Heute in den Feuilletons

Diese irgendwie esoterischen Kulturschnipsel

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.04.2011. Güner Yasemin Balci  liest in der Welt mit Erstaunen das "Manifest der Vielen", in dem man sich im Namen des Islams über die Pressefreiheit beschwert. Und nochmal Zensur: Facebook mag den Ursprung der Welt nicht sehen. Die SZ zitiert Herta Müller, die nach Lektüre von Securitate-Akten froh ist, dass Oskar Pastior nur "leere Informationen" lieferte.

Welt, 15.04.2011

Die Autorin und Filmemacherin Güner Yasemin Balci spießt einen Beitrag des Islamwissenschaftlers Christoph Peters in dem Buch "Manifest der Vielen" auf, der Zensur zu wollen scheint, um Kritik am Islam zu unterbinden: "Er ist entsetzt darüber, 'wie viel veröffentlichte Boshaftigkeit und Diskriminierung durch die Pressefreiheit geschützt wird'. Ja, es ist schon so eine Sache mit der Meinungs- und Pressefreiheit, manch einer hasst sie wie die Pest, während andere es in Kauf nehmen, für sie zu sterben."

Im Feuilleton kann Henryk Broder die Begeisterung Annette Schavans für die selbstbewusste Religionsausübung einiger Muslime (mehr hier) nicht teilen. Gemeldet wird, dass Ai Weiwei eine Professur an der Berliner Universität der Künste erhalten soll - das Berufungsverfahren läuft schon seit Dezember. Jan Küveler freut sich sehr auf die Deutschland-Tournee von Peter Doherty. Sven Felix Kellerhoff liest die von Sönke Neitzel und Harald Welzer herausgegebenen und grausigen Abhörprotokolle deutscher Kriegsgefangener. Manuel Brug unterhält sich mit Geschäftsführer Peter Alward über Sinn und Zweck der Salzburger Osterfestspiele. Besprochen wird eine Ausstellung von Familienbüchern der Renaissance in Augsburg.

Aus den Blogs, 15.04.2011



Facebook hat die Konten von mindestens drei Mitglieder gelöscht, die Courbets Gemälde "Ursprung der Welt" auf ihrer Facebookseite gepostet hatten, meldet Gawkers Adrian Chen. Die Opfer: ein Franzose, der Facebook verklagt hat, ein niederländischer Künstler und der französische Schriftsteller Luc Wouters. Chens Vorschlag: "Everyone should change their picture to 'The Origin of the World' with Mark Zuckerberg's face photoshopped on top right now."

Ohje ohje, Thomas Knüwer zitiert in Indiskretion Ehrensache einen Satz des Handelsblatt-Chefredakteurs Gabor Steingart, der zeigt, dass der gute Mann eine Weiterbildung in Internet gebrauchen könnte. Der Satz lautet so: "Wir Journalisten sehen diese enormen Gewinnzahlen allerdings auch mit Argwohn, beruhen sie doch zu einem nicht unerheblichen Teil auf der Zweitverwertung journalistischer Texte, für die Google nie etwas gezahlt hat und auch künftig nicht zahlen will." Knüwers Gegenargumente: "Journalistische Inhalte machen nur einen winzigen Teil des Google-Suchkatalogs und der Abfragen aus. Neben Google News gibt es keine Werbung."

TAZ, 15.04.2011

Maximilian Büch hat auf der re:publica gelernt, was Datenjournalismus ist: "Datenjournalismus setzt Daten, die für sich alleine unnütz erscheinen, in einen grafischen Gesamtzusammenhang und formt die unzähligen Nullen und Einsen zu einem verständlichen Bild. In der angloamerikanischen Medienwelt ist man diesbezüglich, wie so oft, bereits einen Schritt weiter. Gregor Aisch, der kürzlich mit datenjournalistischen Mitteln aufgezeigt hat, wie viele Menschen in Deutschland in einem Umkreis bis 80 Kilometern von Atomkraftwerken leben, bringt die Sache auf den Punkt: 'Datenrecherche erfordert Programmierer.' Hier hängt der Hammer."

Meike Laaff unterhält sich mit der Anthropologin Gabriella Coleman über die Gruppe Anonymous, die aus Protest die Internetseiten großer Firmen attackiert, der es aber vor allem um LULZ gehe - "das Vergnügen, das aus spielerischen Unsinnsakten erwächst, aus dem Trollen etwa oder wenn lustige Internet-Meme kursieren, diese irgendwie esoterischen Kulturschnipsel, die im Netz zirkulieren und die ständig abgewandelt werden". Was wiederum zum Beispiel Katzen mit einer gewissen Hitlerähnlichkeit sein können.

Weiteres: Hajo Schiff berichtet von der Art Colgne, wo von der Verschleppung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei kaum die Rede ist und einige Galeristen statt auf politischen Protest auf wirtschaftliche Sanktionen gegen China setzen. Klaus Walter versucht anlässlich einer ersten deutschsprachigen Biografie herauszufinden, was an dem unausweichlichen Phänomen Lady Gaga eigentlich dran ist. Philipp Gessler besuchte eine Buchpräsentation in Berlin, bei der Carlo Pedersoli alias Bud Spencer seine Biografie vorstellte. Besprochen wird das neue Tanzstück "Berlin Elsewhere von Constanza Macras an der Berliner Schaubühne.

Und Tom.

NZZ, 15.04.2011

Joseph Croitoru trägt zusammen, wer sich unter den antikolonialistischen Intellektuellen so alles von Gaddafi und seinem Regime hofieren ließ; außer Jean Ziegler nennt er unter anderem den französischen Juristen Robert Charvin, den Leiter der London School of Economics Howard Davies und den Schriftsteller Ibrahim al-Koni: "Die Auseinandersetzung mit ihrem wie auch immer im Einzelfall beschaffenen Verhältnis zu dem libyschen Despoten, das jetzt wohl jeder von ihnen am liebsten vergessen sähe, fängt gerade erst an."

Weitere Artikel: Nils Aschenbeck fürchtet den Abriss des Marinekraftwerks in Wilhelmshaven. Im Interview mit Ueli Bernays spricht der amerikanische Sänger und Produzent Raphael Saadiq über sein neues Soul-Album "Stone Rollin" und die Schwierigkeiten des Geschäfts: "Es gibt viel Diktatorisches im Musikbusiness. Aber man kann dem Publikum immer weniger diktieren, was es mögen soll."

Besprochen werden die Ausstellung "Spies, Traitors & Saboteurs" im National Constitution Center in Philadelphia und eine Aufführung von Richard Strauss' "Salome" an der Komischen Oper Berlin.

Berliner Zeitung, 15.04.2011

Stephanie Doetzer beschreibt, wie sich nach dem Mord an dem von allen Seiten angefeindeten israelisch-palästinensischen Theatermacher Juliano Mer-Chamis die palästinensischen Fraktionen gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben: "Mitglieder der säkularen Fatah streuten umgehend Gerüchte über einen Täter aus den Reihen der Hamas. Ein Sprecher der Hamas dagegen bezeichnete den mutmaßlichen Mörder nach seiner Verhaftung als stadtbekanntes Mitglied der Al-Aksa-Brigaden, sprich: des militärischen Arms der Fatah. Letzteres gilt mittlerweile als von der Polizei bestätigt."
Stichwörter: Hamas, Fatah

FR, 15.04.2011

Der Soziologe Volker Heins schickt Impressionen aus Jerusalems buntem Stadtteil Nachlaot. Natalie Soondrum schreibt den Nachruf auf den tschechischen Künstler und Fotografen Miroslav Tichy.

Besprochen werden Laura de Wecks Stück "Für die Nacht" in Basel, James Blakes Konzert in Frankfurt, Adam Ross' Roman "Mister Peanut" und Peter Temples Krimi "Wahrheit" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages)

SZ, 15.04.2011

Lothar Müller begleitet Herta Müller nach Riga, wo sie die lettische Übersetzung der "Atemschaukel" vorstellte. Nach Durchsicht der Securitate-Akten Oskar Pastiors, auf dessen Lagererinnerungen die "Atemschaukel" beruht, hat sie festgestellt, dass er an die Spitzel "leere Informationen" habe liefern wollen, berichtet Müller und zitiert sie mit den Worten: "Mir würde es heute leidtun, wenn unsere Freundschaft daran zerbrochen wäre, denn es wäre wohl so gewesen, dass ich ihm keine Chance gegeben hätte, wenn er mir erzählt hätte, er habe unterschrieben. Ich hätte ihm nicht geglaubt, wenn er mir gesagt hätte, wie wenig er gemacht hat. Wenn ich es gewusst hätte, hätte sich mein Buch 'Atemschaukel' verändert."

Weitere Artikel: Moritz Baumstieger hat in Ägypten den Regisseur Kahles el-Hagar getroffen, der mit "Dawaran Shubra" eine der ersten realistischen TV-Serien des Landes dreht, in der auch Korruption, sexuelle Not und Perspektivlosigkeit thematisiert werden. Ira Mazzoni beklagt eine mit Rücksicht auf den Klimawandel begründete Verschandelung der Ulmer Hochschule für Gestaltung, die ein wichtiges deutsches Monument der Moderne ist. Marc Deckert stellt die "hippste Hipster-Band der Welt", TV On The Radio, vor. Das Programm von Cannes wird vorgestellt. Ina Hartwig wurde vom Londoner Bloomsbury Verlag nach London eingeladen, wo man deutsche Ängste bezüglich der Demontage des Berlin Verlags zerstreuen und Verständnis für die Globalisierung des Buchmarkts wecken wollte. Und Thomas Steinfeld gratuliert dem schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer zum Achtzigsten.

Besprochen wird Neil Burgers Kinothriller "Ohne Limit" mit Robert de Niro.

FAZ, 15.04.2011

In ihrer Kolumne "Aus dem Maschinenraum" erklärt Constanze Kurz, warum Thomas de Maizieres Ideenwettbewerb "Vergessen im Internet" nutzlos ist. Und: "Ohnehin sind Daten darüber, wie wir uns bewegen, einkaufen, kommunizieren, surfen, die wir unfreiwillig in industriellem Maßstab von uns geben, die der Staat höchstselbst sammelt oder sammeln lässt, außen vor. Hier hat der neue Innenminister schon deutlich verkündet, dass er eigentlich nicht so gern so schnell vergessen, die Speicherfristen möglichst lang gestalten möchte."

Weitere Artikel: Mark Siemons erzählt, wie die chinesische Regierung jetzt versucht, Ai Weiwei in der Öffentlichkeit als Bigamisten und verwestlichten "Einzelgänger" darzustellen. Schon die Vorstellung, mit welchem Aufwand man die Besucher davor schützen muss, von dem neuen Einheitsdenkmal zerquetscht zu werden, verleidet Andreas Kilb die Sache. Jordan Mejias sah am Broadway die Stücke "Bengal Tiger at the Baghdad Zoo", "The Motherf**ker with the Hat" und "Wittenberg".

Auf der Medienseite hebt Lorenz Jäger in einem "Nachtrag zur Geert-Wilders-Dokumentation" bei 3sat hervor, was er als die "Stärke" des Films ansieht: "Wie die gesamte Eurorechte inzwischen auf ein Bündnis mit dem rechten Rand in Israel eingeschworen ist, so auch Wilders; ja er mag der Initiator dieser Tendenz gewesen sein."

Besprochen werden ein Konzert von James Blake in Köln, die Schau "L'Orient des femmes", im Musee du Quai Branly in Paris (warum fehlt ausgerechnet der Schleier, fragt Lena Bopp), Anne Teresa De Keersmaekers tänzerisches Frühwerk in Brüssel, die Filmkomödie "Der Dieb des Lichts" und Bücher, darunter Wolfgang Schömels Roman "Die große Verschwendung" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).