Heute in den Feuilletons

Maske des Flotten

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.06.2011. Lange Zeit bereitete die Steuererklärung Andreas Maier ein großes Grauen, bis ihm auf einem Gymnastikball ein Engel erschien, so erzählt er in der Welt. Die FR begegnet in den "Transformers" Maschinen von hinreißender Zickigkeit. Netzwertig fragt: Was ergibt Google Plus? Die SZ findet: Selbst Paul Kirchhof reicht an die Klarheit des Code civil nicht heran. Und Horst Bredekamp feiert Imi Knoebels Fenster in der Kathedrale von Reims.

Welt, 29.06.2011

Der Schriftsteller Andreas Maier schildert die Qual, die ihm, seit er ein bisschen Geld verdiente, Jahr für Jahr die Steuererklärung bereitete. Der Druck war um so größer, als seine Familie aus der Branche der Finanzanwälte stammte. Aber dann. "Als ich meine Steuerberaterin zum ersten Mal sah, saß sie auf einem Gesundheitsball. Von draußen kam ein helles, friedliches Sonnenlicht herein. Ich saß vor ihr und wusste nach wenigen Minuten, dort sitzt ein Engel."

Weitere Artikel: Lisa Marleen Grenzebach glossiert eine italienische Unterschriftenaktion, mit der die Mona Lisa zumindest für eine Ausstellung nach Italien zurückgeholt werden soll. Hannes Stein trifft in New York den Autor Wesley Yang, der eine Replik auf Amy Chuas auch hierzulande viel diskutiertes "Tigermama"-Buch geschrieben hat - so erfolgreich sind die Asiaten in den USA nämlich gar nicht. In seiner Glosse "J'accuse" porträtiert Alan Posener den amerikanischen Veschwörungstheoretiker Jesse Ventura.

Besprochen werden der Film "Transformers 3" (mehr hier), Smetanas "Verkaufte Braut" unter Nikolaus Harnoncourt in Graz eine Ausstellung über den Meister von Naumburg in Naumburg und Poulencs Revolutionsoper "Die Karmelitinnen" in der Regie von Calixto Bieito an der Komischen Oper Berlin.

Aus den Blogs, 29.06.2011

(via BoingBoing) Laut Reuters verlangen die chinesischen Steuerbehörden von Ai Weiwei jetzt insgesamt 12 Millionen Yuan (1,85 Millionen Dollar) Steuernachzahlung (5 Mio.) und Strafe (7 Mio.).

Google möchte jetzt doch noch Facebook Konkurrenz machen - mit Google Plus (für das man allerdings vorerst noch eine einladung braucht). Martin Weigert hat den Dienst für Netzwertig schon studiert: "Eine der entscheidenden Eigenschaften von Google+ ist die Fähigkeit zum granularen Publizieren von Inhalten für ausgewählte Personen. Das 'Circles' genannte Feature erlaubt das Kategorisieren von Freunden per Drag-and-Drop. Google hält diesen Ansatz überlegen zu Facebooks nicht unbedingt intuitiv gelösten Freundeslisten." MG Siegler kommentiert in TechCrunch angesichts der google-typischen Einladungspolitik: ""It's here. Sort of."

Open Culture
hat Auszüge aus einer wunderbaren Dokumentation der BBC über J.R.R. Tolkien gefunden. Hörempfehlung: "Start at minute 2:49, where he describes first writing the immortal words 'In a hole in the ground there lived a hobbit.' The anecdote should inspire beleaguered graduate students and teachers everywhere: He came up with the line while grading exams."


FR, 29.06.2011

Viel Spaß hatte Daniel Kothenschulte in Michael Bays Film "Transformers 3": "Wieder liegt es an Sam Witwicky, dem jugendlichen Helden der ersten Filme, die guten Roboter bei Laune zu halten und die bösen in Schach. Wie in den ersten beiden Filmen hat er es dabei mit Maschinen von hinreißender Zickigkeit zu tun - und ist ihnen doch in einem Punkt ganz ähnlich: Nie fühlt sich der frischgebackene College-Absolvent so richtig in seinem Talent gewürdigt - da kann ihm seine viel zu attraktive Freundin, gespielt vom britischen Model Rosie Huntington-Whiteley, noch so oft sagen, dass sie ihn für einen Helden hält."

Besprochen werden ein Konzert von Fat Freddy"s Drop im Offenbacher Capitol und Alissa Walsers Erzählung "Immer ich" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Macht gute Laune: "Wandering Eye" von Fat Freddy"s Drop


TAZ, 29.06.2011

Julian Weber erzählt, was es mit der Jajouka-Musik auf sich hat, die einst von den Beat-Poeten in Marokko wegen ihrer bedröhnenden Wirkungen geschätzt wurde. Nun kommen die "Master Musicians of Jajouka" nach Berlin. Hier eine Hörprobe:



Außerdem: Ines Kappert unterhält sich mit der Regisseurin Nanouk Leopold über ihren Film "Brownian Movement". Brigitte Werneburg war dabei, als Herta Müller, Norbert Bisky und Uwe Kolbe im Berliner Literaturhaus Texte von Ai Weiwei lasen. Besprochen werden Inszenierungen des Festivals Theaterformen in Hannover.

Auf der Meinungsseite erzählt Ilija Trojanow, wie sein Freund Henning den Krieg abschaffte, zumindest linguistisch.

Und Tom.

NZZ, 29.06.2011

Marion Löhndorf spaziert durch Peter Zumthors Pavillon der Serpentine Gallery in Londons Kensington Gardens. Uwe Justus Wenzel berichtet über einen Hegel-Kongress in Stuttgart. Christian Schlösser schildert die grausamen Einsparungen der neuen niederländischen Regierung im Kulturbereich.

Besprochen werden eine Ausstellung der Minimal Art von Carl Andre im Museum Kurhaus Kleve, eine Ausstellung von Albert Renger-Patzschs Aufnahmen des Fagus-Werks im Berliner Bauhaus und Bücher, darunter Martin Kubaczeks Roman "Die Knie meiner Mutter und mein Vater im Krieg" und Philipp Bloms Buch über "Böse Philosophen" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 29.06.2011

Andreas Kilb besucht die als Werbe-Plattform fürs entstehene Schloss gedachte Humboldt-Box und kehrt alles andere als glücklich zurück. Statt sinnlicher Annäherung an die späteren Ausstellungsstücke gibt es hier nur eine "Duftbar mit Zitrusgerüchen und eine interaktive musikalische Weltkarte. Solche Phantasielosigkeiten sind mit konservatorischen Bedenken nicht zu entschuldigen. Das Weltkulturenmuseum, besorgt um die Nutzerfreundlichkeit seiner Schätze, hüllt sich verschämt in die Maske des Flotten."

Weitere Artikel: Die nun auch von der CDU geplante Abschaffung der Hauptschule wird, wie Regina Mönch entschieden versichert, als reine Strukturreform gar nichts bringen. Dieter Bartetzko verbindet seinen Kommentar zum schleichenden "S 21"-Weiterbau mit einem Bericht von seiner jüngsten, unglücklich verlaufenen Bahnfahrt. Als cleveren Schachzug betrachtet Jürgen Kaube in der Glosse Silvana Koch-Mehrins erst Eintritt in den, dann Rückzug vom Europa-Forschungsaussschuss. Von einem Abend für Ai Weiwei (mit unter anderen Herta Müller) im Berliner Literaturhaus berichtet Tomas Kurianowicz. Die Anwältin Ulrike Riedel erklärt, dass durch den Flach-Hintze-Entwurf zum PID-Gesetz eine Hintertür fürs Embryonen-Screening offen bleibt. Chinas investigative Journalisten leiden, reicht Mark Siemons eine Meldung weiter, heftig unter Burn-Out-Syndrom, vom Kampf mit Behörden und Institutionen zermürbt.

Besprochen werden Uraufführungen von Choreografien von Sidi Larbi Cherkaoui und David Dawson in Amsterdam, Tran Anh Hungs Murakami-Verfilmung "Naokos Lächeln", Michelangelo Frammartinos Film "Vier Leben" und Bücher, darunter Aimee Benders Roman "Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 29.06.2011

Paul Kirchhofs Entwurf für eine Vereinfachung des Steuerrechts in allen Ehren, aber an die Klarheit des Code Civil reicht er nicht heran, meint Gustav Seibt. Es gibt immer noch zuviele Hühner! "Man begreift, warum in einer Welt, in der einzelne Hühnersorten unterschiedlich besteuert wurden, Napoleons Code civil ein so großer Erfolg werden konnte ... dort las man herrlich klare Sätze, wie beispielsweise folgende Definition des Nießbrauchs: 'Der Nießbrauch ist das Recht, Sachen, woran einem andern das Eigenthum zusteht, wie der Eigenthümer selbst zu benutzen, jedoch mit der Verbindlichkeit, deren wesentlichen Bestand zu erhalten.'" Das rockt!

Weitere Artikel: Horst Bredekamp ist hingerissen von Imi Knoebels neuen Glasfenstern für den Chor der Kathedrale zu Reims: "Nachdem Henri Matisse 1951 mit der Rosenkranzkapelle von Vence eine Renaissance der Glasmalerei einleitete, ist es nun Imi Knoebel gelungen, eine der kostbarsten und auch technisch schwierigsten künstlerischen Gattungen mit dem Anspruch der zeitgenössischen Moderne zu verquicken." Joseph Hanimann ist enttäuscht, dass Le Corbusiers Gesamtwerk von der Unesco als Weltkulturerbe abgelehnt wurde.

Besprochen werden Branka Prlics und Tamer Yigits Theaterstück "Onkelz" im Berliner Hau und eine Ausstellung zu Thomas Mann und Richard Wagner im Lübecker Buddenbrookhaus.