23.08.2011. Spiegel Online sondiert die Paradoxien des Retropop. Slate schlägt eine unterhaltsame Alternative zu langweiligen Sommerurlauben vor: Poesie und Prosa auf Lateinisch lesen und auf Lateinisch darüber diskutieren! Richard Herzinger erinnert in seinem Blog daran, dass Hamas und Hisbollah mit ihrem Hass auf Israel auch den Westen meinen. Die NZZ meldet: Ramadan ist in diesem Jahr langweilig, weil wegen des arabischen Frühlings der Nachschub an Ramadansoaps fehlt. Für die FAZ blickt Botho Strauß in den St.-Andreas-Graben dieses historischen Moments. Außerdem: Libyen sowie Dominique Strauss-Kahn sind frei!
Spiegel Online, 23.08.2011
Spiegel Online eröffnet eine Serie über
Retrotendenzen in verschiedenen Kunstgenres und beginnt mit
Pop, wo es inzwischen nichts anderes mehr zu geben scheint. Hannah Pilarczyk
interviewt dazu den britischen Popkritiker
Simon Reynolds, der gerade ein Buch (
"Retromania", hier ein
Auszug) zum Thema geschrieben hat und die Retrofixierung als eine paradoxe Konsequenz der
totalen Verfügbarkeit von Popmusik im Netz sieht: "Eine der vorherrschenden Ideologien unserer Zeit ist Bequemlichkeit. Je besser sich ein Produkt unseren Wünschen und Bedürfnissen anpasst, desto mehr wird es geschätzt. Gleichzeitig wächst die Zahl der Menschen, die es sich nicht so leicht machen wollen. Die sich auf altmodische Tonträger stürzen - zum Beispiel
Platten oder Kassetten."
Aus den Blogs, 23.08.2011
Richard Herzinger
macht in seinem Blog noch mal klar, wobei es sich beim Krieg von
Hamas und
Hisbollah (die durch den Libanon zur Zeit im UN-Sicherheitsrat sitzt) gegen Israel eigentlich handelt: "Der Krieg der palästinensischen Terroristen und al-Qaida-nahen Dschihadisten hat nichts mit den Ungerechtigkeiten der israelischen Besatzungspolitik und nichts mit einem ernsthaften Streben nach der Zweistaatenlösung zu tun... Es ist ein totaler Krieg nicht nur gegen jeden Einfluss der westlichen Welt und ihrer freiheitlichen Kultur, sondern gegen die
zivilisatorische Moderne insgesamt."
Und hier eine der grandiosen
Bilderstrecken von
The Big Picture zu den dramatischen Ereignissen in und um
Tripolis.
Weitere Medien, 23.08.2011
Die Anklage gegen
Dominique Strauss-Kahn wegen Vergewaltigung wird fallen gelassen,
meldet die
New York Times. Die Zeugin habe einfach zu oft gelogen. "In the Strauss-Kahn case, the official said, prosecutors came to believe that Ms. Diallo seemed unwilling to take responsibility for telling the truth. 'We deal with witnesses with these kinds of problems every day,' the official said. 'With her, we had to drag the
details of the lies out of her over weeks. It might have been different if she had let all the air out in a day or two. Every time she was confronted with her lies, she would
blame someone else - someone told her to say this for asylum, someone else took advantage of her bank accounts, someone else did the taxes.'"
Ted Scheinman
erzählt in
Slate, wie er seinen Sommerurlaub verbracht hat: "The Paideia Institute's
'Living Latin' program is an immersive, spoken-Latin summer course based in Rome. The mornings are spent at the St. John's University campus reading poetry and prose and commenting on the texts
in Latin; the afternoons are spent doing the same thing at various sites of literary or archaeological significance. If you vacationed in Italy this June, you might have seen us standing around the
Ara Pacis on a scorcher, offering
competing Latin orations on the pax Augustana."
FR/Berliner, 23.08.2011
Stefanie Schüler-Springorum, neue Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung, findet es im Interview absolut legitim,
Antisemitismus und
Islamfeindschaft miteinander zu vergleichen: Dann würden nämlich auch die
Unterschiede deutlich. "Es liegt auf der Hand, dass heutiger Antisemitismus und heutige Islamfeindlichkeit relativ wenig miteinander zu tun haben, weil es um völlig unterschiedliche historische Phänomene geht. Aber wenn man sich die Wurzeln anschaut, kann man Ähnlichkeiten sehen - etwa die Ausgrenzung einer fremden Religion und die Betonung der christlich-abendländischen Werte, die ja
erst seit neuestem um das Wort 'jüdisch' ergänzt werden."
Weitere Artikel: Georg Imdahl wirft einen kritischen Blick auf die
Kunstsammlung NRW, die gerade ihren 50. Geburtstag feiert. In Times Mager schreibt Karl Grobe über die
Zensur des Klassikers "Chosrau und Schirin" im
Iran. Auf der Medienseite
skizziert Michael G. Meyer, wie - einige -
amerikanische Zeitungen sich langsam aus der Krise herausarbeiten.
Besprochen werden
Jon Favreaus Film "Cowboys & Aliens" (Anke Westphal hat sich zwei Stunden gelangweilt), eine CD des Dubstep-Produzenten
Zomby, ein
Beethoven-
Konzert von Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra in der Berliner Waldbühne, ein Jazzkonzert mit
Heinz Sauer und
Michael Wollny in Frankfurt und
Hisham Matars Roman "Geschichte eines Verschwindens" (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
NZZ, 23.08.2011
Von schweren Verwerfungen zum Ramadan berichtet Mona Sarkis auf der
Medienseite: Die Ägypter können in diesem Jahr nicht wie üblich ihr Fernsehprogramm mit
Ramadansoaps bestücken, in den Kulissen hängen zu viele Mubarak-Porträts: "35 Prozent weniger sogenannte Musalsalat - der Begriff umfasst Dramen, Telenovelas, aber auch Sketch-Shows - sind zu sehen während dieses Ramadans, der noch bis Monatsende währt. Der Rückgang irritierte auch den Werbemarkt. Dessen Zentrum liegt in der Golfregion, wo betuchte Großfamilien traditionell gemeinsam das
Fastenbrechen vor dem Fernseher begehen. Dergestalt erzielte etwa die Dubaier Gesellschaft Al Islami Foods gemäß eigenen Angaben im letztjährigen Ramadan 12 Prozent ihres Jahresumsatzes."
In der Kultur: Claudia Kramatschek
trifft den indischen Autor
Altaf Tyrewala, der zur Zeit in Berlin lebt. Sieglinde Geisel rauft sich die Haare beim Neusortieren ihrer
Bücherregale.
Besprochen werden die Ausstellung "Vermessung der Welt" über das Museum als Wissensspeicher im
Kunsthaus Graz,
Charles Lewinskys Roman "Gerron", der Band "Meisterwerke antiker Technik" und
Liao Yiwus Gefängnisbuch "Für ein Lied und hundert Lieder" (mehr ab 14 Uhr in unserer
Bücherschau des Tages).
Welt, 23.08.2011
Im Feuilleton
porträtiert Hannes Stein den neuen Shooting Star der Short Story,
Wells Tower, dessen Erzählungsband "Alles zerstört, alles verbrannt" gerade auch in Deutschland erscheint. Jenny Hoch
beschwört in der Leitglosse die panischen Bemühungen der unzähligen
ARD-Primetime-Talkshows um prominente Gäste. Kolja Reichardt
stellt den Berliner Künstler
Adrian Lohmüller vor, dessen Aluminiumtrichter in der Nachhaltigkeitsausstellung des politisch sehr korrekten
Hauses der Kulturen der Welt durch Witz besticht. Besprochen werden
Telemanns "Flavius Bertaridus" als Vorpremiere der hamburgischen Staatsoper in Innsbruck und Ereignisse des
Young Directors Projects in Salzburg.
Nachtrag aus der
Welt am Sonntag. Thomas Schmid
antwortet auf
Frank Schirrmacher, der sich neulich
fragte, ob die
Linke nicht recht gehabt habe, und zwar mit allem, besonders aber allen ihren Prognosen: "Es stimmt ja gar nicht, dass unsere Welt aus den Fugen wäre. Und wir sollten nicht jede Erschütterung, jedes Flackern am Horizont nutzen, um in die alte Sehnsucht nach der Geste des großen Aufwasches, nach der Runderneuerung, nach der reinigenden Katastrophe, nach einem Untergang
mit oder ohne Führerbunker zu verfallen."
TAZ, 23.08.2011
Wer hat nochmal geschrieben, "Sexualität ist der
Angelpunkt der Frauenfrage"? Richtig, Alice Schwarzer, 1978 ihrem Buch "Der kleine Unterschied". Das ist so weit gar nicht weg von Charlotte Roche,
meint Andrea Roedig auf der Meinungsseite. Nur ist dem Feminismus in der Zeit dazwischen der "
radikale Begriff von Sex" abhanden gekommen. Das, so Roedig, "liegt einerseits daran, dass sich die gesellschaftlich Rolle von Sexualität gewandelt hat. Ein anderer Grund ist aber auch, dass der alte, unlösbare Konflikt ums Begehren - ob frau Männer mag oder nicht - öffentlich zugunsten eines
harmlos heterosexuellen Modells entschieden wurde. Die Forderungen nach 'radical sexual politics' und alternativen Formen der Sexualität wanderten komplett in die Queer und Gender Studies ab."
Er spiele gern in
Studentenfilmen mit, erklärt im
Interview der 1943 geborene Schauspieler
Hermann Beyer: "Ich lasse auch schwere Ausbeutung zu. Die Studenten haben die Tendenz, vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang zu drehen. Und ich bin gern bereit, das mitzumachen, weil die
nie wieder so viel Zeit für eine Szene haben werden wie in ihrer Studentenzeit. Nie wieder."
Weitere Artikel: Isolde Charim
denkt über den
Exzess nach, wie er derzeit von Amy Winehouse und Charlotte Roche verkörpert wird/wurde. Und Frederic Valin
ist enttäuscht, dass die
deutsche Blogosphäre sich kaum für
Libyen interessiert.
Besprochen werden die
Ausstellung "
Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen" in Naumburg,
Choreografien von
Guilherme Botelho und
Emanuel Gat beim Berliner Festival
Tanz im August und die
Joel-
Sternfeld-
Retrospektive des
Folkwang Museums in Essen.
Und
Tom.
FAZ, 23.08.2011
Was war es, das in der Debatte zur Finanzmarktkrise gerade noch gefehlt hat? Genau: eine
Wortmeldung von Botho Strauß. Jetzt ist sie da. Allerdings weigert er sich, mit dem Finger auf die "Märkte" zu zeigen und
wundert sich vor allem: "
So viel Neues! Vielleicht ist das Jahr 2011 so etwas wie ein zeitlicher St.-Andreas-Graben, in der die Platte der alten Gewissheiten sich gegen die Platte neuer Ungewissheit mit Getöse verschiebt."
Kann es sein, dass das
Netzwerk Recherche, das wegen möglicher Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung von Fördergeldern der Bundeszentrale für politische Bildung in der Debatte steht, gar nicht wusste wohin mit dem vielen Geld? Sabine Pamperrien berichtet jedenfalls, dass der Verein 2010 über Rücklagen von über
500.000 Euro verfügte: "Dabei verpflichtet die Abgabenordnung gemeinnützige Vereine, ihre Einnahmen zügig für den
Vereinszweck zu verbrauchen." Schon erstaunlich für einen Club von Journalisten, die jedem Politiker die Friseurrechnung umdrehen!
Weitere Artikel: Angesichts des bevorstehenden Siegs der Rebellen in
Libyen konstatiert Jürg Altwegg Erleichterung in Frankreich, nicht zuletzt bei Bernard-Henri Levy. Julia Spinola feiert
Christian Thielemann als "ungekrönten König von Salzburg", weist aber auch darauf hin, dass für das Festival Programmsubstanz wichtiger ist als der Glamour. Ganz übel wird Peter Geimer bei der von wenig "Fachkompetenz" getrübten Vorabwerbung für die Berliner "
Gesichter der Renaissance"-Ausstellung. Das Theaterfestival von Edinburgh besucht Gina Thomas - und bringt auch die Kunde mit, dass die jedem Edinburgh-Touristen bekannte rührende Geschichte vom am Grab des Herrchen ausharrenden Hund
Greyfriars Bobby ein Fake sein soll (
mehr bei der BBC). Günter Kowa macht darauf aufmerksam, dass in der Welterbe-Stadt
Quedlinburg Verfall droht bzw. schon am Werk ist. In der Glosse
berichtet Karen Krüger, dass das Filmfestival von Antalya die wegen des
Militärputsches entfallenen, aber damals schon fertig geplanten Festivaljahrgänge
1979 und
1980 nun komplett "wiederholt". Andreas Platthaus schreibt zum Tod des Zeichners
Jean Tabary.
Besprochen werden die Ausstellung "
Momentum" im Frankfurter
Goethe-Haus und Bücher, darunter
Christoph Heins neuer Roman "Weiskerns Nachlass" (mehr dazu in der
Bücherschau ab 14 Uhr).
SZ, 23.08.2011
Die Polen diskutieren über den
Warschauer Aufstand, berichtet Thomas Urban - und die bittere, seit dem Aufstand selbst gestellte Frage war, ob er angesichts der unzähligen Toten und der zerstörten Stadt Warschau nicht eine absurde Heldentat war: "Es wurde schließlich sogar die Frage gestellt: 'Brauchen die Polen für ihr Nationalbewusstsein
vergossenes Blut?' Daraus ergab sich die geradezu banale Forderung nach einer 'Entmilitarisierung' der polnischen Geschichtsschreibung."
Weitere Artikel: Laura Weißmüller empfiehlt einen Bildband
Jolanthe Kuglers über die größte anthroposophische
Wohn- und Lebens-Kolonie in
Dornach bei Basel, die man zudem demnächst besichtigen darf. Gottfried Knapp betrachtet für seine Weinkolumne in der "Zwischenzeit" die Fortschritte im
Anbaugebiet Württemberg. Gottfried Knapp begibt sich außerdem auf Kunstreise durch den
Landkreis Passau.
Besprochen werden ein Liszt-Konzert
Lang Langs in Salzburg, Spektakel des
Young Directors Project (mehr
hier), ebenfalls in Salzburg, die Ausstellung "Glasmalerei der Moderne" im
Badischen Landesmuseum in Karlsruhe und Bücher, darunter
Klas Östergrens Roman
"Porträt eines Dandys" (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).