Heute in den Feuilletons

Weder zackig noch elitär

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.08.2011. Die FAZ und alle anderen Zeitungen sprechen Loriot ihre tiefe Dankbarkeit aus. Die SZ tröstet: Die Bernard-Henri Levys erfolgreicher Einsatz für Libyen heißt nicht, dass er nicht unrecht hat. Die taz stellt richtig: Thomas Gottschalk bekommt gar nicht sechs Millionen Euro von der ARD. Meedia fragt: Gab es einen anonymen Spender beim Netzwerk Recherche? Im Guardian beteuert der Romancier Ewan Morrison: Das Buch ist tot. Der Autor auch. Und danwei.com schildert den vergeblichen Kampf chinesischer Behörden gegen Pornografie.

Weitere Medien, 24.08.2011

Auf die Frage "Will books, as we know them, come to an end?", gibt der Romancier Ewan Morrison im Guardian eine recht kategorische Antwort: "Yes, absolutely, within 25 years the digital revolution will bring about the end of paper books. But more importantly, ebooks and e-publishing will mean the end of 'the writer' as a profession. Ebooks, in the future, will be written by first-timers, by teams, by speciality subject enthusiasts and by those who were already established in the era of the paper book. The digital revolution will not emancipate writers or open up a new era of creativity, it will mean that writers offer up their work for next to nothing or for free. Writing, as a profession, will cease to exist."

(Via jonhutson) Das Satellite Sentinel Project hat durch Satellitenbilder Hinweise auf Massengräber und damit auf neue Massaker unter Omar al-Bashir im Sudan gefunden, schreibt Andrew Meldrum in der Global Post: "Eight mass graves have been identified in South Kordofan by the satellite project, which was set up by Hollywood actor George Clooney to monitor events in Sudan using aerial photos as well as on the ground reports. 'Evidence of the Burial of Human Remains in Kadugli' is the satellite project's report issued today."

(Via globalvoices) James Griffiths beschreibt auf danwei.com den vergeblichen Kampf chinesischer Behörden gegen Pornografie: "Porn is big business on the black market. In one 2008 bust in Shanghai authorities confiscated over 8,000 DVDs on their way from Guangdong. Internet crackdowns are frequent; the most recent was launched in 2009, with over 60,000 websites confiscated and shutdown by the authorities. Pornographic materials remain easy to acquire however, through p2p services, torrent sites and numerous websites that have escaped the censors." Zu dem Thema interviewt Griffiths auch die Autorin Katrien Jacobs, die ein ganzes Buch zum Thema herausgebracht hat.

In den USA gibt es allen Ernstes einen Streit über die Frage, ob Apple "links" ist - aber nur weil Apple unter Linken hip ist, ist es noch nicht links, meint Andrew Leonard in Antwort auf Anil Dash (mehr hier) in Salon: "Is it 'liberal' to exploit cheap Chinese labor in massively dehumanizing monster manufacturing complexes? Is it 'liberal' to lock down absolute control over the computing ecosystem? Is it 'liberal' to wield a ruthless intellectual property litigation strategy to ward off competitive threats to market share?"

Aus den Blogs, 24.08.2011

Ein paar Fragen hat Stefan Winterbauer von Meedia an die investigativen Kollegen vom Netzwerk Recherche, das wegen seines Finanzgebarens ins Gerede gekommen ist - zum Beispiel diese: "Und was ist das für eine seltsame Geschichte, die die FAZ da erzählt, dass ausgerechnet Hans Leyendecker bei der Gründungsversammlung des Netzwerks 2001 einen anonymen Großspender aus Amerika ins Spiel brachte, worauf Thomas Leif offenbar die Protokollierung der Sitzung unterbinden ließ?"

NZZ, 24.08.2011

In den Protesten der Studenten, die so plötzlich aus Facebook in die israelische Wirklichkeit eingebrochen sind, sieht der in Jerusalem lehrende Germanist Christoph Schmidt nicht nur soziale Proteste: "Auf die Dauer wird es freilich darauf ankommen, ob eine neue politische Kraft entsteht oder doch eine der bestehenden Parteien diese von einer neuen Generation artikulierten Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit aufgreifen und umsetzen kann. Was bleibt, sind die Vorzeichen eines sozialdemokratischen Aufbruchs der israelischen Bürger aus ihrer ökonomischen Unmündigkeit. Was bleibt, ist das Wissen, dass doch alles ganz anders sein könnte. Dieses säkulare Laubhüttenfest wird seine Visionen möglicherweise schneller realisieren, als es die ewiggestrigen Realisten wahrhaben wollen."

Weitere Artikel: Die therapeutische Wirkung zeitgenössischer Kunst nach dem Unglück von Fukushima hinterfragt Samuel Herzog beim Besuch der Yokohama-Triennale. Manfred Pabst trauert in seinem Nachruf um Loriot, der "ohne viel Aufhebens einen neuen Ton und Strich in die nach dem Krieg flugs restaurierten Karnevalsgemütlichkeiten" brachte. Den Verfasser der bedeutendsten Zeilen der Rock'n Roll Geschichte, Jerry Leiber ("Stand by me", "Hound Dog"), würdigt Ueli Bernays in einem weiteren Nachruf.

Besprochen werden die Neuauflage von Pierre Souvestres und Marcel Allains legendärem Fantomas-Roman "Ein Zug verschwindet", eine Studie der Soziologin Elisabeth Joris über die Bedeutung der Schweizer Bildungsbürgerinnen für die moderne Schweiz sowie Molly Mc Closkeys Erzählungen über das ewige Thema "Liebe" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

TAZ, 24.08.2011

In ihrer Medienkolumne stellt Silke Burmester richtig, dass Thomas Gottschalk vielleicht doch keine sechs Millionen von der ARD bekommt: "Für die Verbreitung dieser angeblich falschen Information will er das Manager Magazin verklagen. Wahrscheinlich bekommt er nur 4,8 Millionen, während irgendein Sohn die Produktion der Sendung übernommen hat, ein Onkel die Musik aussucht, Mutti ?nen Beratervertrag hat und die Patentochter des Hausmeisters aus L.A. die Haare onduliert. Wie man das heute so macht als Moderator der Öffentlich-Rechtlichen."

Weiteres: Arno Frank schreibt den Nachruf auf Loriot für die vorderen Seiten. Besprochen werden das Album "The Rip Tide" der Weltenbummlerband Beirut, Per Olov Enquists Romane "Die Ausgelieferten" und "Großvater und die Schmuggler" sowie Christoph Rufs Reportagen "Was ist links?" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 24.08.2011

Hellmuth Karasek schreibt den Nachruf auf Loriot. Noch einmal abgedruckt ist Martin Mosebachs Artikel zum 80. Geburtstag Loriots. In kurzen Häppchen wird Loriot als Kinostar, Zeichner, Spießer, Zoologe, Dichter und Musiker gefeiert. Michael Pilz war beim Prager Auftaktkonzert von George Michaels Europatournee ("Er arbeitet sein Sängerleben auf.") Marc Jacobs wurde der Chefdesignerposten bei Dior angeboten, meldet Clark Parkin, der hofft, dass dann Phoebe Philo die Nachfolgerin von Jacobs bei Louis Vuitton wird.

FAZ, 24.08.2011

Trauer um Loriot. Jörg Thomann kennt vor allem ein Gefühl: "Wir empfinden eine tiefe Dankbarkeit für die großen Verdienste von Bülows an seinem Lande. Dass nach der schwarzen Zeit der Hitler-Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg einer kommen würde, der die Deutschen wieder das Lachen lehrte, war nur eine Frage der Zeit - doch was für ein Glücksfall war es, dass derjenige ausgerechnet Vicco von Bülow war. Ein Mann aus einer preußischen, adligen Offiziersfamilie, der jedoch weder zackig noch elitär auftrat, sondern freundlich, distinguiert und mit einem hintersinnigen Humor." Kurz, knapp, dankbar kommen unter anderem auch Marcel Reich-Ranicki, Thomas Gottschalk, Alexander Kluge und keine Frau zu Wort.

Der libyische Schriftsteller Hisham Matar feiert nicht nur die Revolution in Libyen, sondern auch ihre Folgen: "Es gibt Momente in der Geschichte, wo Brüderlichkeit unter den Völkern keine abstrakte Idee mehr ist. Die libysche Revolution hat jede totalitäre Herrschaft und jeden Unterdrücker geschwächt. Denn sie hat das wichtigste Element jeglichen Aufstands gestärkt - die Fähigkeit einer Nation, sich eine bessere Wirklichkeit vorzustellen."

Weitere Artikel: In der Glosse bilanziert Paul Ingendaay Weltjugendtag und Papstbesuch in Madrid demonstrativ gelassen. Auf der Medienseite begibt sich Detlef Borchers auf "Spurensuche" in der Angelegenheit Wikileaks, Assange, Domscheit-Berg.

Besprochen werden ein Zyklus mit Schostakowitschs Streichquartetten bei den Salzburger Festspielen, die Ausstellung "Images of the Mind" im Hygienemuseum Dresden, Jon Favreaus Genremix-Blockbuster "Cowboys & Aliens" und Bücher, darunter Axel Honneths neue Studie "Das Recht der Freiheit" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 24.08.2011

Nach dem Sieg der libyschen Opposition referiert Joseph Hanimann die Kritik einiger linker Autoren wie Alain Badiou und Eric Hazan ("L'antisemitisme partout - Aujourd'hui en France") und Pascal Boniface ("Les intellectuels faussaires") an den Neuen Philosophen - und natürlich vor allem Bernard-Henri Levy - "deren Kraftzentrum eher abseits der Ereignisse zu suchen ist in einem Land, das ebenso kleinlaut blieb: Israel". Nun hatte sich zwar ausgerechnet Levy für den Einsatz in Libyen stark gemacht - aber Hanimann lässt es allenfalls als halben Sieg gelten: "Der Militäreinsatz wäre ohne die von den Intellektuellen oft verachteten UN nicht denkbar gewesen. Es war ein politischer Entscheid, die Intellektuellen wurden nur als Stimmungsventil für die öffentliche Meinung gebraucht. Ihr kurzfristiger Sieg ist Teil eines langsamen Zerfalls."

Weitere Artikel: Hermann Unterstögers Nachruf auf Loriot steht auf Seite 3. Das Feuilleton sammelt Stimmen, unter anderem die Alexander Kluges: "Obwohl wir alle wissen, dass man im Alter irgendwann stirbt, trifft es mich bitter, dass er nicht mehr da ist." Karin Leydecker plädiert für den Erhalt des Slevogthofs im südlichen Rheinland-Pfalz, wo der Maler Max Slevogt einst seine Sommer verbrachte. Wolfgang Schreiber porträtiert den Leiter des Berliner Rundfunkchors, Simon Halsey. Der Wirtschaftswissenschaftler Rainer P. Lademann weigert sich, in innerstädtischen Shopping Centers einfach nur das urbanistisch Böse zu erblicken.

Besprochen werden Jon Favreaus Film "Cowboys & Aliens" (mehr hier) und Bücher, darunter das nun übersetzte Skandalbuch "Aristoteles auf dem Mont Saint-Michel - Die griechischen Wurzeln des christlichen Abendlandes" von Sylvain Gouguenheim, der die Verdienste der arabischen um die abendländische Kultur leugnet (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).