Heute in den Feuilletons

Das Iphone hat das Heimweh gekillt

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.08.2011. Alle betrachten Gesichter der Renaissance. In der NZZ erklärt Liao Yiwu, warum er heute über das Jahr 1989 schreibt. Die taz erzählt, wie es das Filmarchiv von Neuseeland schaffte, zu einem der wichtigsten der Welt zu werden. Im Freitag erklärt Douglas Coupland, warum sich alles für uns durch den Medienwandel zum Guten wendet. Die Zeit klagt über schlechte Heilungschancen in syrischen Krankenhäusern. Und, okay, Steve Jobs tritt zurück. Aber er ist nicht tot, meldet Gizmodo. Er hat einen Puls. Er atmet. Und das Erscheinen seiner Biografie wurde vorverlegt, berichtet der New Yorker.

Aus den Blogs, 25.08.2011

Ok, Steve Jobs tritt zurück und hat das in einem Brief kundgetan. Immerhin bleibt er Chef des Verwaltungsrats, beruhigt kress.de. "Steve Jobs is Not Dead", tröstet auch Gizmodo: "He's got a pulse and he's breathing air." Obwohl die Geschichte des Unternehmens dagegen spricht, ist Chris Taylor in Mashable überzeugt: "Part of Jobs? business genius is that he has set up a company that can run like a well-oiled machine without him at the helm."

Nicholas Thompson macht sich am News Desk des New Yorker dagegen Sorgen: "Last week, it was announced that Walter Isaacson's biography of Jobs had its publication date moved up. Isaacson is extraordinarily talented and prolific: but who really finishes a book early, particularly when the subject is someone as irascible and complex as Steve Jobs?"

Dieses Video (via BoingBoing) zeigt einen sehr jungen Steve Jobs, der vor einem Fernsehauftritt so nervös ist, dass er Angst hat sich zu übergeben.

Stichwörter: Jobs, Steve, Thompson

TAZ, 25.08.2011

Andreas Busche schreibt über das neuseeländische Filmarchiv, das zu den wichtigsten Heimstätten verlorener und vergessener Filmgeschichte zähle, speziell der amerikanischen, und wo unerwartet frühe Film etwa von Alfred Hitchcock oder John Ford aufgetaucht sind. Das sei kein Zufall, sondern verdanke sich letztlich Nachlässigkeit. "Neuseeland stand lange Zeit am Ende der industriellen Verwertungskette. Als die Filmkopien kommerziell ausgewertet waren, machte sich niemand mehr die Mühe, die Kopien zurück an die Studios zu schicken, wo sie vermutlich vernichtet worden wären. Sie blieben in Neuseeland und landeten schließlich in der Obhut von Filmvorführern und Sammlern."

Weiteres: Ekkehard Knörer würdigt den verstorbenen chilenisch-französischen Filmemacher Raul Ruiz mit einer Erinnerung an sein letztes großes Werk "Die Geheimnisse von Lissabon", das es auch als TV-Serie gibt - ab übermorgen zu sehen auf Arte. Jörg Magenau informiert über neu entflammten Streit zwischen Inlands- und Auslands-PEN. Lucie Yertek unterhält sich mit dem Musikmanager Tim Renner darüber, dass Stars wie Bob Dylan und Bryan Adams die Rechte an alten, profitablen Songs zurück wollen und die damit verbundene Frage, ob dies das Ende der Plattenindustrie bedeute. Besprochen werden Jon Favreaus Genre-Kreuzung "Cowboys and Aliens" und Ziska Riemanns Filmdebüt "Lollipop Monster".

Auf den Tagesthemenseiten erklärt der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer, was hinter den Londoner Krawallen steckt: Wo Beziehungen sich auflösten und Wertschätzung ausbleibe, werde Gewalt zu einer höchst attraktiven Quelle der Anerkennung, die Botschaft der Jugendlichen laute daher: "Uns gibt es noch!"

Und Tom.

NZZ, 25.08.2011

Das Tiananmen-Massaker von 1989 markiert für Liao Yiwu den Anfang vom Ende des chinesischen Staates. Warum China gerade die schrecklichen Erinnerungen nötig hat und wie ihn seine eigene Jahre im Gefägnis zum Schreiben brachten, erzählt der vor kurzem nach Deutschland geflohene Dichter: "Warum soll man in einem so verkommenen Staat wie China überhaupt noch schreiben? Warum soll man auf der größten Müllkippe der Welt die Erinnerung pflegen und Zeugnis ablegen? Warum soll man zwanzig Jahre seines Lebens damit verbringen, ein Buch zu verfassen, das die Leute ins Jahr 1989 zurückstößt? Weil die Schüsse von damals den Traum von einer friedlichen demokratischen Entwicklung in China ausgelöscht haben. In Deutschland steht dieses historische Datum für einen Neuanfang. In China dagegen für einen zivilisatorischen Rückschritt und für den Beginn eines kollektiven Unglücks."

Weitere Artikel: Viel wird von Gaddafis Glorie nicht in Libyen bleiben, glaubt der Schriftsteller Ibrahim al-Koni: "Denn die Macht ist eine Geliebte, die ihre Jünger immer nur als Tote zurücklässt." Jörg Becker hat sich in der Deutschen Kinemathek die Storyboard-Ausstellung "Film und Kunst" angesehen. Die Augen reibt sich Alexandra Stäheli nach Peter Luisis märchenhaftem Film "Der Sandmann".

Besprochen werden Konzerte vom Schweizer Musikfestival "Les Jardins Musicaux" und Heinz Ludwig Arnolds "Ernst Jünger Lesebuch", das durch Haschischrauch und Stahlgewitter einen frischen Blick auf Jüngers Werk ermögliche (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 25.08.2011

Die Welt veranstaltet zur beginnenden Ausstellung "Gesichter der Renaissance" im Bode-Museum eine zwölfseitige Haupt- und Staatsbeilage, die hier kaum im einzelnen zu resümieren ist - bisher sind die Artikel nicht freigeschaltet.
Stichwörter: Bode Museum

Freitag, 25.08.2011

Jan Pfaff unterhält sich mit Douglas Coupland, der überzeugt ist, dass wir uns durch den Medienwandel verändern: "Unsere Wahrnehmung der Zeit ist heute eine andere. Wir sind viel ungeduldiger geworden, weil wir es gewohnt sind, immer alles gleich zur Verfügung zu haben. Genauso haben sich unsere Vorstellungen von Raum und Gemeinschaft verändert. Ich bekomme normalerweise ziemlich schnell Heimweh, wenn ich auf Reisen bin. Deswegen hasste ich es früher, nach Europa zu kommen. Ich hatte das Gefühl, ich sei völlig abgeschnitten von allem, was daheim passierte. Dieses Gefühl ist heute verschwunden. Das iPhone hat das Heimweh gekillt."

Außerdem: Michael Angele fordert nach der Lektüre von Götz Alys neuem Buch "Warum die Deutschen? Warum die Juden?" eine ehrliche Neid-Debatte. Und Matthas Dell porträtiert den Stand-Up-Comedian Rainald Grebe.

FR/Berliner, 25.08.2011

Sebastian Preuß ist sehr überwältigt von der Großausstellung "Gesichter der Renaissance" im Berliner Bode-Museum - "Blockbuster-Auswüchse hin oder her". Ralf Schenk unterhält sich mit den Filmemachern Winfried und Barbara Junge über ihre Endlosdokumentation "Die Kinder von Golzow".

Besprochen werden das neue Album der Red Hot Chili Peppers "I?m With You", ein Konzert von Feloche in Frankfurt, Ziska Riemanns Lolita-Schocker "Lollipop Monster" und der Bericht des Staatsanwalts Heinrich Wille zum Tod Uwe Barschel "Ein Mord, der keiner sein durfte" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

FAZ, 25.08.2011

Sie werden keine Freunde mehr, das FAZ-Feuilleton und Bundespräsident Christian Wulff, der die Anleihenaufkaufpolitik der EZB kritisierte. Jürgen Kaube kommentiert: "Schon in der Sache Sarrazin passten bei Christian Wulff Mitteilungsbedürfnis und Amt nicht zueinander."

Weitere Artikel: Ein Urteil zum Kulturdenkmalschutz in Köln erfreut Andreas Rossmann, der mit der Denkmalbehörde umso schärfer ins Gericht geht. Über eine Renaissance des in der orthodoxen Kirche schon immer besonders gewürdigten "guten Schächers" neben Christus am Kreuz berichtet Kerstin Holm. Gina Thomas berichtet vom höchst lebendigen "Fringe"-Festival in Edinburgh. Andreas Platthaus hat bei den Bonner Stummfilmtagen ein Symposion zu frühen deutsch-japanischen Filmbeziehungen besucht.

Besprochen werden ein Konzert der Foo Fighters in Köln, Claus Guths Inszenierungen von Mozarts drei Opern nach Libretti von Lorenzo da Ponte in Salzburg, die Ausstellung "Gesichter der Renaissance" im Bode-Museum Berlin, eine CD-Edition, bei der die Bamberger Symphoniker Franz Schubert zeitgenössischen Komponisten begegnen lassen, und Bücher, darunter Richard Powers' Reportage "Das Buch Ich #9" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 25.08.2011

Sehr beruhigt ist Kia Vahland, dass die große Renaissance-Porträt-Ausstellung im Berliner Bode-Museum mit den Torheiten der PR-Abteilung nichts zu tun hat. Sehr gut verstehe man beim Besuch, warum diese Bilder und die in ihnen Dargestellten noch heute zu uns sprechen. Etwa der Arzt und Dichter Battista Fiera, wie Lorenzo Costa ihn malte: "Er neigt uns seine Wange voller Warzen entgegen, fixiert uns aus wissenden braunen Knopfaugen und öffnet den Mund wie zu einer Ansprache. Mit solcher Suggestion physischer Präsenz hebeln die Maler um 1500 Petrarcas Vorwurf aus, ein Bildnis wirke zwar lebensecht, könne aber nicht antworten."

Weitere Artikel: Fritz Göttler staunt über eine Untersuchung, die zum Ergebnis kommt, dass Spoilern - also das Verraten des Endes einer Geschichte - den Genuss beim Lesen und Zuschauen nicht trübt, sondern viel eher steigert. Vor dem Abriss bedeutender Kulturdenkmäler in Ostdeutschland warnt Ira Mazzoni. Ronald Huschke berichtet von einer Begegnung mit dem Regisseur Jon Favreau, dessen "Cowboy & Aliens" nicht wie erhofft beim jungen Blockbuster-Publikum einschlug. Wichtige Kunst aus dem Buchmessengastland Island stellt Astrid Mania vor.

Besprochen werden eine Aufführung von Telemanns kaum bekannter Oper "Flavius Bertaridus" bei den Innsbrucker Festwochen, neue Stücke von Mark Ravenhill und David Harrower beim Edinburgher Fringe-Festival, der Film "Lollipop Monster" (mehr) von Ziska Riemann und Bücher, darunter Christoph Heins Roman "Weiskerns Nachlass" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

Zeit, 25.08.2011

Wolfgang Bauer hat sich heimlich nach Syrien eingeschleust, aus dem Journalisten eigentlich nicht berichten dürfen. In der Stadt Homs hat er die Aufständischen begleitet und berichtet im Dossier von entschlossenen Protesten und verzweifelten Helfern: "Syriens Krankenhäuser sind für Regimegegner keine Zuflucht, sondern eine Gefahr. 'Du kommst mit einer Kugel im Bein rein', sagte in Damaskus ein oppositioneller Mediziner, 'und mit einer Kugel im Kopf kommst du raus.' Denn nachts kommen die Männer vom Geheimdienst an die Betten."

Im Interview mit Özlem Topcu und Bernd Ulrich erklärt Thilo Sarrazin, wie ihn die Debatte über sein Buch verändert hat: "Vorher hatte ich noch ein paar weiche Ecken. Die sind jetzt etwas abgenutzt."

Im Feuilleton liebäugelt die Redaktion mit dem kompletten Ausstieg aus dem System: Susanne Gaschke lässt sich von Beststeller-Autor Tom Hodgkinson den Weg weisen: "Zerschneidet Eure Kreditkarten. Zieht aufs Land, wo alles billiger ist. Backt Brot, spielt Ukulele!" Hilal Sezgin berichtet vom stressigen Berichten über das müßige Landleben. Elisabeth von Thadden sieht Anzeichen für ein kluges Bremsen. Peter Kümmel schreibt den Nachruf auf Loriot. Dieter Thomä denkt über den jungen Kerl als historische Figur nach. Claus Spahn besichtigt Olafur Eliassons spektakuläre Fassade für das neue Konzerthaus in Reykjavik.

Besprochen werden die Ausstellung "Gesichter der Renaissance" im Berliner Bode-Museum, das Filmprojekt "Dreileben", Michael Kumpfmüllers Roman über Kafkas letztes, glückliches Jahr "Die Herrlichkeit des Lebens" und Bücher über die arabischen Revolutionen (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).