Heute in den Feuilletons

Unentgeltlich, versteht sich

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.11.2012. Der Freitag bringt ein Loblied auf die musikalische Internationale der Roma und Sinti. Kann man als Independent-Musiker noch von seiner Musik leben?, fragt Atlantic und gibt angesichts der Pleite von Cat Power eine klare Antwort: nein. In der NZZ wehrt sich Pieke Biermann gegen Kritik an einer ihrer Übersetzungen und Kritik an Übersetzungen überhaupt. Und paidcontent hat einen Rat für Zeitungen, die eine Paywall einrichten möchten: am besten betteln. Das Merkur-Blog sinniert mit Améry über Proust.

NZZ, 01.11.2012

Pieke Biermann wehrt sich gegen Bernard Imhaslys Kritik an ihrer Übersetzung von Katherine Boos Mumbai-Reportage "Annawadi". Biermann beklagt die ungerechte Behandlung von Übersetzungen in den Feuilletons, wo sie meist ignoriert oder anhand von willkürlich ausgewählten Beispielen bemängelt würden. Letzteres könne gravierende Folgen haben, "zumal, wenn es in einem der wenigen seriösen Leitmedien passiert und 'übersetzerische Fehlgriffe' zum fetten Zwischentitel werden. Das zieht Kreise, das prägt die Meinung von anderen Rezensenten, Verlagen, Veranstaltern - und kann schnell materiellen Schaden anrichten, denn Übersetzer leben von ihrem guten Ruf."

Besprochen werden eine Ausstellung zum Thema Bronze in der Londoner Royal Academy of Arts, François Ozons neuer Film "Dans la maison", eine DVD-Box mit allen James-Bond-Filmen (bei deren Betrachtung sich Susanne Ostwald über die "erstaunliche Anzahl an Ohrfeigen, die Bond früher seinen Girls verabreicht hat", wundert) und Bücher, darunter Britta Schröders Roman (Leseprobe bei Vorgeblättert) "Zwölfender" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Freitag, 01.11.2012

Marcel Malachowski singt ein Loblied auf die musikalische Internationale der Roma und Sinti - während Europa an ihnen seine Werte verrät: "Ikea in England lässt die Polizei gegen Roma auf dem Firmen-Gelände vorgehen, die tolerante norwegische Regierung erlässt ein 'Bettelverbot', das sich gegen Roma richtet, faschistische Massen Aufmärsche in Ungarn, Italien will alle Roma erkennungsdienstlich behandeln. Anders dagegen ausgerechnet in Buschkowskys Neukölln: Eine katholische Wohnungsgesellschaft sanierte für Roma-Flüchtlinge Dutzende Wohnungen."

Außerdem bespricht Wolfgang Michal Jeff Jarvis' neuestes Buch "Mehr Transparenz wagen".

TAZ, 01.11.2012

Andrea Roedig berichtet über den Vorstoß der US-Trendmarke Abercrombie & Fitch, die mit schwuler Ästhetik Geld verdient und derzeit Flagship-Stores in Europa und Asien eröffnet, letzte Woche in München. "Die A&F-Filialen sind perfekt auf Imposanz gebürstet. Man wundert sich, dass die massive Inszenierung in ihrer fast beleidigend einfachen Gleichung - Shoppen ist Party - tatsächlich wirkt."

Weiteres: Thomas Klein unterhält sich mit Film-Produzentin Barbara Broccoli über den neuen Bond, für sie "eine klassische Figur, die in der Jetztzeit leben muss" und genau deshalb zu einer tragischen Figur wird. Ingo Arend informiert über einen Aufruf von Berlins Kulturstaatssekretär Andre Schmitz, der die Kunstszene zum großen Ratschlag aufgerufen hat, und meint dazu: "Schmitz [lässt] seine Hausaufgaben durch die freie Szene erledigen und [sammelt] deren Ideen ein - unentgeltlich, versteht sich".

Besprochen werden das Künstlerporträt "Heino Jaeger - look before you kuck" von Gerd Kroske über den Hamburger Maler, Kabarettisten und Bürgerschreck, das laut Rezensent auch eine "beiläufige medienarchäologische Erkundung" geworden ist, und der Film "Lore" der australischen Regisseurin Cate Shortland, der im Sommer nach Ende des 2. Weltkriegs in Deutschland spielt (ein "kaum erschlossenes Gebiet", meint Cristina Nord).

Und Tom.

Aus den Blogs, 01.11.2012

(Via Thomas Knüwer). Auch Deutschlands Zeitungen wollen ja eine Paywall à la New York Times einführen. Jim Romenesko zitiert in paidcontent.org eine Studie, die zeigt, dass Betteln bei der Einführung einer solchen Zahlschranke besser hilft als Erfolgsargumente: "When participants were provided with a compelling justification for the paywall - that the NYT was likely to go bankrupt without it - their support and willingness to pay increased. In contrast, when participants were provided with a justification that emphasized financial stability, their support and willingness to pay decreased."

Weitere Medien, 01.11.2012

Kann man als Independant-Musiker noch irgendwie Geld machen?, fragt David Wagner in Atlantic. Offenbar nein: "You know times are tough for indie musicians when even Chan Marshall - who released a Top 10 Billboard album and played sold-out concerts this year - is bankrupt. The singer known as Cat Power has announced a likely cancellation of her upcoming European tour because of financial and health problems."

(Via Matthias Rascher) "Rooftopping" ist die neueste Mode in Toronto. Dabei nimmt man dann solche Fotos auf wie Tom Ryaboi, die der britische Telegraph dokumentiert.


Das Blog Designboom staunt: So sieht Frank Gehrys erstes Gebäude in Lateinamerika aus, ein "Biomuseum" in Panama.

Aus den Blogs, 01.11.2012

Zum 100. Geburtstag von Jean Améry stellt Ekkehard Knörer in einem längeren Text die wichtigsten Essays vor, die Améry im Merkur veröffentlicht hat. Einen der Essays hat der Merkur frei ins Netz gestellt: zu Proust, "zu dem gerade seiner größeren Ambivalenz wegen Jean Amérys Verhältnis ein besonderes war. Er hat dessen Werk fast weniger für ein Gelingen geschätzt als dafür, dass Proust sein ästhetisches Programm in letzter Instanz nicht umsetzen konnte - und dadurch der Wirklichkeit treu blieb. Das große Unternehmen einer Wiedergewinnung der Zeit musste scheitern, worin für Améry aber ein letzter, wenn auch für den Autor selbst nicht einzugestehender Triumph der 'Erkenntnis der Unerkennbarkeit' lag. Proust, so Améry in für ihn ungewohnt paradoxer Formulierung, 'war zu tief vorgedrungen in die Wirklichkeit, als daß er Wirklichkeit noch hätte formen können.'"
Stichwörter: Amery, Jean

Welt, 01.11.2012

Hanns-Georg Rodek kommentiert die Übernahme von Lucasfilm mit den Rechten an allen "Star Wars"- und "Indiana Jones"-Episoden durch Disney: "Wieder einmal übernimmt ein Konzern eine Familienfirma, wieder geht es darum, aus etablierten Marken das Letzte herauszupressen, wieder siegt Marketing über Kreativität."

Weitere Artikel: Paul Badde feiert Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle, das in diesen Tagen 500 Jahre alt wird. Hannes Stein schreibt zum Tod der schwedisch-israelischen Publizistin Cordelia Edvardson. Eckhard Fuhr gratuliert Edgar Reitz zum Achtzigsten.

Besprochen werden neue Filme, darunter Jan Ole Gersters Debüt "Oh Boy".

FAZ, 01.11.2012

Im Dezember findet in Dubai die Konferenz der Internationalen Fermeldeunion der UN statt. Staaten wie Saudiarabien, China und Russland wollen dort versuchen, die Kontrolle über das Internet, das zur Zeit von der privaten, nichtkommerziellen Icann verwaltet wird, auf die Staatengemeinschaft zu übertragen. Im Interview erklärt der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Kleinwächter, warum das so gefährlich ist. "Dubai ist erst der Auftakt für eine Serie von Konferenzen in den kommenden Jahren, wo das Thema der staatlichen Kontrolle über das Internet immer wieder aufgeworfen werden wird. Der arabische Frühling hat zwar einige autokratische Systeme beseitigt, andererseits hat er aber andere autokratische Systeme muntergemacht, die jetzt viel besser verstehen, welches politische Potential ein freies, offenes und grenzenloses Internet hat."

Weitere Artikel: Sebastian Dörfler rümpft das Näschen über die Wahlkampfberichterstattung der amerikanischen Medien, die sich der Buzz- und Hype-Logik der sozialen Netze ergeben. Nach dem Besuch eines von Nicolas Berggruen organisierten, politisch hochkarätig besetzten Kompaktkurses zum Thema "Europa" fühlt sich Marcus Jauer wie Tick, Trick und Track in diesem Übersetzungsklassiker von Dr. Erika Fuchs. Emanuel Derman erklärt bei der Zubereitung eines exotischen Obstsalats die hohe Kunst der Finanzmodell-Konstruktion. "Das Imperium hat gesiegt", stöhnt Science-Fiction-Fan Dietmar Dath in einer Glosse über den Aufkauf von Lucasfilm samt "Star Wars" durch Disney. Irene Bazinger tröstet sich mit "leicht süßlichem" Sekt über eine offenbar arg längliche Abendveranstaltung zum 60jährigen Bestehen des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Sabine Sasse trifft sich mit Florian Gellinger, der sich von der Berliner Oberbaum-City aus zum international gefragten CGI-Experten gemausert hat. Im Gespräch mit Peter Körte gibt Sam Mendes Auskunft über seinen neuen Bond-Film "Skyfall".

Besprochen werden in einer Sammelrezension drei neue Alben von Dionne Warwick, Esther Ofarim und Barbra Streisand, Cate Shortlands Film "Lore", ein Konzert von Natalia Gutman und Elisso Virsaladze in Berlin, ein Konzert von Meldody Gardot in Frankfurt und Bücher, darunter die hinterlassenen Memoiren von Christoph Schlingensief (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

SZ, 01.11.2012

In Bayern begeht man Allerheiligen - heute keine neue Ausgabe!