Heute in den Feuilletons

Wir waren bei 30 Sendern

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.04.2012. Der Tagesspiegel stellt drei Regisseuren eine heikle Frage: Wie lebt man eigentlich vom Filmemachen? Rue89 trifft den syrischen Karikaturisten Ali Ferzat, der weiter zeichnet, auch nachdem ihm  Schergen Assads die Hände gebrochen haben. Sascha Lobo kritisiert auf spiegel.de die Kritiker der Seltsternannten. In der Welt fragt sich BHL, wir Frankreich auf den Erfolg von Marine Le Pen reagieren soll. Und: wie sich der Vatikan, israelische Ultraorthodoxe und iranische Geistliche um die Tugend der Frauen sorgen.

Tagesspiegel, 25.04.2012

Vor der Verleihung des Filmpreises unterhält sich Christiane Peitz mit den Regisseuren Christian Petzold, Hans Weingartner und David Wnendt unter anderem über die heikle Frage, ob man vom Filmemachen leben kann. Weingartner erklärt, wie das läuft: "Arthouse hängt in den Seilen. Man findet kaum noch einen Verleiher, ohne den man aber keine Fördergelder bekommt. 2009 hab ich ein halbes Jahr an einem Film gearbeitet, niemand wollte ihn finanzieren. Wir waren bei 30 Sendern. Das ist hart: ein halbes Jahr deines Lebens in die Tonne zu treten."

Aus den Blogs, 25.04.2012

Marie Kostrz trifft für rue89 den syrischen Karikaturisten Ali Ferzat, dem Schergen des Regimes die Hände gebrochen haben und der jetzt in Kuweit lebt - und wieder zeichnet: "Mit entschlossenem Blick erklärt er, dass ein Künstler keine Angst haben darf. 'Er muss zeichnen, sich trauen, die Freiheit verteidigen.' Aber dieses Credo, so bedauert er, wird von vielen seiner Kollegen in Syrien nicht geteilt. Auch wenn sich seit Beginn der Unruhen einige Intellektuelle auf die Seite der Aufständischen geschlagen haben, bewahren sehr viele doch das Schweigen. 'Das Regime hat sich seine eigenen Küsntler geschaffen, die es protegiert und bevorzugt. Sie haben es nie kritisiert. Für sie ist es zu spät. Wenn sie sich jetzt noch nicht der Opposition angschlossen haben, werden sie es nicht mehr tun.'"

Apple meldet mal wieder obszöne Gewinne: 11 Milliarden Dollar Gewinn (genau: 11 Milliarden, und zwar Gewinn, nicht Umsatz) im ersten Quartal. Dan Lyons spricht es auf The Daily Beast aus: "Apple has become the most dominant tech company of all time, stronger than IBM and Microsoft were in their heyday."

NZZ, 25.04.2012

In israelischen Städten breiten sich die fanatischen Keuschheitsphantasien der Ultraorthodoxen in einem Maße aus, dass nicht nur säkularen Israelis mulmig wird, berichtet Joseph Croitoru. So herrscht in vielen Schulen bereits Geschlechtertrennung und jetzt sollen Väter auch nicht mehr an der Bat-Mizwa-Feier ihrer Töchter teilnehmen dürfen. Dagegen erhebt sich inzwischen Protest: Die Jerusalemer Psychologin Ayelet Wieder Cohen "konstatierte, dass in der Schule, die sie als Kind besucht habe, eine Geschlechtertrennung undenkbar gewesen wäre, obwohl die Institution sich politisch radikalisierenden nationalreligiösen Kreisen nahegestanden habe. Am deutlichsten habe sich seither die ideologische Verhärtung in einer übertriebenen Sexualisierung der Frau bemerkbar gemacht, die bereits im Schulalter beginne und so auch schon Mädchen zu potenziellen Verführerinnen degradiere."

Weitere Artikel: Herfried Münkler betrachtet besorgt unsere kränkelnde Demokratie und warnt vor "Erwartungsüberfrachtung". Leopold Federmair stellt den japanischen Autor Ogai Mori und dessen 1912 erstmals veröffentlichten Roman "Die Wildgans" vor.

Besprochen werden eine Ausstellung des Werks der amerikanischen Malerin Georgia O'Keeffe in der Hypo-Kunsthalle München und Bücher, darunter Werner Fulds Universalgeschichte der verbotenen Bücher (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Weitere Medien, 25.04.2012

Die Besessenheit für Tugend und Moral führt im Iran zu einer Besessenheit von Sex, schreibt Karim Sadjadpour in Foreign Policy. "Unsurprisingly, the outwardly chaste nature of Khomeinist political culture has perverted normal sexual behavior, creating peculiar curiosities -- and proclivities -- among Iranian officialdom. Omid Memarian, a journalist who spent several months in the notorious Evin prison for his articles critical of the government, told me that his interrogators seemed far more interested in his sex life than his political peccadilloes. 'I tried to answer their questions in very general terms, but they'd interrupt me,' he recalled. 'They wanted to know details: Start from when you were unbuttoning her blouse....' In one instance, he told me, he was horrified when an interrogator appeared to be rubbing himself while listening."

Und auch der Vatikan ist höchst besorgt über die Tugend seiner Mitglieder. Zu Recht, denkt man an die pädophilen Priester. Aber nein, Papst Benedikt XVI. sorgt sich um die Tugend seiner Nonnen, berichtet Gary Wills in der NYRB. Besonders in Amerika zeigen sie radikale feministische Tendenzen! "Last week, following an assessment by the Congregation for the Doctrine of the Faith, the Vatican stripped the Leadership Conference of Women Religious, representing most American nuns, of its powers of self-government, maintaining that its members have made statements that 'disagree with or challenge the bishops, who are the church's authentic teachers of faith and morals.'"

Spiegel Online, 25.04.2012

Sascha Lobo knöpft sich in seiner Spon-Kolumne noch einman den Brief der 51 um ihr geistiges Eigentum besorgten Tatort-Autoren vor und findet ein entlarvendes Wörtchen "in dem Satz: 'Die vermutlich gravierendste Lebenslüge der selbsternannten Problemlöser...' Gibt es überhaupt ein Wort, das mehr Obrigkeitshörigkeit und Hierarchieunterwerfung ausdrückt als 'selbsternannt', wenn man es abfällig verwendet? Wenn man die Selbsternennung als etwas Schlechtes ansieht - ist man dann nicht dazu verdammt, auf die Ernennung durch den Vorgesetzten, hierarchisch Berechtigten zu warten oder auch gleich auf Godot?"

Welt, 25.04.2012

Angesichts des Wahlerfolgs des Front National warnt Bernard-Henri Lévy in seiner Kolumne davor, dass die hasserfüllte Rhetorik der Partei "nach und nach die Gesamtheit des öffentlichen Raumes zerstören" werde und ist bestürzt, dass die traditionellen Parteien "meilenweit davon entfernt" seien, diese "für sie und für uns tödliche Gefahr zu erkennen". Einzig François Bayrou habe sich klar geäußert, was den Autor von einer Stichwahl ohne Anbiederung an die 18 Prozent Le Pen-Wähler träumen lässt.

Monica Bonvicini hat für die Olympischen Spiele in London eine monumentale Skulptur entworfen. Oliver Koerner v. Gustorf zeichnet ihren Weg nach und verweist auf ihre Ausstellung DESIRE DESIESE DEVISE in Mönchengladbach.

Hanns-Georg Rodek fasst die Kritik am Wild-Card-System des Deutschen Filmpreises zusammen. Das New Yorker Stadtarchiv stellt seine 870 000 Bilder umfassende Fotosammlung online und verdeutlicht einmal mehr die Einzigartigkeit dieser Stadt. Außerdem besprochen werden das Stückedoppel von Jerome Robbins' "The Goldberg Variations" und Jirí Kyliáns "Gods and Dogs" bei der Festwoche des Bayerischen Staatsballetts sowie Roman Ondáks Ausstellung im K21 Düsseldorf.

FR/Berliner, 25.04.2012

Der aus Damaskus stammende, in Bonn lehrende Philosoph Sadik al-Azm spricht über die Lage in Syrien und sieht den Kalten Krieg zwischen Saudi-Arabien und Iran in einen Heißen Krieg zwischen Sunniten und Alawiten umgewandelt: "Die Teilung zwischen Sunniten und Schiiten ist geografisch in Syrien an sich sehr eindeutig. Der Graben verläuft eher zwischen Sunniten und Alawiten - er wird tiefer und tiefer. Es gibt daher viele sunnitische Überläufer aus der syrischen Armee, die nun die Protestbewegung unterstützen. Diese Sunniten bilden eigene bewaffnete Gruppen und erwarten und erhalten auch Unterstützung von Saudi-Arabien und Katar in Form von Geld und Material. Die Städte und Dörfer, die von Assads Truppen beschädigt und beschossen wurden, sind allesamt sunnitisch."

Weiteres: Doris Meyerhenrich unterhält sich mit der Dramatikerin Marianna Salzmann über ihr Theater, in dem vor allem um Selbst- und Fremdbestimmung geht. Besprochen werden unter anderem Ambroise Thomas' "Hamlet"-Oper im Theater an der Wien und die Marvel-Comic-Verfilmung "The Avengers".

TAZ, 25.04.2012

Detlef Diederichsen widmet sich eingehend dem Dauerclinch in der Musikerfamilie Wainwright und fragt sich, was es für Rufus Wainwrights Tochter bedeutet, dass der einzig gute Titel seines neuen Albums Out Of The Game ihr gewidmet ist: "Bedenkt man, wie viel Kraft und Aufwand die Wainwrights gemeinhin für die Auseinandersetzung mit nur einem Vater brauchen, mag man sich kaum vorstellen, was der kleinen Viva Katherine nun womöglich mit zwei Vätern blüht."

Weiteres: Claudia Lenssen berichtet vom Frauenfilmfestival in Köln. Besprochen werden Jette Steckels Inszenierung von "Dantons Tod" im Hamburger Thalia Theater und die Marvel-Comicverfilmung "The Avengers".

Und Tom.

SZ, 25.04.2012

Elisabeth Kiderlen stellt eine überraschende Symmetrie zwischen Israel und Iran fest. Beide hätten traumatisierende Erfahrungen gemacht, die einen mit dem Holocaust, die anderen mit dem Ölpreis. "Auf der einen Seite die Erfahrung des mörderischen Antisemitismus innerhalb der westlichen Gesellschaften, insbesondere der deutschen, die letztlich zur Gründung Israels führte. Auf der anderen Seite die Erfahrungen mit dem westlichen Imperialismus, der die Ölvorkommen Irans zu einem so grotesk niedrigen Gegenwert abrechnete, dass von Enteignung gesprochen werden kann, und der die Iraner durch die Engländer, Russen und Amerikaner auf ihrem eigenen Grund und Boden zu Menschen zweiter Klasse degradierte."

Weitere Artikel: Catrin Lorch schlendert im Palais de Tokyo in Paris durch die Ausstellungsräume der Triennale, die in diesem Jahr immer da stark ist, "wo sie auf zeitgenössischen Werten beharrt und monumental wird, ohne die differenzierenden Ansätze aufzugeben". Harald Eggebrecht wirft einen Blick auf die Festlichkeiten in St. Gallen zu Ehren ihres Namensgebers, der dort vor 1400 Jahren seine Mönchsklause eröffnet hat. Till Briegleb schaut sich ein Jahr vor der Internationalen Bauaustellung und der Internationalen Gartenschau in Hamburg an deren Schauplatz, dem wenig attraktiv südlich der Elbe gelegenen Viertel Wilhelmsburg, um. Thomas Steinfeld befasst sich eingehend mit kulturwissenschaftlichen und ADAC-Forschungen zum Thema "Tourismus".

Besprochen werden neue Jazz-Veröffentlichungen, Olivier Pys Inszenierung von Ambroise Thomas' Oper "Hamlet" am Theater an der Wien, eine Ausstellung über jüdische Migranten aus Osteuropa im Jüdischen Museum in Berlin, eine Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast über den Maler El Greco, über dessen Bild "Laokoon" Anette Schaffer in einem beigefügten Text schreibt, und Bücher, darunter Stephen Greenblatts historische Studie über den Beginn der Renaissance (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 25.04.2012

Die gerade bekanntgegebene Demografie-Strategie der Regierung hält den Realitäten nicht stand, meint Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung in einem ziemlich alarmierenden Artikel. Noch nicht einberechnet seien zum Beispiel 1,3 Billionen Euro an Rente, die für Beamte und Soldaten bis 2050 zu zahlen seien und die aus laufenden Haushalten finanziert werden müssen. Dabei könnte es sein, dass die heutige Wirtschaftsblüte episodisch bleibt: "Heute sorgen vor allem die starken und gut qualifizierten Kohorten der Babyboomer für Wohlstand und einen Exportüberschuss ohnegleichen... Die dünnbesetzten Jahrgänge, die den Babyboomern folgen, werden nicht plötzlich das Ruder herumreißen und wieder für mehr Wachstum sorgen können. Zumal sie neben der Versorgung ihrer Vorgänger auch noch für die über die Jahre aufgetürmten Schuldenlasten aufkommen sollen."

Weitere Artikel: Niklas Maak schlendert über die Kunsttriennale im Pariser Palais de Tokyo. Ingolf Kern verfolgte eine Diskussion mit Thilo Sarrazin über das Wirken der Treuhandanstalt.

Besprochen werden unter anderem Dostojewski-Dramatisierungen in Köln, ein Konzert der Popsängerin Julia Stone in Berlin und Bücher, darunter eine Wiederentdeckung: Gunnar Gunnarsons Roman "Vikivaki" aus dem Jahr 1932 (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).