Leben.
Aus den Blogs, 21.05.2010
Google hat eine Set Top Box (sagt man so?) entwickelt, die das
Internet ins Fernsehen bringt und es auf einigermaßen komfortable Weise erlaubt, Internetvideos und Fernseharchive auf dem Fernseher zu betrachten,
berichtet Xeni Jardin in
BoingBoing. Und das lustigste: "Google TV will use the next generation of
Adobe's Flash, which has been the subject of much controversy with Apple."
Mashable fragt aus diesem Anlass: "Will Google TV Be a
Game-Changer in the Realm of Connected Devices?"
(
Via biblioblogs) Warum geht's eigentlich immer gegen
Google,
fragt Max Winde auf seinem Blog
343max anlässlich der Debatten um
Google Street View: "Jede dieser Techniken wurde schon von
anderen Firmen eingesetzt. Schon in den 90ern fotografierten Firmen
ganz Deutschland ab, um die Bildersammlungen dann zu verkaufen. Schon seit Jahren scannen Firmen
WLAN Netze, um die gewonnenen Informationen dann zur besseren und schneller Positionierung von Telefonen und anderen Gadgets einzusetzen. Seit Jahren hat sich absolut
niemand für solche Tätigkeiten interessiert."
Matthias Schwenk
denkt auf
Carta nochmal über die Konferenz "The future Face of Media" (mehr
hier) nach, auf der sich zwar höchst prominente Vertreter alter Medien tummelten - aber eben nicht The Future Face: "Künftige Konferenzen zur Medienentwicklung im digitalen Zeitalter tun deshalb gut daran, neben die namhaften Platzhirsche etablierter Institutionen
Newcomer aus dem Bereich der neuen Medien zu setzen, selbst wenn deren Ansätze oder Startups noch eher
experimentellen Charakter haben. Anders wird sich nicht erkunden lassen, wie rasch und umwälzend der Wandel voranschreitet und wo sich Chancen und Geschäftsmodelle für die Zukunft auftun."
NZZ, 21.05.2010
Anders als viele ihrer unzufriedenen Kollegen
erlebt Susanne Ostwald einen starken Jahrgang in Cannes, ihr bisheriger Palmen-Favorit ist
Xavier Beauvois' Drama
"Des hommes et des dieux" um eine Gruppe französischer Zisterziensermönche, die in einem Konvent in Algerien leben und dem Terror der 90er Jahre zu trotzen versuchten: "Ein
echtes Meisterwerk." Der Theologe Jan-Heiner Tück
vernimmt mit Erleichterung Äußerungen aus der katholischen Kirche, die
Zölibatspflicht zu lockern und setzt im Übrigen auf Aufklärung: "Denn nur die Wahrheit macht frei (Joh. 8, 31)." Mona Sarkis
stellt das gewaltige und online einsehbare Fotoarchiv der
Arab Image Foundation in Beirut vor, das mehr als 400.000 Fotografien von über 250 in- wie ausländischen Fotografen seit 1839 zusammengetragen hat.
Besprochen werden das
Album "Rise & Shine" der
Refugee All Stars aus Sierra Leone (
mehr hier) und die CD "DJ-Kicks" des New Yorker House-Produzenten
Juan MacLean.
Berliner Zeitung, 21.05.2010
Marin Majica
wendet sich gegen Alarmismus bei Datenschutzfragen im Internet: "Die Bedrohungsszenarien klettern kreiselnd in der
Hysteriespirale. Das weckt Erinnerungen an die Achtzigerjahre: thematisch an den Protest gegen die Volkszählung, emotional aber viel mehr an die Angst vor dem Waldsterben."
TAZ, 21.05.2010
Rudolf Balmer
berichtet über den spektakulären
Kunstraub aus dem Musee d'Art Moderne de la Ville de Paris, bei dem Klassiker im Wert von über einer halben Milliarde Euro gestohlen wurden. Flankierend
denkt Brigitte Werneburg über
Logik und Logistik des Kunstraubs nach. "Was bedeutet es, dass die zeitgenössische Kunst kein geeignetes Objekt mehr für den Kunstraub abgibt? Schmälert das womöglich ihren Wert? ... Wetten, dass
Damien Hirst schon deshalb auf seinen juwelengeschmückten Totenkopf kam, weil er weiß, dass er
geklaut werden muss, um zu den ganz Großen der Kunst zu zählen?"
Cristina Nord
sah in Cannes den Wettbewerbsbeitrag
"Copie conforme" ("Beglaubigte Kopie") von
Abbas Kiarostami, den der Exil-Iraner mit Juliette Binoche und William Shimell in der Toskana gedreht hat.
Besprochen wird das Album "Here's to taking it easy" des amerikanischen Singer-Songwriters
Matthew Houck, das er unter dem Namen
Phosphorescent veröffentlicht hat.
Auf den Tagesthemenseiten
berichtet Peter Unfried über die
Krise der Münchner
Abendzeitung. In tazzwei
unterhält sich Dominic Johnson mit dem senegalesische
Weltstar Youssou N'Dour, der am Sonntag auf dem Africa Festival in Würzburg spielt, über die Selbstwahrnehmung des Kontinents, Bootsflüchtlinge, Musik im Internet und das Zeitalter der Abschottung. David Denk
beklagt die Einstellung von
"Kriminaldauerdienst", einer "der besten TV-Serien".
Und
Tom.
Welt, 21.05.2010
Sven Felix Kellerhoff
berichtet über ein juristisches Nachbeben der Enthüllung, dass der Polizist Karl-Heinz Kurras, der
Benno Ohnesorg erschoss, ein Stasi-Spitzel war - die
Birthler-Behörde strengt einen Prozess gegen den Historiker
Helmut Müller-Enbergs an, der die Geschichte zuerst veröffentlichte. Die Behörde kannte die Akten im übrigen bereits seit 1994. "Allen Ernstes behauptet die Behörde, ihr sei durch die Veröffentlichung der Kurras-Geschichte ein
Imageschaden entstanden. Zwar habe Müller-Enbergs die Vorgesetzten über seine Publikationsabsicht informiert, aber dies sei nicht ausreichend gewesen."
Weitere Artikel: Friedrich von Borries
sucht nach Designvorbildern für die neueste
Apple-Ästhetik und findet sie in
Dieter Rams' Entwürfen für die Firma
Braun in den fünfziger und sechziger Jahren. Hanns-Georg Rodek
berichtet aus
Cannes.
Auf der Magazinseite
geht Christina Neuhaus der mysteriösen Frage nach, warum Frauen mit
türkischem Migrationshintergrund doppelt so oft versuchen,
Selbstmord zu begehen, wie ihre deutschen Altersgenossinnen.
FR, 21.05.2010
Arno Widmann hat die beiden eigentlich "prächtigen"
Ausstellungen zu
Rudolf Steiner in Wolfsburg
besucht, stellt aber doch einen bedenklichen Mangel an Spontaneität auf den Bildern des Ober-Anthroposophen fest: "Hat er jemals gelacht? Nichts liegt dieser Gestalt ferner als das Authentische. Sie ist durch und durch künstlich. Gerade darin aber wird ihr Reiz gelegen haben. Was dem einen Aura, ist dem anderen Talmi."
Weiteres: Eine geradezu
inflationäre Kapitalismus-Kritik hat Jürgen Otten beim
Berliner Theatertreffen erlebt: "Doch längst hat die systemisch-szenische Kritik an der Bestie Kapitalismus den
Status der Affirmation erreicht." Christian Schlüter
begrüßt sehr
Jürgen Habermas' gestrige Forderung aus der
Zeit nach einer Repolitisierung Europas." Harry Nutt
berichtet in Times mager von denen neuen Sparvorgaben, die das Auswärtige Amt den
Goethe-Instituten verordnet.
Besprochen werden das
Album der
Fantastischen Vier "Für Dich immer noch Fanta Sie" und eine
Schau der Designwelten des
Dieter Rams im
Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt.
FAZ, 21.05.2010
Craig Venter und sein Team haben eine am Computer geschaffene Gensequenz in Bakterien eingepflanzt und so in einem gewissen Sinn "
synthetisches Leben" geschaffen. Sonja Katilan erklärt, was genau da passiert ist und sammelt erste Stimmen von Kollegen, die keinen Zweifel an der Bedeutung des in
Science vorgestellten Experiments haben: "'Für mich ist es die wichtigste Veröffentlichung im Feld der Biotechnologie der letzten fünfzehn Jahre', sagt Sven Panke vom Institut für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich." Joachim Müller-Jung
erläutert, dass die Biotechniker sich von Beginn ihrer Forschungen an auch um das Ausloten der
ethischen Grenzlinien ihres Tuns kümmern. Ob ihre Bemühungen ausreichen, ist für ihn allerdings eine andere Frage.
Weitere Artikel: Verena Lueken hat in
Cannes mit Xavier Beauvois' Mönchsdrama "Des hommes et des dieux" und Lee Chang-dongs "Poetry" nun doch zwei bedeutende Wettbewerbsfilme
gesehen. Gleich fünf Autoren haben, ein wenig a la Kempowski, die Fernseh-
Talkshow-Woche mitgeschrieben und bieten einen Originalton-Eindruck des großen Geschwätzes zum Thema Griechenland, Euro-Krise, Inflation. Als "
Freibrief für Barbarei"
sieht Dieter Bartetzko das Urteil des Stuttgarter Landgerichts, das den Abriss der Bahnhofs-Seitenflügel erlaubt, solange "das Wesentliche" des Baudenkmals stehen bleibt. Jürgen Kaube macht sich Gedanken, was es bedeutet, wenn, wie Gerüchte verheißen, die
Universität Flensburg wieder zur Fachhochschule zurückgestutzt würde. Mit Bedauern teilt Andreas Rossmann mit, dass entgegen allen Hoffnungen auch bei der Innensanierung des Aachener Doms die legendäre Grabstätte
Karls des Großen nicht ausfindig gemacht werden konnte.
Besprochen werden das von
Daniel Barenboim dirigierte und von Guy Cassiers inszenierte "Rheingold" an der Mailänder Scala (Julia Spinola schwärmt sehr von Barenboims Interpretation), die Mannheimer Uraufführung des von der
"Zentralen Intelligenz Agentur" kollektiv entworfenen Stücks "Lorem Ipsum", und Bücher, darunter
Christiane Neudeckers Erzählungsband "Das siamesische Klavier" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
SZ, 21.05.2010
Anlässlich des mit beträchtlicher Kennerschaft ausgeführten
Pariser Kunstraubs erklärt Johannes Willms, was gerade die sofort wiedererkennbaren (und im Prinzip deshalb unverkäuflichen) Werke für eine bestimmte Klientel so interessant macht: "Es gibt längst eine Schattenwirtschaft geraubter Kunst. So sind berühmte Gemälde im Finanzkreislauf des internationalen organisierten Verbrechens eine
eigene Währung geworden. Geraubte Kunst kann als Bürgschaft oder auch als Zahlungsmittel für illegale Geschäfte im großen Stil dienen, seien es Waffen- oder Drogenhandel. Ist so ein Werk aber auf den ersten Blick als Wert identifizierbar, erspart man sich langwierige Verifizierungen."
Weitere Artikel: Aus Cannes berichtet Susan Vahabzadeh begeistert von
Olivier Assayas' fünfeinhalbstündiger Fernsehproduktion "Carlos - Der Schakal". Peter Laudenbach haben die beim Berliner
Stückemarkt ausgewählten Werke jetzt nicht gerade umgehauen und vor allem durch Mangel an "Welthaltigkeit" verärgert. Peter Burghardt blickt voraus auf die mit einiger Verspätung nun doch unmittelbar bevorstehende Wiedereröffnung des berühmten
Teatro Colan in Buenos Aires. Immer mehr Popkünstler - zuletzt
Elvis Costello - weigern sich, informiert Peter Münch, aus Protest gegen die Palästinenserpolitik in Israel aufzutreten: Madonna aber kommt. Alexander Menden meldet, dass der vor dreißig Jahren beim Angeln ertrunkene Autor
James Gordon Farrell nun postum für seinen 1970 verfassten Roman "Troubles" den Booker-Prize erhält. Michael Frank gratuliert dem Wiener Bauhistoriker und
Dichter Friedrich Achleitner zum Achtzigsten.
Besprochen werden die Uraufführung der vollständigen Fragmentfassung von
Karlheinz Stockhausens letztem Großwerk "Klang" in Köln, die Fotoausstellung "
Michael Schmidt: Grau als Farbe" im Münchner
Haus der Kunst, eine Ausstellung
antiker Gemmen in den Staatlichen Antikensammlungen München und Bücher, darunter
Benjamin von Stuckrad-Barres neue Textsammlung "Auch Deutsche unter den Opfern" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).