04.05.2011. SZ und FAZ sind sich einig: Man soll sich über den Tod Osama bin Ladens nicht freuen. Christopher Hitchens in Slate kann sein stilles Vergnügen in Slate dennoch nicht verhehlen: Er war gar kein Guerillero, sondern der verwöhnte Klient eines Schurkenstaats. Und er hat lange genug gelebt, um erfahren zu müssen, dass die Araber sein Phantom in ihrer Demokratiebewegung abgeschüttelt haben, notiert Thomas Friedman in der NY Times. Das ist doch ein Grund zur Freude, meint auch Jörg Lau in seinem Blog. In der FR reagieren die Autoren des Buchs "Das Amt" auf drastische Kritik aus dem Münchner Institut für Zeitgeschichte.
Weitere Medien, 04.05.2011
Thomas Friedman
schreibt in der
New York Times: "There is only one good thing about the fact that Osama bin Laden survived for nearly 10 years after the mass murder at the World Trade Center and the Pentagon that he organized. And that is that he
lived long enough to see so many young Arabs repudiate his ideology." Scott Shane und Charlie Savage
fragen in einem zweiten Artikel, ob das amerikanische Militär die Informationen, die zu bin Ladens Versteck führten, auch
durch Folter bekommen hat.
Damien McElroy
liest im
Telegraph bin Ladens angebliches Testament, das in einer kuwaitischen Zeitung veröffentlicht wurde: "Bin Laden's
four wives were ordered not to find new husbands and focus on
raising his offspring. 'Don't consider marrying again, and devote yourselves to your children and guide them to the right path,' the will states."
24 Kinder soll er haben, aber sein Vater hat ihm ja auch ein Vermögen von
30 Millionen Dollar hinterlassen.
Christopher Hitchens'
Artikel in
Slate hatten wir gestern übersehen: "There's some minor triumph, also, in the confirmation that our old enemy was not a heroic guerrilla fighter but the
pampered client of a corrupt and vicious oligarchy that runs a failed and rogue state."
Jon Stewart wüsste gern, warum die
Pakistanis sechs Jahren lang angeblich nicht wussten, dass Bin Laden in ihrer Mitte lebt.
Eine schwerwiegende Frage
stellt Xeni Jardin in
Boingboing: "Osama
bin Smokin'? Marijuana found at Abbottabad compound."
FR, 04.05.2011
Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann, Autoren der Studie
"Das Amt und die Vergangenheit",
antworten auf die drastische
Kritik Johannes Hürters vom Münchener Institut für Zeitgeschichte. Warum, fragen die Autoren zurück, hat das IfZ eigentlich nicht schon längst
selbst eine Geschichte der NS-Außenpolitik herausgebracht? "Spätestens seit den 90er Jahren wäre Zeit und Anlass gewesen, eine systematische Analyse auf den Weg zu bringen, denn seit dieser Zeit ediert das IfZ
im Auftrag des AA die 'Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland'; Institutsdirektor Möller fungiert sogar als Hauptherausgeber. Doch zu einem solchen Projekt, das die von Hürter in unserem Buch vermisste Geschichte der NS-Außenpolitik hätte integrieren können, ist es
nicht gekommen."
Besprochen werden die Uraufführung von
Georg Friedrich Haas' neuer Oper "Bluthaus" (ein "ästhetisches Meisterwerk", schreibt Georg Rudiger) bei den
Schwetzinger Festspielen und Bücher, darunter Christian Webers
Max-
Kommerell-Biografie (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Welt, 04.05.2011
Die
Welt startet eine Reihe zum
11. September und seinen Folgen, zum Auftakt
stellt der
Literaturwissenschaftschaftler Hans Ulrich Gumprecht fest, dass die
USA heute zum "
Negativpol einer Weltsicht geworden ist, die sich für aufgeklärt hält". Und in der
Gewalt zum
großen Tabu geworden ist: "Freilich gilt das Tabu nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen für 'Regimegegner' aller Couleur, während es ohne Begrenzung wohl allein die Vereinigten Staaten als die militärisch am besten ausgerüstete Nation trifft - und aus analogen Gründen
Israel im Kontext der komplexen politischen Situation des sogenannten 'Nahen Ostens'. Seither werden die Vereinigten Staaten und Israel von der sich unter elektronischen Bedingungen formierenden neuen Weltöffentlichkeit mit einem negativen ethischen Vorzeichen wahrgenommen, ganz unabhängig von der
Berechtigung dieses Vorzeichens."
Im Interview mit Peter Dittmar
erklärt der belgische Maler
Luc Tuymans, dessen Retrospektive gerade im Brüsseler
Bozar zu sehen ist, seine Kunst so: "Ich bin ein schlechter abstrakter Maler, weil das eine
Malerei des Motivs ist. Meine Malerei aber ist eine der
Distanz. Deswegen die Figuration. Jetzt gibt es zwar viele figurative Maler. Aber als ich angefangen habe, gab es fast keine. Das ist eine
Malerei der Nachahmung geworden, ohne Intention."
Weiteres: Andreas Rosenfelder
findet das Ende
Osama bin Ladens geradezu hollywoodesk. Manuel Brug
berichtet begeistert vom Broadway-Hit der
South-Park-Macher
"The Book of Mormon". Richard Kämmerlings
schwärmt von der Band
Morning Teleportation und ihrem Album "Expanding Anyway".
Aus den Blogs, 04.05.2011
Warum diese
Geknicktheit über den Tod bin Ladens in den deutschen Medien?,
fragt Jörg Lau. Dieser Tod nützt auch der
arabischen Demokratiebewegung, meint er: "Der Tod des Massenmörders ist Wasser auf ihre Mühlen: Neben den Tyrannen und Autokraten wird nun noch ein Fluch von der islamischen Welt genommen - die Gegen-Tyrannei des
religiösen Faschismus bin Ladens. Wie kann man darüber keine Freude empfinden?"
Was wäre passiert, wenn die
Bundeswehr bin Laden entführt und nach Deutschalnd gebracht hätte?,
fragt Richard Wagner in der
Achse des Guten: "Bringt man ihn hier vor Gericht, stellt sich schon bald die Frage, aufgrund von was. Er hat nichts gegen Deutschland unternommen. Bleiben zwei Möglichkeiten. In der Zwischenzeit trifft ein Auslieferungsbegehren aus den Vereinigten Staaten ein, dem man aber von deutscher Seite nicht Folge leisten kann, weil dem Mann in den Vereinigten Staaten die
Todesstrafe drohe. Also bleibt nur der Internationale Gerichtshof in Den Haag. Ob man ihn aber dort einem Gerichtsverfahren zuführen kann? Welches sind seine nachweisbaren Verbrechen?"
NZZ, 04.05.2011
Etwas mehr Verunsicherung hätte sich Samuel Herzog von der Kunstausstellung
"Elogio del Dubio" der
Pinault-Stiftung in Venedig
gewünscht: Große Werke begegneten ihm hier, ja, aber nichts, was
echten Zweifel hätte nähren können. Er ist hier "gewissermaßen ein Armani-Kostüm für die Seele. Freundlicher formuliert könnte man sagen, der Zweifel komme hier eben in einer tieferen, grundsätzlicheren, fundamentaleren Art und Weise zum Tragen - und sei daher als Zweifel gar nicht richtig zu fassen. Der Zweifel wäre folglich in dieser Ausstellung so etwas wie ein bestimmtes Gewürz in einem
komplexen Schmorgericht, das für das Gesamtaroma bestimmend ist - auch wenn man es als einzelne Zutat gar nicht wahrnimmt."
Weiteres: Daniel Ender
bilanziert die bisherige Amtszeit des Wiener Staatsopernchefs
Dominique Meyer. Klaus Meyer-Minnemann
schreibt zum Tod des chilenischen Dichters
Gonzalo Rojas. Besprochen werden eine
Ausstellung zum öffentlichen Stadtraum im
Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt und
Jörg Fischs Studie "Das Selbstbestimmungsrecht der Völker" (siehe auch unsere
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
TAZ, 04.05.2011
Daniela Zinser ist nach
Island gereist und
stellt uns einige Autoren und Sagas vor. Viele Berliner möchten gern, dass das
Tempelhofer Feld bleibt, wie es jetzt ist, unbebaut und ungestaltet,
berichtet Ingo Arend. Besprochen wird die
Ausstellung "
Aschemünder" im Münchner
Haus der Kunst.
Und
Tom.
Berliner Zeitung, 04.05.2011
Christian Bommarius
findet Angela Merkels Freudenbekundung (
letzter Absatz) auch aus juristischen Gründen völlig unpassend: "Bisher ist nicht bekannt, was genau sich in der Nacht zum Montag im Versteck des Terroristen zugetragen hat, und damit ist offen, ob seine Tötung durch US-amerikanische Soldaten eine
legale Aktion oder ein
Verbrechen war."
FAZ, 04.05.2011
Frank Schirrmacher
will, anders als die Kanzlerin, so gar keine "Freude" über den Tod von
Osama Bin Laden empfinden: "Dass es einer Allianz sämtlicher Weltmächte nach zehn Jahren 'gelungen' ist, einen Einzelnen zu töten, der sich in einem Luftkurort unter pensionierten Generälen versteckte, ist weniger der Kern eines neuen amerikanischen Erfolgsmythos als eines möglichen Mythos des Usama Bin Ladin. Als Hitler tot war, bedauerte man diesen Tod, weil es nicht gelungen war, ihn
vor Gericht zu stellen. Dieses Bedauern wäre auch im vorliegenden Falle angebracht."
Weitere Artikel: Marcus Jauer
unterzieht das Bild, das
Barack Obama in trauter Runde bei der Verfolgung auf Osama bin Laden zeigt, einer Lektüre. Als Land recht unmittelbar vor der Revolution hat Hans-Peter Riese
Syrien - das er nun verlassen hat - erlebt. Als Farce begreift der ungarische Autor
Peter Zihaly die neue Verfassung des Landes und was darum herum von Regierungsseite verlautbart wird. In Frankreich ist die
Geburtenquote soeben wieder gestiegen - Lena Bopp weiß dennoch von lauter werdenden Rufen nach Gleichberechtigung zu berichten. Bei der Eröffnung der Villa von Johannes Lepsius in Potsdam als Gedenk-, nein, als "Begegnungs"stätte zur Erinnerung an den
Genozid der Türken an den Armeniern war Andreas Kilb zugegen. Das von Juan Navarro entworfene neue
Evolutionsmuseum in Burgos hat sich Klaus Englert angesehen. Daniel Haas kann erklären, was "
Scream 4" mit "Harry Potter" und Thomas Glavinics Roman "Lisa" gemeinsam hat. Über Kritik eines Urenkels von Leo Tolstoi am russischen
Schulsystem informiert Kerstin Holm.
Besprochen werden eine Aufführung von
Bohuslav Martinus Oper "Griechische Passion" in Palermo, und Bücher, darunter
Jörg Schellers philosophische Studie "No Sports! Zur Ästhetik des Bodybuilding" (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr).
SZ, 04.05.2011
Die Seite 1 des Feuilletons bringt noch drei Artikel zum
toten Terroristen. Andrian Kreye erinnert im Aufmacher an den ägyptischen Intellektuellen
Sayyid Qutb, einen der Gründerväter des Islamismus, die mit ihrem Hass auf den Westen auch Osama bin Laden beeinflussten. Karin Gothe fragt allen Ernstes, ob Osma bin Ladens Seebestattung
islamischem Zeremoniell entsprach, aber sie hält auch einen Trost bereit: "
Für Märtyrer gelten eigene Bestattungsregeln: Sie dürfen ohne rituelle Waschung beerdigt werden, denn das Martyrium, so die Auffassung der meisten Rechtsgelehrten, wasche die Sünden und die rituelle Unreinheit von ihnen ab." Matthias Drobinski
möchte die
Freude über den Tod bin Ladens nicht teilen: "Die Freude über den Tod des Bösen verdrängt diesen eigenen Abgrund; sie ignoriert, dass ein Kampf für das Gute, der sich von allen Zweifeln gereinigt sieht, seine Wurzel
im Bösen hat."
Weitere Artikel: Der alternative britische
Wirtschaftsexperte Tim Jackson schlägt der Weltbevölkerung vor, der Sehnsucht nach
materiellem Wohlstand zu entsagen und produktives Vermögen zu vergesellschaften. Bernd Graff schreibt über absurde Länderbegrenzungen in der Internet-Präsentation
neuer Popmusik und erklärt, wie Internetnutzer über den
Dienst hidemyass.com an
Youtube-Videos herankommen, die eigentlich für bestimmte Länder (meist aus Copyright-Gründen) gesperrt sind. Martina Knoben unterhält sich mit dem Regisseur
Volker Sattel über seinen Atomkraftfilm "Unter Kontrolle" (mehr
hier), der das Dokfest München eröffnet. Helmut Mauro schreibt zum Tod des Pianisten
Vladimir Krainev.
Besprochen werden
Ildebrando Pizzettis Oper "Murder in the Cathedral" in Frankfurt und Bücher, darunter einiger
Michelangelo-Biografien (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).