Heute in den Feuilletons

Elegant urbane Ausgehuniformen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.10.2011. Das New York Magazine zeichnet ein Porträt der Künstler David Foster Wallace, Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides als junge Männer. Sehen gut aus, die Occupy-Wall-Street-Demonstranten, meint die Welt. Selbst Griechenland will lieber überwachen als sanieren, lernen wir in der NZZ. In der FAZ porträtiert Theodor Laxness die Isländer als drogenabhängige Sadisten. Die SZ feiert Kraftwerk.

Weitere Medien, 14.10.2011

Für das New York Magazine schreibt Evan Hughes ein schönes Porträt über David Foster Wallace, Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides in deren "verlorenen Jahren", als sie noch unbekannt waren und sich bald anfreundeten. Bei Eugenides, dessen neuer Roman "Die Liebeshandlung" gerade erscheint, sah die verlorene Zeit so aus: "In 1988, Eugenides moved into a cheap place with roommates on St. Johns Place in pre-gentrified Prospect Heights, Brooklyn, when muggers freely worked the area. A 75 Dollar payout on a scratch-off lotto card was a bright spot of that summer. Eugenides would look out over the darkening rooftops at the Manhattan skyline and think, How can my writing take me from here to there?" Und nein, die eine Hauptfigur des Romans ist nicht ein verschlüsselter David Foster Wallace, versichert Eugenides im Interview mit Jessica Grose in Slate.

Der Millardär George Soros ist kein Sponsor der Occupy-Wall-Street-Bewegung, meldet Reuters, und doch: "Soros has donated at least 3.5 million dollars to an organization called the Tides Center in recent years, earmarking the funds for specific purposes. Tides has given grants to Adbusters, an anti-capitalist group in Canada whose inventive marketing campaign sparked the first demonstrations last month."

(via longform) The New Republic hat Berichte Ernest Hemingways aus dem Jahr 1938 über den Spanischen Bürgerkrieg online gestellt. Hier ein Tipp für Kriegsreporter: "Beer is scarce and whiskey is almost unobtainable. Store windows are full of Spanish imitations of all cordials, whiskies and vermouths. These are not recommended for internal use, although I am employing something called Milords Ecosses Whiskey on my face after shaving. It smarts a little, but I feel very hygienic. I believe it would be possible to cure athlete's foot with it, but one must be very careful not to spill it on one's clothes because it eats wool."

Welt, 14.10.2011

So sollte linker Protest auf die Straße gehen, meint Ulf Poschardt mit zustimmendem Blick auf die fröhlichen, entspannten und superlässig gekleideten "Occupy"-Demonstranten in Amerika: "In einer elegant urbanen Ausgehuniform, die sie so auch zu einem wichtigen Date oder einem noch wichtigeren Vorstellungsgespräch bei einer Modelagentur anlegen würden". Hier dagegen? Man sehe sich nur die deutsche Webseite von Attac an: "Dort prangt über müden Texten vergleichsweise laut: 'Eine andere Welt ist möglich'. Aber wer soll die gestalten, wenn schon die eigene Homepage aussieht, als hätte sie Norbert Blüm entworfen und betextet?"

Henryk M. Broder will Rüdiger Safranski nicht davon abhalten, am Samstag mit dem iranischen Botschafter, Seiner Exzellenz Ali Reza Sheikh Attar, auf Schloss Neuhardenberg über Goethe und Hafiz zu debattieren: "Auch der stellvertretende Reichsprotektor in Böhmen und Mähren und Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, war ein talentierter Haus- und Gartenmusiker, der Gäste mit seinem Geigenspiel begeisterte." (In der Achse des Guten meldete Broder heute morgen um vier Uhr, dass die Veranstaltung abgesagt ist.)

Weitere Artikel: Abgedruckt sind Auszüge aus dem Reisetagebuch von Ulrich von Hassell, der 1927 Island bereiste (und später zu den Mitverschörern Stauffenbergs gehörte). Unterwegs waren Hassell und seine Frau meist zu Pferd: "Ich reite vormittags meist meinen kräftigen Schecken Skjöni, der etwas wirft, aber sonst sehr gut geht". In der Reihe "Sprechen Sie Feuilleton?" widmet sich Marc Reichwein dem Trojaner in der FAZ.

Besprochen werden Alexej Ratmanskys Choreografie "Psyche" in Paris und Gonzalo Lopez-Gallegos sich vordergründig als Dokumentation ausgebender Film "Apollo 18".

Aus den Blogs, 14.10.2011

(Via Turi2) Techcrunch meldet, dass Hulu, die gemeinsame - und sehr erfolgreiche - Video-on-Demand-Plattform der großen amerikanische Fernsehstationen, nun doch nicht verkauft werden soll. Weder Google noch Amazon oder Yahoo haben genug geboten. "Hulu?s owners wanted above $2 billion, but only guaranteed streaming rights for a couple of years. Google reportedly offered around $4 billion, but wanted the streaming rights for much longer. The value of Hulu is in the content deals it has with its owners to stream NBC, Fox, and ABC television series over the Internet."'
Stichwörter: Amazon, Google, Streaming, Yahoo

TAZ, 14.10.2011

Skandalös findet Ralf Leonhardt die Ernennung eines Faschisten zum Direktor des Neuen Theaters in Budapest: In seinem Bewerbungsschreiben habe György Dörner angekündigt, das Haus in "Heimatfront-Theater" umzubenennen und aus der "entarteten, krankhaften liberalen Hegemonie" der ungarischen Theaterszene auszuscheren.

Weitere Artikel: Mit geradezu "obamahaften Erwartungen" habe München dem neuen Intendanten des Residenztheaters Martin Kusej entgegenfieberte, weiß Petra Hallmeyer, nach seinem Einstand mit Schnitzlers "Das weite Land" herrscht jetzt aber erst einmal Ernüchterung. Detlef Kuhlbrodt schwärmt von den Frankfurter Buchmessenächten, an die er sich getränkekonsumbedingt allerdings nur bruchstückhaft erinnert. Aus Anlass der zweiten Verleihung des feministischen Porn-Awards und des Ende Oktober stattfindenden Pornfilmfestivals Berlin untersuchen Manuela Heim und Enrico Ippolito, ob feministische und schwule Pornos tatsächlich in der Lage sind, den deutschen Pornomarkt "umzukrempeln".

Besprochen werden eine 3-D Video-Installation der elektronischen Popband Kraftwerk im Lenbachhaus Kunstbau sowie mehrere Konzerte der Gruppe in München.

Und Tom.

FR/Berliner, 14.10.2011

Jörg Aufenanger stellt den Friedenspreisträger Boualem Sansal vor. Judith von Sternburg erzählt von der Frankfurter Massenlesung "Literatur im Römer". Peter Michalzik schreibt den Nachruf auf Heinz Bennent.

Besprochen werden Steve Sem-Sandbergs Roman "Die Elenden von Lodz" und Thomas Melles Debütroman "Sickster" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 14.10.2011

Joachim Güntner unterhält sich mit den CCC-Sprechern Constanze Kurz und Frank Rieger über Staatstrojaner, Vorratsdatenspeicherung und andere Überwachungstechniken, die den beiden zufolge mit eisernem Willen eingesetzt werden, auch wenn sie der Verbrechensbekämpfung bisher nicht besonders förderlich waren. Rieger: "Nehmen Sie Griechenland. Dort war die letzte Investition, die im Frühjahr im Angesicht der Haushaltsperre getätigt wurde, ein landesweites Telekommunikations-Überwachungssystem."

Weiteres: Sieglinde Geisel besichtigt den als Museum wiedereröffneten Berliner Tränenpalast. Besprochen werden die Ausstellung "Degas und das Ballett" in der Londoner Royal Academy of Art, das neue Album "Baboon Moon" des norwegischen Trompeters Nils Petter Molvaer.

FAZ, 14.10.2011

Oliver Maria Schmitt zitiert sinngemäß ("oder auch nicht") den isländischen Nobelpreisträger Theodor "(?)" Laxness, der wenig Gutes über seine Heimat verrät: "Die Kindeserziehung, so, ziemlich sicher, Laxness, überlasse man Bibelschülern und tollwütigen Tieren. Während die Jugend in den Vorgärten nach Heroin wühle, vergnügten sich die Eltern bei der Treibjagd auf Meeressäuger. Beim Walfang würden keine Gefangenen gemacht, er sei Staatsreligion. Je größer und rarer das über Stunden zu Tode gehetzte Tier, desto größer die Befriedigung der drogenabhängigen Jäger. Dies von brandschatzenden, rotbärtigen Barbaren und somit letztlich sogar Laxness? Vorfahren gekaperte Eiland höre nicht auf, die Ethik und die Schöpfung zu verhöhnen."

Weiteres: In ihrer Maschinenraum-Kolumne befasst sich Constanze Kurz anlässlich der "Staatstrojaner"-Affäre mit Wesen und Übel von Software, in der gewiefte Programmierer sich ohne weiteres Hintertüren offen halten können. Andreas Kilb macht einen Rundgang durch das Militärhistorische Museum in Dresden, das heute mit neuer Dauerausstellung plus "Libeskind Keil" wieder eröffnet wird. Ebenfalls nach längerem Umbau wiedereröffnet wird die Kunsthalle Bremen, wo sich Swantje Karch die Munch-Ausstellung angesehen hat. Zeile für Zeile viel philologische Freude hatte Lorenzo Bellettini mit der Faksimile-Ausgabe von Arthur Schnitzlers Manuskript von "Lieutenant Gustl". Die Kritik am Positivisten Hans Kelsen, die Papst Benedikt XVI. in seiner Bundestagsrede geübt hat, will Raphael Gross in der Links-Kolumne so nicht ohne weiteres stehen lassen.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Arbeiten von Daniel Richter in der Hannoveraner Kestnergesellschaft, Paddy Considines Film "Tyrannosaur" und Lili Grüns Roman "Zum Theater!" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

SZ, 14.10.2011

In Ungarn protestierten Schriftsteller gegen den neuen Intendanten des Budapester "Neuen Theaters", den eigener Auskunft nach "nationalradikalen" György Dörner, der das Haus in "Heimatfront-Theater" umbenennen will, berichtet Michael Frank: "Niemand will glauben, dass Hauptstadtbürgermeister Tarlos allein der Urheber dieser Ernennungen gewesen sei. Es heißt, vielmehr sei Weisung 'von ganz oben', also von Ministerpräsident Viktor Orban selbst, ergangen. Man bedenke: Dem heute chauvinistischen, vormals mutigen Jungliberalen Orban sitzt als markanteste Opposition im Parlament die faschistisch-chauvinistische Partei Jobbik gegenüber, also eine noch viel weiter draußen im rechtsextremistischen Terrain kämpfende Truppe".

Andrian Kreye würdigt Kraftwerk (hier), die in München gerade eine 3D-Variante ihrer Performance aufführen und ausstellen. Hier ein Video aus dem Konzert von 12.10.:



Weiteres: Nicht die geprügelt aus der "Staatstrojaner"-Affäre hervorgehende Polizei stellt für Jan Füchtjohann eine Gefahr im Netz dar, vielmehr sieht er bereits sich ganz andere Mächte (Google, Facebook, Amazon, Apple) im Netz konsolidieren. In Armin Petras' verfrühtem Weggang als Intendant vom Berliner Gorki-Theater macht sich für Dorion Weickmann fest, dass Berlin "nicht nur eine ökonomische Niete ist, sondern auch kulturell mancherorts schlecht durchlüftet". Reinhard Brembeck zeigt auf, wie es Peter Gelb gelang, die New Yorker Met wieder auf die Füße zu stellen. Zumal im Rahmen der Buchmesse tröstlich findet Johan Schloemann das Fazit einer kürzlich erschienenen Studie, die zwischen eBook- und papiergestützter Lektüre keinen qualitativen Unterschied ausgemacht hat. Der Philologe Wilhelm Heizmann befasst sich mit kontinental-europäischen Wurzeln isländischer Sagas. Klaus Kalchschmid unterhält sich mit dem Pianist Daniel Barenboim.

Besprochen werden unter anderem eine Ausstellung mit Picasso-Fotoporträts im Kölner Museum Ludwig, Olivier Pys "Romeo und Julia"-Inszenierung am Pariser Odeon-Theater, zwei Münchner Foto-Ausstellungen in der Galerie Christa Burger und der Neuen Galerie mobil und Larissa Boehnings Roman "Das Glück der Zikaden" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).