14.02.2011. Viel Berlinale: Die Welt fühlt sich durch Wim Wenders' 3D-Hommage an Pina Bausch wohlig in die alte BRD versetzt. Die taz fand Michail Chodorkowski in Cyril Tuschis Film unerwartet heiter. Die SZ zieht eine zwiespältige Bilanz der Ära Dieter Dorn am Bayerischen Staatsschauspiel. Die FAZ beobachtet die Sympathie der Chinesen für die Ägypter.
Welt, 14.02.2011
Mara Delius
denkt über
Wim Wenders' 3D-Hommage an
Pina Bausch nach und kommt zu dem Ergebnis, "dass Wim Wenders mit 'Pina' eine Stimmung einfängt, die vielleicht längst nicht mehr existiert, und zu der die
graubraunen Industrielandschaften westdeutscher Gegenden genauso gehört wie Pina Bauschs Art,
über Kunst zu sprechen: nicht abstrakt, sondern unmittelbar, und doch ohne große Worte."
Weitere Artikel: Manuel Brug
schreibt zum Tod von
Peter Alexander. Auch
Ilja Richter erinnert sich an das Idol seiner Kindheit, mit dem er später zusammen auftrat. Auf Seite 1 der
Welt schreibt außerdem Hellmuth Karasek. Matthias Siehler
glossiert den unglücklichen Beginn
Riccardo Mutis beim Chicago Symphony Orchestra. Mehrere Berichte widmen sich der Berlinale (
hier und
hier). Und Mara Delius
unterhält sich mit dem Ägyptologen
Jan Assmann über den Umbruch und das Verhältnis der Ägypter zu ihrer großen Vergangenheit.
TAZ, 14.02.2011
Barbara Schweizerhof hat sich bereits
Cyril Tuschis Film über
"Khodorkovsky" auf der Berlinale
angesehen. Überzeugt ist sie von dem Film nicht, aber Russlands obersten Staatsfeind am Ende vor laufender Kamera im Gerichtsssaal zu sehen, sei
eine Sensation: "Der Zuschauer ist trotz aller vorherigen Informationen auf diesen Mann nicht vorbereitet. So
unerwartet heiter, entspannt und sympathisch ironisch antwortet Chodorkowski, dass sich alle im Film aufgeworfenen Fragen noch einmal neu stellen."
Cristina Nord
unterhält sich mit Regisseur
Ulrich Köhler über seinen Film "Schlafkrankheit": "Es war mein bei Weitem
anstrengendster Dreh. Das hatte weniger mit Afrika und mehr mit dem Drehbuch zu tun. Denn das war kompliziert, es gab viele Drehorte und 47 Sprechrollen, ich hatte den Aufwand unterschätzt. Und es gab diverse Widrigkeiten wie die, dass es trotz der Trockenzeit geregnet hat. Irgendwann war das Team riesig, total aufgebläht. Eigentlich wollte ich jeden Morgen bis 20 zählen, und der 21. hätte dann vom Set gehen müssen, aber am Ende waren doch
60 Leute im Team."
Der Dramaturg Uwe Mattheiß
reibt sich die Augen: Ganz warmherzig wurde
Claus Peymann in Wien zum großen Thomas-Bernhard-Gedenken empfangen wurde. Aber klar, er würde ja auch schnell wieder gehen: "
Seliger Thomas Bernhard, bitte für uns! Wir haben Geschichte geleugnet, die Kunst ignoriert und
Mistfuhren vor das Burgtheater gekippt."
Außerdem: Christiane Müller-Lobeck
liest in sozialwissenschaftlichen Zeitschriften Aufsätze zum in Kairo wie Stuttgart aktuellen Thema "Die
Stadt in der Revolte". Elias Schneider
erklärt auf Flimmern und Rauschen den Erfolg von
al-Dschasira mit der "engen Symbiose zwischen Sender und Publikum".
Und
Tom.
FR, 14.02.2011
In der neuen Ausgabe der Zeitschrift
Mittelweg 36 erzählt
Wolfgang Kraushaar von einer Broschüre, die auf der Buchmesse 1981 eine Kooperation zwischen dem
Suhrkamp Verlag und dem Lebensmittel-Discounter
Aldi verkündete. War natürlich ein Fake, jetzt haben sich die Autoren dahinter geoutet. In der
FR gibt's einen
Teilvorabdruck. Daniel Kothenschulte sah auf der Berlinale Filme von
JC Chandor und
Ulrich Köhler.
Besprochen werden
Alvis Hermanis Inszenierung des "Oblomow" in Köln (wer hier nicht wenigstens einmal eingeschlafen ist, "kann diesen Oblomow wahrscheinlich nicht verstehen", behauptet kühn Peter Michalzik),
Claus Peymanns Inszenierung von Bernhards Einakter "Einfach kompliziert" am Burgtheater Wien und einige lokale Ereignisse.
NZZ, 14.02.2011
Der Westen muss die
Demokratiebewegungen in Kairo, in Tunis oder in Algier anerkennen und unterstützen, schreibt Chefredakteur Markus Spillmann im Feuilleton, bei aller Skepsis gegenüber den
Absichten des Militärs und trotz fehlender demokratischer
Tradition: "Der oft gezogene Umkehrschluss aber, Völker ohne demokratische Traditionen seien gleichsam unfähig, sich demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien anzueignen, verkennt die Fähigkeit des Menschen, zu lernen. Die
Macht der Bilder und die Kraft gelebter Erfahrung in einer globalisierten und zunehmend vernetzten Welt sind Beschleuniger, deren Wirkung immer wieder unterschätzt wird. Im globalen Dorf sind Werte wie
Demokratie,
Freiheit und Menschenwürde nur noch
einen Mausklick entfernt."
Weiteres: Roman Bucheli erzählt die Geschichte des von Zwangsarbeitern gebauten Bremer
U-Boot-Bunkers, der, unzerstörbar, nun in eine
Gedenkstätte umgewandelt werden soll. Besprochen werden
Dieter Dorns Inszenierung von Kleists "Käthchen von Heilbronn" in München, die laut Barbara Villiger Heilig ein "
theatertolles Abschiedsfest" für den scheidendenen Intendanten war,
Bachs Brandenburgische Konzerte mit dem Tonhalle-Orchester Zürich.
SZ, 14.02.2011
Hundertprozentig positiv fällt Christine Dössels Bilanz der
Ära Dieter Dorn am Bayerischen Staatsschauspiel nicht aus - Anlass die Kritik seiner Abschiedsinszenierung, "Das Käthchen von Heilbronn". In den achtziger Jahren sei Dorns textgenauer Stil noch führend gewesen - aber dann: "Dass das Dorn-Theater überregional kaum mehr eine Bedeutung hat, liegt auch daran, dass es sich den Entwicklungen, Strömungen und Neuerungen in den Zeitläuften und Künsten
kaum je geöffnet und sich nicht mehr groß weiterbewegt hat. Man könnte, positiver gewendet, auch sagen: Es ist bei sich geblieben. Während die Welt sich
extrem verändert hat."
Weitere Artikel: Andrian Kreye schreibt den Nachruf auf den Entertainer
Peter Alexander. Jörg Häntzschel meldet, dass unweit von Honolulu das Wrack eines
Walfängers gefunden wurde, der als Vorbild für "Moby Dick" diente. Der Soziologe
Heinz Bude fragt in einem kleinen Essay, wie die ungefähr 1,5 Millionen
Unvermittelbaren auf dem Arbeitsmarkt dennoch wieder zu mobilisieren seien. Martina Knoben schreibt in der Berlinale-Kolumne über "Schlafkrankheit" und "Almanya". Und Susan Vahabzadeh berichtet von der Premiere von
Wim Wenders' 3D-Film über Pina Bausch. Auf der Literaturseite verteidigt Helmut Böttiger die
Gruppe 47 gegen eine seiner Meinung nach ungerechte posthume Polemik. Gemeldet wird, dass
Tina Uebels Roman "Last exit Volksdorf" wegen einer Unterlassungsaufforderung nicht ausgeliefert wird. In den "Nachrichten aus dem Netz" verweist Michael Moorstedt auf einen
New Yorker-
Artikel Adam Gopniks, der eine Typologie der Reaktionen auf das Netz versucht.
Besprochen werden neue DVDs, zwei
Gerhard-Richter-Ausstellungen in
Hamburg und
Claus Peymanns Inszenierung von
Thomas Bernhards Stück "Alles kompliziert" am Wiener Akademietheater (Helmut Schödel findet sie matt).
FAZ, 14.02.2011
In
China blicken viele mit offener Bewunderung nach Ägypten und geben, wie Mark Siemons berichtet, im Internet ihrer
Zustimmung zur Revolte Ausdruck: "'Seit heute sind wir
alle Ägypter', lautet seit Freitag eine immer wiederkehrende Formel im Internet."
Weitere Artikel: Über für heute geplante neue
Proteste im Iran informiert Swante Karich. Ein von
russischen Zöllnern aufgenommenes, ins Netz geleaktes Musikvideo hat Kerstin Holm sich
angesehen. Rolf Dobelli denkt klarer über
Wunder. Zu dessen angekündigtem Abschied von "Wetten dass...?"
feiert Michael Hanfeld
Thomas Gottschalk; ein kurzes
Interview mit ihm hat er überdies geführt. Zum Tod von
Peter Alexander schreibt Dieter Bartetzko. Einen Nachruf auf den Philosophen
Franz Vonessen hat Martin Thoemmies verfasst.
Auf der Berlinale-Seite feiert Andreas Kilb die Wiedergeburt des
Wim Wenders in Gestalt seiner 3-D-Hommage an Pina Bausch. Mit Ulrich Köhlers "
Schlafkrankheit" kann Verena Lueken auf wohlwollende Weise eher wenig anfangen, mit der Integrationskomödie "
Almanya" schon etwas mehr. Hans-Christian Rössler porträtiert die Berlinale-Kamera-Preisträgerin
Lia van Leer. Filme aus
Albanien und Chile hat Hans-Jörg Rother im Forum gesehen. In der Glosse hält Andreas Platthaus die Frage eines Berlinale-Mitarbeiters an einen als Anthropologen ausgebildeten Dokumentarfilm-Regisseur nach dessen Haltung zur "
visuellen Anthropologie" für eine Zumutung.
Besprochen werden
Dieter Dorns Abschieds-"Käthchen von Heilbronn" am Münchner Residenztheater (Gerhard Stadelmaier ist der pathetischen
Abschiedsrührung voll),
Claus Peymanns Bernhard-Reprise "Einfach kompliziert" am Akademietheater in Wien, eine Leipziger Aufführung von
Brechts und Dessaus "Deutschem Miserere", zwei große
Gerhard-Richter-Ausstellungen im
Bucerius Kunstforum und in der
Kunsthalle in Hamburg und Bücher, darunter
Gilbert Adairs Roman "Buenas Noches, Buenos Aires" und ein religionswissenschaftlicher Sammelband zur
Kritik des Islamismus (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr).