Heute in den Feuilletons

Das dämonische Ächzen von Natur und Mensch

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.04.2011. Die FR hat den neuen Film von Nanni Moretti gesehen, der den Papst einer Psychoanalyse unterzieht. Die taz plädiert für den Abbruch der Aufklärungsausstellung in Peking. In der FAZ fürchtet der evangelische Pfarrer Jochen Teuffel, dass Deutschland über der Islam-Debatte noch laizistisch werden könnte. Alle feiern den "Wozzeck" unter Barenboim und Breth in Berlin.

FR, 18.04.2011

Kordula Doerfler hat in Italien Nanni Morettis neuen Film "Habemus Papam" gesehen, der von der katholischen Kirche handelt: "Michel Piccoli spielt einen Papst, der, gerade gewählt, einen Nervenzusammenbruch erleidet und sein Amt nicht antreten will - noch nie dagewesen in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche. Inkognito taucht er in Rom unter, während Moretti als eigens zugezogener Psychoanalytiker die Kardinäle beschäftigt." Hier der Trailer.

Weitere Artikel: Sacha Verna trifft in New York die Erfolgsautorin Siri Hustvedt. Besprochen werden außerdem bajuwarische Heimatstücke an den Münchner Kammerspielen und der Berliner "Wozzeck" unter Daniel Barenboim und Andrea Breth.

NZZ, 18.04.2011

Peter Urban-Halle berichtet von heftigen Verwerfungen im dänischen Literaturbetrieb: In einer wütenden Attacke hat der Schriftsteller Ib Michael dem Großkritiker Lars Bukdahl von Weekendavisen Provinzialismus und Feigheit vorgeworfen: "In seinem Blog legte er nach, Zitat: 'Ich verspreche dir eine Tracht Prügel, wenn ich nach Hause komme, und das meine ich so konkret, dass du mich anzeigen solltest.' Das hat einen gewissen Wirbel verursacht."

Weiteres: Uwe Justus Wenzel bemerkt, dass der Zeitgeist nicht mehr egoistisch ist: "Nun boomt das Wir, und die Intelligenz schwärmt; das Gen ist kooperativ und die Zivilisation empathisch." Peter Hagmann hat sich Stefan Herheims "Salome"-Inszenierung bei den Osterfestspielen Salzburg angesehen. Und Sören Urbansky erzählt von dem in Russland lebenden Chinesen Zhang Yongjin.

TAZ, 18.04.2011

Auf der Seite eins plädiert Klaus Hillenbrand für einen Abbruch der Aufklärungsausstellung in Peking, auch wenn dies die Freilassung von Ai Weiwei nicht garantiert: "Aber es wäre ein Affront gegen die Machthaber in Peking. Sie wären vor der Weltöffentlichkeit blamiert. Wenn es um die Durchsetzung der Menschenrechte im Allgemeinen geht, ist diese Regierung um wohlfeile Worte nicht verlegen. Geht es aber darum, auch einmal etwa zu unternehmen, was die guten bilateralen Kontakte eintrüben könnte, schreckt sie zurück."

Im Kulturteil berichtet Waldemar Kesler vom Comic-Festival "Fumetto" im schweizerischen Luzern. Besprochen werden Stefan Puchers Inszenierung "Mjunik Disco" und James Blakes Berliner Konzert im Berghain ("Hypetest bestanden", meint Tim Caspar Böhme).

Und Tom.

Welt, 18.04.2011

Wenn die Fernsehräte den sündhaft teuren Kauf der Übertragungsrechte für die Champions League durch das ZDF einfach durchwinken, beweist das für Kai-Hinrich Renner, "dass es in Deutschland keine unabhängige Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Sender gibt".

Besprochen werden die Strauss-Oper "Salome" in Salzburg ("Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker [sind] die eigentliche Salzburg-Sensation", verkündet Manuel Brug), Bergs Oper "Wozzeck" in Berlin und ein Konzert von James Blake im Berghain.

FAZ, 18.04.2011

Der evangelische Pfarrer Jochen Teuffel erklärt in dankenswerterweise sehr klaren Worten, warum Islamkritik des, ähm, Satans ist. "Was in Deutschland als Religionskritik gegen den Islam geltend gemacht wird, trifft langfristig die Kirchen. So kann die gegenwärtige Islamdebatte nur die Entwicklung hin zu einem laizistischen Staat befördern, was einer Verdrängung der Kirchen aus der Öffentlichkeit gleichkäme. Weiterhin macht ein abendländischer Kulturvorbehalt die christliche Mission gegenüber Muslimen in Europa praktisch unmöglich."

Paul Ingendaay besucht den kubanischen Schriftsteller Angel Santiesteban (Blog) in Havanna. Veröffentlichen darf er nichts mehr, aber: "'Ich bin glücklich', sagt er. 'Ich schreibe für mich selbst. Jede Nacht. Ich fülle die Seiten und habe ein paar fertige Bücher in der Schublade, Erzählungen, Romane. Das ist der einzige Sinn, den ich in meinem Leben entdecken kann.'"

Besprochen werden die Eröffnung der Salzburger Osterfestspiele mit Strauss' "Salome", Andrea Breths und Daniel Barenboims "Wozzeck" in Berlin, die Uraufführung von Feridun Zaimoglus und Günter Senkels Stück "Alpsegen" an den Münchner Kammerspielen, ein Konzert von Lena in Frankfurt, Terry Eagletons Band über "Das Böse" (Leseprobe) und Alexander Kluges politische Geschichten "Das Bohren harter Bretter" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 18.04.2011

Höchst beeindruckt ist Wolfgang Schreiber vom "Wozzeck" unter Andrea Breth und Daniel Barenboim am Berliner Schillertheater und erschauert etwa über "das dämonische Ächzen von Natur und Mensch, wenn die weit aufgerissene Bühne in Finsternis getaucht ist und Wozzeck in seinen Tod hineintaumelt".

Weitere Artikel: Andreas Zielcke sieht die neue ungarische Verfassung, die heute verabschiedet werden soll, als Ausdruck einer "konservativen Revolution". Catrin Lorch ist von der SZ zur Kunst-Biennale im arabischen Sharjah gesandt worden, wo der Scheich persönlich missliebige Kunstwerke ins Aus expedierte. In den "Nachrichten aus dem Netz" begrüßt Michael Moorstedt Studien der Internetforscherin Alice Marwick, wonach die sozialen Netze nicht zu Demokratisierung, sondern zu neuer Hierarchisierung führen (hier als pdf-Dokument). Paul-Philipp Hanske macht auf das Phänomen neuer psychedelischer Popmusik aufmerksam, deren Meisterwerk jetzt von Panda Bear vorgelegt worden sei. Niklas Hofmann resümiert die re:publica. Barbara Gärtner beobachtete die Protestaktionen gegen die Festnahme von Ai Weiwei. Volker Breidecker verfolgte ein Symposium "Über Lyrik & Lyrics bei Bob Dylan" an der Mainzer Akademie der Wissenschaft und der Literatur Programm als pdf-Dokument). Lothar Müller liest einen (nicht online stehenden) LRB-Artikel Colm Toibins über die Bedeutung von Tanten im Roman des 19. Jahrhunderts.

Besprochen werden neue DVDs, die Heimatstücke "Alpsegen" und "Mjunik Disco" an den Münchner Kammerspielen und Simon Rattles und der Berliner Philharmoniker bravourhafte Aufführung von Strauss' "Salome" in Salzburg.