02.02.2011. In der taz feiert der Politologe Amr Hamzawy das neue Ägypten. In der FR erklärt Moshe Arens, warum Israel am besten mit Diktaturen kann. Die Welt beobachtet 2000 Heavy-Metal-Fans beim Nachmittagsbier am Pool. In der SZ erklärt Walter Burkert, warum Jesus kein Vegetarier war. Die FAZ stellt arabische Rapper vor.
TAZ, 02.02.2011
Der Politologe
Amr Hamzawy steht mit Tränen in den Augen auf dem
Tahrir-Platz und
schildert die neue Bewegung, die gerade Ägypten revolutioniert: "Die ganze Gesellschaft, Arme, Reiche und Mittelschicht, Junge und Alte, Männer und Frauen sind auf der Straße. Aber
nicht aus ideologischen Gründen. Und es ist auch keine antiwestliche, antiamerikanische oder antiisraelische Propaganda zu hören. Die Menschen sind hier, weil sie die Zukunft
demokratisch gestalten wollen - und
sozial. Auch das ist neu: dass soziale und politische Themen zusammen verhandelt werden."
Bernhard Hübner staunt. Das Positionspapier der
CSU zur Netzpolitik ist "geradezu revolutionär"
schreibt er: "Die von den Unionsparteien geforderten
Internetsperren bezeichnet es als 'untaugliches Instrument' und warnt vor der Gefahr, eine einmal etablierte Sperrinfrastruktur könne auch für
andere Inhalte verwendet werden. Kinderpornografie im Netz solle gelöscht, nicht gesperrt werden. Das Papier fordert ein Eintreten für Netzneutralität, 'freiheitsschonende Technologien' im Kampf gegen kriminelle Bedrohungen und
verurteilt Massenabmahnungen bei illegalen Downloads."
Klaus Herder, Kurator der gerade zu Ende gegangenen
Courbet-Ausstellung in der Frankfurter Schirn,
antwortet auf den
Eskapismus-Vorwurf, den Isabelle Graw der Ausstellung gemacht hatte: "Isabelle Graw wendet sich gegen das 'Erträumen anderer Verhältnisse'. Aber genau darum geht es - darum, mit der Waffe des Künstlers, mit der Fantasie, die Baudelaire und Cezanne an Courbet rühmten, eine
neue,
bessere Welt, eine freie Malerei in einer befreiten Gesellschaft herbeizuträumen; das ist der Punkt!"
Weiteres: Die interessantesten neuen Filme - von David Cronenberg, Lars von Trier, Terrence Malick und Alexander Sokurov - werden
nicht rechtzeitig fertig für den
Berlinale-Wettbewerb,
meldet Cristina Nord. Besprochen werden
zwei Theaterabende in Bochum:
David Böschs Inszenierung von Hauptmanns "Die Ratten" und
Katharina Thalbachs Inszenierung des "Cyrano de Bergerac".
Und
Tom.
FR, 02.02.2011
De
FR übernimmt einen Artikel aus
Haaretz, in dem Moshe Arens
Israels Dilemma erklärt: Demokratien sind unsicher. "Selbst wenn israelische Zugetändnisse bei
territorialen Fragen ('Land for Peace') das Kernelement für jede Einigung mit den arabischen Nachbarn waren, so gab es für Israel hier immer zwei wesentliche Bedingungen, die erfüllt sein mussten: Zum einen sollten mit dem territorialen Zugeständnis alle weiteren territorialen Ansprüche abgegolten sein, so dass es in dieser Hinsicht keinen künftigen Anlass mehr für Streitigkeiten gibt; zum anderen aber sollte die arabische Seite militärisch in der Lage sein, gegen Israel gerichtete, terroristische Aktivitäten wirksam zu bekämpfen. Diese beiden Bedingungen, teritoriales Zugeständnis und militärische Aufrüstung, konnte
ein Diktator im Zweifelsfall
schneller und besser erfüllen."
Weiteres: Nikolaus Bernau
bestaunt die wundersame Rekonstruktion des verloren geglaubten
Tell-Halaf Museum. Besprochen werden Philipp Himmelmanns
Inszenierung von
Mozarts "Cosi fan tutte" in Baden-Baden, Vera Nemirovas und Rene Jacobs'
Inszenierung von
Tommaso Traettas "Antigona" am Berliner Schillertheater,
Hermann Brochs Briefwechsel mit seinem Sohn Armand sowie
Harvey Pekars und
Paul Buhles Comic "The Beats" (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages).
Welt, 02.02.2011
Christof Leim, Chefredakteur des
Metal Hammer, fuhr mit
42 Heavy-Metal-Bands und 2000 Fans auf
Kreuzfahrt. War gar nicht so übel,
erzählt er. "Von Florida bis zur Insel Cozumel und zurück geht die Reise, vier Tage durch den Golf von Mexiko Richtung Karibik, zwischen
Nachmittagsbier am Pool, Headbangen auf Ledersesseln und
Metallica-Shirts beim Abendessen. Am Angebot auf dem Schiff, am Service wurde dafür nicht viel verändert, nach wie vor bringen Scharen von Bediensteten
Drinks an den Platz, selbst wenn dieser sich fünf Meter vor der Bühne befindet, auf der die Gelsenkirchener Band
Sodom gerade 'Bombenhagel' singt."
Weiteres: Der Modedesigner
Christian Lacroix, der gerade
in Köln den Salonmaler
Alexandre Cabanel präsentiert, erzählt im
Interview von den
schönen Frauen, die Cabanel gemalt hat: "Er hat sie so wiedergegeben, wie sie sich selbst sahen. Das war sein Trick. Man sieht zum Beispiel, dass sie viel mehr Leidenschaft für Mode und für Geld aufgebracht haben als für die Kunst. Sie sind alle
sehr tough." Alan Posener
mokiert sich über die
Eindeutschung amerikanischer Filmtitel. Wieland Freund
erklärt die Tücken des BGH-Urteils im
Übersetzerstreit. Viktoria Unterreiner hat sich
Rupert Murdochs neue Ipad-Zeitung
The Daily angesehen. Manuel Brug
stellt Veranstaltungen zum Liszt-Jahr vor. Besprochen werden die
Bochumer Inszenierungen von David Bösch ("Ratten") und Katharina Thalbach ("Cyrano").
NZZ, 02.02.2011
Der Historiker
Ahlrich Meyer nimmt die Kritik an der
Historikerkommission auseinander, auf die sich vor allem die
FAZ (
zum Beispiel hier) kapriziert hat. Zeugt es wirklich von einem "inneren Kampf", dass Ernst von Weizsäcker erst "
keine Bedenken" gegen die Deportation von Juden aus Frankreich hatte, dann "
keinen Einspruch" geltend machte?
Weitere Artikel: Ziemlich eingenommen
berichtet Jürgen Tietz von den Wohn- und Prestigebauten der
Hamburger Hafencity. Marion Löhndorf meldet, dass demnächst die Künstler
Elmgreen & Dragset (
mehr hier) und
Katharina Fritsch (
mehr hier) den
Fourth Plinth, den berühmten vierten Sockel auf Londons Trafalgar Square, mit Skulpturen bestücken werden. Uwe Justus Wenzel
schreibt zum achtzigsten Geburtstag des
Altphilologen Walter Burkert, der die dunklen Seiten der Religion und ihrer
Opferriten ergründete: "Nicht im frommen Lebenswandel, nicht in Gebet, Gesang oder Tanz werde der Gott am mächtigsten erlebt, 'sondern im tödlichen
Axthieb, im verrinnenden Blut und im
Verbrennen der Schenkelstücke'." Joachim Güntner besichtigt die Großbaustelle
Hamburger Schauspielhaus. Tjerk Brühwiller hat sich in Sao Paolo schon
Jose Padilhas "Tropa de Elite 2" angesehen, der auch auf der Berlinale laufen wird.
Weitere Medien, 02.02.2011
(via
3quarksdaily) Robert Fisk hat für den
Independent Ägyptens prominentesten Oppositionellen
Mohamed ElBaradei getroffen, der unter anderem über das Verhältnis zu
Israel spricht: "He agrees that the best potential Egyptian leadership have all been exiled, deliberately of course. On a recent speaking engagement at
Harvard, he found 15 Egyptians on the Harvard Board. 'I told them: If you come back, you can run Egypt.' But it's not that simple. As ElBaradei admits: 'It's an old story that ends: Mubarak is a friend of Israel and we think a change will bring a government
hostile to Israel and it will bring on an Iranian-type velayeh-fakhi [guidance by a supreme religious leader]. I say this is like '
True Fiction'. You need to get rid of this 'True Fiction' about the Muslim Brotherhood and the automatic hostility towards Israel. It is a fact that a
durable peace can only be between democracies and not between dictators and, if you want a durable peace, whether Egypt is a democracy or a dictatorship, the feeling of the people in the region is not going to change.'"
In der
Daily Mail plaudert Louise Gannon recht unterhaltsam mit
Jack Nicholson über die guten alten Zeiten, das neue Hollywood der Pyrotechnik und die
Bürde des 73-Jährigen: "Ich bin immer noch wild at heart. Aber die biologische Schwerkraft macht mir zu schaffen. Ich kann Frauen in der Öffentlichkeit nicht mehr anmachen. Ich habe das nicht entschieden; es fühlt sich einfach nicht mehr richtig an, in meinem Alter."
SZ, 02.02.2011
Johan Schloemann unterhält sich mit dem Philologen und
Religionswissenschaftler Walter Burkert über den gerade wieder angesagten Vegetarismus und Opferrituale und -mythen seit der Antike, die das Fleischessen religiös legitimieren: "Ich saß einmal in einem Kreis von Vegetariern, die meinten,
Jesus sei auch ein Vegetarier gewesen. Aber man muss nur ins Evangelium schauen, wo es heißt: 'Mich hat herzlich verlangt,
dies Opferlamm zu essen'; daran knüpft ja dann die Metaphorik an, wonach Jesus selbst zum Opferlamm wird."
Weitere Artikel: Rudolf Neumaier erinnert daran, dass der
jetzige Papst vor vierzig Jahren reformerischere Ansätze hatte als heute. Alexander Menden
stellt das
Google Art Project vor, für das der Konzern in Zusammenarbeit mit großen Museen inzwischen mehr als tausend Kunstwerke hochauflösend
digitalisierte. Gemeldet wird, dass die
Kairoer Buchmesse ausfällt. Matthias Waha stellt das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte
Projekt recensio.net vor, in dem Historiker Rezensionen wissenschaftlicher Bücher international vernetzen wollen.
Auf der Medienseite wird gemeldet, dass im
Spiegel nach dem entsprechenden Titel nun selber eine
Frauenquote gefordert wird.
Besprochen werden
Chris Kraus'
Film "Poll" (mehr
hier), eine große
Robert Mapplethorpe-Retro in
Berlin, die von
Rene Jacobs exhumierte Oper "Antigona" von
Tommaso Traetta (der Wolfgang Schreiber eine "gewisse Langatmigkeit" bescheinigt) an der Staatsoper Berlin und Bücher, darunter gleich drei Neuerscheinungen zum besseren Verständnis der
Schweiz (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).
FAZ, 02.02.2011
Jonathan Fischer stellt den tunesischen
Protest-Rapper El General vor (
hier ein Eindruck), dessen Songzeile "Herr Präsident, Ihr Volk stirbt" rasend schnell zum geflügelten Wort wurde: "In der arabischen Welt, wo das Internetportal
Facebook längst zum wichtigsten Kommunikationsmittel der jungen Menschen aufgestiegen ist, machten bald weitere gesungene und gerappte Solidaritätsbekundungen die Runde. So war der ägyptische Superstar Tamer Hosny schnell mit einem Heldensong über die tunesischen Nachbarn zur Stelle: 'Shuhada' uk ya Tunis Al Khadra.' Was sich in etwa mit 'Dein Martyrium, grünes Tunesien' übersetzen lässt. Und die algerische Rap-Gruppe Karim El Gang inszenierte gar eine Art
Revolutions-Gangsta-Rap mit Bildern brennender Straßenbarrikaden und dem tunesischen Präsidenten im Fadenkreuz."
Weitere Artikel: "Fassungslos" ist Dieter Bartetzko ob der Plündereien in
Tutenchamuns Grabschatz - er fürchtet auch für andere Kulturschätze Ägypten Schlimmes. Andreas Jacobs, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo,
erlebt die Revolution vor allem als Ausbruch von
Chaos und Gewalt. Sehr schwärmt Jordan Mejias von der neuen Konzerthalle
"New World Center" in Miami, die auf Betreiben seines Freundes, des Dirigenten Michael Tilson Thomas, der Architekt
Frank Gehry entworfen hat.
Oliver Tolmein glaubt, dass sich nur mit dem Verbot der
Präimplantationsdiagnostik die Unterscheidung von lebenswertem und -unwertem Leben vermeiden lässt. Bernd Wegner schreibt zum Tod des Militärhistorikers
Klaus-Jürgen Müller. Einen knappen Nachruf auf die Nonne und Dichterin
Silja Walter hat Jürg Altwegg verfasst. Auf der DVD-Seite geht es unter anderem um eine Film-Noir-Kollektion und Filme, die
Bernd Eichinger produziert und auch selbst gedreht hat. Auf der Medienseite fasst Detlef Borchers Artikel von
Guardian,
New York Times und
Spiegel zur Zusammenarbeit mit Wikileaks und
Julian Assange zusammen.
Besprochen werden ein Kölner Konzert der
Broken Beats,
Harry Kupfers Züricher "Tannhäuser"-Inszenierung, eine Retrospektive der vielseitigen Künstlerin
Birgit Jürgenssen im
Bank Austria Kunstforum in Wien,
Chris Kraus' groß gedachter Film
"Poll" über seine Großtante, die Dichterin Oda Schäfer und Bücher, darunter
Elmore Leonards neuer Roman "Road Dogs" (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr).