Heute in den Feuilletons

Die dicken Balken der Literatur

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.11.2012. Gestorben wird diese Woche nicht nur in der ARD. Erscheint heute schon die letzte Ausgabe der Financial Times Deutschland? So behauptet es jedenfalls der Guardian. Die drastischen Kürzungen bei den Wirtschaftsmedien von Gruner und Jahr sind auch Thema in anderen Medien. Laut taz hat hier vor allem das Bürgertum in seiner Analyse des allgemeinen Kulturverfalls versagt. Laut der FR hakt es dabei auch im Jahr-Clan, dessen Sprosse sich nicht mehr für Journalismus interessierten. Der Tagesspiegel resümiert Professoren-Zank um Kleist-Ausgaben. Die FAZ staunt über Pierre Schoellers Film "Der Aufsteiger" und  noch mehr über die Katalanen.

Weitere Medien, 21.11.2012

(Via Thomas Knüwer) Laut Nadine Schimroszik im Guardian könnte die heutige Ausgabe der Financial Times Deutschland schon die letzte sein. Schon gestern war gemeldet worden, dass Gruner + Jahr die FTD schlicht und einfach abschaffen will (auch kein cache-sexe in Form einer Ipad-Ausgabe). Schimroszik schreibt: "Wednesday's edition of Financial Times Deutschland is expected to be the last published, according to staff at the title. A meeting of the supervisory board of FT Deutschland's owners Gruner + Jahr has been called in Hamburg on Wednesday, to consider different options for the paper. However, it is understood that the editor told staff on Tuesday that the following day's edition would be the last."

In einem interessanten Hintergrundstück zu den neuesten Schließungen bei Gruner + Jahr schildern Thomas Schuler und Ralf Mielke auf der Medienseite der FR die neuen Besitzverhältnisse in der Jahr-Familie und ihr unsicheres Agieren in der Krise: "Der Verlag G+J verliert angeblich jährlich rund 200 Millionen Euro an Wert, zitierte das Manager Magazin aus einer Banken-Analyse. Innerhalb von zehn Jahren sei der Wert von 3,5 auf 2,5 Milliarden Euro gesunken. Die zweite Erben-Generation der Familie Jahr arbeitet nicht mehr im Verlag und hat kaum Interesse am Journalismus."

Aufmacher des FR-Feuilletons ist ein Debattenartikel des Verteidigungsministers Thomas de Maizière zur Rolle der Bundeswehr.

Während es heißt, dass es für die FR ernsthafte Kaufinteressenten gebe, bringt das Blog turi2 folgenden Medienquerschnitt über das Schwesterblatt Berliner Zeitung: "Nach der Pleite der Frankfurter Rundschau sollen auch Redakteure des Schwesterblattes Berliner Zeitung gehen - möglichst freiwillig, gelockt von einer hohen Abfindung. Die soll deutlich über dem geltenden Sozialtarifplan liegen und vor allem älteren Redakteuren den freiwilligen Austritt schmackhaft machen. Jeder, der spätestens zum 3. Dezember den Abfindungsvertrag unterschreibt, bekommt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit 150 Prozent seines Bruttomonatsgehalts sowie einen Sockelgrundbetrag von 10.000 Euro. Auch die Deckelung von 120.000 Euro sei verhandelbar."

Verschiedene Herren Professoren streiten um aktuelle Kleist-Ausgaben, wobei besonders die im Hanser-Verlag erschienene Edition angegriffen wird. Sie beruht auf der textreligiösen "Brandenburger Ausgabe" von Roland Reuß und Peter Staengle, aber offenbar haben sich dort Fehler eingeschlichen. Und dann kam noch die von Bernd Hamacher betreute "Krug"-Ausgabe im Reclam-Verlag hinzu, der vom Rechtswissenschaftler Volker Rieble in der FAZ Plagiatsvorwürfe gemacht wurden, resümiert Astrid Herbold im Tagesspiegel: "In Erinnerung blieb vor allem der scharfe Ton der Debatte. Vor allem die Professoren sparten nicht an Abfälligkeiten gegenüber den jüngeren Kollegen. 'Sollte es sich um den respektlosen Versuch eines Privatdozenten halten?', fragte Rieble. Hamacher gehe es vermutlich um 'Karriereplanung', ergänzte Staengle, auch dass 'ein Michael Ott' sich mittels eines 'Internet-Organs' (gemeint war die Seite Literaturkritik.de) in die Diskussion einmischen wollte, passte ihm nicht." Dabei hatte Ott doch einen ganz vernünftigen Einwand gemacht: "Wenn .. zwei Herausgeber denselben Text edieren, ist eine Ähnlichkeit der edierten Texte geradezu erwartbar."

TAZ, 21.11.2012

Die Zeitungen sind nicht nur ökonomisch in der Krise, meint Georg Seeßlen in seinem Schlagloch, sondern vor allem politisch und kulturell: " Die bürgerliche Zeitung, wenngleich in gebremster Machtfülle, war immer noch der Fels in der Brandung des Meeres der Unübersichtlichkeit, der Geschwindigkeit und der Trivialität. Die bürgerliche Zeitung als Instrument der Verteidigung der bürgerlichen Kultur konnte nur scheitern, weil sie blind gegenüber der Gefährdung und Auflösung dieser Kultur war. Sie scheiterte aber vielleicht noch mehr an ihren Anpassungsbemühungen. Ein wenig mehr Bilder, und dann noch mehr Bilder. Kürzere Texte, und bitte nicht mehr so gebüldet. Boulevardisierung. Und vor allem: alles in die Mitte."

Auch in ihrer Kolumne widmet sich Silke Burmester den Sterbemonat November: "Nur die ARD lässt sich von der Hauptsaison des Sensenmannes nicht ins Jenseits jagen und ruft mit lachendem Gesicht die ARD-Sterbewoche aus, so dass man gar nicht anders kann, als sich von der Begeisterung am Ableben anstecken zu lassen."

In der Kultur: Für seinen Text gegen Giordano Bruno hat Micha Brumlik offenbar so viele empörte Reaktionen bekommen, dass er noch einmal nachlegen muss und den Humanismus dieses abtrünnigen Mönchs als reinen Hass gegen Juden, Christen und Frauen zu erklären. Besprochen werden das neue Album des Berliner Musikers Hans Unstern "The Great Swindle" und der Abschluss der Twilight-Saga mit "Breaking Dawn".

Und Tom.

NZZ, 21.11.2012

Ulrich M. Schmid schreibt zum Tod des russischen Science-Fiction-Autors Boris Strugatzki, der unermüdlich daran gearbeitet hatte, "die dicken Balken der Literatur mit einer Langsäge zu zersägen". Cornelia Isler-Kerényi berichtet von den Sanierungsarbeiten der Berliner Museumsinsel, die aller Voraussicht nach im Jahr 2027 abgeschlossen sein sollen.

Besprochen werden zwei Pariser Ausstellungen zu den Architekturtitanen Henri Labrouste und Victor Baltard, eine Schau über das "Pilgern" im Basler Haus der Kulturen, Yfaat Weiss' Geschichte von Haifas Stadtteil Wadi Salib "Verdrängte Nachbarn", Tomás González' Roman "Das spröde Licht" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 21.11.2012

Nach Jahren der Verweigerung haben jetzt auch AC/DC ihren Widerstand aufgegeben und verkaufen jetzt auf Itunes, meldet in der Glosse ein leicht melancholischer Richard Kämmerlings. Laut einer Meldung gibt es für die zahlungsunfähige Frankfurter Rundschau "namhafte Interessenten".

Besprochen werden das dritte Jesus-Buch von Papst Benedikt XVI., eine Salvador-Dalí-Retrospektive im Centre Pompidou und Rainer Kaufmanns Fernsehfilm "Blaubeerblau" ("sehr, sehr traurig. Und sehr, sehr witzig. Und deshalb sehr, sehr gut", versichert Iris Alanyali).

FAZ, 21.11.2012

In Frankreich kann man noch politisches Kino, staunt Andreas Kilb über Pierre Schoellers Film "Der Aufsteiger" (mehr hier), der einen Politiker aus dem Apparat porträtiert: "Die Hauptrolle spielt die Struktur, das Geflecht von Staat, Politik und Medien. Es hat die Menschen so fest im Griff, dass sie wie verwischt wirken, Opfer einer Doppelbelichtung aus Sein und Nichtsein."

Paul Ingendaay begleitet die immer konkreteren Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen mit gehöriger Skepsis: "Der Respekt gebietet es, die Katalanen selbst entscheiden zu lassen, worüber sie abstimmen wollen - was nicht heißt, dass jede ihrer Entscheidungen auch verfassungskonform und realisierbar wäre."

Weitere Artikel: Patrick Bahners kommentiert die kreationistischen Äußerungen des neuen starken Manns der Republikaner, Marco Rubio, in GQ. Jordan Mejias inspiziert einen Museumsneubau von Zaha Hadid für die Michigan State University. Mark Siemons meldet, dass der chinesische Autor Li Bifeng, ein Freund Liao Yiwus, zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurde - Liao kündigt in einem kleinen Interview an, für die Befreiung Lis kämpfen zu wollen (hier ein aktueller Artikel der South China Morning Post zum Thema). Dietmar Dath schreibt zum Tod des Science Fiction-Autors Boris Strugatzki. Julia Bähr berichtet vom Literaturfestival München. Auf der Medienseite kommentiert Michael Hanfeld die radikalen Schnitte bei den Wirtschaftsmedien von Gruner + Jahr. Zuvor war die ersatzlose Schließung der Financial Times Deutschland von der Wirtschaftsredaktion online gemeldet worden.

Besprochen werden Bücher, darunter die "Ethik der Mensch-Tier-Beziehung" der Philosophin Ursula Wolf (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 21.11.2012

Wolfgang Janisch umkreist das teils schwierige Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht, Europäischem Gerichtshof und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte. Markus Zehentbauer besucht in Schneeberg eine kulturwissenschaftliche Tagung über das Verhältnis zwischen Ding und Mensch. Peter Münch meldet, dass sich israelische Künstler in einer Petition für einen Waffenstillstand aussprechen (hier mehr). Georg Imdahl hält wenig davon, dass manche Museen - aktuell das Lehmbruck-Museum in Duisburg - über einzelne Veräußerungen aus ihren Sammlungen an Privatsammler nachdenken. Dirk von Gehlen freut sich sich, dass AC/DC nun auch via iTunes erhältlich ist.

Besprochen werden neue Popveröffentlichungen, eine Ausstellung mit Zeichnungen von Raffael im Frankfurter Städelmuseum, der letzte "Twilight"-Film und Bücher, darunter die von Hanjo Kesting zusammengestellten "Grundschriften der europäischen Kultur" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr.