17.12.2010. Alan Posener wendet sich in starke-meinungen.de gegen Pascal Bruckners Perlentaucher-Artikel über die "Erfindung der Islamophobie". Vera Lengsfeld erinnert in der Achse des Guten an Jürgen Fuchs. Die FR erklärt am Beispiel Italiens, was Selbstentmächtigung der Politik ist. Die SZ versucht ihren Lesern zu erklären, was Leistungsschutzrechte sind.
Aus den Blogs, 17.12.2010
Alan Posener
wendet sich auf
starke-meinungen.de gegen
Pascal Bruckners Perlentaucher-
Artikel über die "Erfindung der
Islamophobie" - und er zieht eine Parallele aus dem Kalten Krieg: "Gegen den Kommunismus zu sein war in den 1950er Jahren nicht nur ehrenhaft; der
Antikommunismus war als Ergänzung des Antifaschismus die einzig mögliche aufrechte Haltung für kritische Intellektuelle. McCarthy und seinesgleichen machten aber daraus
eine Hysterie und die Begründung für eine Hexenjagd. Ähnliches wird heute mit dem Islam und dem Islamismus versucht, und hier verläuft die Grenze zwischen Religionskritik und Islamophobie."
Vera Lengsfeld
erinnert in der
Achse des Guten an
Jürgen Fuchs, der in diesen Tagen sechzig Jahre alt geworden wäre : "Er wurde von der Staatsicherheit verhaftet und ins Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen gebracht. Hier wurde er neun Monate verhört, zeitweilig von
Zellenspitzeln schikaniert. Das waren verkleidete Stasi-Männer oder Gefangene, denen Hafterleichterungen versprochen worden war als Lohn für ihre Zusammenarbeit mit der Stasi. Der Stasi-inszenierte Zellenkrieg wurde selbst für einen beherrschten Mann wie Fuchs unerträglich. Er schreibt: 'an einem warmen, sonnigen Tag
wollte ich töten...Ich sah ihn an? Da sah ich die Angst in seinen Augen. Der Tod war in die Zelle getreten. Da erschrak er, da erschrak ich.'" Fuchs starb, wahrscheinlich von der Stasi verstrahlt, mit 48 Jahren an Leukämie.
Es gibt auch Opfer des Erfolgs von Google und Facebook - und die verlieren ihren Job bei
Yahoo. Yahoo schließt
Delicious und andere Social Web-Dienste,
meldet Techcrunch.
Ein Traum für Statistiker. Google
präsentiert in seinem offiziellen Blog den
Books Ngram Viewer. Damit lassen sich in Google Books gespeicherte Bücher nach
Begriffshäufigkeit durchsuchen, die in einer Grafik dargestellt wird. Unser Beispiel: der
Begriff "Globalisierung" seit 1980:

Der Historiker
Timothy Snyder hat sich
Lanzmanns Film "Shoah", der in New York zur Zeit wieder läuft,
angesehen, und er spart im Blog der
New York Review of Books nicht mit harscher Kritik: "There is an undeniable moral and aesthetic power to the scenes in which
Polish peasants reveal their anti-Semitic understanding of the world in their very descriptions of the Holocaust: as a catastrophe brought down on Jews by the Jews themselves. But how does Lanzmann direct this power? He
flatters us with it, unmistakably separating the western allies from a barbarous Polish countryside where such things as death."
Welt, 17.12.2010
Wolf Lepenies
hat "De l'esprit de cour", das neueste Buch des Sarkozy-Konkurrenten
Dominique de Villepin gelesen, der der französischen Politik und Gesellschaft "
höfischen Geist" vorwirft. Die Attacke gegen Sarkozy lautet allerdings wie folgt: "Sarkozy ist alles andere als ein Souverän, er ist
nur ein Höfling, 'le premier des courtisans'."
Weitere Artikel:
Gemeldet wird, dass
Florian Illies das Feuilleton der
Zeit verlässt und in die Geschäftsführung des Kunstauktionshauses
Villa Grisebach eintritt, wo er für das 19. Jahrhundert zuständig sein wird. Hanns-Georg Rodek
gratuliert Armin Müller-Stahl zum Achtzigsten.
Besprochen wird eine große
Agnelo Bronzino-
Ausstellung in
Florenz.
NZZ, 17.12.2010
Der
Historiker Ronald D. Gerste berichtet von den bevorstehenden Gedenkfeiern 150 Jahre nach Beginn des
amerikanischen Bürgerkriegs und von Tendenzen, die konföderierte Seite im doppelten Sinne "weißzuwaschen": "Eine Tendenz zur selektiven, teilweise schöngefärbten Erinnerung hat sich in letzter Zeit ausgeprägt und beunruhigt neben professionellen Historikern vor allem das linksliberale Segment der geschichtsbewussten Amerikaner und die Sprecher afroamerikanischer Organisationen. Denn die Problematik der
Sklaverei wird da und dort schlicht unter den Tisch gekehrt."
Weiteres: Joachim Güntner
resümiert die Kritik an der
Historikerstudie zum
Auswärtigen Amt, wehrt sie aber schließlich mit
Christopher Browning ab. Besprochen werden die
Ausstellung "Under Destruction" im
Museum Tinguely in Basel, eine
Schau von
Anna Viebrocks Bühnenbilder im Schweizerischen Architekturmuseum in Basel, die
neue CD "Entren Los Que Quieren" der
revolutionären Band Calle 13 aus Puerto Rico sowie das Album "Mujeres de Agua " des spanischen Musikproduzenten
Javier Limon.
FR, 17.12.2010
Bei Avantgarde, Faschismus und Mobiltelefonen war
Italien Vorreiter in Europa, Peter Michalzik
fürchtet, dies könnte auch beim
Berlusconismus und der
zynischen Politik so sein: "Italiens historische Rolle läge dann seit etlichen Jahren darin, allen, die es sehen wollen, die Spielarten der
Selbstentmächtigung der Politik vor Augen zu führen. Mit der Rolle eines mit der Politik verschmolzenen Fernsehens (bei uns trägt es den Namen
öffentlich-rechtlicher Rundfunk), einer sich um differenziertere Medien und Auseinandersetzung nicht weiter scherenden politischen Klasse, einem Wandel des Politikerbilds vom etwas
zerknitterten Mann (bei uns zuletzt Gerhard Schröder) zur jungen
blonden Frau (bei uns Kristina Schröder)."
Nur halb passt dazu dann Holger Schmales
Eloge auf das gut geölte Afghanistan-Doppel von Guttenberg und Kerner auf der
Medienseite: "Noch nie ist im deutschen Fernsehen so
intensiv und einfühlsam, wenn nicht für den Einsatz, so doch für die Soldaten geworben worden."
Weiteres: Robert Kaltenbrunner
diskutiert in einem hintergründigen Artikel zur Stadtplanung die Konzepte der schönen Stadt. Besprochen werden Sabrina Hölzers Musiktheaterprojekt "Into the dark" im Funkhaus Berlin, die
Bühnenadaption von
Arthur Schnitzlers Erzählung "Sterben" am Schauspiel Frankfurt,
Christoph Peters'
Geschichtenband "Sven Hofestedt sucht Geld für Erleuchtung" (siehe auch unsere
Bücherschau des Tages).
TAZ, 17.12.2010
Maximilian Probst
gratuliert dem Hamburger
Szene-Club Golden Pudel zum 21. Geburtstag. "Die '
Elbphilharmonie des Herzens?, wie sich der Club auch nennt, zieht die Stadt mithin als Argument heran, um ihr Geld lieber in Großprojekte wie das Millionengrab der Elbphilharmonie ohne Sinn und Verstand zu schaufeln ... So ist auch die Gala des Pudel-Clubs auf Kampnagel mehr als nur eine Geburtstagsfeier. Sie ist ein Kniff im Hamburger Handgemenge zwischen Ökonomie und Kultur."
Besprochen werden das
Debütalbum "Here Today Gone Tomorrow" des
DJs und Musikproduzenten
Fritz Kalkbrenner, das
Album "The Trip" der
Sängerin Laetitia Sadier und die
DVD von
Karlheinz Martins expressionistischem Film
"Von morgens bis mitternachts" aus dem Jahr 1920.
Und
Tom.
FAZ, 17.12.2010
Eindringlich fordern Martina Schulte-Lenzen und Joachim Müller-Jung ein Umdenken in der ärztlichen Behandlung
alter Menschen: Angesichts der demografischen Entwicklung brauche es sehr viel mehr Experten für Geriatrie. In der Glosse
schildert Karen Krüger das unverhältnismäßig brutale Vorgehen der
türkischen Polizei gegen demonstrierende Studenten. Nur zustimmen kann Christian Geyer der von ihm in den zentralen Punkten referierten europapolitischen Mahnrede
Helmut Schmidts in der aktuellen
Zeit. Gina Thomas meldet, dass die 1975 eingestellte Fernsehserie "
Das Haus am Eaton Place" (im Original: "Upstairs, downstairs") zu Weihnachten ihre Wiederauferstehung mit neuen Folgen erfährt. In seiner "Links"-Kolumne warnt Raphael Gross vor
Volksinitiativen, die sich nur zu oft als "Motor für aggressive populistische Strömungen" erweisen. Jürgen Dollase befasst sich in seiner Serie mit "Adventsminiaturen" diesmal mit dem "
Weihnachtsplätzchen". Gerhard Rohde schreibt zum Tod des Schweizer Tenors
Hugues Cuenod. Auf der Medienseite schildert David Klaubert das Medienspektakel mit Hindernissen, zu dem sich der Prozess gegen
Jörg Kachelmann entwickelt hat. Bisher nur online (wegen des Redaktionsschlusses)
schreibt Andreas Kilb den Nachruf auf
Blake Edwards.
Besprochen werden eine
Giorgio-Morandi-Ausstellung in der
Fondazione Ferrero in Alba, Sarah Leonors Film "Au voleur" mit
Guillaume Depardieu in seiner letzten Rolle, und Bücher, darunter
Ken Folletts neuer Riesenroman "Sturz der Titanen" (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr):
SZ, 17.12.2010
In der Debatte um
Kulturalismus und Universalität der Menschenrechte sucht der Sinologe
Heiner Roetz eine vermittelnde Position. Man müsse China, meint er, gar nicht mit vermeintlich "westlichen Werten" traktieren, da sich in der chinesischen Kultur selbst Ansätze für Menschenrechte und Demokratie finden lassen: "Es gehört zu den Paradoxien der gegenwärtigen Situation, dass sich der Dissident
Liu Xiaobo und seine Kritiker in einem einig sind: dass nämlich die modernen Ideen der Demokratie und der Menschenrechte ein der chinesischen Kultur fremdes Element seien - weshalb der eine die 'Verwestlichung' fordert und die anderen den Autoritarismus rechtfertigen. Doch muss man sich in
falsche Alternativen erst gar nicht hineinzwingen lassen, wenn man zeigen kann, dass relevante Stränge der chinesischen Geistesgeschichte selbst sich im Sinne einer möglichen Vorgeschichte jener Ideen, auch wenn sie Importe sind, rekonstruieren lassen."
Auf der Medienseite versucht Simon Feldmer den erstaunten Lesern der
SZ zu erklären, was es mit dem
Leistungsschutzrecht auf sich hat: "Es geht um Copyright-Verletzungen und die gewerbliche Vervielfältigung der nach wie vor meist
frei verfügbaren Online-Inhalte der Verlage." (Außer natürlich bei der
SZ, die seit Jahren hinter eine Bezahlschranke verschanzt ist, mehr
hier.) Und ein Burda-Sprecher schlägt zur Heilung des Problems vor: "Ausschließlich den Presseverlagen steht es zu, ihre Presseerzeugnisse oder Teile davon zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben."
Weitere Artikel: In äußerst scharfem Ton schilt Till Briegleb den noch amtierenden Hamburger Kultursenator
Reinhard Stuth, weil dieser in letzter Minute noch möglichst viele Fakten schaffen will: "Sein ganzes Verhalten hat etwas von der
ätzenden Impertinenz Richards III., der Lady Anne erst ihren Gatten meuchelt, um sich dann als Ersatz anzupreisen." Burkhard Müller denkt darüber nach, wie auf dem Gebiet des
Glücksspiels der Staat und sein Bürger sich in dialektischer Weise einig werden. Peter Laudenbach
mokiert sich über falsche Huren (und über die "sittenwidrige" Bezahlung der echten) in
Volker Löschs jüngster Authentizitäts-Inszenierung "Lulu". Wie es kam, dass
Hape Kerkeling auf seiner neuen CD einen Text der Band
Erdmöbel singt, ohne deren Namen zu nennen, schildert Matthias Waha. Kristina Maidt-Zinke berichtet über den Stabwechsel im Münchner
Lyrik Kabinett. Dem Schauspieler, Maler und neuerdings Sänger
Armin Mueller-Stahl gratuliert Susan Vahabzadeh zum Achtzigsten. Tobias Kniebe
schreibt zum Tod des Filmregisseurs
Blake Edwards ("Der rosarote Panther", "Frühstück bei Tiffany's"). Den Nachruf auf den
Schriftsteller Peter O. Chotjewitz hat Hannelore Schlaffer verfasst.
Besprochen werden eine Inszenierung der "
Bakchen" des Euripides in Hannover, die Ausstellung "
Napoleon und Europa" in der Bonner
Bundeskunsthalle und Bücher, darunter
Horst Bredekamps "Theorie des Bildakts" (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr).