08.04.2011. Achtung! Der Dresdner Museumschef Martin Roth, Organisator einer Ausstellung über "Aufklärung" in Peking klärt in der Sächsischen Zeitung auf: Um Ai Weiwei muss man sich kaum Sorgen machen, um die Produtkion des Phaeton sehr wohl. In der FAZ schildert die ehemalige türkische Richterin Emile Ülker Tahan die immer stärkeren Islamisierungstendenzen in ihrem Land. In der SZ erklärt Andras Schiff, warum er in seiner Heimat Ungarn nicht mehr auftreten wird. Der Tagesspiegel begleitet eine Grünen-Delegation zu Oberst Gaddafi.
Weitere Medien, 08.04.2011
Die beleidigten Äußerungen des Dresdner Museumschefs und Mitorganistors einer Ausstellung über "Aufklärung" in Peking,
Martin Roth, hatten wir schon
zitiert. Gleichzeitig hat er sich gestern in der
Sächsischen Zeitung gerechtfertigt: "Für wen
habe ich eine Ausstellung am Platz des Himmlischen Friedens gemacht?", fragt er großartig. Dann erklärt er, warum man sich um
Ai Weiwei nur ein bisschen, aber nicht viel Sorgen machen muss ("die Tatsache, dass sein Vater eine ähnliche Rolle spielte wie Brecht in der DDR, und die Aufmerksamkeit der ganzen (Kunst-)Welt
schützen ihn bedingt") und streicht heraus, worum es wirklich geht: "Wirtschaftlich verflochten sind wir längst, wir leben geradezu von China! Ohne China müsste morgen
die Phaeton-Produktion eingestellt werden. Diese Diktatur gibt uns in unserer Demokratie Lohn und Brot." Roth reagiert mit seiner Rechtfertigung unter anderem auf
diesen Artikel in der
Sächsischen Zeitung.
Anlässlich der Verhaftung
Ai Weiweis und einer Äußerung von offizieller Seite, in China herrsche das
Gesetz,
erklärt die
Reporterin Isabel Hilton im
Guardian, was die Chinesen unter "rule of law" verstehen: "The party controls the courts, appoints the judges and routinely
dictates the verdicts. Even if a citizen wins a case, the court has little power to enforce the verdict without the backing of those same state officials. A Chinese litigant is often in the Kafkaesque situation of being dependent on those who committed the abuse for redress."
FAZ, 08.04.2011
Gekürzt abgedruckt wird ein Vortrag der türkischen Ex-Richterin
Emile Ülker Tahan, die vor kurzem aus Protest gegen aktuelle Entwicklungen im Justizsystem von ihrem Amt zurücktrat. Sie kritisiert die gegenwärtige Regierung aufs Schärfste, wegen willkürlicher Festnahmen, aber auch wegen der deutlichen
Islamisierungstendenzen: "Der Türkei ist es gelungen, ein System zu entwickeln, das den Anforderungen eines laizistischen Staates gerecht wurde. Jetzt aber wird versucht, das Land auf eine
radikalislamische Linie zu führen. Das Ziel rückt täglich näher. Ständig werden islamische Referenzen und Argumente zitiert, religiöse Rituale in übertriebener Art vorgelebt, islamische Investorengruppen unterstützt, laizistisch gesinnte Personen und Institutionen dagegen ignoriert."
Mark Siemons war dabei, als
Bob Dylan beim Konzert in Peking wie gewohnt noch "die geringsten Ansätze der vertrauten Melodien zum Verschwinden" brachte. Das Publikum war von diesem Mangel an Perfektion zum Teil wohl deutlich irritiert: "Manche Besucher sendeten noch während des Konzerts ihre Eindrücke via Mikroblog ins Netz: 'Des
Kaisers neue Kleider plus mittelmäßiges Bühnenbild plus schlechte Akustik plus immer gleiche Melodie plus unsubtile Darbietung - das ist das Bob-Dylan-Konzert in Peking.'"
Weitere Artikel: Felicitas von Lovenberg schildert die Hintergründe der Wiederwahl des Weimarer-Klassik-Stiftung-Chefs
Hellmut Seemann - und macht keinen Hehl daraus, dass sie den HU-
Germanisten und
FAZ-Autor
Ernst Osterkamp für die bessere Alternative gehalten hätte. Auch Manfred Lindinger
weiß nicht genau, was die auf möglicherweise revolutionäre Weise vom Erwarteten abweichenden Werte eines
Kernphysikexperiments zu bedeuten haben (Genaueres
hier). In der Berliner Volksbühne erlebt Julia Encke einen nikotinfrei vortragenden
Michel Houellebecq. Abnehmende Leselust und -ausdauer in Großbritannien
glossiert Gina Thomas. Der Sozialwissenschaftler
Gunnar Heinsohn betreibt mal wieder mit martialischer Wortwahl demografische Zukunftsdeutung für einen afrikanischen Staat: "Mit ihrer Geburtenexplosion gehört Cote d'Ivoire in die Ausnahmeliga der
demografischen Hochrüstung".
Besprochen werden ein
Belle-and-Sebastian-Konzert in Berlin,
Robert Carsens Straßburger Inszenierung von Leos Janaceks Oper "Die Sache Makropoulos",
Benedik Fliegaufs Klondrama "Womb" und Bücher, darunter
E.M. Ciorans Aufsätze aus den dreißiger Jahren "Über Deutschland" (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr).
Tagesspiegel, 08.04.2011
Benedikt Maria Mülder
erinnert sich an eine Reise einer internationalen Delegation zu
Gaddafi im Jahr 1982 - mit dabei war unterem der Grüne
Otto Schily und andere Politiker seiner Partei, Mülder begleitete die Reise für die
taz. Im Libanon war Krieg, und die Amerikaner hielten im Mittelmeer ein Manöver ab. Die Frage war, wie die
traute Friedensbewegung darauf reagieren sollte: "Es ist zwei Uhr früh. Auch die Libyer scheinen sich nicht ganz einig zu sein, ob sie ein Schiff ausfahren lassen wollen oder nicht. Roland Vogt betont noch einmal, dass wir jetzt eine große Schiffsgesellschaft aus westdeutschen Grünen und zwei Österreichern starten könnten.
Ein Hungerstreik wäre dazu ein adäquates Mittel, es sei ja Ramadan, man könnte auch Palästina mit einbeziehen, Solidarität mit
allen Hungernden, auch mit denen in der Sahelzone."
NZZ, 08.04.2011
Die
Schriftstellerin Katharina Hacker erinnert sich an die besseren Zeiten des
Cafes Tamar in Tel Aviv in den neunziger Jahren, als Künstler und Intellektuelle hier noch auf Frieden und Miteinander hofften: "Die Sympathie galt den
Palästinensern. Ins Cafe kamen nie welche. Aus den besetzten Gebieten kam keiner, aus Jaffa auch nicht. Sie hätten aber kommen können, sie wären willkommen gewesen. Eine Weile hatte aber Sarah einen palästinensischen Freund, der
in der Küche half."
Weiteres: Wei Zhang trägt unterschiedlichste, von Begeisterung bis Ablehnung reichende chinesische Sichtweisen auf
Ai Weiwei zusammen, ohne sich selbst zu einer klaren Haltung durchzuringen. Besprochen werden eine Ausstellung zur
Vasenkunst der fünfziger Jahre im
Keramikmuseum Staufen, eine Konzert mit
Mahlers Neunte in Basel, neue Einspielungen Kölner Krautrocker
Jaki Liebezeit und
Sergent Garcias Album "Una y otra vez".
TAZ, 08.04.2011
Diedrich Diederichsen
porträtiert das Berliner Free-Jazz-
Label Free Music Production, das nach 41-jährigem Bestehen zum Abschied jetzt das 12-CD-Objekt "FMP im Rückblick" vorlegt und erinnert sich wunderschön: "Free Jazzer - das hat mich in den 70ern als Jugendlicher an ihnen angezogen - waren und sind beeindruckende Typen. Großzügig, manchmal verstockt, oft etwas
bäurisch,
körperlich riesig, nicht kalkulierend, objektlos und unfetischistisch, extrem empfindlich, leicht versoffen. Süß."
Meike Laaf und Daniel Schulz
unterhalten sich mit
Daniel Domscheit-Berg über seinen Abgang bei
Wikileaks, den Konflikt mit Julian Assange, und vor allem über sein Verhältnis zu den Medien, die er in der Vergangenheit über Größe und Vernetztheit von Wikileaks
systematisch getäuscht hatte. "Das war keine Lüge um ihrer selbst willen, sondern es geschah aus der Not heraus. Wir mussten das Projekt am Anfang
als etwas Größeres verkaufen, als es tatsächlich war. Zum einen wären wir wenige Aktive sonst viel zu leicht angreifbar gewesen. Zum anderen reden die Leute nicht mit dir, wenn sie den Eindruck haben, dass du keine große Organisation am Laufen hast.
Das ist Psychologie, so funktionieren Medien, und so funktioniert die Masse."
Weiteres: Eva-Christina Meier
schreibt über die
Wahlen in Peru, wo sich sechs Präsidentschaftskandidaten in Programmen und Losungen nur wenig unterscheiden, sich dafür aber auf persönlicher Ebene umso aggressiver angreifen.
Besprochen werden die Alben "Last of the Country Gentlemen? des texanischen
Singer-Sonwriters Josh T. Pearson und "Gold in the Shadow? von
William Fitzsimmons,
Singer-Songwriter und Psychotherapeut aus Jacksonville.
Und
Tom.
FR, 08.04.2011
In Times mager
desillusioniert Bernhard Bartsch alle
Bob-Dylan-Fans. Bei seiner derzeitigen Konzert-Tournee durch China gab sich Dylan wieder lammfromm "und stimmte seine Liederliste
brav mit den chinesischen Zensoren ab. Auf Hits mit sensiblen Texten, allen voran 'The Times They Are a-Changing', verzichtete er."
Im Übrigen hat sich die Streikproduktion auf Rezensionen beschränkt. Besprochen werden
Ausstellungen des Expressionisten
Frank Radziwill mit seinem Faible für U-Boote und Panzer, das Münchner Festival "Jazz Lines", das Album der wiederbelebten
Mike and the Mechanics "The Road",
Bruno Schulz'
Erzählungen "Das Sanatorium zur Sanduhr",
E.M. Ciorans Aufsätze aus den dreißiger Jahren "Über Deutschland" und
Frank Deppes "Politisches Denken".
Auf der
Medienseite berichtet Gerd Höhler, wie
Griechenlands Wirtschaftskrise die bisher überbordende Medienlandschaft erreicht. Sebastian Moll spekuliert, ob es
Glenn Becks antisemitische Auslassungen waren, die den einstigen Star-Rechtsaußen von
Fox News zum Aufhören zwangen.
Aus den Blogs, 08.04.2011
Auf dem Autorenblog
Magda plädiert Uri Avnery zwar für die Intervention in Libyen, aber gleichzeitig wirft er einen recht pessimistischen Blick auf die
arabische Liga: "Die arabische Aufklärung, die wir gegenwärtig erleben, geht nicht von der Liga aus. Sie richtet sich gegen alles, was die Liga ist oder zu sein behauptet. In Bahrain unterstützen
die Saudis genau jene Kräfte, gegen die Libyens Rebellen kämpfen. Als ordnende Kraft im Ringen um Libyen scheidet die Arabische Liga wohl aus."
Welt, 08.04.2011
China-Korrespondent Johnny Erling
erkennt ein leichtes Zeichen der Hoffnung darin, das die chinesischen Behörden
Ai Weiwei "nur" ein
Wirtschaftverbrechen und nicht politische Agitation vorwerfen: "Das ist ein großer Unterschied. Alle, die nach Pekinger Lesart unter den Vorwurf fallen, 'staatsgefährdende Dissidenten' zu sein, sind für Chinas willfährige Justiz
vogelfrei. Sie wurden bisher ohne Ausnahmen zu drakonischen Haftstrafen verurteilt." Cornelius Tittel
kommentiert in der Leitglosse zugleich die Äußerungen des Dresdner Mandarins
Martin Roth über Ai Weiwei: "Wer
solche Aufklärer hat, braucht keine Feinde."
Weitere Artikel: Paul Badde
interviewt die
Reporterin Petra Reski, deren Bücher über die
Mafia auch in Italien großes Aufsehen erregen. Peter Praschl
gratuliert Vivienne Westwood zum Siebzigsten. Marc Reichwein
schreibt in seiner Kolumne "Sprechen Sie Feuilleton" über die Schwierigkeit unserer Zeitungsautoren, "
ich" zu sagen. Norbert Jessen
berichtet über die Beerdigung des ermordeten jüdisch-palästinensischen Theatermanns
Juliano Mer-Chamis, die zu einer politischen Demonstration wurde. Auf der vermischten Seite
unterhält sich Andrea Seibel mit dem Evolutionsbiologen
Josef H. Reichholf über "Partnerwahl, Paarung und Paschazwänge".
Besprochen werden die große
Salier-
Ausstellung in
Speyer und eine
Kees van Dongens-
Ausstellung in
Paris.
Auf der Meinungsseite
konstatiert Cora Stephan, dass
Angela Merkel unwillkürlich lächelte, als sie per SMS vom Rücktritt Guttenbergs erfuhr.
SZ, 08.04.2011
Der ungarische Pianist
Andras Schiff wird in seiner Heimat nach einem kritischen Text heftig beschimpft - und will nicht mehr in Ungarn auftreten. Für skandalös hält er den Einfluss der
Rechtsextremen auf den politischen Diskurs. Und gerade der Vergleich mit seiner nicht unbedingt lupenrein demokratischen Wahlheimat Italien macht das Maß der Verlotterung in Ungarn deutlich: "Ich will die Situation in Italien nicht verharmlosen, die allgemeine Moral hat dort extrem gelitten, das Land ist im Niedergang. Aber Berlusconi ist mittlerweile eine Witzfigur, über die fast alle lachen. Über Orban kenne ich
keinen einzigen Witz. Der Mann ist gefährlich."
Weitere Artikel: Jens Bisky bedauert das Zerbrechen von ziemlich viel Porzellan im Vorfeld und kommentiert recht freundlich die Wiederwahl des Stiftung-Weimarer-Klassik-Präsidenten
Hellmut Seemann. Ira Mazzoni
lobt das Frankfurter
Städelmuseum für seine Aufarbeitung seiner Geschichte in Nationalsozialismus und Nachkriegszeit. Das diesjährige Münchner
Architekturfilmfestival bilanziert Gottfried Knapp. Über Proteste gegen die von
Vattenfall gesponserten Hamburger Lesetage informiert Till Briegleb. Vom Hamburger
Festival junger Regie berichtet Constanze Fiedler. Dorion Weickmann gratuliert der Modeschöpferin
Vivienne Westwood zum Siebzigsten.
Besprochen werden ein
Lang-Lang-Konzert in München,
Florentine Kleppers Dresdner Inszenierung von Monteverdis "Poppea"-Oper, eine Ausstellung mit Fotografien von
Cy Twombly im Museum Brandhorst in München und Bücher, darunter
Alexander Kluges Geschichtenband "Das Bohren dicker Bretter" (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr).