04.10.2010. Zeit Online bringt einen Essay des Copyleft-Aktivisten Federico Heinz über das, was das Buch ist, wenn es digital ist. In Arthurmag erklärt der Bestsellerautor Douglas Rushkoff, warum er sein neuestes Buch außerhalb der etablierten Verlage veröffentlicht. Der Standard bringt einen Überblick über die österreichische Verlagsszene. In der FAZ erklärt David Simon, was "The Wire" von den "Mad Men" unterscheidet. Die taz erkennt in der Zeichnerin Molly Norris ein Opfer der naiv in Anspruch genommenen freien Meinungsäußerung.
Zeit, 04.10.2010

Zeit-online hat einen interessanten
Essay des argentinischen Programmierers und
Free-Software-Aktivisten Federico Heinz über die Zukunft des Buchs übernommen. Der Essay steht in dem Band
"Argentina Copyleft!", den die Heinrich-Böll-Stiftung gerade veröffentlicht hat. Heinz erklärt den Unterschied zwischen einem
Buch, einem
E-Book und einem
digitalen Archiv, das ein Werk enthält. "Im Prinzip wäre ein elektronisches Buch nichts anderes als ein digitales Archiv, in das
ein Werk eingeschrieben wird. Es handelt sich um keinen Gegenstand, und es bedarf weder einer Infrastruktur noch größerer Kapitalinvestitionen, um es herzustellen und zu verbreiten. Sobald das erste Exemplar eines Werkes in digitaler Form auf einem Datenträger vorliegt, verursacht die Herstellung weiterer Kopien und ihre Verfügbarmachung in P2P-Netzwerken
keine nennenswerten Kosten mehr." Ein E-Book dagegen, mit seinen vom Verlag kontrollierten Lesemöglichkeiten, bietet "nicht nur weniger Vorteile als ein simples digitales Archiv, es bietet sogar weniger Möglichkeiten als ein traditionelles Buch aus Papier. Ein Papierbuch kann man
ausleihen, in einer öffentlichen Bibliothek anfordern, und man kann es lesen, ohne dass jemand
davon Kenntnis erhält. Und es ist selbst dann noch verfügbar, wenn der Verlag pleite gegangen ist, was ein E-Book nicht überleben würde: Wenn der
Server abgeschaltet wird, ist das Buch nicht mehr da."
SZ, 04.10.2010
Heute Abend wird in Frankfurt der
Deutsche Buchpreis verliehen, der bis heute umstritten ist. Aber dass er den Mainstream fördert, kann man nicht sagen, meint Christopher Schmidt: "Ob
Katharina Hacker,
Kathrin Schmidt oder
Uwe Tellkamp - durchweg gewannen Bücher, die thematisch relevant sind und formal avanciert." Jens Bisky inspiziert drei Entwürfe für ein
Einheitsdenkmal für Berlin-Mitte, die jetzt von der Jury ausgewählt wurden. Thomas Steinfeld berichtet, dass der Vertrag
Hellmut Seemanns als Leiter der Weimarer
Stiftung Klassik nach zehn Jahren Amtszeit nicht verlängert werden soll. Jürgen Müller fragt, ob ein jüngst
Pieter Bruegel zugeschriebenes
Gemälde aus dem Prado, tatsächlich Pieter Bruegel zugeschrieben werden kann. Michael Moorstedt zitiert in den "Nachrichten aus dem Netz" eine
Studie über amerikanischen
Technikjournalismus, in der sich eine gewisse Obsession für die Firmen
Apple und Google herausschält.
Besprochen werden
Brechts und
Weills "Mahagonny"-Oper in Madrid, mit der
Gerard Mortier seine Amtszeit am Teatro Real startet, neue DVDs,
Sibylle Bergs neues Stück "Missionen der Schönheit" in Stuttgart, eine Ausstellung über
Modefotografie der Neunziger in
Frankfurt und Bücher, darunter
Doron Rabinovicis für den Buchpreis nominierter
Roman "Andernorts" (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).
Weitere Medien, 04.10.2010
Britische muslimische Privatschulen können ihren Schülerinnen offenbar eine
Niqab-Pflicht auferlegen,
berichtet der Independent: "Islamic schools have introduced uniform policies which force girls to wear the burka or
a full headscarf and veil known as the niqab. Moderate followers of Islam said yesterday that enforcement of the veil was a 'dangerous precedent' and that children attending such schools were
being '
brainwashed'."
Welt, 04.10.2010

Tim Ackermann
trifft Anselm Kiefer in dessen Pariser Atelier. "Man kann nicht leugnen, dass man diesem Künstler mit einer
gewissen Nervosität begegnet. Auch wenn man mit ihm
über Kühe reden will. In der
Villa Schöningen stellt er gerade sechs Bilder mit Wiederkäuern aus. Aber natürlich ist jedem klar, dass es Kiefer nicht um das Nutztier an sich geht. [...] 'Pflanzen haben eine besondere Bedeutung', sagt Kiefer. 'Bei Robert Fludd sind die Pflanzen mit dem Kosmos verbunden.' Die Kuh hingegen ist ein Pflanzenfresser. 'Ja, aber sie
metabolisiert die Pflanzen, sie nimmt sie in sich auf', sagt Kiefer. 'Deshalb ist die Kuh prädestiniert, den Kosmos darzustellen.'"
In Großbritannien haben sich jetzt
die Komiker der Islamisten angenommen,
berichtet Thomas Lindemann. Mit gebührender Vorsicht, versteht sich. "Fünf Jahre will Regisseur
Chris Morris für
'Four Lions' recherchiert haben. In Interviews erzählt er immer wieder, dass er sich das Buch von zahlreiche Muslimen und sogar
Imamen absegnen ließ."
Außerdem: Berthold Seewald
berichtet vom
Deutschen Historikertag. Besprochen werden
Burhan Qurbanis Film "Shahada",
zwei Biografien über
Carla Bruni,
Thomas Lehrs Roman "September. Fata morgana" und die
Adaption von
Alfred Döblins "Amazonas" am Berliner Gorki-Theater.
TAZ, 04.10.2010
"Ich bin nicht politisch. Ich bin ein kritischer, moralischer und ästhetischer Gegner",
sagt der
Schriftsteller Liao Yiwu im Interview mit Susanne Messer über sein Leben und Arbeiten in China. Vom Westen erwartet er sich übrigens Folgendes: "Der Westen muss begreifen, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die nach dem Massaker 1989
in den Untergrund gegangen sind und dort noch immer leben. Das sind Leute, die nie aufgegeben haben. Sie brauchen einen Funken Hoffen. Eine finanzielle Nothilfe wäre gut. Ich kenne einen Underground-Künstler, der am sechzigsten Geburtstag der Volksrepublik China im letzten Oktober eine Performance gemacht hat. Er hat
sechzig lebendige Fliegen gefressen. Der Westen müsste ihm vermitteln, dass es Dinge gibt, die
besser schmecken als Fliegen."
Andreas Resch
sieht in der amerikanischen Zeichnerin
Molly Norris, die nach ihrem "Everybody Draw Mohammed Day"-Cartoon untertauchen musste, das Opfer eines
Facebook-Hypes: Sie konnte nämlich "die Folgen des
naiv in Anspruch genommenen Rechts auf freie Meinungsäußerung in diesem Fall überhaupt nicht abschätzen".
Weiteres: Ambros Waibel
besichtigt die Ausstellung "
Guido Sieber - Rock 'n' Roll Fever" im Frankfurter
Caricatura Museum. Dorothea Hahn
berichtet, wie gefährlich es für Journalisten geworden ist, über den in Mexiko tobenden
Drogenkrieg zu berichten.
Und
Tom.
FR, 04.10.2010
Nur
ein Artikel online heute morgen bei der
FR. Wieviel Westen steckt im Islam, fragt der Islamwissenschaftler
Thomas Bauer und stellt fest: eine Menge. Guido Fischer hörte neue Kompositionen von Michael Jarrell, Hans Zender und Hugues Dufourt in der WDR-Reihe "Musik der Zeit". Besprochen wird das
Konzert von
Supertramp in Frankfurt (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Aus den Blogs, 04.10.2010
(Via
Boingboing) Der
Bestsellerautor Douglas Rushkoff hat ein Buch außerhalb der traditionellen Verlagsstrukturen verfasst, das nur über eine
einzige Website gekauft werden kann und
fragt in
Arthurmag selbst : "Why would a bestselling author, capable of garnering a six-figure advance on a book, forgo the money, the media, and the mojo associated with a big publishing house?" Seine Antwort: Because it would make my book twice as expensive for you,
half as profitable for me, less purposefully written, and
unavailable until about two years from now."
"Wurde hier insgeheim doch ein Requiem für
Christoph Schlingensief abgehalten?",
fragt Jürgen Otten nach der Berliner Uraufführung von
Jens Joneleits Oper "Metanoia", bei der eigentlich Christoph Schlingensief Regie führen sollte. Nach dessen Tod wurde alles
Destruktion und Diffusion: "Erzählen wir eben keine Geschichten, außer der, dass der Tod das
Widerwärtigste im Leben ist, und noch widerwärtiger der Tod, der vor einem steht und einen
fies angrinst mit vierundzwanzig leeren Quinten. Aber was will 'Metanoia' dann? Uns verwirren? Verstören? Unsere philosophische Standhaftigkeit prüfen? Die Welt vorm Menschen retten und/oder den Menschen vor der Welt?"
NZZ, 04.10.2010
Marion Löhndorf
schildert die entsetzten Reaktionen des
britischen Kulturbetriebs auf die Sparpläne der Regierung: "Dass die Boomjahre vorbei sind und entsprechend reagiert werden muss, wird - theoretisch - weithin akzeptiert. In dem Zusammenhang wird das Vorhaben des Kulturministers
Jeremy Hunt, auch im Verwaltungsapparat des eigenen Ministeriums Einsparungen von bis zu 50 Prozent vorzunehmen, zwar positiv aufgenommen. Trotzdem herrscht eine fast
täglich wachsende Panik unter den englischen Künstlern und Kulturmanagern."
Weiteres: Christoph Jahr
berichtet vom Historikertag in Berlin. Besprochen werden die
Ausstellung "Counter Space" über Küchendesign im New Yorker Moma (mit der Hausfrau als "
fröhlicher Feldherrin") und Christiane Pohles
Dostojewski-Adaption "Der Spieler" am Theater Basel.
Außerdem erscheint heute die
Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse. Im Aufmacher preist Andreas Breitenstein
Martin Caparros' argentinischen Roman "Wir haben uns geirrt" (
Leseprobe).
FAZ, 04.10.2010
Eine von der Lehrergewerkschaft in Auftrag gegebene sehr besorgniserregende Studie zu Intoleranz an von
muslimischen Jugendlichen dominierten Schulen wurde an diesem Wochenende in einem Workshop diskutiert. Regina Mönch war dabei, hat aber den Eindruck, dass immer noch viel zu politisch korrekt abgewiegelt wird. Die Lage der Dinge nämlich sei längst ernst: "Wo Deutsche nur noch eine Minderheit sind, in Klassenzimmern und auf Schulhöfen bestimmter Viertel, geht es
ziemlich brutal zu; die Intoleranz trifft deutsche Mitschüler und Andersgläubige - die Gewerkschafter sprechen von 'Nichtmuslimen' -,
Mädchen sowieso. Aber auch das weibliche Lehrpersonal und leistungsstarke Schüler sind ungeheuerlicher Diskriminierung und verbalen oder
tätlichen Übergriffen ausgesetzt."
Weitere Artikel: Patrick Bahners resümiert den
Deutschen Historikertag, als dessen Haupttendenz er den schmerz- und pathosfreien Abschied vom Gedanken des deutschen
Sonderwegs ausmacht (und nebenbei liefert er noch folgende Erkenntnis mit: "Die Religionswissenschaft erweist sich, betrachtet man sie selbst historisch, als Dogmatik eines
Fundamentalismus der Aufklärung"). Der Schriftsteller Rolf Dobelli erklärt in seiner "Klarer denken"-Kolumne die "
sunk cost fallacy" - jene Fälle also, in denen wir an etwas sinnloserweise festhalten, weil wir schon so viel darein investiert haben. Andreas Rossmann erkennt zum Saisonauftakt schon klar die Folgen des rabiaten Sparkurses beim
Theater in Essen: Hier entstehe "Stadttheater als bessere Kleinkunstbühne".
Katja Gelinski berichtet, dass die neue US-Supreme-Court-Richterin
Elena Kagan sich bereits in der Hälfte der vom Gericht neu angenommenen Fälle für befangen erklärt hat, weil sich als Rechtsberaterin von Präsident Obama mit den verhandelten Gegenständen zu tun hatte. In der Glosse
kritisiert Hubert Spiegel scharf, wie
Hellmut Seemann, dem Präsidenten der Klassik Stiftung Weimar, jetzt über die Hintertreppe gekündigt wurde. Timo John informiert über Pläne zum Wiederaufbau der Burgruinen auf dem
Hohenstaufen.
Besprochen werden eine von
Torsten Fischer inszenierte und der Dresdner Staatskapelle unter dem Dirigenten Omer Meir Wellber gespielte
Aufführung von Richard Strauss' "
Salome" in der Dresdner Semperoper, die
Thomas-Schütte-Ausstellung "Big Buildings" in der Bonner
Kunsthalle und Bücher, darunter
Nicholas Carrs neue Internet-Thesen unter der Fragestellung "Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn so lange?" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
Für die
FAZ am Sonntag hat sich Tobias Rüther mit
David Simon, dem Erfinder der Serie "The Wire" unterhalten, der sich hier auch über die einzige Serie äußert, die womöglich interesssanter ist als seine: "Ich habe 'Mad Men' nie richtig verfolgt, ich sollte dazu nichts sagen. Aber: Ich bin
nicht an Unterhaltung interessiert. Was ich mache, muss zwar unterhaltsam sein, sonst würde man mich es nicht mehr machen lassen. Aber wenn ich am Ende Unterhaltung produziert habe, die es nicht wert ist, dass man sich politisch damit auseinandersetzt, habe ich meine Zeit verschwendet. "