Heute in den Feuilletons

Wozu Kunst?

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.10.2011. Gut gebaut und lebensklug findet die taz den Roman des Buchpreisträgers Eugen Ruge. In der Welt erklärt Ruge, warum er sich nach der Wende keine Hoffnung auf einen demokratische Sozialismus machte. Die SZ besucht eine Pariser Soliveranstaltungen für die syrische Protestbewegung. Die NZZ feiert das Südtiroler Architekturwunder.

TAZ, 12.10.2011

Super findet Dirk Knipphals den Buchpreis für Eugen Ruge und seinen "lebensklugen" DDR-Familienroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts", über den seiner Ansicht nach nur Besserwisser und Anhänger der Genieästhetik maulen können: "Konventionell? Nein. Eugen Ruge muss seinen literarischen Gestaltungswillen, der diesem Projekt, Lebenserfahrungen des vergangenen Jahrhunderts erzählbar zu machen, zugrunde liegt, nur nicht so prunkend in den Vordergrund schieben. Er muss sich nicht so in die Kunstanstrengung retten wie Uwe Tellkamp mit seinem 'Turm', muss keine Trostperspektiven und keine dissidentischen Heldengeschichten anbieten. Dieser Roman hat etwas zu erzählen. Er erzählt es großartig. Was will man mehr?"

Weiteres: Enttäuscht zeigt sich Birgit Glombitza von Gus Van Sants neuem Film "Restless". Alissa Starodub protokolliert den Bericht eines syrischen Studenten über die Proteste gegen Assad und ihre Organisation im Netz.

Außerdem erscheint zur Frankfurter Buchmesse heute die Literataz, in derem Aufmacher Dirk Knipphals zu den Büchern von zu Eugen Ruge, Josef Bierbichler und Jan Brandt feststellt, dass Herkunft eben doch eine Rolle spielt.

Und Tom.

Welt, 12.10.2011

Aus einem Interview mit dem frisch gekürten Buchpreisträger Eugen Ruge erfahren wir, dass er nach der Schule seine Mathematiklehrerin geheiratet hat und 1988 die DDR verlassen hat, weil er sie "langweilig fand und für das Land keine Zukunft sah. Ich hatte auch keine Hoffnung gehabt, dass jetzt der demokratische Sozialismus kommt. Mir war ganz schnell klar, dass das was kommt, das ist, was wir in der Bundesrepublik damals hatten. Das war keine sehr schöne Position."

Weiteres: Andreas Rosenfelder bereist in Afrika das Dogonland, dem die Bonner Bundeskunsthalle gerade eine Ausstellung widmet. Hanns-Georg Rodek sah auf Youtube einen Filmtrailer, der das Breivik-Attentat nachahmt (der Regisseur trägt den klingenden Namen Vitaly Versace). Mara Delius amüsiert sich über das Bekennerschreiben zu den Brandsätzen in Berlin, das sich für die "Entschleunigung" der Stadt lobt. Alan Posener schlägt seinen Kollegen vor, zum Wohle der Diskussionskultur ein Jahr lang das Wort "Mainstream" zu ächten. Besprochen wird ein Buch von Winfried Menninghaus, "Wozu Kunst? Ästhetik nach Darwin".

Weitere Medien, 12.10.2011

(Via Miriam Meckel) Das Handelsblatt wollte den Bankier Baudoin Prot zur Bankenkrise interviewen. Aber er wollte nichts sagen. Das Blatt bringt das Interview trotzdem.

Und übrigens: "I'm Reading a Book."


Tagesspiegel, 12.10.2011

John le Carre hielt auf dem Berliner Fest des Ullstein-Verlags eine launige Rede, in der er sich auch an einen Ausflug mit bayerischen Parlamentariern nach London erinnerte. Carre, damals noch im diplomatischen Dienst, musste sie betreuen. Als die Pubs zumachten, empfahl der Portier ein Bordell um die Ecke. "Das Neonlicht brannte. Ich klingelte tapfer. Ich war im Stresemann: schwarzes Sakko, gestreifte Hose, die Kluft der diplomatischen Hilfskraft. Meine Bundestagsabgeordneten hatten ihre dunklen Anzüge an. Die sehr üppige, nicht mehr ganz junge Dame, die uns aufmachte, trug ein rosa Nachthemd und ein rotes Tuch um den Kopf. Sie hatte sicher schon viel gesehen in ihrem Leben, aber so etwas wie uns denn wohl doch nicht. Ob sie uns für Steuereintreiber hielt? Für Polizisten? Oder für einen Kirchenchor? Sie wollte uns schon die Tür vor der Nase zuschlagen, da trat Herr Dr. Palmström vor und schmetterte mit der ganzen Autorität seines Parlamentarier-Status: 'We are German and we wish to learn French!' Ich ergriff die Flucht. Das Frühstück am nächsten Morgen verlief eher still."

Auch der Tagesspiegel präsentiert heute seine Literaturbeilage.

NZZ, 12.10.2011

Als Südtiroler Architekturwunder feiert Roman Hollenstein, dass sich die moderne Architektur im Norden Italiens endich gegen die Hoteliers und ihre Anlagen im Pseudo-Tiroler-Stil durchgesetzt hat: "Dank der zunehmenden Dichte an neuen Bauten ist es inzwischen möglich, Südtirol auf architektonischen Pfaden zu erkunden und dabei eine Perlenkette kleiner Meisterwerke kennenzulernen. Erste Station auf einer solchen Reise könnte Latsch im Vinschgau sein, wo der minimalistische Würfel von Werner Tscholls apfelgrünem Selimex-Gebäude ein umstrittenes Zeichen in die Landschaft setzt und eine Luftseilbahn die Reisenden hinaufträgt nach St. Martin zur wohl schönsten Bergstation Südtirols - konzipiert von Arnold Gapp in buntem Bruchstein, Glas und Stahl."

Zum Auftakt der Buchmesse berichtet Joachim Güntner von der Buchpreisverleihung an Eugen Ruge und Diskussionen um E-Books.
Besprochen werden die Abschiedstournee der Merce Cunningham Dance Company, Arno Lustigers Untersuchung zum "Rettungswiderstand" und Sabine Gruber Südtirol-Roman "Stillbach".

FR/Berliner, 12.10.2011

Der deutsche Buchpreis für Eugen Ruge geht okay, meint milde Judith von Sternburg. Der Übersetzer Peter Urban-Halle erklärt noch einmal, warum ihm unter den isländischen Büchern dieses Jahres Gyrdir Eliassons "Am Sandfluss" das liebste ist.

Besprochen werden Abbas Kiarostamis Film "Die Liebesfälscher" mit Juliette Binoche, eine Ausstellung über Malerei der zwanziger Jahre von Dix bis Querner in der Dresdner Kunsthalle im Lipsiusbau und Hallgrimur Helgasons Roman "Eine Frau bei 1000 Grad" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 12.10.2011

Joseph Hanimann hat eine der zaghaft wenigen Solidaritätsveranstaltungen für die syrische Protestbewegung in einem Pariser Theater besucht. Kein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft wurde dort gefordert, sondern Würde für die Toten. "Das von den arabischen Aufständischen zu den westlich geprägten Kernforderungen 'Freiheit' und 'Rechtmäßigkeit' kühn hinzuerfundene Wort 'Würde' klingt im syrischen Kontext wie bisher noch nie. 'Was hier vorgeht, ist ein Anschlag auf die Würde der Opfer', sagte der libanesische Intellektuelle Elias Khoury in Paris. Es gehe nicht mehr nur um die Würde der unterdrückten Bürger, sondern um die Würde derer, die schon nicht mehr sind." Die im Text erwähnte, klandestin in Syrien gedrehte und außer Landes geschmuggelte Dokumentation steht hier in der arte-Mediathek.

Weitere Artikel: Im Rahmen der "Lichtsicht"-Biennale (hier) erlebte Till Briegleb unter anderem auch hospitalischen Vandalismus. Hollywods beliebteste Krebsart ist der Hirntumor, weiß Susan Vahabzadeh in ihrer Kritik zu Gus van Sants Krebsdrama "Restless" (mehr) zu berichten, "Amputationen oder künstliche Darmausgänge" gibt es somit auch in dieser Produktion nicht zu sehen. Im gerade mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Eugen Ruge sieht Volker Breidecker den "idealen Kompromiss-Kandidaten". Thomas Urban bringt Gründe für den "beispiellosen Absturz" der polnischen Sozialdemokraten. Jürgen Berger berichtet von einem Festival der Zweitinszenierungen als Intendanzauftakt von Holger Schultze am Heidelberger Schauspiel. "stsp" stellt das "Language Archive" (hier) der Max-Planck-Gesellschaft vor, das akustisches Material von vom Aussterben bedrohte Sprachen sammelt. Markus Zehentbauer stellt die "Self-Publishing-Szene" vor, die aus jungen, ambitionierten Grafikdesignern mit Hang zu Heimdruck, Retro-Ästhetik und Kleinauflagen besteht, die sich gerade auf einem eigenen Kongress getroffen haben.

Besprochen werden neue Kirchen, neue CDs, das den Taunus zum Vibrieren gebracht habende Cello-Festival in Kronberg und Bücher, darunter eine philosophische Revue von Martin Seel (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 12.10.2011

Auf Seite 1 der Zeitung schreibt Felicitas von Lovenberg zum ersten Tag der Buchmesse über Verschiebungen auf dem Buchmarkt: "Hierzulande schließen die Marktführer Thalia und Hugendubel Filialen, verringern ihr Personal und bestücken ihre gigantischen innerstädtischen Verkaufsflächen zunehmend mit 'Non-Books': Kaffeetassen, Grußkarten, Spiele. Doch wer auf der Buchmesse nach einer Auseinandersetzung mit der Krise des traditionellen Buchhandels sucht, wird enttäuscht."

Im Feuilletonaufmacher fürchtet Niklas Maak, dass der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, gegen den gerade prozessiert wird, noch wesentlich mehr Werke gefälscht haben könnte als bisher bekannt. Frankfurt hat doch noch ein Gebäude gefunden, das es abreißen an, den ehemaligen Sitz der Degussa, berichtet Dieter Bartetzko. Sandra Kegel begrüßt den Buchpreis für Eugen Ruges spätes Debüt "In Zeiten abehmenden Lichts". Gina Thomas wirft einen Blick auf die Boulevardtheaterstücke der Londoner Saison.

Besprochen werden Abbas Kiarostamis neuer Film "Liebesfälscher" und neue DVDs.