Heute in den Feuilletons

Verquickung und Verstrickung

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.07.2011. Der Bachmannpreis für Maja Haderlap löst geteilte Reaktionen aus: Rückwärtsgewandt findet die taz die Erzählung der 50-jährigen Autorin. Die Welt sieht's ähnlich. Die SZ winkt bei den Klagenfurter Texten mehr oder weniger ab, aber sie mag die Veranstaltung. Die FAZ fragt: Ist der New Yorker "Salvator Mundi"  tatsächlich von Leonardo da Vinci?

TAZ, 11.07.2011

Unzufrieden ist Dirk Knipphals mit dem Bachmannpreis für Maja Haderlap, die in ihrem Text viel zu bedächtig von den österreichisch-slowenischen "Gefühlserbschaften" des Zweiten Weltkrieg erzähle. Sein Favorit war Steffen Popp mit seiner Dorfgeschichte: "Maja Haderlaps Text hat formal etwas Rückwärtsgewandtes, im Grunde ist das noch Nachkriegsliteratur mit ihren gebrochenen Heldengeschichten. Steffen Popp dagegen steht für eine Autorengeneration, die Möglichkeiten der neuen Literatur neben den neuen Medien, also Ausdrucksformen der Gegenwart ausprobiert." (Hier kann man alle Texte der Bachmann-Autoren lesen.)

Weiteres: In einem größeren Text rekapituliert Knipphals das Ereignis Klagenfurt, inklusive Wettschwimmen im See. Ralf Sotschek begräbt das Gossenblatt News of the World, das es selbst an seinem ruhmlosen letzten Tag noch auf eine Auflage von 2,6 Millionen brachte.

Besprochen werden die Ausstellung "Die Metapher des Wachstums" im Kunstverein Frankfurt am Main, ein Interviewband mit The Clash und das Handbuch der politischen Ikonografie (siehe auch unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Aus den Blogs, 11.07.2011

Andrea Diener, die zu den Bachmann-Tagen gebloggt hat, beschreibt die Reaktion der Jury auf die Lesung der - später preisgekrönten - Maja Haderlap: "Frau Stadler mahnt gleich mal 'zeitökonomische Statements' an.Die Frau hat eine Prosa am Leib, dass es einen graust. Frau Keller beginnt: Ein unspektakulärer Text, der in die Tiefe führt. Also die des Waldes und noch so einige andere. Hat ihr gut gefallen. Sulzer findet ihn gar makellos. Jandl liefert historischen Background für Nichtkärntner und attestiert feine sprachliche und poetische Nuancen. Feßman hat zwar Respekt, würde die Angelegenheit aber ein paar Etagen tiefer ansetzen. Außerdem erwähnt sie Handke. Frau Strigl braucht gar nicht groß zu verteidigen: Der Wald öffne in großartiger Schlichtheit einen Erzähraum (mal wieder), und überwuchere am Ende alles." Auch Wolfgang Tischer bloggt im Literaturcafe recht angeregt.

Katy Derbyshire, die einige der Bachmann-Texte ins Englische übersetzt hat, bloggte ebenfalls zu den Lesungen.

Welt, 11.07.2011

Richard Kämmerlings konnte im Gegensatz zu anderen Kritikern mit einigen Texten des Bachmann-Wettbewerbs durchaus etwas anfangen und bedauert, dass nicht ein junger Autor, sondern die immerhin 50-jährige Maja Haderlap gewann, trotz allen Respekts für ihre Geschichte: "Nachdem im vergangenen Jahr am Wörthersee bereits das Comeback des Ostberliner Erzählveteranen Peter Wawerzinek gefeiert wurde, hätte es in diesem Jahr die Chance gegeben, eine junge Generation mit neuen Stoffen und Formen ganz in den Fokus zu rücken. Das hat man dann doch nicht mit aller Konsequenz gewagt und am Ende die offenen Wunden der Vergangenheit wieder einmal den geschlossenen Gesellschaften und Systemen der Gegenwart vorgezogen."

Weitere Artikel: China-Korrespondent Johnny Erling bleibt dabei - nach wie vor ist das Publikumsinteresse an der von deutschen Museumshonoratioren mit großem Brimborium erstellten "Aufklärungs"-Ausstellung in Peking blamabel gering. In der Glosse mokiert sich Jenny Hoch über die Schwierigkeiten des Nationaltheaters Mannheim mit seinem Logo - NTM (französisch für "Nique ta mere"). Gerhard Gnauck informiert, dass im kroatischen Split eine jesus-Figur entstehen soll die noch größer ist als die in Rio.

Besprochen werden die Buckminster-Fuller-Ausstellung in Herford und neue Opern-Produtktionen in Glyndebourne.

NZZ, 11.07.2011

Die geforderte Gegenwärtigkeit kann Georg Renöckl Klagenfurt in diesem Jahr bestätigen, allenfalls etwas Zukunft hat er vermisst. Der Preis für die 1961 geborene Maja Haderlap geht für ihn jedoch in Ordnung. Zu ihrem Text über einen Kärntner Slowenen, der sich an seinen Partisanenkampf erinnert, merkt er an: "Wer es schaffte, sich aus der fröhlichen Literaturbetriebsamkeit zwischen ORF-Theater und Wörthersee-Strand auszuklinken und dem Klagenfurter Dom einen Besuch abzustatten, konnte dort eine 1990 errichtete, 2002 renovierte Steintafel betrachten, auf der zu lesen steht: 'Zum Gedenken an die während und nach dem Zweiten Weltkrieg von Partisanen verschleppten und ermordeten Kinder, Frauen und Männer. Wir wollen nicht vergessen, damit Gleiches nie wieder geschieht.' Kein Wort über den Nationalsozialismus."

Weiteres: Ueli Bernays berichtet vom Open Air Frauenfeld, bei dem sich einige Senioren des HipHops blicken ließen. Axel Christoph Gampp würdigt umfassend die Arbeit des Istituto Svizzero di Roma. Besprochen werden zwei Ausstellungen in Wien über den Malerfürst der Wiener Ringstraßen-Epoche, Hans Makart.

FR, 11.07.2011

"Richtig gutes Mittelfeld", aber keine "Wundertage" erlebte Judith von Sternburg in Klagenfurt. Ingeborg Ruthe ist entzückt von der Aktion "Art on Lake" in Budapest: "Spielerischer Esprit trifft auf pathetische Rhetorik." (Bild: der Bonnhomme von Daniel Knorr) Werner Girgert bezweifelt, dass es wirklich eine Renaissance der Städte gibt. Astrid Kaminski besucht das einstige Foltergefängnis - heute Museum - Ulucanlar in Ankara.

Besprochen werden Aufführungen beim Rheingau Musik Festival und Karl Kasers Buch "Balkan und Naher Osten".
Stichwörter: Balkan, Klagenfurt, Musik, Käser

SZ, 11.07.2011

Allzu beeindruckt war Kristina Maidt-Zinke von der Qualität des Wettgelesenen in Klagenfurt nicht, auch wenn sie der Siegerin Maja Haderlap, die auch noch aus der Region kommt, aufmunternd zuwinkt. Und so gerät ihr der Bericht eher zur ironischen Kritikvermeidung. "Wir meinen: Auf jeden Fall muss diese Veranstaltung unter Artenschutz gestellt werden, denn eine vergleichbare Kombination von Lesen, Reden, Radeln, Schwimmen und Trinken in erholsamem Ambiente hat es sonst nie und nirgends gegeben. Erhalten bleiben sollte auch das System der Rituale und Präliminarien sowie jene genuin österreichische, unbefangen zur Schau gestellte Verquickung und Verstrickung von Direktoren, Honoratioren und Sponsoren, die am Eröffnungsabend sich in Hochform zeigt."

Im Aufmacher schwärmt Andrian Kreye von den TED-Konferenzen, die sich von Kalifonien aus in der ganzen Welt verbreiten und im Netz als Ideenforum zu ihrer eigentlichen Berühmtheit gelangten. In den "Nachrichten aus dem Netz" stellt Niklas Hofmann die britische Open-Government-Plattform Data.gov.uk vor. Peter Laudenbach widmet der Berliner Schauspielerin Maria Kwiatkowsky, die auf dem Weg zum großen Theaterstar war und im Alter von 26 Jahren gestorben ist, einen erschütterten Nachruf (hier kann man sie spielen sehen). Anke Domscheit-Berg eröffnet eine Serie zum Thema Gesellschaft und Netz, die auf Nicolas Sarkozys Diktum, das Netz müsse zivilisiert werden, reagiert - und beruhigt die erschrockenen Leser dieser Zeitung: "Das Internet ist kein digitales Sodom und Gomorrha, es ist ein Spiegel der Gesellschaft." Dorion Weickmann schreibt zum Tod des französischen Choreografen Roland Petit. Jörg Häntzschel porträtiert den New Yorker Fotografen Joel Sternfeld (Bilder), dem das Folkwang Museum ab nächster Woche eine Retrospektive widmet.

Besprochen werden neue DVDs, zwei neue Choregrafien mit der Ballerina Sylvie Guillem in London und Bücher darunter William Gibsons Roman "Systemneustart".

FAZ, 11.07.2011

Als "höchst erfreulichen Jahrgang" erlebte Lena Bopp das diesjährige Bachmann-Preislesen - möchte das allerdings mehr auf die Texte als die Jury bezogen wissen. Auch mit der Preisträgerin ist sie so halb einverstanden: "Was Maja Haderlap vortrug, war ein elegischer, stilsicherer Text, poetisch und abgründig, ein würdiger Gewinner - auch, wenn man sich einen anderen durchaus hätte vorstellen können."

Ein schon seit längerem bekanntes "Salvator Mundi"-Gemälde wird nach seiner Restaurierung von vielen Fachleuten jetzt als echter Leonardo da Vinci gehandelt. Gina Thomas schildert die Hintergründe und freut sich, dass das Werk in der großen Leonardo-Ausstellung im Herbst in London zu sehen sein wird. Der Kunsthistoriker Frank Zöllner tendiert trotz Anerkennung der künstlerischen Qualität des Gemäldes eher zu Vorsicht und Skepsis: "Die bisher in Sammlungen und auf dem Kunstmarkt aufgetauchten Kopien und Varianten des 'Salvator Mundi' weichen in etlichen Details voneinander ab, was eher den Schluss nahelegt, dass Leonardo lediglich einen Entwurf lieferte, der von seinen Schülern und Nachfolgern in mehreren Gemälden umgesetzt wurde."

Weitere Artikel: Die Urlaubsgewohnheiten französischer PolitikerInnen glossiert Jürg Altwegg. In seiner "Klarer Denken" geht Rolf Dobelli der Frage nach, warum wir "vorsätzliches Unterlassen" in der Regel weniger problematisch finden als vorsätzliches Tun.

Besprochen werden ein Kölner Konzert von The Pains of Being Pure at Heart, eine Madrider Aufführung von Olivier Messiaens in ganz anderer Inszenierung gerade in München gezeigter "Franziskus"-Oper, eine Anselm-Kiefer-Ausstellung in Venedig und Bücher, darunter eine neue Gesamtausgabe von Oskar Loerkes Gedichten (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).