Heute in den Feuilletons

Die konsequente Einführung von Zwischentiteln

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.12.2012. Nicht das Internet ist schuld an der Krise der Zeitungen, sondern jene Herren in den Verlagen, die sie jahrzehntelang herunterwirtschafteten, meint die ehemalige Literaturchefin der FR, Ina Hartwig, im Perlentaucher. Was sagen alle anderen französischen Kleinstädte zum Louvre-Vorposten in Lens, fragt die NZZ. Der Welt graust's vor der Filmmusik im Fantasy-Kino. Außerdem ein langes Radio-Interview mit Stanley Kubrick, und eine Brücke in Sarajewo überwindet die Schwerkraft. Und einstimmig wird eine Verschärfung der Waffengesetze in den USA gefordert.

Perlentaucher, 17.12.2012

Lasst euch nicht bange machen, ruft Ina Hartwig, die ehemalige Literaturchefin der FR, in einem Perlentaucher-Essay ihren Kollegen in den Redaktionen zu: Das Gerede von der Krise der Zeitungen nutzt nur jenen Herren in den Verlagen, die sie über Jahrzehnte herunterwirtschafteten - Beispiel FR: "Der renommierte Reiseteil wurde eingestellt, die renommierte Kinderbuch-Beilage wurde eingestellt, die Literaturbeilage geriet unter Rechtfertigungsdruck - kurzum, den wechselnden Chefs rutschte willentlich ihr eigenes Blatt weg. Sie standen unter Druck, und den gaben sie weiter; das hatte teilweise grausame Auswirkungen auf die Psyche der Redaktion; es spaltete sie in Verlierer und Gewinner (die es ja immer gibt); aber auch komische Situationen sind mir im Gedächtnis geblieben, etwa der Zettelterrorismus von oben, weil da einer glaubte, die Zeitung durch die konsequente Einführung von Zwischentiteln retten zu können."

Weitere Medien, 17.12.2012

Laut Open Culture ist das ein höchst seltenes Dokument: ein über einstündiges Audiointerview mit Stanley Kubrick, das der New Yorker 1966 mit ihm führte, um ein großes Porträt vorzubereiten:


Stichwörter: 1966, Kubrick, Stanley

Welt, 17.12.2012

Seit der Uraufführung von Wagners "Ring" 1876 hat sich musikalisch im Science-Fiction-Film nicht viel getan, meint Manuel Brug, nachdem er Howard Shores Filmmusik zum "Herrn der Ringe" und jetzt auch dem "Hobbit" gehört hat: "Das große, spätromantische Sinfonieorchester, am besten in Klanggestalt des filmmusikgestählten London Symphony Orchestra muss her, verstärkt um Ethno-Instrumente von der Panflöte über keltische Harfe und norwegische Hardangerfiedel bis zu Hackbrett und tibetanischen Gongs für den urzeitlichen Spezialsound, fatalistische Frauenchöre und schwere Percussion für die Schlachten, heitere Tanzmusik für das Auenland, sphärisches Schmachten für das pastellig zerfließende Elfenreich und krudes Brodeln für die dumpfen Ork-Grüfte."

Weitere Artikel: Stefan Keim ärgert sich über den Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, der seine Oper mit der im benachbarten Köln fusionieren will. In Tschechien versucht Vaclav Klaus die Filmförderung zu torpedieren, berichtet Hans-Jörg Schmidt. Wolf Lepenies schreibt zum Tod des Soziologen Albert O. Hirschman.

Besprochen werden Alvis Hermanis' Inszenierung von Gorkis "Sommergästen" in der Berliner Schaubühne ("ein ärgerlicher Schmarren", schimpft Ulrich Weinzierl), die Ausstellung "Zeichen. Sprache ohne Worte" des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig und Friedrich Anis Roman "Süden und das heimliche Leben".

NZZ, 17.12.2012

Als wichtige Maßnahme zur Dezentralisierung wird der Ableger des Pariser Louvre im nordfranzösischen Lens gefeiert. Marc Zitzmann sieht gerade in diesem "kunstfremden" Motiv das Problem des Projekts und fragt sich, "was wohl die Bewohner der 21 übrigen Landesregionen von der Auslagerung der Louvre-Schätze denken mögen, wo im zentralistischen Frankreich alle Wege nach Paris führen und nur sehr wenige nach Lens?"

Weiteres: Andrea Köhler konstatiert ob des Massakers in Newtown, "dass derlei Vorkommnisse in den USA inzwischen endemisch sind". Besprochen werden Inszenierungen der Maxim Gorki-Stücke "Kinder der Sonne" in Zürich und "Sommergäste" in Berlin sowie von Verdis "Ballo in maschera" in Basel.

Aus den Blogs, 17.12.2012

Das Architekturblog Dezeen stellt "the coolest little bridge I have ever seen" vor. Sie befindet sich in Sarajewo vor der Kunstakademie und wurde von den Architekten Adnan Alagić, Bojan Kanlić und Amila Hrustić entworfen, die sich im Blog auch äußern.

Jon Lee Anderson erinnert im Blog des New Yorkers an ein Massaker an Schulkindern in Großbritannien im Jahr 1995, nach dem die Briten ihre Waffengesetze drastisch verschärften: "There was not much hand wringing or heated debate over this legislation. It was discussed, and enacted, with overwhelming public support, in response to the mood of national shame and grief over the killings."

Beethoven hat heute Geburtstag! Wir gratulieren mit dem vierten Satz seiner Achten:



Weitere Medien, 17.12.2012

In der FR plädieren Claus Leggewie und Horst Meier dafür, den diskreditierten Verfassungsschutz abzuschaffen. Es werde auch weiterhin Terror geben. Aber "es wäre Sache des kriminalpolizeilichen Staatsschutz, in erkennbaren Gewaltszenarien so gut wie möglich präventiv tätig zuwerden und die Effektivität und Effizienz des staatlichen Gewaltmonopols für die Aufklärung und Verhinderung von Straftaten unter Beweis zu stellen. Aber wichtiger noch ist, dass auch die Bürgergesellschaft der Drohung terroristischer Gewalt mit Ruhe und Überlegung ins Auge blickt".

TAZ, 17.12.2012

Der Autor Dirk von Gehlen erzählt im Interview mit Maik Söhler von den Erfahrungen, die er mit dem Crowdfunding für sein neues Buch "Eine neue Version ist verfügbar" gemacht hat, und plädiert dafür, "Kultur als Software zu denken. Kultur soll nicht mehr Fertigprodukt sein, sondern - wie bei Wikipedia oder beim Webbrowser Firefox - in Versionen ausgeliefert werden. Es geht nicht um das fertige Buch, sondern um seinen Entstehungsprozess. Dies bringt einen unkopierbaren Moment mit sich, der dem Produkt weiteren Wert verleihen kann."

Weiteres: Der Bamberger Linguistik-Professor Martin Haase berichtet im Gespräch mit Erik Wenk von seinem Blog neusprech.org, in dem er die manipulativen Methoden politischer Begriffe analysiert. Anlässlich des Newtown-Massakers denkt Dorothea Dorn über die liberalen Waffengesetze als "nationale Pathologie" der USA nach. Besprochen werden Scott Walkers neues Album "Bish Bosch" und Michael J. Sandels Studie "Was man für Geld nicht kaufen kann" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Und Tom.

Aus den Blogs, 17.12.2012

(via 3 quarks daily) Das Blog The Anarchist Soccer Mom hat einen herzerweichenden Bericht einer Mutter veröffentlicht, deren 13-jähriger Sohn so aggressiv und unbeherrschbar ist, dass ihr Sozialarbeiter meinte, nur wenn er ins Gefängnis gehe, würden die Behörden anfangen zu handeln. "No one wants to send a 13-year old genius who loves Harry Potter and his snuggle animal collection to jail. But our society, with its stigma on mental illness and its broken healthcare system, does not provide us with other options. Then another tortured soul shoots up a fast food restaurant. A mall. A kindergarten classroom. And we wring our hands and say, 'Something must be done.' I agree that something must be done. It's time for a meaningful, nation-wide conversation about mental health. That's the only way our nation can ever truly heal."
Stichwörter: Mutter, Potter, Harry, Sohn, Fast Food

FAZ, 17.12.2012

Der Overkill an Breaking News-Dramaturgie nach dem Massaker von Newtown führte zu einer Menge Fehlern in der Fernsehberichterstattung und dann auch im Internet, berichtet Nina Rehfeld: "Stundenlang kursierte der Name Ryan Lanza als der des Schützen - mehrere Nachrichtenorganisationen, darunter auch die Huffington Post und Fox News, verlinkten auf die Facebookseite eines gleichnamigen Mannes, sein Foto und Profil kursierten im Netz. 'It wasn't me I was at work it wasn't me', postete der Beschuldigte auf Facebook, als er massenweise Hassmails und Todesdrohungen erhielt."

Außerdem interviewt die FAZ den Autor Thomas Frank, der eine Verschärfung der Waffengesetze fordert, ebenso wie der Anwalt und Autor von "Gunfight: The Battle over the Right to Bear Arms in America ", Adam Winkler (mehr hier und hier) in einem zweiten Interview.

Weitere Artikel: Marco Herack berichtet, dass Konsumenten von Computerspielen bedenkenlos ihre Daten an die Konzerne weitergeben. Mark Siemons besucht die Xishiku-Kirche in Peking, in der auch nichtkatholische Chinesen gern heiraten.

Besprochen werden die Uraufführung des Stücks "Wir lieben und wissen nichts" von Moritz Rinke in Frankfurt, Gorkis "Sommergäste" in der Regie von Alivis Hermanis an der Berliner Schaubühne (Gerhard Stadelmaier ist nicht begeistert), Konzerte der "Musica Viva"-Reihe in München und Bücher, darunter Toshiki Okadas Erzählband "Die Zeit, die uns bleibt", besprochen von der Japan-Kennerin Irmela Hijiya-Kirschnereit (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 17.12.2012

Auffallend häufig begegnet Felix Stephan sowohl bei Wirtschaftstheoretikern als auch bei linken Occupy-Aktivisten einem imaginierten Bild menschlicher Natur, das - so unterschiedlich es sein mag - in jedem Fall die Gängelung des einzelnen Bürgers begründet: "Die Argumentationslinien der Kollektivisten und der Marktliberalen [verlaufen] heute verblüffend parallel: Weil sie nicht glauben, dass der Einzelne sozial verträgliche Entscheidungen treffen kann, muss er an die Hand genommen werden - wobei der Zwang als seine Natur ausgegeben wird, zu der er lediglich zurückgeführt wird."

Weitere Artikel: Michael Moorstedt beobachtet die GIF-Renaissance im Netz, die selbst die Oxford University Press dazu verleitet hat, "GIF" zum Wort des Jahres zu küren (für besonders schöne Film-GIFs empfehlen wir im übrigen dieses Tumblelog). Durchgewalkt und völlig am Ende verlässt Joachim Hentschel das Berliner Konzert der krachigen Techno-Punks Crystal Castles, wo er sich fühlte, als hätte man ihm das "Lautsprecherkabel direkt ins Nervensystem gestöpselt".

Besprochen werden Moritz Rinkes neues Theaterstück "Wir lieben und wissen nichts" am Schauspiel Frankfurt ("eine saftige, bitzelnde, klug und keck auf dem Zeitgeist heutiger Job- und Internet-Nomaden surfende Komödie", applaudiert Christine Dössel), Árpád Schillings Inszenierung von Verdis "Rigoletto" an der Bayerischen Staatsoper in München, Goyo Monteros Tanzstück "Faust" am Staatstheater Nürnberg und Bücher, darunter gesammelt ein halber Regalmeter an Neuveröffentlichungen über den Dichter Max Herrmann-Neiße (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).