07.07.2010. Kent Nagano will seinen Vertrag als GMD der Bayerischen Staatsoper nicht verlängern. Grund ist eine chemische Reaktion gegen den intrigengestählten österreichischen Intendanten Nikolaus Bachler, meint die Welt. Die SZ kommt nach aufwändigen Recherchen zu einem ähnlichen Ergebnis. Die FAZ nahm in Berlin Züge der Vergeistigung an Prince wahr. Die FR lernt am Beispiel der Sängern MIA, dass es keine Politik gibt, "die frei von Ästhetik sein kann".
Tagesspiegel, 07.07.2010
Recht munter scheint es in
Percy Adlons Mahler-Film "Mahler auf der Couch" (mehr
hier) zuzugehen, wenn man Christiane Peitz
glauben darf: "Gustav, der aus dem Komponierhäusl stürzt, 'Die Sechste ist geschafft' jubelt und seine Alma auf der Almwiesen herzt. Alma und Zemlinsky, die es
unter dem Flügel treiben. Gropius, der im Speisesaal des altehrwürdigen Tobelbads von Glas, Stahl und Beton schwärmt, bis Mahler ihn mit der Bemerkung brüskiert, zum Erholen habe der Architekt offenbar 'nix gegen Muffiges'."
Aus den Blogs, 07.07.2010
Anette Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung
erzählt auf der Website von "Mut gegen rechte Gewalt", wie sie von einer Journalistin angerufen wurde: "In Taucha, Sachsen-Anhalt sei ein Jugendlicher aus einer Besuchergruppe
zusammengeschlagen worden. Von irgendwelchen Rechten, sagte sie. Die hätten dabei immer 'Du Scheiß-Jude, verpiss dich' und ähnliches gebrüllt. 'Nun, Frau Kahane, was meinen Sie? Ist das
schon Antisemitismus?' 'Schon? Ja klar, was denn sonst?!' sagte ich. 'Naja', meinte sie, 'aber das Opfer war doch ein Israeli'."
Cory Doctorow
amüsiert sich auf seinem Blog
BoingBoing. Die Kollegen von
Woot haben der Presseagentur
AP eine Rechnung geschickt, weil sie einen Beitrag von Woot zitiert hat: "Just to be fair about this, we've used your very own
pricing scheme to calculate how much you owe us. By looking through the link above, and comparing your post with our original letter, we've figured you owe us roughly
$17.50 for the content you borrowed from our blog post, which, by the way, we worked very very hard to create."
TAZ, 07.07.2010
Andreas Klaeui hat in Avignon
Christoph Marthaler getroffen, der mit seinem Stück "Papperlapapp" heute das dortige Festival eröffnet. Tobias Nolte
empfiehlt die Relektüre von
Ernst Bloch, der die "Koalition der utopischen Geschwister Marxismus und Christentum" zum Fundament einer "Konkreten Utopie" machen wollte. Karim El-Gawhary
schreibt zum Tod des ägyptischen Literaturwissenschaftlers
Nasr Hamid Abu Zaid, der für seine Überzeugung, dass der
Koran ein
menschliches Werk ist, zwangsgeschieden wurde..
Besprochen wird das
Prince-
Konzert in Berlin ("virtuosestes Popspektakel des Jahres", schwärmt Maurice Summen).
Und
Tom.
NZZ, 07.07.2010
Eine Renaissance der
Historienmalerei kündigt Andrea Winklbauer an, die im Wiener Belvedere eine Schau von
Anton Romakos Riesengemälde
"Tegetthoff in der Seeschlacht bei Lissa". Marc Zitzmann schildert, wie Frankreich aber auch das zuständige Gericht sich ein Bild vom Trader
Jerome Kerviel zu machen versuchen, der für die Societe Generale fast
fünf Milliarden Euro verzockte. Tomasz Kurianowicz
rasöniert nach einer Tagung am Berliner Lateinamerika-Institut über den Fußball,
Maradona und den Nationalismus.
Besprochen werden die
Ausstellung "Klimakapseln" im Hamburger
Museum für Kunst und Gewerbe,
Christian Meiers Schrift "Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns" und Kinderbücher (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages).
Welt, 07.07.2010
Glaubt man Manuel Brugs Schilderung der neuen Dirigentenkrise in München, dann hatte
Kent Nagano keine echte Chance gegen Staatsopernintendanten
Nikolaus Bachler: "Zwischen dem so sendungsbewussten wie
intrigengestählten Österreicher und dem eher stillen, introvertierten Amerikaner japanischer Abstammung stimmte die Chemie von Anfang an nicht. Es war klar, dass hier ein
Machtkampf auch halböffentlich ausgetragen wurde."
Weiteres: Volker Tarnow
verehrt Gustav Mahler zu seinem 150. Geburtstag als "
hinreißenden Jasager". Der Musikchef der Pariser Oper, Philippe Jordan,
warnt: "Mahler kann zu sehr
gefährlichen Rauschzuständen verführen." Michael Pilz
stellt nach dem Konzert von
Prince in der Berliner Waldbühne klar: "Niemand spielt Gitarre
sinnlicher." Hannes Stein war auf der Dachterrasse des New Yorker Metropolitan Museums
klettern. Wieland Freund
untersucht, ob Deutschland rein morphologisch betrachtet zum
Sommermärchen taugt.
Schriftsteller Michael Kleeberg erinnert daran, dass genau heute vor 25 Jahren
Boris Becker in Wimbledon gewann.
FR, 07.07.2010
Tobi Müller
versucht, Lynn Hirschfelds großes
NYT-
Porträt der Popkünstlerin
MIA zu verdauen und beschreibt die Sängerin, ein Fan der Tamil Tigers, schließlich als neuesten Schrei des
Radical Chic, was für ihn aber okay geht, weil es keine "Politik gibt, die frei von Ästhetik sein kann".
Ioan Holender, zwanzig Jahre Intendant der Wiener Staatsoper, erklärt im
Interview: "Ich weiß nicht genau, was
Regietheater sein soll. Aber es ist nichts tot, was man mit den Mitteln macht, die dem Theater entsprechen." Harry Nutt
war bei einer Diskussion in Berlin mit
Peter Sloterdijk und
Paul Kirchhof über den Steuerstaat. Martin Gehlen
schreibt zum Tod des ägyptischen Literaturwissenschaftlers
Nasr Hamid Abu Zaid.
Besprochen werden die
Ausstellung "Goodbye London - Radical Art and Politics in the Seventies" in der
Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin und
Jose F.
A.
Olivers Lyrikband "fahrtenschreiber" (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
SZ, 07.07.2010
"With my heartfelt appreciation" hat
Kent Nagano nun schriftlich erklärt, dass er seinen Posten als GMD der Bayerischen Staatsoper mit dem Vertragsende 2013 aufgeben wird. Große Aufregung in der
SZ. Offensichtlich verstand sich Nagano nicht mit dem ihm übergeordneten Intendanten
Nikolaus Bachler. "Im Lauf der Zeit gab es zunehmend Probleme, die aber nicht so recht fassbar sind", schreibt Reinhard J. Brembeck im Feuilleton. Egbert Tholl und Alexander Gorkow kommen auf einer ganzseitigen Seite 3-Reportage zu einem ähnlichen Ergebnis.
Weitere Artikel: Catrin Lorch schreibt zum Tod von
Werner Schmalenbach, dem Gründungsdirektor der Kunstsammlung NRW. Catrin Lorch meldet, dass das Städel ein unbekanntes Kirchner-Bild entdeckt hat. Tobias Lehmkuhl verfolgte eine Berliner Tagung zur
Geschichte des Fußballs. Willi Winkler gratuliert
Ringo Starr zum Siebzigsten. Jens Malte Fischer schreibt zum Tod des Mozart-Sängers
Cesare Siepi. Auf der Literaturseite wird der Briefwechsel zwischen
Paul Feyerabend und
Paul Hoyningen-Huene besprochen (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Auf einer ganzen Seite wird
Gustav Mahlers gedacht, der vor 150 Jahren geboren wurde. Reinhard J. Brembeck schreibt den Hauptessay. Musikwissenschaftler Jens Malte Fischer erinnert an die gewundene
Rezeptionsgeschichte Mahlers. Wolfgang Schreiber hat sich nochmal
Adornos Mahler-Essay vorgenommen.
FAZ, 07.07.2010
Einen Mann, der ihr gefiel, hat Rose-Maria Gropp in einem Konzert in der Berliner Waldbühne
erlebt. Sein Name ist (heute jedenfalls wieder)
Prince: "Die Maskerade des hyperaktiven Sexkobolds hat er völlig abgestreift; sein Gesicht, man muss es so sagen, hat
Züge der Vergeistigung angenommen und das bestimmt nicht nur, weil er angeblich seit Jahren den Zeugen Jehovas angehört. Es ist auch diese hohe Konzentration des genialischen Musikers. Ohne Pathos heißt das: Der Mann ist in Würde gealtert."
Weitere Artikel: Mit Bedenken und Sorgen blickt Russland, wie Kerstin Holm berichtet, auf die
Euro-Krise. Paul Ingendaay teilt mit, dass man in Spanien inzwischen sehr stolz auf den erfolgreichen
Systemfußball ist - und den Deutschen seinen Respekt zollt mit dem Lob, sie spielten nachgerade "spanisch". In amerikanischen Zeitschriften liest Jordan Mejias Artikel (unter anderem von Al Gore) zur
BP-Katastrophe und der in sie verwickelten Politik. Der Gesellschaftsforscher Jens Beckert und der Notar Peter Rawert empfehlen dringend, etwas gegen die zunehmende "Zementierung von Vermögensverhältnissen" zu unternehmen, die das gegenwärtige
Erbrecht bewirkt. In der Glosse
schmachtet Lorenz Jäger ein trauriges Loblied auf die leider verschwindende "
singende Stimme" der Frauen. Gemeldet wird, dass
Kent Nagano nach mancherlei Misstönen nun seinerseits den Vertrag als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper nicht verlängern will. Wolfgang Günter Lerch bedauert den plötzlichen Tod des islamischen Reformdenkers
Nasr Hamid Abu Zaid. Eduard Beaucamp
schreibt den Nachruf auf den Kunsthistoriker und Kurator
Werner Schmalenbach. Und vom "König der Bässe"
Cesare Siepi verabschiedet sich Jürgen Kesting.
Auf der
DVD-Seite unternimmt Bert Rebhandl, angeregt durchs Erscheinen einer sechs Filme umfassenden Box, einen Durchgang durch das Werk des österreichischen Dokumentar- und Spielfilmregisseurs
Ulrich Seidl. Empfohlen werden außerdem Editionen des Director's Cut von F. Gary Grays "Law Abiding Citizen", von Alan Corneaus Klassiker "Wahl der Waffen" und - von Dominik Graf -
Sergio Sollimas Siebziger-Jahre-Thriller "Revolver". Auf der Medienseite unterhält sich Andreas Platthaus mit dem Regisseur Kevin McDonald, der gemeinsam mit Ridley Scott das Projekt "Life in a Day" angestoßen hat, das sich die
Verfilmung der Welt durch
Youtube-User für den 24. Juli diesen Jahres vorgenommen hat.
Besprochen werden die Videokunstausstellung "
I want to see how you see" in den Hamburger
Deichtorhallen, die Ausstellung "
1990 - Der Weg zur Einheit" im
Deutschen Historischen Museum Berlin und Bücher, darunter die deutsche Übersetzung von
Richard Yates' Roman (
Leseprobe) "Ruhestörung" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).