Heute in den Feuilletons

Relevanz! Relevanz!

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.04.2011. Der Chaos Computer Club will alle Probleme der kulturellen Ökonomie mit einem neuen System lösen, der Kulturwertmark. In der NZZ verteidigt die Psychoanalytikerin Elisabeth Roudinesco Freud gegen den Anti-Freud Michel Onfrays. In der FR sieht Markus Beckedahl zur Zeit nicht "das Hammerthema" für seine "Digitale Gesellschaft e.V.". Die SZ kann die Klagen der Burgtheater-Stars über ihren Direktor Matthias Hartmann nicht nachvollziehen. Und Tschernobyl ist überall.

Aus den Blogs, 26.04.2011

Der Chaos Computer Club schlägt ein neues System der Vergütung kultureller Leistungen vor, das unter dem grauenhaften Namen "Kulturwertmark" firmiert: "Zukünftig soll der Nutzer der Werke mit Hilfe des Kulturwertmark-Systems, einer Form des digitalen Micropayments, direkt bestimmen können, welche Kreativen wieviel Geld von ihm bekommen. Jeder Teilnehmer zahlt einen festen monatlichen Betrag ins System ein, den er dann in Form von Kulturwertmark an Künstler seiner Wahl vergeben kann." Mehr dazu auch bei dem Online-Magazin irights.info.
Stichwörter: Chaos Computer Club, Geld

Weitere Medien, 26.04.2011

Hier der Berliner Appell Free Ai Weiwei: "Die Unterzeichner fordern nachdrücklich die deutsche Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft auf, sich öffentlich und nicht-öffentlich für die Freilassung von Ai Weiwei einzusetzen."

NZZ, 26.04.2011

Ingrid Galster lässt im Interview ausführlich die Psychoanalytikerin Elisabeth Roudinesco zu Wort kommen, die Freud gegen Michel Onfrays Polemik verteidigt. Sie fand Onfray schon immer unseriös: "Aber mit seinem Anti-Freud ist es dann doch ein Buch zu viel. Denn aus Freud einen Nazi, einen vom Inzest Getriebenen, einen Feind der Homosexuellen, einen Vergewaltiger, Frauenhasser, Gauner, Betrüger, Drogenabhängigen zu machen, das kann man nicht mehr durchgehen lassen."

Weiteres: Zum Jahrestag von Tschernobyl erinnert Uwe Justus Wenzel an die Risikogesellschaft, Simulation und andere theoretische Waffen der achtziger Jahre. Besprochen werden Hans Magnus Enzensbergers Streitschrift "Sanftes Monster Brüssel" und Stephen Kelmans Immigrantenroman "Pigeon English" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

FR, 26.04.2011

Im Feuilleton meint Harry Nutt mit Verweis auf die Erfahrungen der Goethe-Institute, dass man auch in diktatorisch geführten Ländern sinnvolle Kulturpolitik betreiben kann. Auf der Medienseite sieht Michael G. Meyer die Atmosphäre in Deutschland nach der Sarrazin-Debatte "vergiftet". Und Markus Beckedahl erklärt im Interview, er sehe im Augenblick nicht "DAS eine Hammerthema" für seinen Verein "Digitale Gesellschaft", weshalb man erstmal eine Warum-Kampagne gestartet habe.

Besprochen werden eine Ausstellung über den Fitness-Wahn im Dresdner Hygienemuseum, eine Aufführung von Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend" am Staatstheater Wiesbaden und Dave Eggers Reportage "Zeitoun" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 26.04.2011

Jutta Lietsch begibt sich in die Ausstellung "Kunst der Aufklärung" im Pekinger Nationalmuseum und findet dort "sicher zweihundert Menschen". Sven Hansen berichtet, dass hundert deutsche Sinologen in einem Berliner Appell die Freilassung Ai Weiweis fordern. Isolde Charim denkt in ihrer Kolumne über Julia Albrechts und Corinna Pontos Buch "Patentöchter" und die unmögliche Balance von RAF und Familie nach. Ralf Leonhard porträtiert zum Jahrestag von Tschernobyl den einstigen sowjetischen Katastrophenexperten Julij Borisowitsch Andrejew.

Alexander Hass hat sich den "Hundesprozessen" unterzogen, die die Theatergruppe Signa in Kölns ehemaliger Kfz-Zulassungsstelle inszenierte. Besprochen wird außerdem die Ausstellung "The Art of Pop Video" im Museum für Angewandte Kunst in Köln.

Und Tom.

Welt, 26.04.2011

Paul Jandl beschwört noch einmal eindringlich die Zustände im antidemokratisch gewendeten Ungarn. In der Leitglosse wirft Marko Martin einen Blick auf die chinesische Touristikinsel Hainan, wohin jetzt der Bürgerrechtler Liu Anjun verbannt wurde. Waldemar Kesler porträtiert den Comicautor und -zeichner Daniel Clowes. Manuel Brug erzählt, wie die Oper Straßburg deutsche Besucher anzieht.

Besprochen werden Juli Zehs Farce "203" in Düsseldorf, eine Ausstellung mit Gemälden und Fotografien der Brüder Caillebotte in Paris und eine Ausstellung über Tagebücher in der New Yorker Morgan Library.

FAZ, 26.04.2011

Der Risiko-Soziologe Ulrich Beck erklärt im Gespräch mit Uwe Ebbinghaus, dass die Atomkraft ihrer inhärenten Unversicherbarkeit wegen eine per Definition öffentliche Angelegenheit ist: "Die private Versicherung ist bei Atomunfällen außer Kraft gesetzt. Ein Autofahrer ohne privaten Versicherungsschutz muss mit schweren Strafen rechnen, während bei einer Gefahr, die eine bestimmte Größe erreicht, der Versicherungsschutz entfällt. Was zur Folge hat, dass die Kernkraft im Grunde eine staatssozialistische Industrie ist. Denn die Kosten der Fehler werden auf die Steuerzahler abgewälzt - wie schon bei der Bankenkrise." Zum Thema Tschernobyl gibt es auch den gekürzten Nachdruck eines Textes von Juri Andruchowytsch über die postatomare Geisterstadt Prypjat.

Weitere Artikel: Als Ausdruck von Kulturkämpfen hinter den Kulissen der chinesischen Politik versteht es Mark Siemons, dass die erst jüngst enthüllte große Konfuzius-Statue vor dem Chinesischen Nationalmuseum in einen Hinterhof des Museums entsorgt worden ist. Nicht ganz auf dem neuesten Stand scheinen, wie Kerstin Holm anmerkt, die Deutschkenntnisse russischer DeutschlehrerInnen - der Hinweis einer Goethe-Sprachlehrerin auf seltsame Prüfungsfragen sorgte jedenfalls für einen mittleren Skandal. Vor den Effekten "sozialen Faulenzens" warnt Rolf Dobelli. In osteuropäische Zeitschriften blickt Joseph Croitoru. Jürgen Kaube schreibt zum Tod des Soziologen Harold Garfinkel

Besprochen werden ein Kölner Konzert der Band The Monochrome SetRobert Lepages "Walküren"-Inszenierung an der New Yorker Met, die Uraufführung von Julie Zehs Stück "203" am Düsseldorfer Schauspielhaus (Andreas Rossmann klagt, dass Zeh "den Zuschauer holzhammerartig mit Themen und Thesen traktiert"), die Ausstellung "Aschemünder" im neu eröffneten Videokunst-Luftschutzkeller im Haus der Kunst, die Ausstellungen "Zone - Heimat - Tschernobyl" mit Fotografien von Andrej Krementschouk in Mannheim und "Tschernobyl: Verlorene Orte, gebrochene Biographien" im Willy-Brandt-Haus Berlin, und Bücher, darunter Stephen Kelmans Romandebüt "Pigeon English" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 26.04.2011

Am Burgtheater ist Unfriede, nachdem Birgit Minichmayr ihre Rolle als "Lulu" zurückgab, die demächst Premiere haben sollte. Die Schauspielerstars schimpfen auf den Direktor Matthias Hartmann, den Helmut Schödel aber verteidigt: "'Ein Mofa ist kein Sofa', hieß es bei Schlingensief, und ein Theater ist kein Mädchenpensionat. Da reiten sich die Kräfte der Egomanen freien Raum. Die Zeiten der Ensemble-Seligkeiten, der Traum von der Theaterfamilie ist vorbei. Es wird eingeflogen und abgereist. Da wird nichts mehr von innen heraus entwickelt."

Weitere Artikel: Tim Neshitov beobachtete auf dem Deutsch-Afrikanischen Energieforum, wie deutsche Wirtschaftsleute den Afrikanern begegnen. Der amerikanische Publizist Paul Greenberg (mehr hier) beklagt das unzureichende Katastrophenmanagement in Fukushima und bei Deepwater Horizon. Rainer Gansera gratuliert dem Regisseur Barbet Schroeder zum Siebzigsten.

Besprochen werden Juli Zehs gesellschaftskritische Farce "203", uraufgeführt in Düsseldorf ("Relevanz! Relevanz! ruft es aus allen Ecken", stöhnt Vasco Boenisch), eine Ausstellung, die die Gemälde Gustave Caillebottes mit den bisher unbekannten Fotografien seines Bruders Martial kombiniert, im Pariser Musee Jacquemart-Andre (nicht die Fotografie beeinflusste Gustave Caillebotte, bemerkt Willms in seinem Artikel, sondern es war genau umgekehrt), die Ausstellung "Sport und Gesellschaft" im Dresdner Hygiene-Museum und Bücher, darunter Nadja Küchenmeisters Gedichtband "Alle Lichter" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).