Heute in den Feuilletons

Vermeintliche Entzauberung der Kunst

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.01.2012. Der Perlentaucher hatte beim Sprung durch die Schatten der Nacht über die Zeit (wie man in Samoa sagt) einige Abenteuer zu bestehen. Pardon für die Verspätung! In der Welt warnt Bernard-Henri Levy mit Blick auf die arabischen Revolutionen vor zwei verschwisterten Illusionen: der kulturalisitischen und der universalen. Der Tagesspiegel erinnert an das PR-Genie Friedrich II. Für die SZ sind Designfragen Daseinsfragen.

Welt, 02.01.2012

Fohes neues Jahr allen Lesern des Perlentauchers!

Sascha Lehnartz spricht mit Bernard-Henri Levy über sein Engagement in Libyen. Er warnt vor "zwei verschwisterten Illusionen": "Die eine Illusion besteht darin, von unumstößlichen kulturellen Unterschieden auszugehen. Sie basiert auf der irrigen Annahme, dass die arabischen Staaten gleichsam aufgrund ihrer kulturellen Eigenart zu Unterwerfung, Gewalt und Unterdrückung der Frauen verdammt sind. Und dann gibt es die Illusion der leichten Universalität. Diese besteht darin anzunehmen, dass Demokratie sich überall auf der Welt in denselben Worten ausdrückt und dem exakt gleichen zeitlichen Ablauf folgt."

Im Feuilleton unterhält sich Berthold Seewald über den römischen Kaiser Konstantin, der vor genau 1700 Jahren zum Christentum übertrat. Hanns-Georg Rodek schimpft auf den WDR, der die letzte Radiosendung abschafft, in der es um Schallplatten aus der Schellack-Ära geht.

Besprochen werden zwei Kandinsky-Ausstellungen in New York und ein Konzert der wiedervereinigten NDW-Band Palais Schaumburg in Berlin.

Tagesspiegel, 02.01.2012

Vor 300 Jahren, am 24. Januar, wurde Friedrich II. geboren. Also haben wir Friedrich-Jahr. Der Historiker Jürgen Luh, der im Herbst eine Friedrich-Biografie veröffentlicht hat, erklärt im Interview, worin Friedrich besonders groß war: Public Relations. Das zeigte sich zum Beispiel an der Geschicklichkeit, mit der er seinem Bruder August Wilhelm die Schuld an der verlorenen Schlacht bei Kolin 1757 zuschob, so Luh: "Damit hat er ganz bewusst den Ruf von August Wilhelm ruiniert, der als Thronfolger vorgesehen war. Aus Friedrichs Sicht war diese Infamie nicht unklug, sie hielt seinen Namen in der Öffentlichkeit auf Abstand von der Niederlage. Aber in der Armee wusste jeder, wer sie zu verantworten hatte: Friedrich selber. Weil er seinem Bruder etwas genommen hat, was für das 18. Jahrhundert essenziell war, Ehre, hat er ihn als künftigen König demontiert."

In der Diskussion um den Bundespräsidenten erinnert Robert Leicht auf der Meinungsseite Sigmar Gabriel, Angela Merkel und Jürgen Trittin daran, wie sie das Amt des Bundespräsidenten bereits mit ihrer miesen Behandlung Horst Köhlers beschädigt haben.

TAZ, 02.01.2012

Jörg Sundermeyer erkennt beim Blick auf die Karrieren von Karl Theodor zu Guttenburg und Christian Wulff, dass beide keinerlei Interessen an Politik haben und deshalb auf die Moral setzen: "Bemerkenswert ist, dass Guttenberg und Wulff tatsächlich 'kein Thema' haben, nicht einmal eines vortäuschen. Eine politische Idee oder gar eine Haltung ist bei ihnen nicht zu erkennen."

Außerdem: Ingo Arend meldet Samoas erfolreichen Wechsel der Zeitzonen, dort als "Sprung durch die schwindenden Schatten der Nacht über die Zeit" gefeiert. Besprochen werden die Ausstellung "Kibbuz und Bauhaus" in Dessau, das Album "Barfly" der Urpunkband Rocket From The Tombs und Uwe Nettelbecks frühe Filmkritiken "Keine Ahnung von Kunst und wenig vom Geschäft" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Und Tom.
Stichwörter: Bauhaus, Wulff, Christian

FR/Berliner, 02.01.2012

Vorbei die Zeiten, als man in Comicläden Glück hatte, wenn man nur ignoriert und nicht gleich angeraunzt wurde, erklärt Brigitte Helbling. "Der neue Laden von Grober Unfug in Berlin-Mitte folgt einem Trend, den Laden-Neugründungen wie Strips & Stories in Hamburg oder Bilderbox Wien gesetzt haben. Hier muss sich der Kunde nicht mehr durch unübersichtliches Terrain kämpfen, er wird mit dem Ambiente einer gediegenen Bilderstube für Erwachsene umworben. Oder, wie Christoph Wienke sagt, als wir ihn nach Veränderungen im Kundenverkehr fragen: 'Die Nachbarn kommen jetzt auch rein.'"

Weiteres: Christian Thomas resümiert das von Johannes Fried und Olaf B. Rader herausgegebene Buch "Die Welt des Mittelalters". Besprochen werden die Ausstellung "Vor dem Gesetz" im Kölner Museum Ludwig und Bücher, darunter Edmund de Waals Roman "Der Hase mit den Bernsteinaugen" (Leseprobe).

NZZ, 02.01.2012

Keine NZZ heute. Die Alemannen feiern Berchtoldstag.

SZ, 02.01.2012

Großartig. Die SZ gründet ein Blog. Es soll um digitale Fragen gehen. In der Illustration zum Eröffnungsartikel ist das Wort "Blog" mit Schreibmaschine geschrieben. Unter der Überschrift "Warum bloggen?" fassen sich die beteiligten SZ-Redakteure ein Herz: "Es wäre ein Trugschluss zu glauben, sich den Folgen der Diffusion von Sphären und Techniken, den Diskursformen dieser neuen Öffentlichkeit verschließen zu können. Für die beteiligten Autoren ist das Digitalblog deshalb keine Publikationsgattung, sondern eine Chiffre für den Versuch, der vernetzten Struktur der digitalen Welt gerecht zu werden und den Dialog als Teil des Publizierens im Netz zu verstehen."

Laura Weissmüller gibt sich zum Startschuss von Helsinkis Jahr als "Welt-Designhauptstadt" gleich schwer beeindruckt: Nicht bloße Stilfragen würden in der finnischen Haupstadt gewälzt, vielmehr lehre diese "schlicht das Einmaleins des Designs im 21. Jahrhundert. ... Es geht vielmehr darum, eine Welt zu entwerfen, die gerade auseinanderzubrechen droht, in der ganze Länder pleitegehen können und andere sich bald ganz unterhalb des Meeresspiegels wiederfinden dürften. Es geht um alles, könnte man auch sagen."

Weitere Artikel: Franz Himpsl hat sich die Forschungen der jungen Disziplin der Neuroästhetik, die Kunstempfinden neurologisch analysieren will, angesehen und signalisiert Entwarnung: Die "Ängste vor einer vermeintlichen 'Entzauberung' der Kunst durch die Neurowissenschaften [sind] unbegründet". Wolfgang Schreiber bedauert Peter Konwitschnys verfrühten Weggang von der Leipziger Oper (hier mehr Hintergründe dazu). In den "Nachrichten aus dem Netz" berichtet Niklas Hofmann von Sorgen der Occupy-Bewegung, ob soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook im Ernstfall wirklich die Identitäten der Aktivisten vor staatlichen Interessen schützen. Jonathan Fischer trifft sich mit dem kongolesisch-belgischen Rapper Baloji in München auf einen Kaffee. Hier ein Video:



Besprochen werden die Ausstellung "Die Geheimnisse des Charles Dickens" im Zürcher Museum Strauhof, eine von Jean-Christophe Maillot choreografierte Schwanensee-Aufführung in Monte Carlo, die Ausstellung "Am Set" im Museum für Film und Fernsehen in Berlin und Bücher, darunter eine Essaysammlung von Gary Snyder (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 02.01.2012

Nils Minkmar, frisch gebackener Chef des FAZ-Feuilletons, gibt in der Leitglosse Entwarnung: "Heute hat jeder Chef wieder einen Chef, so bleibt alles im Rahmen." Tony Corn, ein ehemaliger Berater des amerikanischen Außenministeriums, vergleicht Angela Merkel in einem geopolitischen Rundumschlag mit Bethmann-Hollweg und Wolfgang Schäuble mit Ludendorff. Timo John berichtet, dass in der badischen Stadt Messkirch ein aus dem 9. Jahrhundert stammender Architekturplan für ein ideales Kloster realisiert werden soll. Joseph Croitoru liest angebliche oder tatsächliche Facebook-Seiten der ägyptischen Salafisten, die für das Land nichts Gutes verheißen. Jordan Mejias blickt in amerikanische Zeitschriften.

Besprochen wird Marjane Satrapis neuer Film "Huhn mit Pflaume".