Heute in den Feuilletons

Was für ein dramatisch schöner Jüngling Sie waren

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.02.2012. In der NZZ erklärt der nigerianische Dichter Obi Nwakanma die Strategie der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram. In der Welt mahnt Wolf Lepenies: Die EU sollte nicht nur den Euro in Griechenland, sondern auch die Demokratie in Ungarn retten. Die taz erklärt, warum Peter Eisenmans "Ciudad de la Cultura" in Santiago de Compostela nicht gebaut wird. Die SZ ist froh, dass sich die chinesische Sprache so schlecht für Zensur eignet.

NZZ, 08.02.2012

Solche Artikel gibt es nur noch in der NZZ! Der nigerianische Dichter Obi Nwakanma liefert die Hintergründe zur islamistischen Terrorgruppe Boko Haram, die auf die soziale Not rekurriert, um ihre politische Macht durchzusetzen: "Die Wurzeln der Bewegung sind also in der komplexen internen Machtpolitik Nigerias zu suchen, in der jeder politische Block seine Interessen notfalls auch mit Gewalt verfolgt. Boko Haram maskiert seine Mission als 'Jihad', als religiös motivierten Feldzug gegen die Bundesregierung; faktisch aber ringt die Gruppierung vorab um die Rückkehr der politischen Macht in den Norden."

Weiteres: Susanne Ostwald feiert Martin Scorseses Hommage an den französischen Filmpionier Georges Melies "Hugo Cabret" (die prompt nach "The Artist", einer der französischen Hommage an den amerikanischen Stummfilm, in die Kinos kommt). Samuel Herzog trauert um den katalanischen Maler Antoni Tapies, dessen Gemälde immer auch Skulpturen waren: "Man möchte mit den Fingern über seine Bilder fahren, um sie mehr oder anders zu verstehen." Besprochen werden Geza Alföldys Römische Sozialgeschichte und Hayashi Kyokos Erzählungen "Verstrahltes Leben" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 08.02.2012

Die EU ist damit beschäftigt, Griechenland vor der Pleite zu retten, und merkt nicht, dass in Ungarn die Demokratie untergeht, schreibt Wolf Lepenies in einem Leitartikel: "Die EU regiert gegenüber Ungarn zu verhalten. Sie unterschätzt die Ansteckungsgefahr, die von einer Erosion der Demokratie in einem Mitgliedsstaat der EU droht. Dieser Gefahr entgegenzutreten stünde zwei Personen gut an. Angela Merkel hat in einem autokratischen Regime gelebt, Nicolas Sarkozys Vater stammt aus Ungarn. "

Im Feuilleton erzählt Eckhard Fuhr, wie George Stubbs, dem in München eine Ausstellung gewidmet ist, dazu kam, so hübsche Pferde zu malen: "1724 in Liverpool als Sohn eines Lederhandwerkers geboren, sollte er eigentlich den elterlichen Betrieb übernehmen. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen verlegte er sich einerseits auf die Porträtmalerei, ohne je eine regelrechte künstlerische Ausbildung genossen zu haben, und andererseits auf das Sezieren und Zeichnen. So illustrierte er ein Lehrbuch zur Geburtshilfe und lehrte mit kaum 20 Jahren Anatomie in einem Hospital."

Weitere Artikel: Andrea Backhaus denkt angesichts der Ohnmacht vor der Gewalt in Syrien über die Rolle der Medien und des Internets nach. Sarah Elsing schreibt zum Tod des spanischen Malers Antoni Tapies.

Besprochen werden eine 3-D-Version der "Star Wars" (laut Elmar Krekeler der "überflüssigste Film des Jahres"), eine CD des einstigen Supermodels Twiggy und der Film "Der Junge mit dem Fahrrad" (mehr hier).

FR/Berliner, 08.02.2012

Birgit Walter gratuliert dem Schauspieler Manfred Krug zum 75sten. Ihr Interview mit Krug beginnt sie mit dieser Frage: "Herr Krug, ich habe Sie erst in den Siebzigerjahren wahrgenommen, nicht mehr ganz dünn, nicht mehr ganz vollhaarig. Was für ein dramatisch schöner Jüngling Sie waren sinnlich und sexy, zeigen plötzlich frühe Fotos dieses Buches. War das auch Ihre Selbstwahrnehmung?"

Weitere Artikel: Jagoda Marinic berichtet von einem Auftritt der chilenischen Kommunistin Camila Vallejo, die mit Kollegen gerade auf Europareise ist, in Würzburg. Nikolaus Bernau hörte unzufrieden zu, als die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin die dreijährige Schließung des Pergamonmuseums verkündete. Frank Nordhaus berichtet von einem Streit zwischen Paul Auster und dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan über die fehlende Pressefreiheit in der Türkei (mehr dazu in der Welt und in der Financial Times). Die Nasa ist nervös, weil in der Bochumer Sternwarte die Parabolantenne festgefroren ist und jetzt Astronomen auf der ganzen Welt acht Stunden am Tage ohne Informationen über die Sonne sind, meldet Karl Grobe

Besprochen werden Martin Scorseses Film "Hugo Cabret" und drei Operninszenierungen des St. Petersburger Mariinsky-Theaters in Frankfurt.

Aus den Blogs, 08.02.2012

Peter Cashmore erklärt auf CNN den Erfolg des ganz neuen ganz großen Dings im sozialen Netz, Pinterest: "'people-centric' recommendations are being augmented by 'topic-centric' networks - which is to say that while Facebook lets you explore the Web through information shared by friends, newer social networks organize content by topics of interest. Some in the technology industry call this the 'interest graph.'"

(via Jezebel) Bei Etsy bietet Sara selbstgestrickte Boobie-Beanies an. Die setzt man seinem Kind auf den Kopf um alle zu beschwichtigen, die sich an stillenden Müttern stören. Gibt's in verschiedenen Hautfarben!

Und hier noch eine Nachricht aus der Welt der Wissenschaft, überbracht von Gizmodo: "This Tiny Primate Uses Bat-Like Ultrasonic Communication."

TAZ, 08.02.2012

Klaus Englert erklärt, warum Peter Eisenmans gigantische "Ciudad de la Cultura" nun doch nicht in der Pilgerstadt Santiago de Compostela gebaut wird. Das monumentale Projekt war vor allem vom einstigen Franco-Minister und damaligen Präsidenten der galicischen Regierung Manuel Fraga Iribarne betrieben worden. "Die 'Ciudad de la Galicia', die eine Baufläche von 15 Hektar für gerade einmal 95.000 Einwohnern umfasst, macht die Verschwendungs- und Prunksucht der einstigen konservativen Regierung Galiciens und des kürzlich gestorbenen Fraga Iribarne greifbar. Es ist das Schicksal dieses Megaprojekts, dass es einst mit viel Vorschusslorbeeren startete und heute nur noch durch die Brille der Finanzkontrolleure beurteilt wird. Die Euphorie ist verflogen, die drakonischen Gesetze des Sparzwangs, wie allerorten in Spanien, haben Einzug gehalten."

Durchaus ehrenwert findet Sven von Rede Martin Scorseses Hommage an die Anfänge des Kino "Hugo Cabret": "Worum es ihm eigentlich geht, ist eine Auseinandersetzung mit einem Thema, das ihm wie kein anderes am Herzen liegt: Filmgeschichte und deren Bewahrung. Hier steckt Scorsese mehr Leidenschaft hinein als in die schematisch bleibende Kindergeschichte, die ein wenig wirkt, als habe Steven Spielberg Charles Dickens verfilmt."

Weiteres: Isabel Metztger besucht die Ausstellung "How to Love" im Basler Cartoon-Museum. Reiner Wandler schreibt zum Tod des spansichen Malers Antoni Tapies.

Und Tom.

FAZ, 08.02.2012

Sarkozy hat - als Politiker - einfach kein Händchen für Frauen, findet Nils Minkmar nach dem Fernsehinterview Sarkozy/Merkel: "Merkel hat für Sarkozy denselben fatalen Effekt wie seine mondäne Ehefrau Carla Bruni: Beide schneiden ihn von seinem Wählerstamm ab."

Dem "Frauen Media Turm" von Alice Schwarzer wurden von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und "Emanzipationsministerin" Barbara Steffens (Grüne) rückwirkend die Mittel entzogen, wie man vor einer Woche bei FAZ und bei Spiegel Online erfuhr. Andreas Rossmann findet das heute ziemlich schäbig: "Bei Männern würde man das, was da abläuft, Vatermord nennen."

Weitere Artikel: In der Leitglosse amüsiert sich Edo Reents über den Vorschlag, den Griechen ein Sparbuch zu empfehlen. Joseph Croitoru geißelt die Heuchelei, mit der der ägyptische Militärrat westliche NGOs verfolgt. Barbara Catoir schreibt den Nachruf auf den spanischen Künstler Antoni Tabies.

Besprochen werden Martin Scorseses Film "Hugo", der Verena Lueken glücklich gemacht hat, drei konzertante Aufführungen des Petersburger Mariinsky-Theaters in Frankfurt, eine Ausstellung früher Werke von Cindy Sherman in der "Vertikalen Galerie" der Verbund-Zentrale in Wien und Adrian Nobles Bühnenfassung von "The King's Speech" in Guildford bei London.

SZ, 08.02.2012

Der Obrigkeit Chinas entgleitet spürbar der Zugriff auf die Öffentlichkeit ihres Landes, freut sich Christoph Giesen. Vor allem das Geschehen auf dem Twitter-Klon Weibo sei mit den üblichen Behördenmittel, das Netz anhand indizierter Begriffe zu zensieren, kaum mehr in den Griff zu kriegen: "Wenige Minuten nachdem ein Wort oder ein Ort auf dem Index gelandet ist, gibt es eine neue Umschreibung, häufig ein Homonym. Die chinesische Sprache ist ideal dafür. Mit bloß ein paar hundert Silben, die in unterschiedlicher Abfolge und Tonhöhe verwendet werden, gibt es unzählige Worte, die unterschiedlich geschrieben werden, aber ähnlich klingen."

Ansonsten: In seinem Beitrag zur Artikelreihe über Jazz in Deutschland plädiert Reiner Michale, künstlerischer Leiter des Moers-Festivals, für eine Jazz-Förderung aus öffentlichen Mitteln. Javier Caceres und Gottfried Knapp schreiben den Nachruf auf den spanischen Künstler Antoni Tapies. Helmut Mauro gratuliert dem Filmmusikkomponisten John Williams zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden neue Pop-CDs, Martin Scorseses 3D-Kinderfilm "Hugo", eine Ausstellung mit Manuskripten und Erstausgaben der Werke Friedrichs des Großen in der Berliner Staatsbibliothek, eine Ausstellung mit Arbeiten des "wunderbaren Malers" Claude Lorrain im Frankfurter Städel Museum, Lars-Ole Walburgs "in den Sand gesetzte" Inszenierung von Lukas Bärfuss' "Zwanzigtausend Seiten" am Züricher Schauspiel, Roland Schimmelpfennigs "Das fliegende Kind" am Wiener Burgtheater und Bücher, darunter ein Harald Eggebrecht zufolge vergnüglicher Bildband über Manfred Krug (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).