24.10.2011. In Slate fragt Christopher Hitchens: Tragen die westlichen Alliierten Mitschuld daran, dass Gaddafi nun nicht vor ein Gericht gestellt werden kann? In der Welt erzählt Clemens Meyer ganz euphorisch von der Revolution in New York. Die FR ist begeistert von Steven Spielbergs "Tim und Struppi". In der FAZ meint Necla Kelek: Die türkischen Gastarbeiter waren für die Türkei wirtschaftlich viel nötiger als für Deutschland.
NZZ, 24.10.2011
Abgedruckt wird ein
Vortrag des Kunsthistorikers
Beat Wyss, der dafür plädiert, den Markt als wichtigen Part des Kunstsystems anzuerkennen, selbst wenn ein chinesischer Sammler wieder einmal Millionen für den Akt einer Rotgardistin hingeblättert hat: "Das
Magische an der Kunst steht nicht im Gegensatz zum Marktgeschehen; vielmehr ist es der Markt selber, der als
großer Magier die Kunst verzaubert."
Weiteres: Wei Zhang
beobachtet, wie in China die bürgerliche Xinhai-Revolution von 1911 eine Neubewertung erfährt, aber offenbar auch die dabei gestürzte
Quing-Dynastie: "Die großen Qing-Kaiser Qianlong und Kangxi werden längst als fleißige, aufrichtige, hochgebildete und zivilisierte Herrscher dargestellt." Besprochen werden die
Uraufführung von
Thomas Jonigks Stück "Weiter träumen" am Schauspielhaus Zürich und eine Uraufführung von
Antonin Dvoraks "Rusalka" am Theater Basel.
Welt, 24.10.2011
Clemens Meyer schreibt ganz euphorisch über die
Occupy Wall Street-Proteste in New York, wo er an der Speaker's Corner selbst eine Rede hielt: "'Once there was a revolution', beginne ich zum
wilden Schlag meines Herzens, 'long ago in the late days of the year 89. When I was a child, I seen the change of a whole system, a whole state, I seen the fall of the mighty, I seen the slogan 'We the people' work so beautiful! I seen people believing in the possibility of their
peaceful power when I marched with the tenthousands! Wir sind das Volk!' Applaus, Applaus."
Weitere Artikel: Hannes Stein
liest Saul Bellows in der
NY Review posthum erstveröffentlichte Rede "A Jewish Writer in America" (unser
Resümee und Links) und findet Bellows Argumente gegen Antisemitismus immer noch treffen - "nur treffen sie heute
die Linken". Jan Küveler
verfolgte eine mit Kirchenfürsten und Islamwissenschaftlern besetzte Tagung über "
Islam in Europa" in Mainz.
Besprochen werden eine
CD der
Jolly Goods (
Musik), ein neues
Stück von
Dirk Laucke über Extremismus in Deutschland in Oberhausen und eine
Biografie über den Kunsthändler
Alfred Flechtheim.
TAZ, 24.10.2011
Reines Rezensionsfeuilleton heute in der
taz. Besprochen werden
Coldplays neue CD "Mylo Xyloto" (der Thomas Winkler einen hohen Heulsusenanteil bescheinigt), ein
Konzert der kanadischen Musikerin
Feist im Berliner Tempodrom, eine erweiterte
Neuauflage von
Josef Koudelkas Fotoband "Roma" und ein
Band mit Interviews und Texten von
Andre Müller, "Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe" (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Und
Tom.
FR/Berliner, 24.10.2011

Daniel Kothenschulte ist
hin und weg von
Steven Spielbergs Verfilmung des
Tintin-Klassikers
"Das Geheimnis der Einhorn" in 3D. Sogar das "Motion Capturing" - nennt man jetzt "performance capturing" - sieht gut aus. "Wirkten die Helden der ersten großen Kinofilme nach diesem Verfahren, 'Final Fantasy' und 'Der Polarexpress', noch häufig wie lebendig geworden Schaufensterpuppen, ist man jetzt viel weiter. Spätestens nach einigen Minuten nimmt man das '
digitale Makeup' - so der Fachausdruck der Maskerade - nicht mehr als unnatürlich war. Zum ersten Mal hat man nicht mehr das Gefühl, es mit einem schlechten Kompromiss aus Real- und Trickfilm zu tun zu haben sondern einer
eigenständigen Filmästhetik. Das liegt allerdings weniger an der fortgeschrittenen Technik als an der Personenregie von Steven Spielberg." (Im Bild: Kathleen Kennedy und Steven Spielberg
bei der Premiere in Paris).
Aus den Blogs, 24.10.2011
Kein schöner Start für das neue Libyen, dieses
Lynchen von Gaddafi,
findet Christopher Hitchens bei
Slate und fragt, warum weder aus Washington noch aus London jemals ein Wort darüber verlautete, dass man Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sehen wolle: "Among other things, this tacit agreement persuades me that no general instruction was ever issued to the forces closing in on Qaddafi in his hometown of Sirte. Nothing to the effect of: Kill him if you absolutely must, but try and
put him under arrest and have him (and others named, whether family or otherwise) transferred to the Netherlands. At any rate, it seems certain that even if any such order was promulgated, it was not very forcefully."
Auch Bernard-Henri Levy kann bei
The Daily Beast am elenden Tod Gaddafis nichts Gutes
erkennen: "Worse, I fear that it will pollute the
essential morality of an insurrection that had been, up to that point, almost exemplary. And anyone who knows something about revolutionary history knows that this could be the
tipping point at which a democratic uprising begins to degenerate into its opposite."
(Via
Neunetz) Jens Ohlig
hat auf seinem Blog eine lesenswerte und gut verlinkte Zusammenfassung der
Morozov-Jarvis-Debatte geschrieben: "Beide sind sie Träumer, Jarvis träumt einen
optimistischen Traum vom Internet, Morozov einen
pessimistischen. Bei beiden ist die jeweilige Rolle seit Jahren ein eingeübtes, ständig neu variiertes Spiel, mit der sie ihre jeweiligen Fans überzeugen. Der Vorwurf, Jarvis sei 'intellectually lazy' und nur auf die utopischen Qualitäten der Technologie versessen, kann ebenso gut an Morozov, den ständigen Mahner vor den
dunklen Seiten des Netzes, zurückgegeben werden."
SZ, 24.10.2011
Das Ziel der
Europäischen Union war eine gerechtere, friedliche Welt, die Währungsunion somit nicht Zweck, sondern Mittel auf diesem Weg, insisiert der
Schriftsteller Navid Kermani in einer "Rede zu Europa", die er am Sonntag in Berlin hielt: "Wer die Europäische Union auf den wirtschaftlichen Vorteil reduziert, steht mit leeren Händen da, sobald die
Bilanz nicht mehr stimmt. Das genau ist es, was wir in der politischen Rhetorik dieser Tage beobachten: Die hilflose Suche nach einer Rechnung, welche die Billionentransfers irgendwie plausibel erscheinen lässt."
Weitere Artikel: Christiane Schlötzer zeichnet in ihrem Bericht ein
Bild der Ermattung von der
Biennale in Athen, die mangels öffentlicher Gelder und Sponsoren ganz auf sich alleine und damit auch ganz auf unbezahlte, improvisierende inländische Künstler angewiesen ist. Martina Knoben fasst die auf dem
DOK-Festival in Leipzig geführten Diskussionen über die miserable finanzielle Situation des
Dokumentarfilms in Deutschland zusammen. Franz Kotteder
berichtet von einer Tagung über
Nazikunst anlässlich der Freischaltung der zuletzt vieldiskutierten
Online-Datenbank zum Thema. Alexander Menden führt durch die im
Baltic Centre for Contemporary Art in Newcastle ausgestellten Kandidaten für den
Turner Prize und meint: "Die Tour lohnt sich, der Jahrgang 2011 ist überdurchschnittlich stark." In den "Nachrichten aus dem Netz"
erläutert Niklas Hofmann Hintergründe der Sprachsoftware
Siri, die in der jüngsten iPhone-Generation zum Einsatz kommt (
mehr dazu in der
Zeit). Dokumentiert ist
Brigitte Kronauers Dankesrede zum Jean-Paul-Preis 2011.
Besprochen werden einige DVDs und
Anthony Caronias Fotoband über afro-kubanische Religion (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).
FAZ, 24.10.2011
Vor fünfzig Jahren kamen die ersten
türkischen Gastarbeiter nach Deutschland - und sie haben wirtschaftlich eher der Türkei als Deutschland geholfen, schreibt
Necla Kelek, denn durch eine fehlgeleitete Politik hatten in der Türkei Landflucht und Verslummung der Städte eingesetzt: "Die erste Generation der Gastarbeiter ernährte nicht nur sich, sondern auch ihre Großfamilien in Anatolien und rettete ihr Heimatland vor dem
Bankrott. Die
Entbehrungen und Leistungen dieser Menschen der ersten Generation wurden weder in der offiziellen Türkei noch in Deutschland wahrgenommen."
Weitere Artikel: In der Leitglosse findet Kerstin Holm historische Vorbilder für den
Präsidententausch in Russland. Edo Reents unterhält sich mit dem CDU-Politiker
Hans-Peter Uhl über die Aufregung um den "Bundestrojaner". Joseph Croitoru liest osteuropäische Zeitschriften. Hubert Spiegel gratuliert
Ruth Klüger zum Siebzigsten.
Besprochen werden eine Ausstellung des politischen Künstlerpaars
Ed und Nancy Kienholz in der
Schirn,
Jean-Guillaume Barts Ballett "La Source" in Paris,
Thomas Jonigks Stück "Weiter träumen" in der Regie von
Christoph Loy in Zürich und Bücher, darunter
Robin Lane Fox' Studie "
Reisende Helden - Die Anfänge der griechischen Kultur im homerischen Zeitalter" (mehr in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).