Heute in den Feuilletons

Kirsten Dunst im blauen Licht

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.10.2011. In der Zeit erklärt Jean-Luc Godard, was ihn an Urheberrechten am meisten stört: die Enkel. Die FAZ liest Fitzgeralds "Großen Gatsby", der die Rechteinhaber gerade überlebte, als aktuelle Kapitalismuskritik. In Interviews mit verschiedenen Medien arbeitet Lars von Trier das Trauma von Cannes auf. Zum Tod von Steve Jobs bringen wir das Video seiner berühmten Stanforder Rede von 2005 und Links zu älteren und aktuellen Texten.

Weitere Medien, 06.10.2011

Aus Anlass von Steve Jobs' Tod blenden wir das Video seiner berühmten Rede vor Stanford-Studienanfängern im Jahr 2005 ein. Jobs spricht hier darüber, dass ihn seine Mutter zur Adoption freigab, über seine Adoptiveltern und sein abgebrochenes Studium:



Im New Yorker erzählt Malcolm Gladwell eine Episode aus den Anfängen Steve Jobs': "In late 1979, a twenty-four-year-old entrepreneur paid a visit to a research center in Silicon Valley called Xerox PARC. He was the co-founder of a small computer startup down the road, in Cupertino. His name was Steve Jobs."

John Paul Titlow erzählt im ReadWriteWeb, wie die Nachricht von Steve Jobs' Tod im Netz kursierte (und setzt viele Links): "In a way, the Web served as sort of a global virtual meeting place for mourners to gather in the wake of the loss of one of the technology world's most celebrated figures. Within a few hours of the news breaking, five different Steve Jobs-related phrases were trending globally on Twitter."

Und hier noch das Video eines sehr nervösen sehr jungen Steve Jobs vor einem Fernsehinterview:


NZZ, 06.10.2011

Europa mag in einer tiefen Krise stecken, Polen aber steht glänzend da, meldet Gerhard Gnauck (leider nicht online). Es ist kein Euro-Staat, hat keine Exporte, die einbrechen könnten, und es fühlt sich nicht mehr als verspätete Nation: "Nehmen wir die Warschauer Metro, die einzige U-Bahn Polens. 1925 beschlossen, konnte das Werk nach gewissen historischen Verwerfungen erst 1983 ernsthaft in Angriff genommen werden. Eröffnung war 1995. 'Verspätung' ist aber vor allem eine gefühlte Kategorie, die aus dem Vergleich mit anderen erwächst. 'Verspätung' führt leicht zu Minderwertigkeitskomplexen des chronisch Verspäteten und dann entweder zu Resignation oder zu gesteigerter Ambition, zu nachholender, herkulischer Anstrengung. Polen will Herkules sein."

Weiteres: A propos Bücher von kleinen Inseln am Rande Europas: Verena Stössinger gibt einen Überblick über die Literatur der Faröer Inseln, die seit den achtziger Jahren auch eigene Verlage haben. Auf der Filmseite feiert Susanne Ostwald Pedro Almodovars neuen Film "La piel que habito" mit einem Antonio Banderas in Höchstform. Andreas Hutter und Heinz Peters berichten von neuen Erkenntnissen über das Schicksal von Billy Wilders Familie während des Holocaust.

Besprochen werden Richard Powers' jetzt auf Deutsch erschienener Romanerstling "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" und Roberto Alajmos Roman "Es war der Sohn" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

TAZ, 06.10.2011

"Als ein ganz und gar unzeitgemäßes Misstrauen gegenüber den Akteuren der Zivilgesellschaft, ohne die es eine multikulturelle Demokratie in der Türkei nicht geben wird", wertet Ingo Arend die Attacke des türkischen Premiers Tayyip Recep Erdogan gegen deutsche Stiftungen - sie sollen angeblich mit deutschem Steuergeld terroristische Aktivitäten in der Türkei finanzieren.

Bert Rebhandl feiert Radu Munteans bürgerliches Ehedrama "Tuesday, after Christmas" als weiteres Großwerk der rumänischen Nouvelle Vague: "'Tuesday, after Christmas' enthält immer noch genügend Details, um dieses Drama jederzeit historisch situieren zu können, aber auf dem Grund der freiwilligen Selbstbeschränkungen dieses Films liegt eine epochentheoretische Idee: Die Liebe von Paul, die ebenso viel Glück wie Leiden schafft, ist eine Errungenschaft der politischen Freiheit. Das gilt zumindest prinzipiell und in diesem Film auch konkret. Um die Probleme dieser Freiheit kümmert sich die rumänische neue Welle im Kino ohnehin eingehend."

Weiteres: Rudolf Walther staunt über all die FAZ-Redakteure, die - wie Frank Schirrmacher und gestern Lorenz Jäger - plötzlich dem Konservativismus abschwören. Besprochen werden der Bildband "Fab Fashion" über die Rolle der Beatles als modische Trendsetter, die Geschichtensammlung "Formen der Verstörung" der US-Autorin Lydia Davis und die Studie "Eros und Herrschaft" von Jürgen Oelkers über die Landerziehungsheime und die "dunklen Seiten der Reformpädagogik" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Und Tom.

FR/Berliner, 06.10.2011

Herr von Trier, was haben Sie sich gedacht? Kein Interview mit Lars von Trier dieser Tage, ohne diese eine, klärende Frage, was da mit ihm durchgegangen sei, im Mai in Cannes. Patrick Heidmann erzählt der Regisseur im Gespräch, dass er "Großveranstaltungen wie die Pressekonferenz in Cannes meiden sollte. In solchen Situationen bin ich immer verdammt eingeschüchtert. Aber gleichzeitig habe ich auch das Gefühl, den Leuten eine humorvolle halbe Stunde zu schulden, sie bloß nicht langweilen zu dürfen. Deswegen lasse ich mich dann zu Witzen hinreißen, die daneben gehen können." Um dann über seinen Film "Melancholia" zu schließen: "Kirsten Dunst im blauen Licht des Planeten wäre sicher Hitlers Lieblingsszene gewesen."

Weiteres: Ralf Schenk feiert eine neue DVD von Fritz Langs Klassiker "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", die den durch Zensur, Verbote und Bildbeschneidungen arg beanspruchten Film erstmals in einer nahezu der Originalfassung entsprechenden Restauration präsentiert (dazu mehr hier).

Besprochen werden eine Ausstellung des isländischen Künstlers Erro in der Frankfurter Schirn und Bücher, darunter die "Chronik der Lektoren" über den Lektorenstreit im Hause Suhrkamp 1968 (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Aus den Blogs, 06.10.2011

Lars von Trier auf allen Kanälen: Im rund einstündigen Videointerview, das Cargo mit dem Regisseur geführt hat, macht er es sich auf einer ziemlich hässlichen Couch bequem. Cargo bringt als Bonus noch eine dubiose Pressemitteilung des Regisseurs:

"Today at 2 pm I was questioned by the Police of North Zealand in connection with charges made by the prosecution of Grasse in France from August 2011 regarding a possible violation of prohibition in French law against justification of war crimes. The investigation covers comments made during the press conference in Cannes in May 2011. Due to these serious accusations I have realized that I do not possess the skills to express myself unequivocally and I have therefore decided from this day forth to refrain from all public statements and interviews." (Lars von Trier, Avedore, 5. October 2011)

Chaim Noll erzählt in der Achse des Guten, wie er mit Muhammet Balaban, Sprecher der "Kommission Islam und Moscheen in Essen" aneinandergeriet, weil er in der Alten Synagoge Essen über Antisemitismus im Islam sprechen wollte. Balaban schrieb einen offenen Brief an Politiker und Medien und hatte Erfolg damit: "Am Ende seines Briefes stellt er Forderungen. Etwa die, der Oberbürgermeister der Stadt Essen solle 'dafür Sorge tragen, dass die Leitung der Alten Synagoge ihre Haltung zu der Gesamtverantwortung in unserer Stadt und Gesellschaft ändert'. Wirklich zeigte der Essener Oberbürgermeister den bekannten Reflex und stimmte Balaban zu, auch er in einem Offenen Brief: 'Daher erwarte ich, dass die neue Leitung der Alten Synagoge sich den Integrationsgedanken deutlich mehr zu eigen macht, als dies bisher der Fall war.' Und nun ereignete sich das eigentlich Erstaunliche: die Leitung der Alten Synagoge gab nicht nach."

Welt, 06.10.2011

Die Welt eröffnet heute mit einem roten Viereck des amerikanischen Malers Ellsworth Kelly, der die ganze Ausgabe gestaltet hat. Im Feuilleton erklärt dazu Hans-Joachim Müller: "Dieses Werk träumt noch einmal den Traum des modernen Bildes, nicht mehr Medium sein zu müssen, sondern wieder selber sinnliches Objekt, ästhetisches Ding werden zu dürfen. Und es träumt diesen Traum vielleicht intensiver, als ihn alle Vorträumer in der Emanzipationsgeschichte des Bildes geträumt haben."

Das Versprechen kompromissloser Transparenz hat der Piratenpartei ihren großen Erfolg gebracht, meint Richard Herzinger, der das eher skeptisch bewertet: "Die scheinbare Wonne, jeden Schritt des eigenen Lebens über die neuen Sozialen Medien einem mehr oder minder großen Publikum mitteilen zu können, bereitet uns heute bereits mental auf die Akzeptanz solcher Totalüberwachung unter dem Vorwand uneingeschränkter egalitärer Teilhabe aller an allem vor."

Weiteres: Lucas Wiegelmann beugt sich über ein 58-seitiges Papier von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, das eine Antwort auf die Große Anfrage der SPD versucht, wieviel Geld für wen und warum der deutsche Staat für die Förderung von Musik ausgibt. Ein paar Namen überraschen dabei schon: Tokio Hotel und die Toten Hosen? Nach welchen Kriterien wird hier eigentlich entschieden?, fragt Wiegelmann und warnt vor dem Bundesrechnungshof. Die Simpsons könnten eingestellt werden, wegen eines Streits um die Sprechergagen, meldet Iris Alanyali in der Glosse. Marc Reichwein widmet sich in seiner Serie "Sprechen Sie Feuilleton?" dem Foto.

Besprochen werden Lars von Triers Film "Melancholia" (apokalyptische Langeweile durchlitt Matthias Heine), Arthur Brauners Film "Wunderkinder" und zwei Janacek-Opern in Berlin.

SZ, 06.10.2011

Detailliert stellt Catrin Lorch die große Werkschau des Malers Gerhard Richter in der Tate Modern vor, die im kommenden Februar auch in Berlin zu sehen sein wird (hier einige Bilder, teils mit weiteren Erläuterungen). "Auch dort, wo die Bilder hermetisch wirken könnten, wie eben die grauen Bilder aus den Siebzigern, wurde originell gehängt. Grau in allen Variationen sozusagen, gespachtelt, gestrichen, geringelt oder wie einmassiert."

Weiteres: Die vor allem für Majorlabels nützliche Allianz zwischen Facebook und dem (in Deutschland dank der Gema nicht nutzbaren) Streamingdienst Spotify brauchen die Indies nicht zu fürchten, findet Michael Reinbothin, Inhaber des Indielabels "Compost Records", und plädiert für eine neue Bündniskultur innerhalb der unabhängigen Musikszene. Von gleich zwei Janacek-Premieren zum Spielzeitbeginn in Berlin berichtet Wolfgang Schreiber. Jürgen Berger blickt auf Peter Spuhler, den neuen Intendanten des Theater Karlsruhe, der als erstes Sloterdijks Theorieschwarte "Du musst dein Leben ändern" als Adaption in Seminarraumatmosphäre ins Haus bringt. Fritz Göttler empfiehlt dringend den Besuch der Chantal-Akerman-Retrospektive, die heute im Wiener Filmmuseum startet. Auf der Medienseite erinnert Frank Nienhuysen an Anna Politkowskaja, die vor fünf Jahren ermordet wurde - und der Mörder ist nach wie vor nicht dingfest gemacht.

Besprochen werden die Filme "Johnny English - Jetzt erst recht" (mehr), "Kein Mittel gegen Liebe" (mehr) und Bücher, darunter der comicstripartige Drogenkrimi "Sick City" (mehr z.B. hier), in dem Sharon Tate, Yul Brynner und Steve McQueen beim Gruppensex gefilmt werden (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 06.10.2011

Vier Neuübersetzungen von Fitzgeralds "Großem Gatsby" sind vor kurzem oder in dieser Saison erschienen. Ein Grund dafür sind die freiwerdenden Urheberrechte. Aber Paul Ingendaay liest den Roman auch als aktuelle Kapitalismuskritik: "Fitzgerald untersucht sein Zeitalter und diagnostiziert, dass außer romantischem Sehnen nichts mehr übrig ist - kein Gott, keine Werte, kein Staat. Es gelingt ihm das Kunststück, die zerstobene Hoffnung eines Gauners in große Tragödie zu verwandeln und an der Nichtigkeit seines Traums zugleich die Größe seines Traums zu beweisen. Mehr ist aus der moralischen Konkursmasse nicht zu retten."

Weiteres: Manfred Lindner versucht anlässlich des Chemienobelpreises für Daniel Shechtman zu erklären, was "Quasikristalle" sind. Joseph Croitoru erzählt auf der Medienseite, dass das syrische Regime auch Exilanten in Deutschland auf das übelste drangsalisert und ihre Familienangehörige in Syrien foltert.

Besprochen werden unter anderem die Ausstellung "Dürer, Cranach, Holbein - Das deutsche Porträt um 1500" in der Hypokunsthalle München, Radresh Mahanthappas Jazzalbum "Sandhi" (Musik), eine Choreografie von Hofesh Shechter in Bonn und Günter Schwaigers Film "Ibiza Occident" über die Clubszene auf Ibiza.

Zeit, 06.10.2011

In einem gewohnt kurzweiligen Interview mit Katja Nicodemus plädiert Jean-Luc Godard plädiert gegen den Kapitalismus und Technikwahn, aber auch gegen geistiges Eigentum: "Autoren haben keine Rechte, nur Pflichten. Und ich bin dagegen, dass Autorenrechte ein privates Eigentum sind, das einen befugt, darüber zu entscheiden, ob ein Film gezeigt werden darf. So wie zum Beispiel der Enkel von Matisse darüber entscheiden kann, ob ein Bild angesehen werden kann oder nicht."

Wolfgang Beltracci gehört ins Museum, spottet Hanno Rauterberg, denn der Mann ist nicht nur ein großer Kunstfälscher: "Schon vor etlichen Jahren ist Institutional Critique zu einer eigenen Gattung geworden, und die Künstler, die sich ihr verschreiben, sind emsig darum bemüht, die Machtverhältnisse in Museen oder auf Messen zu befragen. Vor allem die von Beltracchi betriebene Strategie einer Subversion durch Affirmation erfreut sich großer Beliebtheit."

Weiteres: Ronald Düker trauert um den Stierkampf, den Katalonien nun doch abgeschafft hat. Ijoma Mangold zeigt sich genervt von Facebook-Kritikern. Besprochen werden unter anderem Karin Beiers Uraufführung von Elfriede Jelineks "Kein Licht" und John Chandors Finanzthriller "Der große Crash".

Außerdem erscheint heute die Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse.