Heute in den Feuilletons

Allenfalls ein Huster der Geschichte

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.01.2011. Die SZ stellt Kirill Petrenko, den Dirigenten der "Tosca" in Frankfurt, unter Genieverdacht. Die Welt findet immerhin, dass er dieses "Quälodram des Repertoirebetriebs" recht kultiviert präsentiert. In der Jüdischen Allgemeinen bekennt Enoch zu Guttenberg seinen metaphysischen Katzenjammer. Mashable meldet, dass man auf Ebay die Identität des Streetart-Künstlers Banksy ersteigern kann. Die FAZ blickt sich um in der Welt nach Stuxnet.

FR, 18.01.2011

Norbert Mappes-Niediek porträtiert die kroatische Linguistin Snjezana Kordic, die mit peniblen Studien die Hüter der Nationalsprache zur Weißglut trieb, indem sie nachwies "was alle eigentlich immer wussten: Kroaten, Serben, Bosnier und Montenegriner sprechen dieselbe Sprache. Nur nennt man sie nicht mehr, wie bis 1991, Serbokroatisch, sondern in jedem Land anders."

Auf der Medienseite zeigt ein Foto vom Dumont-Neujahrsempfang in Berlin den Patriarchen des Hauses mit Angela Merkel, aber ohne Sohnemann (den wir auch in dieser Bilderstrecke vermissen). Ulrike Simon lässt außerdem kein gutes Haar am Focus unter Wolfram Weimer.

Weiteres: Daniel Kothenschulte erinnert an den Skandal um den Hildegard-Knef-Film "Die Sünderin" vor sechzig Jahren. Peter Iden schreibt einen Nachruf auf die amerikanische Theaterleiterin Ellen Stewart. Hans-Klaus Jungheinrich findet die Frankfurter "Tosca" unter Andreas Kriegenburg und Kirill Petrenko fulminant. Daniel Kothenschulte kommentiert die Golden Globes. Besprochen werden außerdem ein "Kirschgarten" am Schauspiel Köln und eine "Nora" am Gorki Theater in Berlin.

Welt, 18.01.2011

Manuel Brug ist so mittel begeistert von der Frankfurter "Tosca" unter Andreas Kriegenburg und dem "im Süden fast messianisch gefeierten" Dirigenten Kirill Petrenko, der dieses "Quälodram des Repertoirebetriebs" als "kultivierte Schlachtplatte mit sanft ausgemalten Farben und nicht zu lauten Folterattacken" serviere.

Weitere Artikel: Hanns-Georg Rodek lässt die Verleihung der Golden Globes Revue passieren. Ulf Poschardt besingt in der Leitglosse die Renaissance des Kurfürstendamms.

Besprochen werden Jorinde Dröses Inszenierung von Ibsens "Nora" am Gorki Theater und Coline Serreaus Film "Good Food Bad Food" (mehr hier).

NZZ, 18.01.2011

Ulrich M. Schmid beobachtet einen nationalistischen Trend unter Russlands Schriftstellern. Daniela Meyer begutachtet das Bürogebäude, das Herzog und de Meuron für das Biopharma-Unternehmen Actelion in Allschwil bei Basel entworfen haben. Christoph Lüthy fürchtet die von der niederländischen Regierung angekündigten Einsparungen in Kultur und Bildung. Joachim Güntner berichtet von der Suhrkamp-Tagung in Marbach.

Besprochen werden eine Inszenierung von August Strindbergs "Rausch" am Akademietheater in Wien, Mircea Cartarescus Adoleszenz-Roman "Travestie" und zwei Neuerscheinungen von Zsuzsanna Gahse (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Aus den Blogs, 18.01.2011

So ungefähr, lernen wir bei Open Culture, funktioniert ein Kanon von Bach:



Auf Ebay wird ein Stück Papier versteigert, auf dem die Identität des britischen Streetart-Künstlers Banksy bekanntgegeben wird, meldet Jolie O'Dell in Mashable: "In the listing, the seller states, 'I have uncovered [Banksy's] identity by matching up the prices of his sold pieces to corresponding tax records. I will reveal no more details... I give you 100% assurance that it is most certainly the full name of the street artist known as 'Banksy.'"
Stichwörter: Banksy, Ebay, Kanon

Weitere Medien, 18.01.2011

Ohje ohje, da hat aber einer einen Katzenjammer. Der Vater unseres strammen Verteidigungsministers, Enoch zu Guttenberg, gibt im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen zwar zu, auf der Sonnenseite der Titanic zu leben, aber seinen Pessimismus lässt er sich davon noch lange nicht nehmen: "Der Mensch ist der zerstörerische Faktor. Die Menschheit ist eine Sackgasse der Schöpfung. Es ist meine tiefe Überzeugung: Angesichts des Alters des Universums wird sie allenfalls ein Huster der Geschichte sein."

TAZ, 18.01.2011

Stefan Franzen stürzt sich ins Musikgetümmel im ghanaischen Accra und stattet an der Legon-Universität auch seiner Eminenz Ebo Taylor Besuch ab. Hier erzählt ihm der Vater des Afrofunk, wie er in London die richtige Mischung fand: "Ich diskutierte dort oft mit Fela Kuti darüber, wie wir den Highlife weiterentwickeln könnten. Irgendwann realisierte ich, dass unsere Musik seit der Kolonialisierung sehr nach Dur klang, ganz im Gegensatz zu der unserer Vorfahren. Ein Weg, da wieder rauszukommen, war der Funk."

Weiteres: Susanne Knaul erzählt, wie sich ein kleines Kino im palästinensischen Jenin gegen Ignoranz und Halbstarke zu behaupten versucht. In Ihrer Kolumne widmet sich Julia Große heute Londoner Sparbemühungen. Auf den vorderen Seiten kommentiert Georg Baltissen die Jasmin-Revolution nicht sehr zuversichtlich: "Dem revoltierenden Tunesien fehlen die Verbündeten."

Besprochen werden die Ausstellung "Afropolis" über den Alltag in fünf Megastädten Afrikas im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum sowie die Mode- und Kunstarbeiten der Chicks on Speed.

Und Tom.

SZ, 18.01.2011

Reinhard J. Brembeck stellt nach Anhören der "Tosca" in Frankfurt den Dirigenten Kirill Petrenko (der demnächst an die Bayerische Staatsoper wechselt) unter Genieverdacht: "Petrenko hat einen Gazevorhang über die 'Tosca' geworfen, unter dem sie sich verführerisch räkelt, aber auch in ihrer Todesangst stumme Schreie ausstößt. Trotz aller Einseitigkeit ein Dirigierwunder."

Weitere Artikel: Laura Weissmüller ist nicht zufrieden mit der Kunstpolitik der Stadt Berlin, wo man weder eine Kunsthalle zustande bringt noch auch nur einen Ort für die Galerie c/o Berlin findet. Camilo Jimenez liest das "Konflikt-Barometer" des Instituts für Internationale Konfliktforschung der Universität Heidelberg, das diesmal auch den Drogenkrieg in Mexiko einbezieht. Susan Vahabzadeh verfolgte die Verleihung der Golden Globes. Jonathan Fischer porträtiert den HipHop-Produzenten RZA, der auch die nächste Platte der offenbar wiederauferstandenen Amy Winehouse produzieren wird. Volker Breidecker verfolgte eine Tagung über Verschwörungstheorien in Freiburg.

Besprochen werden die Ausstellung "Renaissance am Rhein" in Bonn und Bücher, darunter Massimo Cianciminos Erinnerungen an seinen Vater, den Mafiaboss Don Vito (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 18.01.2011

Der CCC-Vorsitzende Frank Rieger erklärt aus Anlass des Stuxnet-Falles, dass Software-Sicherheitslücken schon seit langem als Einfallstor für geheimdienstliche Spionage und Sabotage genutzt werden. Öffentliche Kontrolle gibt es kaum, in klandestinen Einrichtungen wird gezielt nach Lücken gesucht: "Die Forschung findet im Verborgenen statt, nur an Anzahl und Umfang der Sicherheitsupdates ihres Herstellers können Kunden erkennen, mit welchen Lücken sie bis dato gelebt haben. Ein wichtiger Seiteneffekt der neuen Verschwiegenheit: Ob wirklich alle gefundenen Sicherheitslücken schnell geschlossen werden oder ob nicht die besten für geheimdienstliche Zwecke aufgespart werden, ist zu einer Frage des Vertrauens in die Ehrlichkeit des Herstellers geworden."

Mit einer Brandrede gegen den Sarrazinismus mischt sich nun auch der Schriftsteller Thomas Lehr in die Debatte um Goethe und den Propheten und hält die Versuche für lächerlich, den Dichter "zu einem harschen modernen Islamkritiker umzuföhnen".

Weitere Artikel: Ein von der französischen Regierung verfügtes Redeverbot von "Indignez-vous"-Autor Stephane Hessel an der Ecole Normale Superieure begreift Jürg Altwegg als "moralische Bankrotterklärung der Menschenrechtspolitik". Die Schließung des Moskauer Literatentreffs "Praga" kommentiert Kerstin Holm. Oliver Jungen vermeldet, dass der zum Gegenstand heftiger Spekulationen und Streitigkeiten gewordene Nachlass von Max Brod jetzt möglicherweise versteigert werden soll. Auf der Medienseite staunt Michael Hanfeld über eine höchst seltene Sache: eine deutsche Fernsehserie (nämlich die SAT.1-Produktion "Danni Lowinski") erfährt ein US-Remake.

Besprochen werden die Mannheimer Uraufführung von Philipp Löhles neuem Drama "Supernova (wie Gold entsteht)" (Martin Halter hält insgesamt wenig von den "schludrig fabrizierten politischen Komödien" dieses Autors), Andreas Kriegenburgs Frankfurter "Tosca"-Inszenierung mit Kirill Petrenko als Dirigenten, eine Madrider Aufführung von Glucks "Iphigenie en Tauride" mit Placido Domingo, die Anselm-Kiefer-Ausstellung "Europa" in der Potsdamer Villa Schöningen und Bücher, darunter Peter Careys neuer Roman "Parrot und Olivier in Amerika" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).