Heute in den Feuilletons

Grindr macht auch nicht glücklich

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.12.2011. In der taz spricht sich Filmregisseur Thomas Heise gegen ein NPD-Verbot aus. Die Trauer über den Tod Kim Jong-Ils hält sich in Südkorea in Grenzen, berichtet die NZZ, die Kenntnis Nordkoreas aber auch. In der FAZ antwortet Götz Aly auf Hans-Urlich Wehler: Nein, der Holocaust ist nicht allein auf Hitlers "maßgeblichen Einfluss" zurückzuführen. In der Welt behauptet die "junge, liberale, weibliche, lesbische" Muslimin Irshad Manji, der Islam sei reformfähig. Die SZ warnt vor Demokratie-Illusionen.

NZZ, 21.12.2011

Bei den Südkoreanern hält sich die Trauer über den Tod von Kim Jong-il erwartungsgemäß in Grenzen, erzählt Ho Nam Seelmann, China wachsender Einfluss aber beunruhigt sie ebenso wie die Frage, warum die Regierung in Seoul so ahnungslos war: "Gerüchte kursieren: Ein einsamer Beamter habe sich über die Mittagszeit im Wiedervereinigungsministerium die Nachrichten des nordkoreanischen Fernsehens angeschaut und sei blass davongelaufen, um den Minister zu informieren, als er die schwarze Tracht der Sprecherin gesehen habe."

Weiteres: Lilian Pfaff feiert das riesige Kunstprojekt "Pacific Standard Time", das an die Entstehung der südkalifornischen Kunst erinnert. Joachim Güntner erklärt die Ära der politischen Liedermacher endgültig für beendet.

Besprochen werden eine Aufführung der "Lucia di Lammermoor" am Luzerner Theater, Heiko Haumanns Buch über "Dracula", Mario Fortunatos Schriftstellerporträts "Spaziergang mit Ferlinghetti" und ein ganzer Schwung Bücher über die Liebe (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

TAZ, 21.12.2011

Im Interview mit Cristina Nord spricht der Filmemacher Thomas Heise über seine Erfahrungen mit jungen Neonazis im Osten und plädiert gegen Ausgrenzung und Verbote: "Ich bin gegen Verbote von überhaupt irgendetwas. Klar, ich kann der NPD vorwerfen, dass sie Kinderfeste in Mecklenburg veranstaltet und die Kinder an sich gewöhnt, nur: Wenn ich selbst keine veranstalte, dann wird sie dieses Terrain besetzen. Wenn in einer Berliner Grundschule wie in Müggelheim damit geworben wird, dass 'die Sozialstruktur sehr homogen' ist und nur 'wenige Kinder einen ausländischen Pass' haben, kommt man dem Problem näher."

Weiteres: Ulrich Gutmair weist darauf hin, dass heute Roland Steiners Film über Neonazis in der DDR "Unsere Kinder" zu sehen ist. Besprochen wird Stephan Kimmigs Inszenierung von "Atropa. Die Rache des Friedens. Der Fall Trojas" an den Münchner Kammerspielen.

Und Tom.

Welt, 21.12.2011

Irshad Manji, kanadische Muslimin, "jung, liberal, weiblich, lesbisch", erklärt im Interview, dass der Islam sehr wohl reformierbar ist und auch in Europa an dieser Reform gearbeitet wird: "Seit Jahren arbeite ich mit der European Foundation for Democracy zusammen. Sie hat in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Netzwerk von liberalen jungen Muslimen aufgebaut, die nach Demokratie hungern und sich als Europäer definieren wollen. Als sie sich im Juli trafen, standen sie vor der Frage, welchen Namen sie ihrem Netzwerk geben wollen. Und sie nannten es: Netzwerk für eine neue europäische Generation. Sie wollten ausdrücklich das Wort Muslime nicht verwenden, weil sie es satthaben, sich immer nur als Muslime zu definieren".

Im Feuilleton macht Wolf Lepenies einen Vorschlag zur Nutzung des Humboldt-Forums: Es soll zu einem "Observatorium nicht westlicher Kulturkontakte werden". Abgedruckt ist ein Auszug aus Manfred Bissingers Vorwort zum Christian-Wulff-Buch "Besser die Wahrheit": Danach gehört Wulff zu einer neuen Generation von Politikern, die sich "im Zweifel selbst korrigieren" (im Forum gibt's ein pro und contra zur Frage, ob Wulff zurücktreten sollte. Henryk M. Broder ist dafür, Hajo Schumacher dagegen). "Blendr floppt, aber Grindr macht auch nicht glücklich", behauptet Marko Martin in der Leitglosse. Eckhard Fuhr schreibt zum Tod des Psychoanalytikers Horst-Eberhard Richter.

Besprochen werden Guy Ritchies Sherlock-Holmes-Film "Spiel im Schatten" und Nora Schlockers Inszenierung "Gyges und sein Ring" in München.

Weitere Medien, 21.12.2011

(Via Gizmodo) Charles und Ray Eames, Erfinder des berühmten Sessels, erklären im Jahr 1950 den Computer.

Stichwörter: Eames, Ray

FAZ, 21.12.2011

Götz Aly antwortet auf die harsche Polemik des bekannten Historikers Hans-Ulrich Wehler gegen sein Buch "Warum die Deutschen? Warum die Juden?". Aly habe den "ausschlaggebenden Einfluss" Hitlers unterschlagen, war Wehlers Vorwurf. Aly antwortet mit dem Vorwurf, dass Wehler die Quelle des Bösen externalisieren wolle - und bleibt dabei: "Doch, der lange Weg zum Judenmord verlief zu keinem Zeitpunkt zwingend, aber er ist integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaftsgeschichte. Wehler ist an der historiografischen Herausforderung Nationalsozialismus gescheitert und deshalb auf die Führerbeschwörung ausgewichen."

Weitere Artikel: Mehrere FAZ-Redakteure haben nachrecherchiert und herausgefunden, dass es bei Verlagen keineswegs üblich ist, sich Anzeigen für Politikerbücher von Unternehmern finanzieren zu lassen, zumal wenn die Rechnung dann noch auf Beratungsleistungen lautet und das Buch, wie im Fall Wulff "Besser die Wahrheit" heißt. Gerhard Stadelmaier mokiert sich nach Kräften über das Hamburger Thalia Theater, das über Facebook über sein Programm hat abstimmen lassen und nun biederste Zuschauerwünsche erfüllen muss. Der Oldenburger Museumsdirekter Rainer Stamm protestiert gegen angebliche Pläne von Museen, Kunstwerke zu verkaufen um sich zu sanieren. Rose-Maria Gropp schreibt zum Tod von Horst-Eberhard Richter. Auf der Medienseite hat Michael Hanfeld Schwierigkeiten die jüngsten Äußerungen des Rundfunkaufsehers Kurt Beck ernstzunehmen - Beck hat von den Sendern gefordert, ihre Digitalkanäle zu reduzieren und hatte sie doch selbst vor drei Jahren genehmigt. Und Paul Ingendaay vermisst eine ernsthafte Debattenkultur in spanischen Medien.

Besprochen werden George Clooneys Film "Die Iden des März", eine Ausstellung mit politischer Kunst aus der Perestroika-Zeit in Paris, Jan Neumanns Stück "Frey!" in Stuttgart und Bücher (mehr in unser Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 21.12.2011

Die Spielplanwahl im Hamburger Thalia-Theater lässt Till Briegleb keine Ruhe (siehe seine Suada vom 19.12.): Heute deutet er das "komplett sinnlose Ergebnis" als Symptom grassierender "Demokratie-Illusionen", das zeige "wie selbstverständlich hohl die Begriffe 'Demokratie' und 'Partizipation' mittlerweile sind".

Weiteres: Cannes ist eh "längst uneinholbar vorbeigezogen", seufzt Tobias Kniebe resignierend über der Nachricht, dass Dieter Kosslick noch bis 2016 Berlinale-Chef bleiben wird. Michael Stallknecht berichtet von einer Hildesheimer Tagung darüber, ob die Kreuzzüge ein Phänomen allein des Mittelalters waren. Eine Doppelseite präsentiert Notizen von 52 Kulturschaffenden zu ihrem jeweiligen Buch des Jahres. Thomas Steinfeld schreibt den Nachruf auf den Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter.

Besprochen werden die Ausstellung "Feiern im Goldenen Zeitalter" im Frans Hals-Museum im niederländischen Haarlem und George Clooneys neuer Hinterzimmer-Thriller "The Ides of March".