Heute in den Feuilletons

Die Liebe zu den Drachen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.12.2012. Dank Jörg Schönenborn vom WDR leben wir ab morgen in der besten aller möglichen Welten: Denn der Rundfunkbeitrag ist "genau genommen eine 'Demokratie-Abgabe'". Der Tagesspiegel war darüber aber nicht informiert und spricht noch von "Zwangsmilliarden". Die NZZ begibt sich auf die Spuren von Konfuzius nach China. In der FAZ schildert Indien-Expertin Christiane Brosius die missliche Lage der Frauen im Land, die sich bisher auch durch die Modernisierung nicht verbesserte. Und mit den Hives wünscht der Perlentaucher allen Perlentauchern und Menschen, die im Perlentaucher nach Perlen tauchen mit Blick auf ein Jahr ganz ohne Weltuntergang: "Go Right Ahead!"

Weitere Medien, 31.12.2012

Weil der Anfang so gut ist:



Dorette Deutsch befragt in der FR drei italienische Schriftsteller, Massimo Carlotto, Andrea Camilleri und Maurizio Maggiani, zu den Verwüstungen, die der Berlusconismus in den Hirnen der Italiener angerichtet hat. Sie sind gravierend, meint Camilleri: "Es hat dreißig Jahre gedauert, um das kulturelle Niveau derart zu senken, und da wir keinen Zauberstab haben, wird es weitere dreißig Jahre dauern, um alles wiederaufzubauen."

Anlässlich des Massakers von Newtown denkt Arno Widmann in einem kleinen Essay nochmal über John Fords klassischen Western "Der Mann, der Liberty Valance" erschoss nach. John Wayne ist darin der Held, nicht der gesetzesgläubige James Stewart: "Er ist der Held, weil er es war, der Liberty Valance erschoss. Er ist es aber noch mehr, weil er danach seinen Colt weglegte, zurücktrat und alles Weitere dem Mann des Gesetzes überließ."

Le Monde meldet, dass Charlie Hebdo übermorgen einen Mohammed-Comic auf den Markt bringen will: "La Vie de Mahomet" erzähle "absolut halal" die Lebensgeschichte des propheten, nur eben in Bildern.

Welt, 31.12.2012

Der Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn, der gerade eine Kulturgeschichte des Orakels veröffentlicht hat, erklärt im Interview, was Hellseherei und Literatur verbindet: Beide sind "prärational. Weil das mantische Bewusstsein genau das ist, was vor der Ratio kommt. Wir bringen ein Gefühl, das wir in einem Raum haben, den wir nicht kennen, gern in Begriffe. Aber das ändert nichts daran, dass wir vorher auch etwas ahnen. Wir haben eine Ahnung. Wir sind nur nicht mehr gewohnt, dieses Gefühl sich in uns ausleben zu lassen."

Außerdem: Die Welt-Redakteure stellen dem Kulturjahr 2013 ein Horoskop und geben einige Empfehlungen ab. So Hanns Georg Rodek: "Sagen Sie 'Fuck you, Göthe!' (14.11.), essen Sie bekömmlich und legen Sie sich ein dickeres Fell zu." Hannes Stein stellt die neuen Filme von Steven Spielberg ("Lincoln") und Kathryn Bigelow ("Zero Dark Thirty") vor.

TAZ, 31.12.2012

Gabriele Goettle erzählt eine traurige Weihnachtsgeschichte von einem Arzt, der seinen Patienten verstößt. Sie beginnt so: "Vielleicht ist der Fall eher einmalig, vielleicht aber kommen solche Ungeheuerlichkeiten allerorten irgendwo in diesem Land vor. Ich jedenfalls erfuhr diese Geschichte nur zufällig. Als ich vor einiger Zeit morgens ein Geschäft betrat und sah, dass die ansonsten eher gefasst und streng wirkende Verkäuferin, sich abwandte und weinte, fragte ich sie vorsichtig nach dem Grund. Sie erzählte mit gesenkter Stimme, dass ihr schwer kranker Vater von seinem langjährigen Hausarzt einfach so vor die Tür gesetzt wurde mit der Begründung, er sei eine Luftnummer."

Besprochen werden die Ausstellung "Walker Evans - Decade by Decade" in der SK Stiftung Kultur in Köln und Michio Kakus Buch "Die Physik der Zukunft" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf den vorderen Seiten erzählen Arno Frank und Bernd Hartung in Text und Bild die Geschichte der linksradikalen Druckerei Caro, die gestern die letzte taz gedruckt hat und jetzt schließt. Für die Meinungsseite hat die taz eine kleine Umfrage in Syrien gestartet: Was wird 2013 passieren, wurden "Optiker, Galeristen, Aktivisten, Künstler und Rebellen" gefragt. Die Antworten waren wenig überraschend eher pessimistisch.

Und Tom.

NZZ, 31.12.2012

Ho Nam Seelmann ist auf den Spuren von Konfuzius nach China gereist. Vor dem Schrein in Qufu in der Provinz Schandong erlebte sie geradezu physisch die Bedeutung des Ortes. "In stiller Würde liegt er da, getragen von zehn mächtigen Steinsäulen. Diese berühmten Säulen sind 6,1 Meter hoch und stellen ein Meisterwerk der chinesischen Steinmetzkunst dar. Jede Säule ist aus einem einzigen Stein geschaffen, und zwei mächtige Drachen steigen aus dem Wasser empor und führen im Aufstieg Wolken mit sich. In der Lehre von Yin und Yang symbolisiert der Drache das männliche Yang und wird stets von Wolken als Symbol des weiblichen Yin begleitet. Der Drache gilt als Glückszeichen in Ostasien. Aber die Liebe zu den Drachen scheint unter allen ostasiatischen Ländern in China am grössten zu sein. Denn allein in der Schrein-Anlage von Qufu sollen sich 2596 Drachen tummeln."

Besprochen werden eine Schau von Jacob Jordaens' barocken Antikenbilder im Königlichen Museum in Brüssel, eine Ausstellung über den Tod in der Londoner Wellcome Collection sowie neue Stücke des Béjart Ballet Lausanne.

Aus den Blogs, 31.12.2012

(Via kress.de) Ganz am Ende des Jahres gebührt (gibt es ein besseres Wort?) dem WDR-Funktionär Jörg Schönenborn noch der Preis für den besten Neusprech 2012: "Der Rundfunkbeitrag", schreibt er in Antwort auf Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen im Blog intern.ARD, "passt gut in dieses Land. Er ist genau genommen eine 'Demokratie-Abgabe'. Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft."

Designboom präsentiert die zehn besten Kunstwerke des Jahres 2012.
Stichwörter: ARD, WDR, Rundfunkbeitrag

Tagesspiegel, 31.12.2012

"Zwangsmilliarden für den öffentlich-rechtlichen Stillstand" sieht Joachim Huber in dem ab morgen geltenden neuen Rundfunkbeitrag, den sich ARD und ZDF in dem Moment gesichert haben, da die Zuschauerzahlen "Abwendung bis Ablehnung" ausdrückten. "Das eigene Versagen, dass die Hauptprogramme von ARD und ZDF eine jugendfreie Programm- und Publikumszone wurden und die Zuschauer von Erstem und Zweitem im Schnitt jeweils 60 Jahre alt sind, soll mit einem Jugendkanal konterkariert werden, der ZDFkultur und Einsplus zusammenführen soll. 'Reich, aber ratlos', hat die Süddeutsche diese Strategie des Lückenstopfens via Programmgründung genannt ... Warum trotzdem alle zahlen müssen, erklärt sich nur aus einer im Kreisverkehr befindlichen Medienpolitik, die stets Partei nimmt für den Gebührenfunk und dafür mit parteipolitischen Auftrittsbühnen belohnt wird."

FAZ, 31.12.2012

Die Indien-Expertin Christiane Brosius schildert die Vergewaltigung einer Frau in Neu Delhi, die Massenproteste auslöste, als Symptom für die Lage der Frauen in Indien: "Dabei sind die Vergewaltigungen nur ein Teil der Macht- und Rechtlosigkeit von Frauen in Indien. Genannt seien die Abtreibungen weiblicher Föten, die Benachteiligungen bei Ausbildung und Gesundheitsversorgung oder Fälle illegaler Mitgiftforderungen, bisweilen gefolgt von Mitgiftmorden. Scheidungen sind nach wie vor eine Seltenheit, das Witwendasein stigmatisiert. Dies alles gibt es nicht nur trotz, sondern auch wegen der zunehmenden Modernisierung und Urbanisierung."

Weitere Artikel: Redakteure fassen die in ihre Ressorts schlagenden besten und schlechtesten Momente des Jahres 2012 zusammen. Der fest angestellte Journalist Jürgen Kaube mokiert sich in einer Glosse über den freien Publizisten Georg Seeßlen, der den Buchmarkt mit immer neuen Titeln befeuert. Stefan Schulz besuchte die Jahrestagung des Chaos Computer Clubs. Arnold Bartetzky inspiziert einige Neubauprojekte in der von Katrina verwüsteten Stadt New Orleans, die unter anderem von Brad Pitt unterstützt wurden. Martin Jurgeit schreibt zum Tod des japanischen Comic-Erzählers Keiji Nakazawa, und Andreas Platthaus porträtiert den Comiczeichner Chris Ware, der in den USA sein Meisterwerk "Building Stories" vorlegt.

Besprochen werden das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker (das bereits am Samstag schon mal gegeben wurde) und Bücher, darunter neue Bände einer Siegfried-Kracauer-Ausgabe (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 31.12.2012

Auf der ganzen ersten Seite des Feuilletons sammeln die SZ-Redakteure Notizen zu dem, was von 2012 bleibt, unter anderem Kindles für Kleinkinder, das (den "Fifty Shades of Grey" entlehnte) Wort "Mummy Porn", die Krise als Permanenz und vieles weitere. Mit der Geste distanzierten Staunens mischt sich Johannes Boie unter die Besucher des Hamburger Kongresses des Chaos Computer Clubs, der bei Youtube Aufnahmen zahlreicher Vorträge hochgeladen hat. Elisabeth Fischer ist nach einer Aufführung des Mariinsky-Balletts in Petersburg rundum begeistert von dessen Zweiten Solisten Filip Stepin. Außerdem versammeln die Literaturkritiker der SZ zum Jahreswechsel ihre Notizen zum "Futur", dessen schlechte Konjunktur Thomas Steinfeld auch darin begründet sieht, dass "die Zukunft die ungewisse Zeit ist". Max Fellmann gratuliert Andy Summers von The Police zum 70. Geburtstag.

Auf Seite Drei spricht Tobias Kniebe mit Steven Spielberg und Daniel Day-Lewis über beider gemeinsamen neuen Film "Lincoln".

Besprochen werden neue DVDs, eine Ausstellung über Chaim Soutine im Musée de l'Orangerie in Paris und die Ausstellung "Kopie, Replik & Massenware" im Staatlichen Museum Schwerin.